Textdaten
<<< >>>
Autor: A. Godin
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Manuela
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 127–129, 139-142
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[127]

Manuela.

Von A. G.

Eine Stunde von der fast unpassirbaren sogenannten großen Straße von Vera Cruz nach Acanosika, am Anfange des Gebirges und zwei Büchsenschüsse weit von einem elenden Haufen von Hütten gelegen, die den Titel Ciudad, Stadt, führen und Santa Fé oder Assençion genannt werden, lag die Casa vieja Tegija, das alte Herrenhaus der Familie Tegija.

Die Nachmittagsruhzeit, die Siesta ist vorüber – die Abkömmlinge der Spanier, welche unten im Herrenhause ihr Quartier haben, haben sich erhoben und laufen mit Wasserkesseln und Cacaomühlen umher und theilen Prügel an die Negerkinder aus, die ihnen den Weg versperren. Ein betreßter, schöner brauner Bursche geht nach einem mit Blau und Gold gezierten zweirädrigen Wagen und streckt gähnend die Hand aus, um seine nasse Bürste in Bewegung zu setzen. Schafe und aalglatte Milchkühe spazieren gemüthlich auf dem Rasen des Hofes und am Eingange wälzen sich mehrere Pferde auf dicken Lagern von Reisstroh, um in den kleinen Wald zu galoppiren, der rings das Gut umschließt. Gelbe Pinien und blühende Magnolienbäume blicken hoch über die Negerschoppen und das Herrenhaus auf den weiten Hof. Und in der Luft schwimmen und zucken die Sonnenstrahlen gleich goldenen Nadeln und Schwärme von geflügelten Insekten brummen eintönige Weisen zu dem Geschnatter der arbeitenden Diener.

Wir betreten das große, halbdunkle Speise- und Gesellschaftszimmer der Casa im ersten Stock, betrachten eine Reihe sehr mittelmäßiger, bunter Gemälde an den vermalten Wänden, eine große Tafel, weiß behangen, ein Damenbillard, einen englischen Flügel und eine sehr poetisch geformte Laute und sehen, da die innere Wand des Saales aus Glasscheiben gebildet wird, daß sich die Herrschaft jenseit derselben in der Verandah befindet. Die Verandah ist ein langes Gemach mit einer Reihe von Pfeilern statt der äußern Mauer und gleicht einer großen Theaterloge. Die Fenster zwischen den Pfeilern sind durch Moskitenfenster von Gaze ersetzt. Man sieht die Gegend wie in einem duftigen Morgennebel liegend; das kleine Gehölz mit dem breiten, gewundenen Bach, die langen Wiesenstrecken mit Heerden in der Ferne; die Atlintabäume, welche die unter denselben stehenden Cacaostämmchen [128] schützen; endlose einförmige Zucker- und Baumwollenfelder; Santa Fé ganz in einen Maulbeerbaumwalde versteckt; links den schmalen Wald am Gebirge und die Höhenzüge desselben bis zu dem Punkte, wo die Spitzen mit der goldflüssigen Atmosphäre in einen breiten, blendenden Glanz verschwimmen.

In der Verandah sieht’s einigermaßen unordentlich aus. Die Teppiche auf dem Boden sind defect; eine lange Reihe von Polsterstühlen an der Glaswand erscheinen altmodisch und lebenssatt; die vielen kleinen Tische sind gleich alten Kaffeebrettern vergoldet und mit chinesischen Figuren, Papageien verziert gewesen, wie man durch aufmerksame Beobachtung noch ermitteln kann. Ein ganz neues prächtiges Sopha und ein Acajoutisch und ein gewaltiger, französischer Spiegel an der „Damenseite“ stimmen schlecht zu den alten Möbeln, und an der „Herrenseite“ zeigt ein langes, lederbeschlagenes Kanapee seine abgesessene Herrlichkeit.

Hier hatte der Herr des Hauses Platz genommen und suchte zwischen einer Menge von Zeitungen ein noch ungelesenes Blatt. Vor ihm dampfte die Chocoladetasse und lagen Dutzende von angerauchten Cigarren auf dem Tische. Dies war Don Felipe de Tegijo, der sich rühmte, von den alten Azteken, den edlen Ureigenthümern Mexico’s. abzustammen und deshalb nie vergaß, seinem spanischen Namen denjenigen seines heimischen Geschlechts, Tlamoras, hinzuzufügen, wenn er sich unterzeichnete – der reichste Ranchero oder Gutsbesitzer der einsamen Gegend. Don Felipe war ein schöner schwarzbärtiger Mann mit nußbräunlichem Teint, vornehmen Zügen, großen klugen Augen und entschiedenen, raschen Bewegungen. Sein Haar war sorgfältig geordnet, seine Hände wohlgepflegt und ohne Ringe; die Wäsche, die hellfarbige Binde, die pariser Seidenweste und die Glanzstiefel hätten einen Lord geziert. Uebrigens trug er eine Nankingjacke und weite weiße Beinkleider.

Am andern Ende des Zimmers saß Donna Manuela, eine Vera-Cruzana aus altem Blut; eine Dame mit reichfrisirtem Haar, zartem Teint und sammetschwarzen, großen Augen, mit einem schmollenden Zuge um den Mund. Donna Manuela war kaum zwanzig Jahr, aber bereits sehr fleischig. Sie schien sehr eigensinnig werden zu können, denn ihr Blick war fest, wenig beweglich, hatte aber oft einen devoten, schwärmerischen Ausdruck. Die kleine Frau trug einen ungeheuer weiten Mousselinrock mit kurzen Ärmeln, dessen Taille einfach durch eine seidene, unter dem Busen zusammengebundene Schnur gebildet wurde.

Neben ihr saß ihre Schwester, Josita de Esconnez, ein Mädchen von höchstens vierzehn Jahren, aber bereits höher, als ihre Schwester, die Dame vom Hause oder die Padronessa, gewachsen. Der Kopf des Mädchens mit dem einfach gescheitelten, schwerem goldbräunlichen Haar, erinnerte auffallend an die Madonnenbilder, die der Spanier Murillo zu malen pflegte; dazu besaß Josita tiefblaue Augen, das Erbtheil ihrer altcastilischen väterlichen Familie, die nie maurisches Blut aufgenommen hatte.

Josita’s entblößten Arme und Hände waren mager, knochig, die ganze Gestalt war noch ungerundet, eckig, der Busen dürftig.

Man mußte ein Kenner sein, um die zukünftige Schönheit des Kindes aus den vorhandenen bloßen Grundformen zu erkennen.

Mitten in dem Raume der Verandah stand eine dicke alte Mulattin, Inesilla und arbeitete sich an einer Eisbüchse an, indeß sie den Teppich reichlich mit Wasser tränkte.

Endlich hatte Inesilla einen Teller voll Gefrornes von ziemlich verdächtigem Ansehen zu Stande gebracht und Don Felipe stand auf, um selbst der Sitte gemäß der Padronita zu präsentiren.

Manuela faltete die glatte Stirn und schob den Teller zurück.

„Ich danke Ihnen, Tegijo…“

Der Edelmann unterdrückte eine ungeduldige Bewegung.

„Warum nennst Du mich seit acht Tagen.“ sagte er sanft, „nicht mehr Felipe? Immer diesen Namen, den Du stets falsch sprichst. Warum nicht Tlamoras? Iß Eis – Du glühst, Manuela!“

„Sie wissen, daß ich gelobt habe, zu fasten,“[1] erwiederte Manuela, an die Decke blickend, „bis Sie meinen Wunsch bewilligen. Ich werde sterben ohne Eis – gewiß, und Sie werden nicht allein die Sünde auf dem Gewissen haben, daß Sie mich an der Erfüllung eines feierlichen Gelübdes hinderten, sondern Sie werden auch meinen Tod verschulden.“

Felipe brannte eine neue Cigarre an und steckte, sich auf dem Absätze drehend, die Hände trotzig in die Hosentaschen. Aber der Mann litt augenscheinlich im Innern.

„Caramba, welche Pein!“ murmelte er, indeß er die Cigarre zwischen den Zähnen zerquetschte. „Diese unglückliche Idee aller Weiber, in Compagnie mit den Priestern mit dem Himmel Augenverdrehen zu spielen… Denkst Du denn, Manuela, daß ich es glaube, ich, Du wolltest Dich nur malen lassen, um der Hundehütte, der Kapelle da in Santa Fé ein Altarbild zu schenken? Meinetwegen magst Du die Kapelle beschenken; ich habe in Vera-Cruz ein Bild bestellt – aber Du sollst Dich nicht malen lassen!“

Infortunada de mi! Ich Unglückliche!“ seufzte Manuela.

„Ist’s nicht etwa genug,“ fuhr Felipe heftiger fort, „daß Pater Isidor sich jeden Tag mit Euch beiden Frauenzimmern Stunden lang einschließt, um Euch um den Verstand zu beten?

Kannst Du es leugnen, daß Du Dich am Abende mit seiner Peitsche mißhandelst, mit welcher ich meinen Jagdhund nicht schlagen möchte?“

„Die heilige Jungfrau wird Mitleid haben,“ sagte Manuela fest; „sie wird mir bescheeren, was ich aus Liebe zu Ihnen, Tegijo. erbitte – einen Sohn, einen Erben!“

„O, Manuela!“ rief Tegijo mit leidenschaftlichem Ausdruck der innigsten Liebe. Aber ein düsteres Gefühl schien die Oberhand zu gewinnen, indeß er sagte: „Ich mag keinen Sohn, wenn Du ihn nur durch Deine Missions-Exercitien erreichen kannst. Unsinn! Dies muß endigen, oder es endigt mit Unheil! Einen bösen Dämon, diesen blassen Jesuiten, habe ich bereits auf dem Nacken… Fahren Sie fort. Madonna! Bringen Sie auch noch den landstreicherischen Maler in’s Haus, Sangre de Dios, Blut Gottes! Freilich, ein solcher Adonis, ein schwarzer Kakadu, ein weißer Rabe an Schönheit, der zweiundzwanzig Jahre zählt, statt vierunddreißig, gleich mir, – der Paris gesehen hat… Hat die kokette Närrin Donna Rama Huertaz sich von ihm angaffen und abconterfeien lassen, so würden ja die Melonen verschneien, wenn Donna Manuela Tlamoras nicht denselben Genuß hätte.“

Manuela erhob sich würdevoll und ging mit dem schwankenden Tritt ihrer Landsmänninnen nach dem Kanapee, auf welchen sich Felipe geworfen.

„Sicher!“ sagte sie. „Ich will mein Bild sehen; alle Damen haben sich in der Audienzia von Hector Martigues malen lassen – auch ich werde nicht unporträtirt bleiben, wäre es auch nur, um aller Welt zu beweisen, daß der Felipe nicht der krankhafte Eifersüchtige ist, der Niemand gestatten will, seine Frau zu betrachten.“

„Du? Mußt auch Du dem Maler nicht fortwährend in’s Auge sehen, Manuela?“ keuchte Felipe, die Schweißtropfen von der Stirn wischend, mit einem Tone, als schäme er sich, seine innersten Geberden zu offenbaren, während er doch zu schwach war, sie zu unterdrücken.

„Ich werde die heilige Madonna ansehen. .“

„Wen?“

„Die Mutter Gottes werde ich in Gedanken sehen und auf dem Bilde werde ich sie in der That anblicken und ihr ein Kind zeigen, das so aussieht, wie ich mir einbilde, daß Dein Sohn aussehen soll, Felipe!“ rief Manuela, große Thränen im Auge.

„Und wenn das Bild Tag und Nacht am Altar steht, auf den die Mutter des Sohnes Gottes herabschaut, so wäre sie keine Mutter gewesen, wollte sie mich nicht erhören.“

Felipe schloß seine Frau inbrünstig in seine Arme.

„Du liebst mich!“ flüsterte er. „Warum nur mußt Du stets einen Weg finden, mir Deine Liebe zu beweisen, der mich zur Verzweiflung treibt!“

„Du wirst gegenwärtig sein, wenn mich Hector de Martigues malt …“ sagte Manuela sanft und freudig.

„Du willst mich auf dem Rost braten, gleich dem heiligen Lorenzo.“

„Und bist Du nicht gegenwärtig, wird Pater Isidor Deine Stelle einnehmen …“

Felipe sprang auf.

„Wieder der Pater! Dieser Perro, dieser heuchlerische Hund? Meine Stelle? Ich Schwachkopf, Tölpel, der ich bin! Die Weiber haben Betstunden und dem Mann wird folgerecht die Thür vor der Nase zugeschlossen.“

[129] „Tio! Onkel!“ wagte Josita zu sagen.

„Du meinst, Du bist stets gegenwärtig gewesen? Allerliebst! Wo hast denn Du sehen und hören gelernt, mi hermosura, meine Schönste?“

Josita richtete einen festen, durchdringenden Blick auf Don Felipe, der allerdings bewies, daß sie mit Geist zu sehen verstand. Felipe setzte brusque, so ziemlich auf allen Punkten geschlagen, seinen Sonnenhut, den leichten Sombrero von Vigognewolle, auf und ging durch den Speisesaal und hinunter in den Hof, Hier pfiff er auf eine besondere Weise und sofort kam eine kleine, kohlschwarze Tia, ein Andante (eine Tante, ein „Langsam-Vorwärts“) wie der Mexicaner sein Roß nennt, daher galoppirt und machte vor dem Herrn Capriolen. Der in einen Majo, in einen altspanischen Stutzer verwandelte braune Bursch, von Natur ein Jarocho, ein Bauer aus dem Gebirge, brachte einen Sattel und wollte satteln, als ihn ein Ausruf Don Felipe’s erschreckte.

Ueber den Hof kamen zwei Fremde: ein junger, sehr blasser Mensch mit schwermüthigem Blick, den Jesuitenhut und das Ordenshabit tragend und ein Jüngling in einem hellblauen Röckchen, mit einer Mappe und einem armdicken, langen Instrumente in der Hand, von welchem man nicht einsah, was dasselbe eigentlich war. Felipe’s Lippen waren geöffnet, seine Brust hob sich krampfhaft – da war er, Pater Isidor und der Maler Hector Martigues … Felipe fühlte, daß er nicht im Stande war, die Fremden jetzt zu empfangen. Er eilte durch die große Casa und ging zwischen dem Gebüsch von Lorbeer- und Bogenholz fort, um sich unter der Nacht der Pinien zu verbergen und nach Fassung zu ringen. Die Cobra de Cabelo, die Klapperschlange beißt nicht schärfer und tiefer, als der giftige Rachen des Dämons, Eifersucht. Jetzt mußten die Fremden oben in der Verandah sein, jetzt küßte Manuela dem ascetischen Priester die Hand und ließ ihre schönen Finger von dem Maler küssen, wofür ihm Felipe die Zähne einschlagen zu dürfen wünschte. Sollte er jetzt hinaufeilen und sich schützend vor seine Gemahlin stellen? Wie lächerlich! Wie entehrend für Manuela! Was durfte er ihr vorwerfen? Und dennoch hatte ihm Manuela nie, wie er glaubte, die innersten Falten ihres Herzens erschlossen; er hätte einen Dolch besitzen mögen, dem die Kraft innewohnte, die unsichtbaren, unnahbaren Pforten den wahren, geheimsten Wesens eines Weibes zu zersprengen …

Indeß waren Isidor und Hector Martigues oben bei den Damen angekommen. Der Jesuit schien dem Tone seiner Sprache, so wie seiner Bewegungen und Mienen nach die vollständigste, leidenschaftsloseste Ruhe selbst zu sein, er war höflich, ohne verbindlich zu sein; er schien, nachzugeben und schloß sich seiner Umgebung dennoch auf’s Genaueste an, gleich dem Wasser, in welches man die Hand steckt; er schien nach seinen Mienen gar nichts zu fragen und doch war die Gesellschaft stets beschäftigt, ihm zu antworten. Dies Alles war ein so lautloses Wesen gleich wie in einer verzauberten Landschaft, wo die Vögel blos den Schnabel aufsperren ohne zu singen, wo die Bäume sich bewegen, ohne zu rauschen, in jenem gedankenbeschwichtigenden eintönigen und doch hundertstimmigen Murmeln … Nur dann, wenn Pater Isidor die braunen Augen aufschlug, oder blitzschnell einen Blick auf Manuela richtete, der gleichsam ihr Herz zu suchen schien, ahnte man das verborgene Feuer des Vulkans unter der anmuthigen, blumenbesäeten Oberfläche des sanftgewölbten Hügels. Das war der Blick, der Don Felipe fast wahnsinnig gemacht hat.

Hector de Martigues war ein hübscher Mann mit sehr kleinem Fuß, einem Barte gleich Horace Lernet, dem französischen Parforçe-Maler und sah ziemlich albern aus. Er machte von dem Privilegium der Maler, die Damengesichter zu studiren gleich einer Hieroglyphenschrift, oder, – da die Maler selten Kufisch verstehen, gleich einem Abc-Buch, vollen Gebrauch, und da er auf Maria-Galante, der ursprünglich französischen Insel, geboren und in Paris gewesen war, so nahm er Anlaß, französisch mit Josita zu radebrechen. Manuela sprach, als Kind einer Seestadt, sehr gut diese Sprache, aber sie war, des spanischen Sprüchworts eingedenk: daß derjenige stumm ist, welcher die Sprache Castiliens nicht redet – zu stolz, um ihr klingendes, sonores Spanisch zu verleugnen. Martigues zeigte den Damen seinen Stock, ein Meisterstück eines pariser Fabrikanten und explicirte. daß dieser Stock zuerst ein Stock sein solle: dann könne man einen Sessel daraus machen – Experiment; einen Sonnen- oder Regenschirm – abermaliges Experiment; eine Staffelei – ebenso; einen Gebirgsstock mit Steighaken und Spitze, eine Angelruthe u. s. f. Jetzt probirte er den Stock als Sitz und das Ding zerbrach und Monsieur Martigues streckte die Fersen in die Höhe und, wenn man die Ostseite vorn nennt, so präsentirte er die Westseite seiner hochgeschätzten Person. Manuela lachte, daß es gleich dem Schmettern einer heitern Nachtigall klang und Josita blieb kaum ernst.

Ein unbeschreiblicher Blick des Jesuiten traf den Maler aus dem Winkel seiner Augen, indeß ein Lächeln über seine Marmorzüge flog. Was sagte dieser Blick nicht Alles? Die Summa des Ausdrucks war indeß eine höhnende Verachtung mit dem Kommentar etwa: „Dich, Narr, habe ich richtig taxirt – Du bist unschädlich, Freund!“

„Seine Herrlichkeit, Don Felipe Tlamoras,“ flüsterte der Priester Manuela zu. „haben sich vermuthlich der Ausführung Ihres Lieblingswunsches widersetzt?“

„Ja. ehrwürdiger Herr!“

„Das Bild wird also nicht gemalt und Ihr Gelübde nicht gehalten werden, Excellenza.“

Wie sanft, wie schmeichelnd klang dieser Vorwurf. Ohne seinen durchbohrenden Blick hätte man glauben sollen, der Pater Isidor füge, obgleich er schwieg, hinzu: Passons par là; lassen wir’s denn gut sein.

Manuela schwieg einen Augenblick, dann richtete sie ihr offenes Auge fest auf Isidor’s Gesicht. Seine Mienen wurden lebendig. seine Gesichtsmuskeln zuckten – er schien diesen Blick körperlich zu empfinden, obwohl er seine Augen niedergeschlagen hatte.

„Mein Gelübde nicht halten?“ fragte Manuela mit erhobener Stimme. „Ich sollte das Votivbild nicht malen lassen? Pater Isidor, dann müßte ich wahrlich meinen Gatten weniger lieben, als mir mein Herz solches mit jedem Schlage verkündigt.“

Isidor seufzte unwillkürlich und sah Manuela aus dem Augenwinkel heraus an.

„Manche Männer lieben es nicht,“ sagte er mit eisiger Kälte, „daß ihre Frauen ihr Bildniß sehen … Sie möchten sich sonst schön finden und die Häßlichkeit ist die Mutter der Bescheidenheit, des Gehorsams … “

Welche infernalische Weisheit hatte diesen jungen Priester gelehrt, bei dem unangreifbaren jungen Weibe eben diesen Punkt zu berühren und selbst ihre heiligsten Empfindungen dazu zu benutzen, um Manuela’s weibliche Eitelkeit zu wecken, um diese zur Waffe gegen sie gebrauchen zu können – eine Waffe, welche in geschickter Hand fast unfehlbar wirkt. Gewiß dieser Priester glühte für das junge Weib in verzehrender, verbrecherischer Liebe, während sie keine Ahnung besaß, wie nahe ihr der Verderber war. Manuela sollte ihre Reize bewundern lernen, um die unheilige Bewunderung des Pater Isidor nur erst verstehen zu lernen; sie sollte es lernen, sich als eine herabgewürdigte Magd ihren Gemahl zu betrachten, um sich empört gegen den eifersüchtigen Hüter eines Schatzes, gleich ihrer Schönheit, zu empören.

Martigues betheuerte indeß, daß er unglücklich sei, schon in einigen Wochen nach Vera-Cruz zurückkehren zu müssen und Pater Isidor sagte: „Excellenza wird am besten wissen, ob sie Don Felipe’s Wunsch berücksichtigen will.“

„Die Erfüllung meines Gebets wird ihn zum glücklichsten Sterblichen machen,“ sagte Manuela „und mein Gelübde habe ich ja nur geleistet, damit diese Erfüllung mir von der Madonna gewährt wird.“ Isidor sann einige Augenblicke.

„Die Missionsstunden müßten zu einer spätern Tageszeit gehalten werden,“ murmelte er, „damit Sennor Martigues unbemerkt in’s Schloß kommen kann, um in meiner Gegenwart und derjenigen Jositas eine Zeichnungen zu machen.“

[139] „Der Kopf dieser jungen Dame,“ bemerkte der Maler, „wird eine treffliche Studie für denjenigen der Madonna abgeben…“

„Ich glaube wohl,“ meinte der Jesuit trocken. „Ich werde also um zehn Uhr Abends kommen und Sie werden etwa der alten Inesilla Befehl geben, Sennor Martigues vom Garten her im Stillen unbemerkt einzuführen. Das Betzimmer hat ja eine Treppe nach der Allee hin…“

Manuela erhob sich aufgeregt.

„Mein Gemahl kommt!“ sagte sie, ihm entgegengehend. „Aber das fertige Bild kann nicht in die Kirche von Santa Fé kommen .…“

„Ich sende dasselbe nach der St. Laurentiuskirche in Vera-Cruz,“ flüsterte Isidor.

Der erste Schritt vom Pfade der Tugend war von Manuela angetreten – sie hatte ein Geheimniß, bei welchem ein fremder Mann ihr näher als der Gatte stand.

Don Felipe erschien, begrüßte kurz die Gäste und kündigte den Damen an, daß der Wagen zur Spazierfahrt bereit stehe. Isidor und der Maler empfahlen sich. Manuela und Josita stiegen in den Wagen, der blendend geschmückte Kutscher setzte sich auf das einzige Zugpferd und die Herren folgten langsam dem Fuhrwerke.

„Ich bin zu beschäftigt,“ meinte Isidor zögernd, „als daß ich die Missionsstunden mit Donna de Tegijo und Josita Esconnez zu gewohnter Stunde fortsetzen könnte…“

„In der That, mein Pater, Sie sind sehr gütig…“

„Ich werde erst um zehn Uhr Abends Gelegenheit finden… “

„Um zehn Uhr gehen wir zu Bett auf der Casa;“ war die Antwort.

„Ich glaube nicht, daß Donna Manuela Ihrer Meinung ist,“ bemerkte der Jesuit ruhig.

„Wollten Sie nicht die Güte haben, zu bestimmen, wie lange Ihre heiligen Anstrengungen vielleicht noch währen dürften?“

[140] fragte Felipe, dessen Antlitz dunkler gefärbt zu werden schien, als bisher.

.Die gnädige Frau hat gelobt …“

„Canario!“ lachte Felipe gezwungen. „Es ist doch eine schöne Sache um ein Gelübde. Pater Isidor, ich habe auch etwas gelobt… Wollen Sie aus reiner Gefälligkeit auch mir, dem Ungläubigen einen Rath ertheilen?“

„Ich thue meine Pflicht auch gegen Heiden, Eure Herrlichkeit.“

„Sie sind Jesuit …“ fuhr Felipe nachdrucksvoll fort.

„Lehren Sie nicht, daß der Zweck die Mittel heiligt, … daß ich ein Verbrechen begehen kann. ohne zu sündigen, wenn ein edler guter Zweck erreicht wird? …“

Isidor ward blaß.

„Die Kirche lehrt.“ sagte er feierlich, „daß kein noch so guter Zweck ein verwerfliches Mittel entsündigt … Sie lehrt noch mehr: daß es keine Nöthigung zu einem Verbrechen geben kann, daß ein Verbrechen Thorheit und Unsinn ist, denn nur durch gute Werke erreicht man Zwecke, Früchte derselben und durch ein Verbrechen wird stets der Zweck vereitelt, zu dessen Ende dasselbe begangen wurde. Die böse That ist also in sich nichtig. Sie hebt durch ihren Erfolg sich selbst auf und dem Verbrecher bleibt nichts als der Fluch seiner Sünde, während er den Preis seiner That durch die That selbst verliert … Sanct Chrysostomus …“

„Bitte, Herr Compadre, Gevatter!“ rief Felipe. „Rechnen Sie die Wonne für nichts, eine Schlange zu zertreten und ein wehrloses Geschöpf zugleich schützen, daß dasselbe gebissen wird! Ich danke Ihnen für Ihren Rath und empfehle Ihnen, oft darüber nachzudenken, besonders über den Punkt, wenn an sich gut Mittel zur Erreichung böser Zwecke gebraucht werden. Adios.“

„Im Grunde scheint Don Felipe,“ meinte der Maler, welcher sorgfältig die Trümmer seines „Künstlerstabes“ trug, „ebenso bigott, als seine Frau … Wie würde er sonst über geistliche Angelegenheiten eifrig disputiren?“

„Sehr wahr, Sennor!“ sagte Isidor ernst.

„Aber gewiß.“ fuhr der Künstler fort … Ich habe sonst nie eine Frau ohne elegante Taille leiden gekonnt … Wie ist es möglich, wie Manuela so unendlich reizend und zugleich so fleischig zu sein? Ich denke doch nicht, daß dies anmuthige Gefühl, das mich bei der Betrachtung der Dame unwillkürlich ergriff, auf Rechnung eines durch klimatische Einflüsse verschlechterten Kunstgeschmacks kommt?“

„Fürchten Sie das?“ fragte der Jesuit, die Oberlippe emporwerfend.

Don Felipe ging neben dem Fuhrwerke.

„Manuelita,“ sagte er mit völlig veränderter Stimme, „Du hast jenes Bild bestellt?“

„Nein!“

„Du wirst Deine Missionsstunden von zehn Uhr bis Mitternacht halten?“

„Ja!“

Felipe drehte sich um und ging durch das Gehölz nach dem Arroyo, dem Bach, starrte in die Wellen, schlenderte durch die Wiesen und ging nach Hause, um sich in seinem Zimmer einzuschließen.

Als die Dunkelheit eingetreten war, machten sich ihrerseits Pater Isidor und der Maler von Santa Fé aus auf den Weg nach der Casa vieja[WS 1] de Tegijo. Inesilla empfing Hector de Martigues am Rande des Gehölzes und führte ihn ohne Schwierigkeit unbemerkt zu dem Betzimmer im obern Stock, wo der Maler sofort seine Vorrichtungen für seine Arbeit begann. Pater Isidor ging, seiner Gewohnheit nach über den weiten Hof. Als ihn Manuela kommen sah, eilte sie nach dem Zimmer Don Felipe’s, um für die Dauer ihrer Andachtsstunden wie stets Abschied zu nehmen. Felipe’s Thür blieb verschlossen. Mit beklommenem Herzen empfing die Dame ihre späten Gäste. Nach ungefähr einer Stunde erschien Inesilla im Betzimmer, und sagte dem Jesuiten: Roxo, der Diener des Herrn habe so eben die Nachricht gebracht, ein Bauer aus Santa Fé sei da. und bitte den Pater, seiner Frau das letzte Sacrament zu geben. Isidor erhob sich sofort, indeß er Martigues bat, sich in seiner Arbeit nicht stören zu lassen.

Der Priester verließ die Casa und sah sich vergebens nach dem Boten um. Es war eine helle Nacht, obgleich der Mond nicht schien; dunkel und durchsichtig in strahlender, tiefblauer Färbung spannte sich der Himmel aus, und gerade vor sich sah der Priester sich das Sternenkreuz des Südens über den Horizont erheben. Er blieb unwillkürlich stehen und versank in Betrachtung; dann schritt er eilig unter den Bäumen fort. von denen Feuerfunken herabstoben – leuchtende Insekten, die der Cenzontla, der nächtlichen Sängerin, zu entrinnen strebten, die Feuer ißt, um glühender zu singen.

Isidor stand vor dem Bach, über den ein schmaler Steg führte, als aus dem Ufergebüsch eine abenteuerliche Gestalt hervortrat, welche einen großen ersichtlich schweren ledernen Eimer in der Hand und einen großen, gefüllten Sack unter dem andern Arme trug. Der Mensch ließ nur halb sein Negergesicht unter dem Hute hervor sehen; er trug die Jacke von zottigem Wollenzeuge, wie sie die Hirten der großen Pferde- und Ochsenheerden haben. Pater Isidor kannte den Mann nicht, zauderte, als sein Gruß zur guten Nacht mit Stillschweigen erwiedert wurde und fragte mit lauterer Stimme:

„Compadre!“ Du bist doch nicht der Bote von Santa Fé?“

Quien sabe? Wer weiß es?“ – Dies ewig wiederkehrende Sprüchwort des Mexikaners ward mit rauhem Tone gesprochen.

Der Jesuit war keineswegs furchtsam; dennoch überkam ihn eine fatale Empfindung und er ging so rasch als möglich über den Steg, dem der Fremde nur einen Fußtritt zu geben nöthig hatte, um den Hinüberschreitenden wie in eine Theaterversenkung in den tiefen, reißenden Bach verschwinden zu machen. Der Neger folgte ihm schnell, setzte seinen Eimer vorsichtig auf die Wiese und legte den Sack daneben. Isidor sah sich neugierig um, was der Geheimnißvolle beginne.

Der Pater hatte kaum Zeit sich umzuwenden und einen Angstruf auszustoßen, als der Fremde mit einigen energischen Sprüngen gleich einem erbitterten Puma sich auf ihn stürzte. In nächster Secunde wälzten sich Beide auf dem Rasen. Pater Isidor war, wie alle Jesuitenschüler vortrefflich in allen Leibesübungen geschult, aber er fand, daß er es hier mit einem Gegner von weit überlegener Kraft zu thun habe. Indeß er sich unter den Fäusten und Knieen des Angreifers aufzurichten strebte, sah er einen Dolch in den Händen des Angreifers glänzen, er glaubte jede Secunde das Eisen in seine Brust eindringen zu fühlen und die Todesangst ließ ihm Kräfte finden, sich auf die Füße zu erheben. Der Hut war seinem Gegner vom Kopfe gefallen: er sah das wirre Haar desselben, das blitzende Weiß seiner Augen und die schimmernden Zahnreihen in dem dunklen Gesicht.

„Abájo la capa, Carajo! Herunter mit dem Habit, Canaille!“ stöhnte der Fremde, die Faust, welche das Collino des Jesuiten gepackt hielt, fester schließend, so daß diesem der Athem ausging, indeß er in der andern Hand den Stahl hob.

Pater Isidor zog sein Oberkleid aus.

„Und die Weste!“ lautete der fernere Befehl.

Abermals gehorchte der Priester.

„Fort mit dem Hemde!“

„Willst Du einen Priester entehren und ihn nackend machen!“ schrie der Pater, indeß er seinen Muth wieder fand und die Hand des Räubers faßte, die den Dolch hielt.

„Si, por la Santa Madre, Maldito! Ja., bei der heiligen Mutter, Verdammter, das will ich, oder Du wirst ein Sangràdo, ein Blutiger.“

Abermals kam der erschöpfte Jesuit zur Erde. Er fühlte nur noch, daß der Hosenträger abgeschnitten und das Hemd ihm theilweise von Schultern und Armen herabgerissen wurde. Im nächsten Augenblicke sah und hörte er nicht mehr, denn eine stinkende Flüssigkeit ward über seinen Kopf und seinen Oberkörper ausgegossen. Instinktmäßig stand er auf, als er sich nicht mehr festgehalten fühlte und suchte die klebrige Flüssigkeit aus seinen Augen zu entfernen.

Der Andere hielt seinen Eimer in der Hand und ging rund um den Wehrlosen, und goß ihm den Rest der schwarzen Brühe auf Rücken und Brust, in der Weise, wie etwa ein Kutscher sein Fuhrwerk angießt, das er reinigen will. Der Pater war glänzend schwarz bis zum Gürtel, über welchen die zerfetzten Hemdärmel herabhingen und der Theer – denn hiermit ward Isidor decorirt – floß in dicken Streifen an den weißen Beinkleidern des Jesuiten hinab. Hierauf nahm der Fremde seinen Sack und schüttelte [141] eine große Wolke von Federn auf den Gemißhandelten herab und klebte ihm Hände voll von Federn da auf, wo sie zu fehlen schienen. Pater Isidor war in das seltsamste Ungeheuer verwandelt, in einen in das Tragische übersetzten Papageno aus der Zauberflöte, in einen Riesenvogel mit gesträubten weißen Federn, der jetzt in der Richtung nach Santa Fé zu, dessen ersten Häuser kaum dreihundert Schritte entfernt sein mochten, zu laufen anfing. Er hielt die Arme emporgehoben, um die Federn wenigstens vom Gesicht zu entfernen und die fliegenden Hemdärmel machten daher den Eindruck eines zweiten Armpaares…

Der Uebelthäter kehrte zum Bach zurück, wusch sich das Gesicht und Don Felipe’s Züge wurden sichtbar. Er warf Sack und Eimer von sich und eilte laufend nach der Casa vieja[WS 2], beschwichtigte die Hunde und kam unbemerkt auf sein Zimmer zurück. Don Felipe legte sich mit der Gewißheit nieder, daß Pater Isidor keine vierundzwanzig Stunden mehr in Santa Fé verweilen könne, sobald sein Abenteuer bekannt werde. Die Väter Jesu in Vera-Cruz ließen einen so geschändeten Bruder in Santa Fé sicher nicht wieder vor den Altar treten, sondern würden sich beeilen, denselben so weit als möglich von dem Schauplatz seines Unfalls zu entfernen. Und wie sollte der „Vogel“ sich nicht zeigen müssen? Sein Hauswirth, der Gewürzkrämer, oder irgend ein Anderer, dessen Wohnung er betrat, mußten ihn sehen – und schweigen hat kein Mexikaner gelernt. Auch nicht nach dem Gasthaus, wo Martigues wohnte, konnte der Arme ohne gesehen zu werden …

Isidor erreichte Santa Fé und lief einem fremden Maulthiertreiber entgegen, der sich wegen der Hitze am Tage mit seinen fünf oder sechs beladenen Thieren schon um Mitternacht auf den Marsch begeben hatte, um die Straße nach Acanosika zu verfolgen. Der Arriero stutzte und erschrak vor dem seltsamen Gespenst und rief ihm: „Halt!“ entgegen, indeß er seinen Carabiner von dem Sattel seines Thieren nahm. Isidor lief vorwärts und winkte mit der Hand – um sich sofort auf der Straße zu wälzen, während ein Schuß durch die Mitte der Nacht krachte. Der Pater blieb als eine träge Masse unbeweglich, als die Menschen aus den Häusern stürzten und sich um den Getroffenen bemühten.

Hector de Martigues hatte indeß emsig gearbeitet und das Portrait Josita’s, welches er für die Madonna seines Bildes benutzen wollte, war unter seinem gewandten Crayon entstanden.

Er empfahl sich und kam, von Inesilla geführt aus dem Garten in’s Freie und traf eben in Santa Fé ein. als so ziemlich die ganze Bevölkerung sich auf der Straße um die Leiche des „getheerfederten“ Pater Isidor versammelt hatte.

Der arme Maulthiertreiber ward zuerst festgehalten und entging nur durch die Anstrengungen des Alcaden dem Schicksal, sofort aufgeknüpft zu werden. Es war einleuchtend, daß der Maultiertreiber mit den Theerfedern nichts zu thun gehabt hatte, und in fieberischer Aufregung suchte der Scharfsinn des Volks den Urheber dieser Grundursache des Mordes. Es änderte nichts an der Erbitterung der Leute von Santa Fé. daß Pater Isidor noch athmete … Die Kugel hatte die Schläfe schwer gestreift und bewußtlos lag der Arme auf seinem Lager ausgestreckt …

Da richtete sich der Verdacht auf den fremden Maler, den Begleiter des Pater auf feinen Spazierwegen. Er war spät mit Isidor fortgegangen, war nicht nach Hause gekommen und hatte sich erst dann gezeigt, als Isidor in seinem Blute lag. Wo war der Fremde gewesen? Martigues war nichts weniger als ein Held und er beging die Unvorsichtigkeit, sich am folgenden Tage in aller Stille nach Vera-Cruz auf den Weg zu machen. Es war nichts natürlicher, als daß er im Laufe desselben Tages noch von berittenen Imrocho’s eingeholt und in’s Gefängniß zu Assencion geführt wurde. Von hier aus schrieb er an Manuela folgenden Brief:

„Madame!

„Das Geschick des unglücklichen Pater Isidor ist Ihnen unzweifelhaft bekannt geworden. Ich befinde mich hier im Kerker, angeklagt, den Unglücklichen getheerfedert zu haben, und so die Ursache seiner tödtlichen Verwundung geworden zu sein. Ich berufe mich auf Ihre Herrlichkeit und auf Donna Josita des Esconnez. damit Sie mich durch Ihre Aussage befreien; denn wie furchtbar auch diese Angelegenheit ist. so würde ich doch ein Elender sein, die Ehre von Damen anders als durch ihre eigne Aussage zu gefährden. Ich werde daher bis zur Ankunft Ihrer Antwort schweigen.“

Manuela, von starrem Entsetzen über das Geschick des Jesuiten erfüllt, hatte bis zu dieser Minute keine Ahnung davon, daß Don Felipe der Frevler war, welcher dem Verwundeten jene Mißhandlung beifügte. Mit dem Briefe aber sah sie klar. Sie ging zu ihrem Gemahl, das Papier in der Hand, bleich wie eine Hostie. Felipe las und gab, keines Wortes mächtig, den Brief zurück.

„Was ist geschehen?“ stöhnte er endlich.

„Ja, so frage auch ich. Sennor! Und wir Beiden werden Antwort haben. Begleiten Sie mich und meine Schwester nach Santa Fé zum Corregidore …“

Don Felipe, betäubt, gehorchte und bald hielt das Fuhrwerk, welches die drei Menschen trug, vor dem Gerichtshause. um welches das Volk sich drängte. Als Don Felipe mit den Damen in das baufällige, düstere Gerichtszimmer trat, erblickte Felipe vor dem Corregidore aus dem Tische liegend seinen Dolch, den er am Bache in der vorigen Nacht in das Gras geworfen und später nicht wiederfinden gekonnt hatte. Auf einer Tragbahre lag, mit einem blutbefleckten Tuch zugedeckt, der Verwundete.

„Ich bin verloren!“ murmelte Felipe, als er seinen Dolch erblickte und Martigues vorgeführt wurde.

Manuela hob mit fester Hand das Tuch und heftete einen Blick voll Erbarmens auf die wachsbleichen Züge des Priesters und besah genau den Dolch, der ihr dargereicht wurde.

„Du wirst mich verderben!“ murmelte Felipe und fügte laut hinzu: „Bevor Donna Manuela und Josita ihre Aussagen für Sennor Martigues machen, verlange ich mit ihnen noch ein Wort allein zu reden.“

Mit finsterem Blicke führte der Corregidore die drei Menschen in ein vergittertes, mit Acten ausgestattetes Closet.

„Du bist’s!“ sagte Manuela fest. „Du bist schuldiger, als dieser stumpfsinnige Maulthiertreiber!“

Felipe fiel zu ihren Füßen.

„Klage Deine Schönheit an und meine Liebe; klage die verbrecherischen Gedanken dieses Priesters an; aber Du. Manuela, verdamme mich nicht …“ rief er. „Mein Leben steht in Deiner Hand und in derjenigen Josita’s. Ihr rettet mich, wenn Ihr betheuert, daß ich jene Unglücksstunde bei Euch zubrachte …“

„Du forderst unsere Seelen und diejenige Martigues;“ sagte Manuela, die Hände bewußtlos ringend. „Ich schwöre keinen Meineid. Martigues ist’s, der bei uns war und Josita malte. Unglückseliges Gelübde! Es gilt hier nur noch unsere, meine Ehre zu retten. Welche Frau würde nicht vor Schande vergehen, wenn sie genöthigt wird öffentlich zu gestehen, daß sie zur Nachtzeit einen fremden Mann, der kein Priester ist, bei sich empfangen hat? Wer wird glauben, Martigues sei nach der Casa gekommen um uns zu malen, da unser Ehrenzeuge Isidor ermordet ist? Wer wird glauben, daß Martigues von mir und Josita empfangen wurde? Ich werde eine Ehebrecherin heißen, oder Josita eine liederliche Dirne. Martigues Entschluß nur kann helfen, indeß er Josita für seine Braut erklärt und heirathet. Mit Dir, unglücklicher, geliebter Felipe, Du Abgott meines Herzens, sei ein Mächtigerer, als ich es bin … Möge Isidor genesen – er athmet noch und Gott ist allmächtig, der auch die Todten wieder erwecken kann … Aber Felipe“ – rief sie feierlich, „möge meine Schönheit ungesehen in verborgener Klosterzelle vergehen; möge das Eheband, das Dich zum Morde treiben kann, dem Bunde mit dem Himmel weichen … Nimm hier den letzten Kuß, den meine Lippen spenden, den letzten, der Dir und der Erde angehört.“

Manuela führte Martigues herein und legte seine Hand in diejenige Josita’s, um vor dem Corregidore ihre Aussage zu machen …




Isidor genaß langsam und Don Felipe ward seiner Haft entlassen und sah in Vera-Cruz Manuela’s schönes Haar unter der Scheere in der Klosterkirche der Ursulinerinnen fallen. Martigues, der Erbe von Manuela’s Gütern, war der glückliche Gemahl Josita’s geworden. Felipe litt es nicht mehr in Mexiko; er übersiedelte sich nach Brasilien. Nach langer Zeit empfing Schwester Manuela folgenden Brief von Felipe’s Hand:

[142]
„Manuela!

„Ich bin im Begriff, von der Erde zu scheiden. Pater Isidor sagte an jenem Tage: Die böse That hebt sich durch ihren Erfolg selbst auf und dem Verbrecher bleibt nichts, als der Fluch seiner Sünde, während er den Preis seiner That durch die That selbst verliert… Ich bekenne meine unsterbliche Liebe zu Dir Manuela und …“

Hier hatte den Eifersüchtigen der Tod überrascht.


  1. In Mexico, dessen Bewohner durchschnittlich Katholiken sind, gehört die Enthaltung von Eis oder eisgekühlten Getränken zur Verschärfung der Fasten.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: rieja
  2. Vorlage: rieja