Marly, oder Pflanzerleben auf Jamaika

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Titel: Marly, oder Pflanzerleben auf Jamaika
Untertitel:
aus: Das Ausland, Nr. 132-133; 135 S. 525-526; 529-530; 538-539
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
Entstehungsdatum: 1828
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
Übersetzer:
Originaltitel: Marly; or a Planter’s life in Jamaica
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Sklavenleben in Zuckerrohr-Plantagen auf Jamaika
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[525]

Marly, oder Pflanzerleben auf Jamaika.

Marly; or a Planter’s life in Jamaica. Glasgow 1828.

Marly, ein geborner Schotte, welcher in der weiten Welt sein Glück zu machen sucht, landet auf Jamaika, hat viel von dem Klima zu leiden, wird namentlich von den Mosquitos (Teufelstrompetern, wie sie der Neger nennt) bis auf’s Blut gequält, erhält aber bald in einer Pflanzung, Water Melon Valley (Wasser-Melonen-Thal) genannt, eine Buchhaltersstelle.

Nachdem der Held der Erzählung in einem mobilen hölzernen Zimmerchen, ohne Glas in dem Fenster, auf einem mit Laub ausgestopften Lager die Nacht zugebracht hatte, tritt er Morgens mit der ersten Dämmerung sein Tagewerk an.

„Der Aufseher übergab ihm ein genaues Verzeichniß der Neger und verließ ihn, nachdem er ihm unter vielen andern Instructionen das westindische Sprichwort „wie viel schwarze Gesichter, so viel Diebe“ zu beherzigen gegeben. – Sein erstes Geschäft war die Aufsicht in der Zuckersiederei, wo íhm die Neger unter vielen Bücklingen der Reihe nach ihre Huldigungen darbrachten, und dem Massa langes Leben im Wasser-Melonen-Thal wünschten. Dieses Kukukgeschrei wiederholte sich zu zweihundert Malen, und setzte seine Geduld auf die härteste Probe; der Gedanke aber, daß jedes dieser unglücklichen Geschöpfe versuchen müsse, seinem Ich eine gewisse Bedeutsamkeit zu geben, ließ ihn ihr Papagaigeträsch immer wieder mit einem Gegengruß erwidern. Er war, so viel wußte er, zum Buchhalter bestellt, konnte aber, auch bei der genauesten Untersuchung, nirgends ein Buch auffinden, auch war in der ganzen Behausung keine Spur von Dinte oder Feder zu sehen. Er sann hin und her, wie er hier buchhalten sollte, bis er bemerkte, daß ein Neger, Namens Brutus, nachdem er einen Kühleimer ausgeleert, mit der Hand über den Tisch nach einem ein paar Zoll breiten Brette fuhr, worein regelmäßige Löcher gebohrt waren, und einen hölzernen Nagel aus seinem Loche um ein Loch weiter vor steckte. Damit war das Räthsel gelöst. Das Brett war das zu führende Buch, der Nagel die Feder; die Zahl der Löcher, die der Nagel innerhalb 24 Stunden durchlief, bezeichnete die Zahl der Kühleimer, und diese wiederum die Quantität des täglich gefertigten Zuckers. Diese Buchhalterei war also nicht sehr schwierig und erforderte kein großes Studium.“

„Den Tag über sorgte der Aufseher für seine Bedürfnisse, indem er ihm zum Frühstücke eine Kanne Kaffee, ein Paar Häringe, und eben so viel Paradiesfeigen verabfolgte. Sein Mittagsmahl bestand in einer Suppe, Roast Beef, Yams und Paradiesfeigen nebst einer Flasche Grog [1], und sein Abendessen in einer Platte des übriggelassenen Roast Beefs nebst einigen Paradiesfeigen. Gleich darauf trat der Aufseher bei ihm ein, erkundigte sich, ob den Tag über nichts vorgefallen sey, und hieß ihn, nachdem er die Löcher gezählt, welche der Nagel durchlaufen, die Thür hinter sich schließen, und den Schlüssel zu sich stecken. Vor allem aber bemerkte er ihm, er sollte seine Matratze über die Rinne legen, in welcher das zum Reinigen der Vorlaggefäße gebrauchte Wasser hinauslief, und durch welche oft schon Zucker hinausgeschmuggelt worden war; wenn er schläfrig werde, könne er sich auf die Matratze legen, und ein wenig ruhen. Marly schloß demnach die Thür ab, und ließ die Matratze über die Wasserrinne legen. Als er ein paar Male in dem Siedhause auf und niedergegangen war, und Alles ruhig glaubte, so daß keine übeln Folgen zu fürchten waren, begab auch er sich zur Ruhe. Er legte sich nieder, vermochte aber, obgleich sehr müde, nicht einzuschlafen. Der unaufhörliche Ruf der Sieder noch mehr Feuer, oder auf – nieder mit dem Kühleimer, mit einer Stentorstimme durch ein langes Sprachrohr aus Bambus dem Feurer zugerufen, mußte an sich schon Einem, der nicht daran gewohnt war, allen Schlaf vertreiben. Hiezu kam aber noch das Geschrei von etwa zwölf Mädchen und Knaben, die auf den Pumpenbalken saßen, und die Maulesel antrieben, welche das Mühlwerk trieben. Diese Jugend stimmte theils zu eigner Belustigung, theils um die Thiere mehr anzuspornen, einen Chor an, den sie nach ihren Begriffen von Melodie bis zur äußersten Höhe steigerten; und obgleich er Marly durch Mark und Bein ging, gefiel er doch ihnen, und, was noch mehr hieß, den Mauleseln, und feuerte sie mehr an, als aller Wahrscheinlichkeit nach die Peitsche vermocht haben würde. Dieß mag ein Fingerzeig für diejenigen seyn, welche ihre Vorurtheile gegen diese Thierklasse auf das alte Sprichwort: so eigensinnig wie ein Maulesel gründen, daß sie es mit Gesang bei ihnen versuchen, wenn weder Sporn noch Peitsche anschlagen will. Und wenn sie, wie die im vorliegenden Fall überhaupt eine Vorliebe für lustige Musik haben, so sind ihre Treiber in der Wahl der Musik nicht sehr beschränkt; denn man konnte nicht sagen, daß in dem was die [526] Neger ihnen zuheulten, Reim, Tact oder Melodie gelegen wäre.“

„An Schlaf war somit nicht zu denken; Marly verließ sein Lager und beobachtete das Treiben dieser Leute, indem er sich Alles, was vorging, genau bemerkte. Während dessen glaubte ein Sklave, Namens Plato, der gerade einen Kühleimer leerte, den neuen Buchhalter in einiger Entfernung von der Wasserrinne beschäftigt, füllte insgeheim einen Kalibasch mit Zucker, und hob schon die Matratze auf, um damit hineinzufahren, als jener sich umwandte und ihn erblickte. Marly war äußerst aufgebracht, daß die Neger seine Unerfahrenheit benutzen wollten, eilte auf Plato zu und fand ihn noch mit dem Kalibasch in der Hand, der wenigstens drei bis vier Pfund Zucker enthielt. Auf der That ergriffen, vertheidigte er sich nicht, sondern flehte fußfällig, daß es der Massa nicht dem Buscha (Aufseher) melden sollte, und erhielt auf das Versprechen künftiger Besserung von Marly Verzeihung. Dieser Act der Milde schien jedoch schlechte Wirkung zu thun; denn als am nächsten Morgen die Leute sich ablösten, und Brutus, auf den Marly ein besonders wachsames Auge hatte (weil er, trotz seinem tugendsamen römischen Namensbruder, ein durchtriebener Dieb war) auf seinem Posten sich befand, kam mit einigen andern eine junge Negerin in das Siedhaus, um einiges aus den Kesseln zu schöpfen. Marly ließ sie nicht außer Acht, obgleich er gerade Kalk in eine Vorlage abwog, und bemerkte, wie Brutus, dahin zurückkehrend, etwas verbarg, das er einer Negerin insgeheim zuschob. Der Buchhalter ging sogleich auf sie zu, und fragte sie, was sie unter ihrem Rocke hätte. Sie erklärte, sie habe nichts; und da Marly zu zartfühlend war, ein Frauenzimmer, wenn auch ein schwarzes, zu durchsuchen, wollte sie sich eben davon schleichen, als einer der Sieder, ein Neger, der nicht dieselben Bedenklichkeiten hatte, kam und ihr einen Kalibasch mit Zucker abnahm. Als er sie eine Diebin nannte, wurde sie, obgleich auf der That ergriffen, ungehalten und rief:„sie habe es dem Massa nicht gestohlen, sondern vom Massa bekommen.“ Da Marly erfuhr, daß sie Molly, die Frau von Brutus, war, erklärte er ihnen, er wolle es dem Buscha sagen, und ihn thun lassen, was er für gut finde. Sie baten ihn aber so flehentlich um Verzeihung, und versprachen ihm so ernstlich, nichts der Art mehr zu versuchen, daß der Buchhalter, der von weicher Gemüthsart war, und oft von den strengen Bestrafungen der Neger gehört, nie aber welche mit angesehen hatte, endlich zögernd einwilligte, zugleich aber allen Anwesenden erklärte, daß, wer sich wieder etwas zu Schuld kommen ließe, unfehlbar bestraft werden würde.“ [2] [529] Am nächsten Morgen erwachte Marly schon vor Tagesanbruch an einem heftigen Peitschenknall, womit der Treiber zur Arbeit rief. Er hatte noch spät Abends für diesen neuen Zweig seiner Amtsthätigkeit die nöthigen Anweisungen erhalten, und begab sich nun sogleich zu dem Stalle, in welchem das Vieh die Nacht über eingesperrt war. Er zählte während des Austreibens 180 Ochsen und Maulesel, und schlenderte dann auf das Feld, wo er mit den frühesten Negern anlangte. Die Abtheilung, zu welcher er gehörte, bestand aus 50 – 60 Köpfen mit einem Treiber, Namens Hamden, und hieß der zweite Gang; der erste bestand aus 80 – 90. Nachdem er etwa zwei Stunden dort geblieben war und sie arbeiten gesehen hatte, verließ er das Feld, um zu frühstücken, und begab sich dann zu dem Hot house oder dem Spital. Daselbst besorgte er, was der Arzt, dem die Gesundheitspflege oblag, bei seinem Morgenbesuch anzuordnen für gut gefunden hatte. Wie er aus dem Spital trat, ward er von einer Negerin, welche für das Geflügel zu sorgen hatte, um indianisches Korn für ihr Federvieh angegangen. Seine Instructionen hierüber lauteten folgender Maßen:

„Da wir nur eine bestimmte Quantität indianisches Korn bauen, so müssen Sie solches zu Rath halten; geben Sie der Cleopatra für das Federvieh einen Korb voll Korn. Wenn Sie Abends vom Felde kommen, so sehen Sie darauf, daß Columbus das Vieh in die Ställe bringt; Sie brauchen sich aber damit wenig aufzuhalten, da Columbus sehr pünktlich ist. Dann sorgen Sie, daß Bonaparte die Schafe und Schweine in ihre Ställe bringt, daß ihre Zahl eintrifft, – darauf geben Sie auch ihm einen Korb voll Korn, und bleiben dabei, bis die Schweine gefressen haben, – damit nichts gestohlen wird. Zugleich geben Sie Acht, daß Venus mit dem Pickeniny-Gang genug Orangen für die Ferkel bringt. Wenn diese nicht an der Zeit sind, so soll sie Kräuter bringen; Sevilla-Orangen gibt es aber in solcher Menge hier, daß die süße Orange wahrscheinlich reif ist, ehe die bittere ausgeht, und dann lassen Sie solche herbeischaffen.“

Als er wieder auf das Feld ging, folgten ihm die Köche des Gangs mit dem Frühstück für die Arbeiter. Bei ihrer Ankunft knallte der Treiber mit der Peitsche – ein Signal, zum Einstellen der Arbeit, dem sogleich willfahrt wurde. Ihr Frühmahl war eben nicht lecker: die meisten bekamen blos ein paar gesottene Paradiesfeigen, nebst einem Häring, andere ein Stück Yam (Brodfrucht) und ein wenig Brühe von sauren Zitronen oder Pfefferkraut. Nach einer halbstündigen Frist gab Marly dem Treiber ein Zeichen, worauf er durch denselben Peitschenknall die Neger wieder in die Linie einrücken hieß. Sie mußten ein Zuckerfeld reinigen, das Unkraut ausjäten, die Erde auflockern etc.

Nächstdem erwartete ihn ein anderes Geschäft.

Als Marly, verdrossen über seinen neuen Beruf, in sein Gemach trat, um sich zu waschen und andere Kleider anzulegen, bemerkte er auf dem Tisch ein kleines Buch mit einem Billet darauf; er nahm es und las zu seinem Erstaunen folgende Weisung: „Führen Sie das Rattenbuch und sehen Sie darauf, daß Homer jeden Tag sechs Ratten liefert, denen Sie sodann die Schwänze abhauen lassen. Wenn er nicht einhält, berichten Sie. Sie geben ihm täglich einen Hutvoll Korn; wenn es gemahlt und gesotten ist, sehen Sie darauf, daß die Hunde es zu fressen bekommen.“

Da er noch nicht gewohnt war, sich so lange den brennenden Sonnenstrahlen auszusetzen, fühlte er sich sehr matt und erschöpft, und zugleich – dieser neue Willkomm goß keinen Balsam in seine Wunden – entwürdigt durch jenen Zuwachs seiner Berufsgeschäfte, als mit einem Mal der vorerwähnte Homer mit einem Gefolge von acht bis zehn Hunden seine Aufwartung machte. Sein Gesicht trug nicht den Stempel der Würde, den man auf den Büsten seines unsterblichen Namensbruders findet; denn es war ein übelgeformtes afrikanisches Negergesicht von der Kongo-Nation, sehr markirt durch die Narben, womit man in seiner Heimath die Schönheit desselben zu steigern sucht. Er wies seine sechs Ratten vor, und bat, nachdem er seine Gefangenen ihrer Schwänze entledigt, um das Hundefutter. Während die Hunde unter Marly’s Aufsicht ihr Mahl verschlangen, war Homer emsig damit beschäftigt, seine Ratten an einige Neger, so gut es anging, zu verkaufen; da er von jedem erlösten Dollar ein Achtel für sich bezog. Obgleich Marly schon früher gehört hatte, daß die Neger, gleich den alten Römern, diese scheusliche Thierart zu verspeisen pflegen, so war er doch immer noch ungläubig. Da er es aber mit eigenen Augen ansah, fand er sich mit Einem Mal in ein Land von Cannibalen versetzt, unter ein unterdrücktes, entwürdigtes Geschlecht – und zwar entwürdigt aus keinem [530] andern Grund, als weil die Vorsehung nach ihrer Weisheit und Allmacht ihnen eine schwarze Farbe gegeben hatte. Er fragte ein Negermädchen, das einen Theil davon kaufte, wie sie dazu käme, Ratten zu essen? Sie rief: O das ist ein Leckermahl für den Neger, Massa! – Da sagte man ihm, daß man mit dem Essen warte; worauf er dann in das Buckrahaus trat. Nach Beendigung des Mahls fragte er den Aufseher, ob die Neger insgemein Ratten essen. Dieser bejahte es mit der Bemerkung, er sehe nicht ein, warum die Ratten kein gutes Essen seyn sollten. Das Vorurtheil und der Ekel der Weißen vor diesen Thieren lasse sich dadurch entschuldigen, daß die Ratten in den Städten vom Unflath leben; die in den Zuckerpflanzungen aber leben von dem Zuckerrohr, der reinlichsten Nahrung von der Welt. –

Einst brachte ein Mann und seine Frau ihre Tochter, ein Mädchen von etwa sechzehn Jahren, die zu einem der Feldgänge gehörte, und beklagten sich bei dem Aufseher, daß sie sich seit einiger Zeit dem Erdessen ergebe; trotz allen theils freundlichen, theils Zwangsversuchen, hätten sie solche nicht vermocht, von dieser verderblichen Gewohnheit abzustehen; sie brächten sie nun vor den Massa, um sie einzusperren, und ihr so alle weitere Gelegenheit zu nehmen. – Das Erdessen ist eine Krankheit, die am Ende die Wassersucht und den Tod zur unausbleiblichen Folge hat. Das Mädchen sah im Uebrigen sehr verständig aus. Sie wurde eine Zeitlang eingesperrt und von einem Arzte behandelt, und so lange von dem Tische der Weißen gespeist, bis man sie wieder entlassen konnte. – [538] Eines Tages besuchte der Aufseher während eines Regenschauers (einer seltenen Erscheinung auf Jamaika) Marly’s Gang nach der zum Mittagsessen ausgesetzten Frist, als er gerade die Pickeniny-Mütter auf das Feld kommen sah. Es mochten sechs bis acht solcher Mütter seyn, denen gestattet ist, Morgens und Nachmittags zehn Minuten nach der den Andern eingeräumten Ruhezeit auf dem Felde sich einzustellen. Diesen Nachmittag aber kamen sie, sey es nun wegen des Regens oder aus einem andern Grunde, ziemlich viel später; weßwegen der Aufseher, der ihnen deßhalb schon früher einen Verweis gegeben hatte, beschloß, ein Exempel zu statuiren. Er ließ ohne weitere Umstände eine nach der andern niederlegen, und ihnen eine mäßige Züchtigung von neun Peitschenhieben geben. Aufgebracht über die ihnen auferlegte Strafe schrien sie, der Buscha schlage die Pickeniny-Mümmas, da sie doch für den Massa zu arbeiten gehabt hatten. Die Züchtigung war nicht hart; allein es empörte sie, daß sie, wie sie glaubten, von dem Aufseher ungerechter Weise gestraft worden waren; sie überhäuften ihn mit Schimpfreden aller Art. Der Aufseher schien sich, obgleich durch diese Schmähungen eine Hiobsgeduld gebrochen wäre, eine Zeitlang nicht daran zu kehren; endlich aber übernahm ihn sein Aerger, er schwang sich auf seinen Maulesel und ritt davon. Kaum hatte er den Rücken gekehrt, als der ganze Gang den bei solchen Gelegenheiten gewöhnlichen Chor: „Was kümmert mich die Strafe!“ anstimmte. Am nächsten Morgen stellte sich der Aufseher zu gleicher Zeit mit Marly bei dem Gange ein. Er wollte, wie es schien, selbst beobachten, ob die Neger genau zur vorgeschriebenen Zeit eintreffen, damit in dieser Woche noch die Felder gesäubert würden, um mit dem Pflanzen der neuen Zuckerröhre beginnen zu können. Zum Unglück erschienen sieben oder acht von Marlys Leuten, meist alte Männer und Weiber, zu spät auf dem Platze. Wie sie ankamen, ließ sie der Aufseher sogleich niederlegen und züchtigen. Jeder von ihnen bekam zwölf Peitschenhiebe. Marly fühlte das innigste Mitleid mit diesen unglücklichen, wahrhaft elenden Creaturen, von denen die meisten schon an dem Rande der Ewigkeit standen. Sie schrien mehrmals um Erbarmen; allein der Aufseher war unerbittlich. Da sie sahen, daß ihr flehentlichstes Geschrei den Aufseher nicht zu rühren vermochte, und der Treiber immer noch die Peitsche schwang, schrien mehrere unter den heftigen Streichen: „Niemand erbarmt sich der armen alten Negers, als der Massa droben (Gott)!“ Was bei diesem Auftritt Marly, den die Gewohnheit noch nicht gegen solche Abscheulichkeiten abgestumpft hatte, am meisten empörte, war der jammervolle Anblick der Kinder, die mit ansahen, wie ihre Mütter und Väter auf das Grausamste und Entehrendste mißhandelt wurden, ohne eine Klage zu wagen. Die letzte, welche niedergelegt wurde, war die Mutter von dem Jungen des Aufsehers, eine der jüngsten unter ihnen. Auch sie bat auf das Flehentlichste um Gnade, und auch ihr Sohn, der ohne Zweifel glaubte, sich mehr Freiheit gegen den Buscha herausnehmen zu dürfen, bat für seine Mümma um Verzeihung. Da er fand, daß ihre vereinten Bitten nichts fruchteten, sprang er wüthend auf den Aufseher zu, als wollte er ihn zur Erfüllung seiner Bitte zwingen, und hatte ihm, ehe er sich versah, so das Gesicht zerkratzt, daß das Blut von ihm lief. – Sie bekam demungeachtet ihr Dutzend Schläge. Obgleich der Buscha den Schmerz seiner Wunden heftig empfinden mußte, und sichtbar ergrimmte, so vermochte er doch nicht über sich, den Knaben für diesen Beweis kindlicher Liebe bestrafen zu lassen; er bestieg sogleich seinen Maulesel und ritt davon, während der Knabe wie gewöhnlich das Thier beim Schweife hielt, und mit in den gewöhnlichen Sang einstimmte: „Was kümmert mich die Strafe!“ Der Aerger des Aufsehers war beinahe verraucht, als der nach Hause kam; denn sein Bursche bekam blos ein paar Ohrfeigen, und die Ermahnung, sich in Zukunft besser aufzuführen, wofern er nicht unter die Feldneger versetzt werden wolle. –

Obgleich die Neger, und überhaupt jedes menschliche Geschöpf, das den Teint des sogenannten schwarzen Blutes hat, in Westindien als eine gegenüber von den Weißen niedrigere Menschenrace und nicht viel höher als das Vieh geachtet wird, so wird doch der weibliche [539] Theil dieser Pariakaste zu der oft ekelhaften Umarmung ihrer Tyrannen zugelassen, oft sogar gezwungen. Die Früchte dieser Vereinigung, welche bei Leuten von den Grundsätzen ihrer Herrn unstreitig ein Akt von Bestialität ist, und nach göttlichen und menschlichen Gesetzen mit dem Tod bestraft werden sollte, sind Sklaven. Sie unterscheiden sich nach den verschiedenen Stufen der Abstammung durch folgende Namen. Ein Samboe steht dem Schwarzen am nächsten; er ist das Kind eines Mulattenvaters und einer Negermutter oder umgekehrt. Ein Mulatte ist das Kind eines weißen Vaters von einer Negerin. Quadroon heißt das Kind einer Mulattenmutter von einem weißen Vater. Das Kind einer Quadroone von einem Weißen ist ein Mustea. Das Kind eines weißen Vaters mit einer Musteamutter ein Musteaphini. Das Kind eines Musteaphini von einem weißen Vater ein Quintroon oder Quinteron, und das Kind einer Quintroon von einem Weißen ist frei nach dem Gesetz. Welch schreiendes Unrecht nach diesem unmenschlichen Gesetze verübt wird, zeigt uns nachstehende Erzählung.

Zu der zum Verkauf festgesetzten Stunde betrat Marly das zum Verkauf bestimmte Lokale, und sogleich fesselten seine Aufmerksamkeit drei anständige, gutgekleidete Mädchen, welche verkauft werden sollten. Sie waren Schwestern, und gehörten zu der Kaste der Mustees, da sie eine Quadroone zu Mutter und einen Weißen zum Vater gehabt hatten. Ihre schönen Formen, ihre auffallend gebildeten Manieren, die sanften, gefälligen ganz europäischen Gesichtszüge, ihre reinliche, sogar elegante Kleidung. so wie der feine Anflug von Röthe, welche die Scham über diese öffentliche Ausstellung über ihr Gesicht ergossen hatte – Alles vereinigte sich, diese Gruppe interessant zu machen. Alle Anwesenden fühlten Mitleid mit ihrem jammervollen Schicksal. Ihr Vater war ein angesehener Mann, und hatte sie mit seiner braunfarbigen Sklavin erzeugt. Er erzog sie als seine rechtmäßigen Kinder auf gleichem Fuße mit den freien Insulanerinnen. Sie hatten in jeder Hinsicht eine Behandlung genossen, wie sich bei den freigebornen Kindern eines nicht unbemittelten Vaters erwarten ließ; so daß ihnen kein Gedanke kam, sie würden in die unglückliche Lage versetzt werden, als Sklavinnen öffentlich an den Meistbietenden feilgeboten zu werden. Ihr Vater hatte es zum Unglück von einer Zeit auf die andere verschoben, sie für frei zu erklären (ihre Mutter war als Sklavin gestorben) bis ihn der Tod von den Seinen abrief. Sein Vermögen fand man in solcher Zerrüttung, daß seine Gläubiger auf sein ganzes Eigenthum, und selbst seine Kinder als einen Theil desselben Beschlag gelegt hatten, und so wurden diese Mädchen, um die Schulden ihres Vaters zu decken, zum Verkauf ausgeboten. Allein kein Käufer wollte sich zeigen. Zu wiederholten Malen zur öffentlichen Versteigerung ausgestellt, konnten sie immer nicht verkauft werden.

Bei ihrem Anstand, ihrer guten Erziehung, und ihrem gefälligen Aeussern hätten sie in England als Hausmütter ein sorgenfreies Unterkommen gefunden. Aus denselben Gründen wollte sich auch in Jamaika kein Käufer finden; da die ganze Nachbarschaft Schande über den gerufen hätte, welcher sie zur Arbeit oder zum Sklavendienst angestellt haben würde. Man gestattete ihnen somit, frei umherzugehen, als ob sie freigeborne wären; da die Eigenthümer auf Jamaika (zu ihrer Ehre sey es gesagt) noch nicht gelernt haben, mit der Schönheit ihrer weiblichen Sklavinnen zu wuchern; was viele ehrenwerthe Damen holländischer Abkunft auf dem Kap (die ihre Köpfe sehr hoch tragen, und sich noch zu den vornehmen Familien rechnen) sehr vortheilhaft finden.

Wenn wir von den Sklaven zu ihren Herren aufsteigen, so finden wir, daß sie, von Kindheit auf im Verkehr mit jenen aufgewachsen, weder in Hinsicht des Geistes noch in den Sitten sehr ausgebildet sind. Folgende Anekdote gibt uns einen Begriff von der feinen Welt auf der Insel. Die Heldin der Erzählung ist eine Creolin, mit welcher Marly auf einem Balle getanzt hatte. Aus diesem Grunde bezeugte er dem Frauenzimmer auch noch den Rest des Abends seine Aufmerksamkeit; er fand in ihr ein lebhaftes gutmüthiges Mädchen, das aber nur halb gebildet war, und noch zuviel von dem Neger-Umgang hatte. Er fragte sie einmal, da sie gerade etwas zerstreut war, irgend etwas, worauf sie erwiederte: ich weiß es nicht, Massa. Sie verbesserte sich im Augenblick, und suchte einen Scherz daraus zu machen, allein es wollte sich nicht thun. Ihre Inselerziehung hatte sich hierin und in mehreren andern Reden, die ihr entschlüpften, zu offen kund gegeben.

Am nächsten Vormittag führte ihn sein Weg an der Wohnung dieser Dame vorbei. Er rief an, um sich zu erkundigen, wie sich die schönen Bewohnerinnen nach den Strapazen der vergangenen Nacht befänden; da aber kein Sklave erschien, überließ er sein Pferd seinem Diener und trat ohne weitere Umstände in das Haus. Obgleich dieses elegant war, und der Vater sich dem Vernehmen nach in guten Vermögensumständen befand, so traf er doch seine schöne Tänzerin mit ihrer Schwester und noch zwei andern Kreolinnen zu ihrem großen Leidwesen, wie sie gerade aus einem eisernen Napfe ein Potpourri, das man dort zu Lande ein Okra Pepperpot nennt, ganz à la Neger verzehrten, ohne Tisch, Teller, Löffel, Messer oder Gabeln zu Hülfe zu nehmen, obgleich das Zimmer mit allen diesen Artikeln reichlich versehen war – ob sie es aus Indolenz oder aus Bequemlichkeit, um nicht einige der (zahlreichen) Dienstboten herbeirufen zu müssen, oder aus Vorliebe für die Negerweise, als der naturgemäßeren, thaten, will Marly nicht entscheiden. Sie saßen rings um den Napf auf den Boden niedergekauert, indem sie nach einander ihre Finger in das dicke Gemengsel steckten und damit nach dem Munde fuhren. Bei diesem Mahle überrascht flohen sie, so schnell als ihre Füßchen vermochten, in das Nebenzimmer, wo dann ein Mulattenmädchen erschien und auch den Speisenapf flüchtete.
  1. Ein Getränk aus Rum und Wasser bestehend
  2. Marly verlor später ein Auge und ersetzte diesen Verlust durch ein gläsernes. Wenn er nun wachte, so hielt er gewöhnlich die Hand vor das falsche; wenn er aber in seinem Sessel in dem Siedhause schlief, bedeckte er sein sehendes Auge und ließ das andere offen und unbedeckt. Dieß veranlaßte die Neger, die keinen Begriff von eingesetzten Augen haben, zu der Bemerkung: der verdammte Massa ist uns immer auf der Tatze: mit dem einen Auge schläft er, indeß das andere Schildwache steht.