Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Weben“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 16 (1890), Seite 447452
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Weben. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 16, Seite 447–452. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Weben (Version vom 07.10.2023)

[447] Weben (hierzu Doppeltafel „Webstühle“), die Herstellung von Geweben (s. d.), erfolgt auf dem Webstuhl dadurch, daß man diejenigen Fäden, welche die Länge des Gewebes bilden (Kettenfäden), in einer der Breite des Zeugs entsprechenden Zahl als Kette (Zettel, Werft, Schweif, Anschweif) auf eine Länge von etwa 1,5–2,5 m horizontal ausspannt und dann quer hindurch rechtwinkelig zu den Kettenfäden einen andern Faden (Schußfaden, Schuß, Eintrag, Einschlag, Einschuß) in der Art einschießt, daß bei jedem Durchgang ein Teil der Kettenfäden über und der andre Teil unter demselben liegt. Um dies zu erreichen, wird der eine Teil der ausgespannten Kette in die Höhe gehoben, der andre Teil gesenkt und durch den hierdurch entstandenen Raum der Schußfaden vermittelst eines schiffchenartigen Werkzeugs (Schütze, Weberschütze, Weberschiffchen) hindurch gebracht (Einschießen, Eintragen). Der infolge der Kettenteilung gebildete Raum heißt das Fach und besteht aus Oberfach und Unterfach, je nachdem derselbe von den gehobenen oder gesenkten Fäden begrenzt wird. Nach dem Eintragen eines Schußfadens muß dieser mit großer Regelmäßigkeit an den vorhergehenden angeschoben (Schlagen, Anschlagen) und endlich nach und nach das fertige Gewebe aufgewickelt sowie die stetig nachfolgende Kette abgewickelt werden. Wie die schematische Darstellung eines gewöhnlichen Webstuhls (Fig. 1) erkennen läßt, ist die Kette in einem zu dem herzustellenden Zeug ausreichenden Vorrat auf eine Walze AA (Kettenbaum, Garnbaum) aufgewickelt, während das bereits in Gewebe übergeführte Ende an einer zweiten Walze BB (Zeug-, Brust-, Waren-, Leinwandbaum etc.) befestigt wird, so daß durch Drehung des Zeugbaums das Gewebe auf- und die Kette zugleich abgewickelt wird. Um dabei die letztere genügend gespannt zu erhalten, ohne die zur Fachbildung erforderliche Nachgiebigkeit aufzuheben, ist um den Kettenbaum eine mit Gewichten belastete Schnur C zur Bremsung desselben geschlungen (Rutschgewicht). Zum Drehen des Zeugbaums dient entweder nur ein eingesteckter Pflock, der von Zeit zu Zeit vom Weber wie ein Hebel in Bewegung gesetzt wird, oder bei bessern Webstühlen eine nach jedem Einschlagen von dem Webstuhl aus in Thätigkeit tretender Weberegulator. Ein Sperrrad mit Sperrklinke verhindert das Zurückdrehen des Zeugbaums. Der in der Brusthöhe des vor dem Webstuhl sitzenden Webers angebrachte Zeugbaum wird durch das Aufrollen des Gewebes immer dicker und dadurch dem Weber bald so hinderlich, daß man gewöhnlich das Zeug auf einen unten im Webstuhl liegenden Baum (Unterbaum) aufwickelt und den Brustbaum nur zur Führung benutzt (Streichbaum); in gleicher Weise ordnet man auch den Kettenbaum unten im Webstuhl an und führt die Kette ebenfalls über einen Streichbaum.

Zur Auf- und Abbewegung der Kettenfäden zum Zweck der Fachbildung stehen je nach der Kompliziertheit der Gewebe verschiedene Vorrichtungen in Gebrauch. Für glatte und geköperte Gewebe dienen fast ausschließlich Schäfte und Tritte (zusammen Geschirr, Werk genannt). Die Schäfte bestehen aus zwei parallelen Latten EE, zwischen welchen Schnüre (Litzen, Helfen, franz. lisses) gespannt sind, die in der Mitte Schleifen oder kleine Ringe (Maillon, Auge) aus Metall oder Glas besitzen, durch welche die Kettenfäden hindurchgezogen sind. Diese Schäfte hängen vertikal beweglich im Webstuhl, gewöhnlich an Schnüren oder Riemen, welche über die Rollen RR laufen. Unten im Webstuhl liegen sodann die einarmigen Hebel HH (Tritte), welche durch Schnüre mit den Schäften verbunden sind. Indem nun der Weber abwechselnd auf den einen und den andern Hebel tritt, bewegen sich die Schäfte auch abwechselnd auf und ab, nehmen die betreffenden Kettenfäden mit und erzeugen somit das Fach. Zum W. der leinwandartigen Zeuge sind nur zwei Schäfte erforderlich, in welche die Fäden 1, 3, 5, 7, 9 etc. und 2, 4, 6, 8 etc. eingezogen werden; für dreibindigen Köper gebraucht man 3 Schäfte mit 3 Tritten, weil immer ein Drittel der Kette für sich bewegt werden muß, für 4-, 5-, 6bindigen Köper 4, 5, 6 Schäfte mit 4, 5, 6 Tritten etc. (daher 3-, 4-, 5-, 6schäftiger Köper). – Die Weberschütze S ist (Fig. 2 u. 3) ein Behälter aus hartem Holz oder Stahl, der an beiden Enden cc spitz ausläuft, im Innern eine mit Garn bewickelte, auf einer Achse (Seele) drehbare Spule a oder einen zum Aufstecken von Kötzern (s. Spinnen, S. 150) geeigneten Dorn trägt und entweder direkt mit der Hand (Handschütze) oder der sogen. Peitsche (Schnellschütze) abwechselnd links und rechts durch das Fach geschleudert wird, wobei sich der bei b austretende Faden abwickelt. Zur leichtern Bewegung laufen die Schnellschützen häufig auf Rollen dd. Die Peitsche besteht (Fig. 5) aus der Schnur B mit dem Griff H und den zwei Lederstücken TT (Treiber, Vogel) und wird in der Weise gehandhabt, daß der Weber mittels des Handgriffs H abwechselnd den rechten oder linken Treiber gegen die in einen der sogen. Schützenkasten LL fliegende Schütze schnellt, wodurch diese in den Stand gesetzt wird, auch durch sehr breite Gewebe hindurchzufliegen.

Nachdem der Schußfaden eingetragen ist, muß derselbe gerade gestreckt und an den vorhergehenden angeschoben werden. Zu dieser Arbeit dient der Kamm F (Riet, Blatt, Rietblatt), der (Fig. 4) aus zwei parallelen, durch Querhölzer c zu einem Rahmen vereinigten Doppelstäben bb besteht, zwischen welchen in vollständig gleichem Abstand eine entsprechend große Anzahl dünner Stäbchen a (Riete, Rohre, Zähne) aus gespaltenem Rohr oder plattgewalztem Draht befestigt sind, deren Zwischenräume die Kettenfäden aufnehmen. Dieses Blatt bildet zugleich einen wesentlichen Teil R der Lade (Fig. 5), welche aus dem Klotz K (Ladenklotz), den Schwingen S, dem Prügel P zusammengefügt, mittels zweier Spitzen Z, auf dem Webstuhl schwingend aufgehängt ist. Von dem Weber nach vorn bewegt, bewirkt die Lade die richtige Lage des Schußfadens, indem dieser vor dem Rietblatt hergetrieben (geschlagen, angeschlagen) wird. Dabei dient das Rietblatt zugleich zur Führung und Parallelhaltung der Kettenfäden, während der Klotz an seiner obern Fläche (Bahn) eine sichere Unterlage für die durchfliegende Schütze bildet (Schützenbahn). Damit das Gewebe überall gleich breit und ohne Längsfalten ausfällt, wird dasselbe durch besondere Breithalter GG

[Ξ]

Webstühle.
Fig. 1. Schematische Darstellung des Webstuhls.
Fig. 2. Handschütze.
Fig. 3. Schnellschütze.
Fig. 4. Rietblatt.
Fig. 5. Weblade.
Fig. 6. Spannstab.
Fig. 7. Handwebstuhl, Querschnitt.
Fig. 8. Platinen.
Fig. 9. Schaftmaschine, Querschnitt.

[Ξ]

Webstühle.
Fig. 16. Kraftstuhl, Seitenansicht.
Fig. 17. Kraftstuhl, Vorderansicht.
Fig. 18. Kraftstuhl, Querschnitt.
Fig. 19. Kraftstuhl, Grundriß.

[Ξ]

Webstühle.
Fig. 10 u. 11. Jacquardmaschine. Fig. 10. Längenansicht. Fig. 11. Breitenansicht.
Fig. 12. Karten zur Jacquardmaschine.
Fig. 13–15. Gazestuhl.
Fig. 20 u. 21. Mechanischer Webstuhl. Fig. 20. Ansicht. Fig. 21. Durchschnitt.
Fig. 22. Gangkreuz und Fadenkreuz.
Fig. 23. Schlichtapparat.

[448] (Spannstab, Tempel) in der Schußrichtung gespannt. Ein gewöhnlicher Spannstab besteht (Fig. 6) aus zwei durch eine Schnur verbundenen Holzstäben a, b, welche auf die Breite des Gewebes eingestellt, mit den an den Enden angebrachten Spitzen in die Zeugegge eingesteckt, niedergedrückt u. durch den Vorreiber c in der Zeugebene festgehalten werden. Endlich befinden sich bei DD (Fig. 1) noch einige Leisten (Fitzruten), um welche die Kettenfäden im Kreuz herumgeschlungen sind, damit man an abgerissenen Fäden die Enden leicht wiederfinden und zusammenknoten kann. Einen einfachen Webstuhl neuester Anordnung zeigt Fig. 7. In einem aus hölzernen Ständern und Riegeln zusammengesetzten Gestell liegt bei a der Kettenbaum, bei f der Brustbaum und bei i der Zeugbaum. Letzterer wird mittels des Handhebels l mit Sperrzahn und Sperrrad k nach Bedürfnis vom Weber zum Zweck der Zeugaufwickelung, der Kettenbaum a zum Abwickeln der Kette e vermittelst des Hebels g gedreht, der durch einen in den Ständer h einzusteckenden Stift festgestellt wird. Die Schäfte n sind an den Rollen m aufgehängt, mit den Tritten t verbunden und durch besondere Hebel o (Quertritte) geführt. Die Lade ps wird von zwei Bügeln v getragen und zwar auf Spitzen oder Zapfen. Zum Eintragen dient die an Stiften q aufgehängte Peitsche u und zum Sitz für den Weber das bei w sichtbare schräge Sitzbrett, dessen Höhenlage durch zwei seitwärts angebrachte Haken geregelt wird. Um diesen einfachen Webstuhl leicht und schnell zum W. mit mehreren Ketten (s. unten) einzurichten, sind bei d und c an den Ständern b noch zwei Garnbaumlager vorhanden; desgleichen befindet sich in einem Nebengestell y bei r noch eine Vorrichtung zur Anbringung eines sogen. Kontermarsches, einer Verbindung von Hebeln, die zum Teil oben (Obertritte), zum Teil unten (Untertritte) im Webstuhl liegen und durch eine Hebelübersetzung dem Weber das Treten erleichtern.

Die leinwandartigen und geköperten Gewebe verlangen zu ihrer Erzeugung nur 2–10 verschiedene Lagen des Eintrags und demnach auch nur 2–10, d. h. so viel Schäfte und Tritte, daß diese nicht nur im Webstuhl bequem untergebracht, sondern auch vom Weber sicher regiert werden können. Die gemusterten Stoffe dagegen fordern in der Regel durch die mannigfaltigen Verflechtungen zwischen Kette und Schuß eine so große Verschiedenheit in der Lage der Schußfäden und somit in der Bildung des Faches, daß die Tritte im Webstuhl nicht mehr Platz haben. In solchen Fällen ersetzt man die Tritte durch Vorrichtungen, welche wenig Raum einnehmen und sich leicht übersehen und handhaben lassen, weil ja eine bestimmte Reihenfolge in der Hebung der Schäfte eingehalten werden muß. In früheren Zeiten hing man die Schäfte zu diesem Zweck an vertikalen Schnüren auf, welche unter der Decke des Arbeitsraums horizontal weitergeführt (Schwanz) und befestigt wurden. Mit diesen Schwanzkorden verband man vertikal abwärts hängende sogen. Halsschnüre, an welchen dann zur Hebung der betreffenden Schäfte ein Ziehen mit der Hand stattfand (Zugstuhl). Man unterschied Kegelstuhl und Zampelstuhl, je nachdem die Halsschnüre zum bequemen Erfassen einen hölzernen Knopf (Kegel) trugen oder am Fußboden befestigt waren und von dem Ziehjungen aus der Vertikalebene gezogen wurden (Zampelschnüre). In neuerer Zeit sind diese aus einer großen Menge von Schnüren zusammengesetzten Schäftehebevorrichtungen durch eine höchst einfache Anordnung verdrängt, welche in ihrer vollkommensten Ausbildung die Jacquard-Maschine darstellt. Sie besteht aus einem steifen, aufrecht stehenden Stäbchen aus Holz A oder Eisendraht B (Fig. 8, Platine), welches durch eine kurze Schnur s (Korde) mit dem Schaft verbunden ist. Sämtliche Platinen ruhen in Reihen auf einem festen horizontalen Brett p (Platinenbrett) unmittelbar über ebensoviel Löchern, durch welche die Korden s hindurchgehen und geführt werden. Damit sich die Platinen nicht um sich selbst drehen, gleiten die hölzernen zwischen flache Stäbchen, während die Drahtplatinen bei u aufgebogen sind, um einen Stab r aufzunehmen. Zum Heben der Platinen dient eine einfache Schiene mm (Messer), welche (Fig. 9) in einem vertikal beweglichen Rahmen R (Messerkasten) sitzt, der in der Regel an einem zweiarmigen horizontalen Hebel EF hängt, dessen Arm F eine abwärts hängende, mit einem Fußtritt verbundene Schnur aufnimmt, so daß der Weber die Hebung der Schäfte mit Einem Tritt bewirkt (Trittmaschine). Es kommt hierbei nun darauf an, diejenigen Platinen aus dem Bereich der Messer zu bringen, welche mit den Schäften nicht gehoben werden sollen. Von allen zu diesem Zweck erfundenen Einrichtungen ist diejenige am einfachsten und daher am häufigsten in Gebrauch, welche in Fig. 9 skizziert ist. Jede Platine p ist durch eine Öse eines horizontalen Drahts n (Nadel, Stößel) gesteckt, welcher bei e durch ein Brett (Nadelbrett) geht und in dem sogen. Federhaus h mit einer Spiralfeder umgeben ist, welche sich gegen den Splint i stützt und die Nadel stets von links nach rechts drängt, so daß die Platine p vertikal steht. Wird nun diese Nadel von rechts nach links geschoben, so gelangt die Platine in die gezeichnete schiefe Lage und bleibt daher liegen, wenn das Messer m gehoben wird. Zu dieser Bewegung der Nadeln dient das viereckige Prisma N, welches an zwei Schwingen l hängt und im Bogen gegen die Nadeln geschlagen wird und zwar infolge der Einwirkung einer Rolle, welche an einem Arm l des Messerkastens sitzt, sich mit diesem hebt und senkt und in einer Kulisse g gleitet, die mit den Schwingen l fest verbunden und so gekrümmt ist, daß bei der Hebung der Rolle ein Ausschwingen und bei dem Niedergang ein Anschlagen des Prismas gegen die Nadeln erfolgt. Damit nun beim Anschlagen des Prismas nur jene Nadeln zurückgehen, deren Platinen nicht gehoben werden sollen, besitzen sämtliche vier Seiten des Prismas den Nadeln gegenüber so viel Löcher, als Nadeln vorhanden sind, so daß es nur notwendig ist, in einer gewissen Reihenfolge diejenigen Löcher zu bedecken, welche mit den genannten Nadeln korrespondieren. Zu diesem Zweck benutzt man Streifen von dünner, fester Pappe (Karten), welche sich vor die Anschlagseite des Prismas legen, und in welcher sich nur an jenen Punkten Löcher befinden, wo beim Anschlag des Prismas die Nadeln nicht getroffen werden sollen. Um für alle neuen Fachbildungen die entsprechenden, auf besondern Kartenschlagmaschinen erzeugten Karten der Reihe nach vorzurücken, vereinigt man sie zu einer Kartenkette 1, 2, 3 … 0 etc., hängt diese über das Prisma N und läßt letzteres bei jeder Schwingung eine Wendung um 90° ausführen, weshalb dasselbe um die Längsachse drehbar in den Schwingen l hängt. Das Wenden selbst vermittelt einer der zwei Wendehaken oder Hunde ck oder c1k1, in Verbindung mit der Laterne, womit man vier Stifte bezeichnet, welche in den vier Ecken der quadratischen Grundfläche des Prismas sitzen, nacheinander gegen den [449] Haken n des Hundes treten und, von diesem zurückgehalten, die Wendung vollziehen. Je nachdem der obere oder untere Wendehaken vermittelst einer beide verbindenden Schnur kk1 zum Angriff gebracht wird, dreht sich das Prisma verschieden herum und gestattet somit eine Rückwärtswiederholung der Schäftehebung zur Bildung sogen. gestürzter (aus zwei symmetrischen Hälften bestehender) Muster. Diese durch die Skizze Fig. 9 vor Augen geführte, auch vielfach mit mechanischen Webstühlen verbundene Maschine heißt Schaftmaschine (Trittmaschine, Kammmaschine) und dient besonders zum Weben von Stoffen mit kleinen Mustern: Drell, Damast.

Zur Hervorbringung größerer Figuren wird die Zahl der verschiedenen Einschüsse und dadurch der Schäfte so groß, daß auch diese aufgegeben und durch eine Vorrichtung ersetzt werden, welche Harnisch genannt wird und in Verbindung mit dem Zugapparat der Schaftmaschine die eigentliche Jacquardmaschine (Fig. 10 u. 11 in zwei Ansichten) bildet. Der Harnisch besteht der Hauptsache nach in einem Brett H (Harnischbrett, Chorbrett, Löcherbrett), das, über die ganze Kette K reichend, im Webstuhl festliegt und in mehreren (4–20) parallelen Reihen so viel Löcher enthält, als Kettenfäden vorhanden sind. Durch diese Löcher gehen die Fäden a (Heber, Arkaden) als Verlängerungen der Litzen l, welche in Maillons die Kettenfäden K aufnehmen und durch Gewichte b gespannt werden. Oberhalb des Harnischbretts H bindet man die Heber a an etwas stärkere Schnüre c (Korden) nach der Regel an, daß alle Heber, deren Litzen nie anders als gemeinschaftlich gehoben werden, vereinigt an eine Korde kommen. Diese Korden endlich gehen durch das Platinenbrett P an die Platinen p, welche der Raumersparnis halber in mehreren parallelen Reihen aufgestellt sind, weshalb natürlich auch die Nadeln in ebensoviel Reihen untereinander liegen und das Prisma i sowie die Karten (Jacquardkarten, Fig. 12) desgleichen mit ebensoviel Löcherreihen und der Messerkasten M mit ebensoviel Messern versehen sein muß. Daß der an den Gurten kk hängende Messerkasten mittels des um die Welle w schwingenden Hebels h und der Zugschnur S bewegt wird und die Bewegung in oben erklärter Weise durch r auf E und Prismaschwingen g überträgt, sowie daß F das Federhaus u und u1 die Wendehaken mit Schnur z bezeichnen, bedarf nur der Andeutung. Weil einerseits bei der Jacquardmaschine jeder Kettenfaden seine eigne Platine haben kann und anderseits die Zahl der Karten unbegrenzt und die Kartenkette leicht auszuwechseln ist, so ist mit dieser Maschine die Möglichkeit gegeben, jede noch so komplizierte Figur, also vollständige Bilder, Porträte, Wappen, Landschaften u. dgl., zu weben. Für die weitaus größte Zahl von Fällen genügen 100, 200, 400–1500 Platinen, wonach die Maschinen Hunderter, Zwei-, Vier-, Fünfzehnhunderter genannt werden.

Bei den gemusterten (figurierten, dessinierten) Stoffen hebt sich die Figur (Dessin, Ornament) von einem Leinwand-, Köper-, Atlas- oder Gazegrund ab, indem sie selbst innerhalb ihres Umfanges entweder eine geköperte oder atlasartige Fläche darstellt, oder überhaupt aus größtenteils frei (flott) liegenden Ketten- oder Schußfäden besteht, die nur an einzelnen Punkten (Bindungen), insbesondere an den Umrissen der Figur, gebunden sind und durch das Flottliegen die letztere von dem Grund abheben, daß sie aufgelegt erscheint. Ein starkes Flottliegen nennt man Lizeré, während die Fäden, welche die Lizeréfäden festhalten, Bundfäden heißen. Schließt man die samtartigen Gewebe aus, so werden Muster erzeugt: 1) durch bestimmte regelmäßige, aber auf verschiedenen Teilen der Fläche verschiedene Verschlingung der nämlichen Kette und des nämlichen Eintrags, welche zugleich das Grundgewebe bilden, so daß man das Muster nicht wegnehmen könnte, ohne den Zusammenhang des Zeugs aufzuheben (Drell, leinener, wollener und seidener Damast, Bänder, Westen- und Kleiderstoffe); 2) durch Einweben besonderer, nur zum Muster gehöriger, vom Grundgewebe ganz unabhängiger und oft in mehreren verschiedenen Farben angewendeter Einschlagfäden: broschierte und lancierte Stoffe (Bänder, Kleiderstoffe, Shawls) und auf dem Webstuhl gestickte Stoffe (zu Damenkleidern, Vorhängen); 3) durch besondere, nur für das Muster bestimmte, in das für sich bestehende Grundgewebe eingeschaltete Kettenfäden: aufgelegte oder aufgeschweifte Muster (Bänder, Kleiderstoffe); 4) durch Hervorbringung gitterartiger Öffnungen mittels der dem Gazestuhl eigentümlichen Vorrichtung, entweder in Gazegrund selbst oder in Leinwandgrund: durchbrochene Stoffe (Damenkleider, Vorhänge); 5) durch regelmäßiges, teilweise erfolgendes Zusammenweben zweier aufeinander liegender, meist glatter Zeuge, wobei die Art des Zusammenwebens das Muster erzeugt: Doppelgewebe (Pikee, Teppiche). Hierzu gehört auch die Basselisse- und Hautelisseweberei zur Herstellung von Gobelins und Tapetenstoffen (Basselisseweberei mit wagerecht, Hautelisseweberei mit senkrecht aufgezogener Kette [Lisse]). Samtartige Stoffe, Gewebe, welche auf einer Seite mit pelzähnlicher Decke versehen sind z. B. Manchestergewebe, haben als Grund ein Leinwand- oder Köpergewebe, welches mit dem besondern Samtschuß atlasartig flottend durchzogen ist. Die vom Webstuhl gelieferte Ware wird, nachdem die Schußfäden auf der Rückseite noch mehr durch Kleister befestigt sind, mit eigentümlichen messerartigen Nadeln unter den flott liegenden Schußfäden aufgeschnitten, welche sich dann aufrichten und den Pelz bilden.

Behufs der Ausführung eines Musters auf dem Webstuhl wird zunächst eine auf Papier gemachte Zeichnung desselben verfertigt. Die Zeichnung, die Patrone, aus welcher dann der Weber die spezielle Anordnung des Stuhls ableitet, muß über den Lauf oder die Lage eines jeden Ketten- und Eintragfadens Aufschluß geben und mithin eine genaue vergrößerte Abbildung des gewebten Stoffes darstellen. Hierzu dient das Patronenpapier, welches mit eng stehenden Parallellinien in zwei sich rechtwinkelig kreuzenden Richtungen bedeckt ist.

Gazegewebe.

Von den zur Erzeugung besonderer Gewebe dienenden Webstühlen sei hier vor allen der Gazestuhl zum Weben der Gaze erwähnt. Da bei diesem Gewebe (s. nebenstehende Figur) zwei Nachbarkettenfäden sich zwischen den Schußfäden so kreuzen, daß ein Faden (in der Figur der weiße) stets oben (Stückfaden, Stückkette), der andre (in der Figur schwarz) stets unten (Polfaden, Schlingfaden, Polkette) bleibt, so muß der Webstuhl so eingerichtet sein, daß sich bei jeder Fachbildung ein Polfaden um einen Stückfaden schlingen kann. Zu dem Zweck sind beide Ketten auf besondere Bäume gewickelt und jede für sich in einen [450] Schaft gezogen: die Polkette in den Polflügel p, die Stückkette in den Stückflügel s (Fig. 13–15). Außerdem gehen die Polfäden noch durch einen halben Schaft a, dessen Litzen am Ende Glasringelchen tragen (Perlkopf) und an der linken Seite der Stückfäden abwärts und an der rechten aufwärts laufen, um hier die Polfäden aufzunehmen. Bildet man nun zunächst auf gewöhnlichem Weg mit p und s ein Fach (Fig. 14) und zieht dann den Perlkopf a in die Höhe, so muß sich jeder Polfaden p um einen Stückfaden herumbewegen, also das sogen. Kreuzfach (Fig. 15) machen. Indem abwechselnd durch das erste (offene) und durch das zweite (gekreuzte) Fach durchgeschossen wird, entsteht das Gewebe g. Um dabei zu verhindern, daß bei der Bildung des Kreuzfaches die Stückfäden mit heraufgezogen werden, geht während dieser Arbeit ein Stab b (Padurstock) nieder, legt sich auf sämtliche Kettenfäden und hält dadurch auch die Stückfäden zurück. Beim Samt- und Plüschweben sind die zum Pol bestimmten Kettenfäden ebenfalls auf einen eignen Baum gewickelt und in einen besondern Schaft eingezogen, der aufwärts bewegt wird und dadurch ein besonderes Fach (Polfach) bildet, in welches die Nadeln (Samtnadeln) eingelegt werden und nach dem Herausziehen einen Schlauch zurücklassen, der aufgeschnitten die Samtdecke liefert.

Wenn man den Webstuhl so einrichtet, daß seine sämtlichen Bewegungen in richtiger Aufeinanderfolge und Größe durch mechanische Vorrichtungen erfolgen, welche von einer Transmissionswelle oder einem besondern Motor ihren Antrieb bekommen, so erhält man den mechanischen Webstuhl (Maschinenstuhl, Kraftstuhl, Power-loom) oder die Webmaschine, woran übrigens alle wesentlichen Bestandteile des Handstuhls vorkommen. Ein Kraftstuhl ist in Fig. 16–19 dargestellt. Das schwere eiserne Gestell A besteht aus zwei durchbrochenen Seitenwänden, die durch Querriegel miteinander verbunden sind. Die Kette, welche gewöhnlich mindestens 180 m lang ist, ist auf dem Kettenbaum B aufgewellt, wird durch schwere Gewichte gespannt und durch einen Regulator mit gleichmäßiger Geschwindigkeit dem Baum entnommen und gegen die Schäfte vorgeführt. Vom Kettenbaum geht die Kette über einen runden Streichbaum W und dann fast horizontal nach dem in gleicher Höhe liegenden Brustbaum Q. Über letztern läuft das Zeug schräg abwärts, um auf den Zeugbaum C zu gelangen, der es langsam aufrollt. Der Zeugbaum liegt vorn im Gestell und dem Kettenbaum gerade gegenüber. Die Schäfte S haben dieselbe Einrichtung wie bei den Handstühlen und den gewöhnlichen Platz; jeder ist unten mit einem eisernen Tritt G, G verbunden, der seinen Drehungspunkt hinten im untersten Teil des Stuhls hat. Die Lade D ist stehend angebracht und hat ihre Drehungspunkte unten bei E, ihre Arme sind über der Kette durch ein Querholz F miteinander verbunden; unter der Kette aber liegt der Klotz H mit der Schützenbahn für die Schnellschützen, und zwischen dem Klotz und dem Querholz ist das Riet J eingesetzt. Zum Breithalten des Gewebes dient ein in den Zeichnungen nicht angegebener Tempel, der auf verschiedene Weise konstruiert ist. Der Zangentempel z. B. besteht aus zwei zangenartigen Vorrichtungen, welche die Salleisten einklemmen, sich aber zum Fortrücken des Stoffes von selbst öffnen. Oben im Gestell, jedoch unter der Kette, zwischen den Schäften und dem Streichbaum der Kette, mit beiden parallel, liegt eine eiserne Welle (obere Welle) K, an welcher außerhalb der einen Seitenwand eine lose und eine feste Riemenscheibe L und L′ sitzen. Letztere nimmt den Treibriemen auf, welcher die Kraft von der Betriebsmaschine überträgt. Innerhalb der Seitenwände ist die obere Welle nahe an ihren beiden Enden mit zwei Krummzapfen M versehen, welche mittels gekrümmter Lenkerstangen N die Lade vor- und rückwärts bewegen; die Lade ihrerseits bringt die langsame Umdrehung des Zeugbaums hervor, indem sie mit einer Sperrklinke bei jeder Schwingung das auf dem Zeugbaum sitzende Schaltrad O um einen Zahn dreht. Das der Triebrolle entgegengesetzte Ende der obern Welle trägt ein Zahnrad P, welches in ein gerade darunter befindliches, zweimal so großes Rad P′ eingreift. Die Welle dieses letztern (die untere Welle), R, macht also genau eine Umdrehung während zwei voller Umdrehungen der obern Welle, d. h. in einer Zeit, binnen welcher die Lade zweimal schlägt. Auf der untern Welle sitzen Kurvenscheiben T, welche so angeordnet sind, daß sie die zwei Tritte mit ihren Schäften abwechselnd niederziehen. Das Heben eines Schafts, wenn der andre sich senkt, ist eine Folge der Aufhängung der Schäfte. Beim W. geköperter Zeuge mit vier Schäften sind vier Kurvenscheiben vorhanden, und die untere Welle dreht sich einmal, während die obere sich viermal dreht. Die untere Welle trägt endlich noch an zwei Armen Friktionsrollen, welche die Schützentreiber t in Thätigkeit setzen. Bricht der Schußfaden, oder vollendet die Schütze nicht ihren Gang, sondern bleibt sie in der Kette stecken, so wird sofort durch einen eignen Mechanismus, den dann die Lade in Bewegung setzt, der Betriebsriemen von der Festrolle geschoben, und der Stuhl bleibt augenblicklich stehen. Andre Einrichtungen stellen den Stuhl sofort ab, wenn ein Faden in der Kette bricht. Eine andre Konstruktion des mechanischen Webstuhls, besonders auch zum W. mehrschäftigen Köpers bestimmt, führen Fig. 20 u. 21 in der Vorderansicht und im Vertikalschnitt vor Augen. Man erkennt sofort in K den Kettenbaum mit der Kette a, in J den Streichbaum, in c den Zeugstreichbaum und in z den Zeugbaum. Letzterer hängt auf zwei mit Gewichten ausbalancierten Hebeln y und erhält seine gleichbleibende Drehung von dem mit Sand überzogenen Baum (Sandbaum) S, der seinerseits von dem Sperrrad W mit Hilfe der Zahnräder 4, 5, 6, 7 die periodische Drehung durch den von den Schwingen ss bewegten Sperrkegel empfängt. Die Schäfte B hängen an Hebeln op, die in den Aufsätzen u gelagert, vermittelst der Stangen n mit den Tritten tt verbunden sind, welche, zwischen Stäben i geführt, ihre Bewegung von Exzentern X und X′ erhalten, die auf der Welle z sitzen. Durch Federn FF bekommen die Schäfte Spannung und ihre Abwärtsbewegung. Zum Einschießen dienen die Peitschen hh an vertikalen Achsen, welche von schnell rotierenden Daumen der Welle z am vorstehenden Daumen kräftige Schläge aufnehmen, sich dadurch plötzlich drehen und die Arme h in Schwingung setzen, welche die in den Schützenkasten qq befindlichen Treiber einwärts schnellen. Die auf den Schwingen s ruhende Lade L wird direkt von der Hauptwelle A mittels zweier Krummzapfen und Schubstangen g angeschlagen. Die sämtlichen Bewegungen gehen von der im Gestell GG gelagerten Hauptwelle A mit Riemenscheibe f und Losscheibe l aus und werden durch die Zahnräder 1, 2, 3 auf die Welle z und von hier aus durch 4, 5, 6, 7 auf den Sandbaum so verteilt, daß nach jedem Einschlag ein neues Fach gebildet und ein Stück von dem unter dem Breithalter b herlaufenden Gewebe aufgewickelt wird. Zum W. mit Farbenwechsel im Schuß versieht [451] man die Webstühle mit einer sogen. Wechsellade, welche die mit Garn von verschiedener Farbe versehenen Schützen aufnimmt und in der vorgeschriebenen Reihenfolge zum Eintrag bringt. Was die Produktionsfähigkeit der mechanischen Stühle anbetrifft, so wird z. B. zu Baumwollzeugen von 0,9 m Breite die Schütze 120–150mal in einer Minute bewegt, wobei wenigstens ein Drittel der Zeit durch das Anknüpfen der gerissenen Fäden, Erneuerung der Spule in der Schütze etc. verloren geht, so daß nur durchschnittlich 90 Fäden wirklich eingeschossen werden; enthält nun 1 m 2800 Fäden, so wird der Stuhl in 12 wirklichen Arbeitsstunden 23 m fertigen, während ein tüchtiger Handweber nur 7–8 m desselben Zeugs in 12 Stunden verfertigen kann. Bei 0,87 m breiten Kattunen aus Garn Nr. 16–30 hat man es auf 200 Einschüsse in der Minute gebracht; beim W. von Leinwand aber muß der Stuhl langsamer gehen, weil das leinene Garn leichter reißt als baumwollenes. Man kann für diesen Fall 90–95 Einschüsse rechnen, wenn die Kette 0,8–0,87 m, und nur 75, wenn sie 1,16 m breit ist.

Dem W. selbst gehen die Arbeiten zur Vorbereitung der Kette und des Einschlags voraus. Erstere bestehen in dem Spulen oder Winden, dem Scheren, dem Aufbäumen, dem Schlichten für leinene und baumwollene, dem Leimen für wollene Stoffe, letztere in dem Aufspulen des Schußfadens und eventuell Anfeuchten desselben. Das Spulen der Kette, durch welches das in Strähnen bezogene Kettengarn auf Spulen von 80–150 mm Länge gewunden wird, erfolgt auf dem Spulrad oder der Kettenspulmaschine. Ersteres ist dem Handspinnrad ähnlich; die Spule wird mittels Schnurrades und Rolle gedreht und wickelt den von einer Garnwinde kommenden, durch die Hand gleichmäßig geleiteten Faden auf, während bei der Maschine gegen 100 Spulen die Fäden von ebenso vielen Haspeln abwinden, wobei sämtliche Fäden durch gläserne Ösen (Fadenleiter) gemeinsam auf- und abgeführt werden, um eine regelmäßige Bewickelung zu erzielen. Würde man nun so viel Spulen nebeneinander stellen, als die Kette Fäden hat, so könnte man direkt von denselben den Kettenbaum bewickeln. Hierzu würden jedoch oft mehrere tausend Spulen erforderlich sein, und man fügt daher als Zwischenoperation das Scheren ein, durch welches die zur Kette erforderliche Anzahl Fäden in den gehörigen gleichen Längen abgemessen und zweckmäßig zusammengelegt werden. Hierbei werden die von 20–60 Spulen kommenden Fäden gemeinschaftlich in einer Schraubenlinie auf einen etwa 2 m hohen Haspel von 3,5 oder mehr Meter Umfang (Scherrahmen, Schermühle, Schweifstock) aufgewunden, der so viele Windungen erhält, daß ihre gesamte Länge der herzustellenden Länge der Kette gleichkommt, z. B. 50 m. Hierauf schlingt man die Fäden um zwei auf dem Umfang sitzende Holzstifte, dreht den Haspel rückwärts und läßt die Fäden auf derselben Schraubenlinie zurückgehen bis zum Anfang, wodurch deren Zahl verdoppelt wird; kehrt man nun abermals um, so wird dieselbe verdreifacht und überhaupt durch vielfaches Hin- und Herdrehen des Scherbaums beliebig vervielfacht. Gehören also zu einer Kette z. B. 1800 Fäden, und sind 60 Spulen im Spulengestell (Scherlatte, Scherbank, Schweifgestell), so würde der Haspel 15mal vor- und 15mal zurückgedreht werden, bis die Schraubenwindungen diese 1800 Fäden enthalten, welche alle dieselbe Länge, nämlich die der Kette, erhalten haben. Zur weitern und bequemen Handhabung werden bei dem Scheren 20 oder 30 Fäden zu einem sogen. Gang vereinigt und, wie in Fig. 22 angedeutet ist, um die Stifte 4 und 5 geschlungen, welche am untern Ende des Haspels sitzen, während am obern Ende die Fäden einzeln durch die drei Stäbe 1, 2, 3 gezogen werden. Zieht man nach vollendetem Aufscheren statt der Stifte 2, 3, 4 und 5 Schnüre S ein, so kann man die Kette abnehmen, ohne die gewonnene Anordnung zu vernichten, d. h. an einem Ende sind die Fäden einzeln nebeneinander geordnet (Fadenkreuz), am andern die einzelnen Gänge (Gangkreuz). Die so vorbereitete Kette kann man nun leicht aufbäumen, d. h. sie in der betreffenden Breite des Stoffes und in gehöriger Verteilung auf den Kettenbaum winden. Man steckt durch die Kette, da, wo sich das Gangkreuz befindet, ein rundes Leistchen (Fitzrute), legt dieses in eine Nute des Kettenbaums und schließt letztern durch einen eingelegten vierkantigen Stab. Damit sich während der nun folgenden Drehung des Kettenbaums die einzelnen Gänge richtig nebeneinander legen, läßt man dieselben durch ein kammartiges Werkzeug (Öffner) von der Länge des Kettenbaums laufen.

Die Ketten aus Baumwoll- oder Leinengarn werden ferner geschlichtet, die Kette aus Wollgarn oft geleimt, damit sie im stande sind, ohne Verletzung die vielfachen im Webstuhl vorkommenden Reibungen auszuhalten. Für Leinengarn genügt hierzu eine aus Kartoffeln bereitete dünne Mehlschlichte, die mit Bürsten dünn aufgestrichen wird; für baumwollene Garne benutzt man verschiedene Mischungen. Wollene Garne leimt man mit Leim, seidene mit Gummi arabikum oder mit Zuckerwasser. Bei dem Betrieb der Weberei auf Kraftstühlen wird das Scheren, Schlichten und Aufbäumen der Ketten durch zwei aufeinander folgende Maschinen dergestalt verrichtet, daß die erste Maschine (Schermaschine) eine große Zahl Fäden von den Spulen in gleicher Länge und parallel liegend auf einer Walze sammelt, worauf dann mittels der zweiten Maschine (Schlichtmaschine, Stärkemaschine) die Fäden von mehreren solchen Walzen zu einer vollständigen Kette vereinigt, mit Schlichte versehen und auf den Kettenbaum gebracht werden. Eine Schlichtmaschine besteht dem Wesen nach aus einem mit Dampfröhren T versehenen Trog (Fig. 23), welchem die Kette über eine Führungswalze r zugeführt wird, um zwischen den Walzen ca um b herum durch die Schlichte, dann durch das Walzenpaar da zum Auspressen gebracht zu werden. Die Bürste s verreibt sodann die Schlichte zwischen den Fäden, welche über e und f zum Trocknen auf große Dampftrommeln laufen. Die Bürste n bürstet aus s die aufgenommene Schlichte wieder aus. So vorbereitet, wird der Kettenbaum in den Webstuhl eingelegt. Der zum Einschuß bestimmte Faden muß, um in der Schütze bequem angebracht zu werden, auf einer Spule oder Spindel aufgewickelt sein. Arbeitet man mit Kraftstühlen, so schiebt man die auf den Spinnmaschinen produzierten und von den Spindeln abgezogenen Garnwickel (Spindeln, Kötzer) sogleich auf eine in der Weberschütze befindliche Spindel; wo dies aber nicht angeht, muß der Einschußfaden mittels des Spulrades oder der Schußspulmaschine gespult werden. Letztere ist im allgemeinen nach denselben Prinzipien gebaut wie die Kettenspulmaschine. Die letzte Vorbereitungsarbeit besteht in dem Durchziehen der Kettenfäden durch die Schäfte (Einziehen, Passieren) mittels eines hakenartigen Werkzeugs (Einziehnadel) und durch das Rietblatt (Kammstechen) mittels des Blattmessers, eines mit einem schrägen Einschnitt versehenen messerartigen Werkzeugs.[WS 1]

[452]
Geschichte der Webkunst.
(Hierzu Tafel „Weberei“.)

Die Webkunst findet sich schon auf den ersten Stufen aller Kultur und zwar bereits vor der Kenntnis der Metalle. Gewisse Geräte des diluvialen Menschen zeigen Ornamente, deren Motive der textilen Kunst entnommen sind. Gewebe aus neolithischen Pfahlbauten sind offenbar auf einem Webstuhl hergestellt. Man hat auch aus dieser Periode Gewebe mit Fransen und Quastenfransen, façonniertes und Dickstoffgewebe gefunden. Wahrscheinlich wurden diese Gewebe bemalt. Webgewichte, Schiffchen etc. sind mehrfach gefunden worden. In der Bronzezeit fertigte man Kleidungsstücke aus Wolle und namentlich auch geköperte Gewebe. Die alten Kulturvölker, insbesondere die Ägypter, übten die Weberei schon frühzeitig, wie wir aus ägyptischen Papyrusrollen wissen, und in den Grabkammern der Pyramiden und an andern Orten sind Reste von gewebten Gewändern gefunden worden, welche von einer hohen Entwickelung der Webkunst zeugen (Fig. 1 und Tafel „Ornamente I“, Fig. 9 u. 10), wobei Weberei und Stickerei oft verbunden sind. Seit ca. 1500 v. Chr. gewannen die Assyrer und später die Babylonier durch ihre Gewebe, besonders durch ihre Teppiche, welche von den handeltreibenden Phönikern weit verbreitet wurden, die Herrschaft auf dem Gebiet der alten Textilindustrie und behaupteten sie durch ihre Nachkommen und die angrenzenden Völker, Kleinasiaten, Perser und Araber, bis zum 13. Jahrh. n. Chr. Auch die Weberei der Griechen reicht bis in die ersten Anfänge ihrer Kultur hinauf. In den Homerischen Gedichten bildet die Weberei für den Bedarf an Kleidungsstücken und Decken die Hauptbeschäftigung der Frauen, und in der geschichtlichen Zeit wurde die Weberei, besonders für Kultuszwecke (Götter- und Priestergewänder), zu höchster Kunstfertigkeit gebracht. Nach der Überlieferung wetteiferte die Bildweberei der Griechen mit der Malerei. Altgriechische Gewebeüberreste aus der Zeit vom 5. Jahrh. v. Chr. bis zur spätern römischen Kaiserzeit sind in Gräbern Südrußlands gefunden worden. Die höchste Stufe technischer Vollendung erreichte die antike Weberei durch den Luxus der römischen Kaiserzeit, dessen Raffinement durch ägyptische und spanische Linnengewebe, durch indische und chinesische Seidenstoffe und durch die durchsichtigen Florgewebe von Kos und Amorgos befriedigt wurde. Aus spätrömischer Zeit sind uns mehrere kostbare Gewebe erhalten. Eine Probe gibt Fig. 2, eine Darstellung der Dioskuren auf einem Stoff in der Servatiuskirche zu Maastricht. Bei den alten Germanen war die Leinweberei ebenfalls seit den ältesten Zeiten ein Hauptzweig der Hausindustrie, und frühzeitig regte sich auch der Trieb, die Leinengespinste durch bunte Stickereien zu verzieren. Im frühen Mittelalter und in der romanischen Kunstperiode beherrschte die Webkunst des Orients den Weltmarkt. Sassanidische, sarazenische und byzantinische Seiden- und Wollengewebe mit ihrer Ornamentik und reichen Färbung gaben die Stoffe zu den Prunkgewändern der Kaiser, Fürsten, Ritter und der hohen Geistlichkeit (Fig. 3 u. 4), wozu sich später der ebenfalls aus Byzanz, resp. aus dem Orient nach Westeuropa gebrachte Samt gesellte. Aus dem Orient übernahm die europäische Webkunst, welche seit dem 12. Jahrh. mit der orientalischen zu wetteifern begann, auch die hauptsächlichsten ornamentalen Muster, besonders das Granatapfelmuster (s. d. und Fig. 7). Mit dem Aufblühen der europäischen Weberei, welche sich so kräftig entwickelte, daß man z. B. in Augsburg um die Mitte des 15. Jahrh. schon 700 zünftige Weber zählte, unter ihnen die später zu größtem Reichtum gelangten Fugger (s. d.), wurde das orientalische Dekorationssystem den Stilgesetzen der Gotik (Fig. 6–8), der Renaissance und ihrer Ausläufer (Fig. 9, 11–13) angepaßt, bis im Beginn des 18. Jahrh. die chinesische und japanische Weberei, insbesondere in Seidenstoffen, von Einfluß auf die europäische wurde, welcher in der neuesten Zeit noch gewachsen ist (Fig. 14, 15, 19, 20, 24). Über die besondern Zweige der Weberei, Teppich- und Gobelinweberei, s. die Artikel Teppiche, Tapeten und Gobelins (dazu Fig. 10, 16, 21, 22). Über die indische Weberei s. Shawls und Kaschmir. Was die geschichtliche Entwickelung der Webwerkzeuge betrifft, so scheint die ursprüngliche Form des Webstuhls mit vertikaler Kette schon sehr früh verlassen zu sein, wogegen der einfache Leinwandstuhl mit horizontaler Kette sich bis heute erhalten hat. Die wesentlichste Umgestaltung erfuhr erst die Weberei durch die Einführung der mechanischen Webstühle. Der Gedanke, Webstühle durch mechanische Kombination ihrer Bestandteile dergestalt zu betreiben, daß die bewegende Kraft an Einem Punkt angreift, ist schon vor langer Zeit ausgeführt worden. Die Bandmühlen, auf welchen 20 und mehr Bänder gleichzeitig gewebt werden, sind die ältesten Maschinen der Art und schon seit dem 16. Jahrh. bekannt. Der älteste Entwurf eines mechanischen Webstuhls wurde 1678 von de Genne in London angegeben, gedieh aber nicht zur Ausführung. 1745 erfand Vaucanson eine Webmaschine, welche nicht minder erfolglos blieb, und fast 40 Jahre später (1784) machte Cartwright den Versuch, einen Kraftstuhl zu bauen; doch brachte er erst 1787 eine Maschine zu stande, für welche er vom Parlament belohnt wurde. Horrocks in Stockport nahm 1803 und 1805 Patente für den von ihm konstruierten Kraftstuhl und verbesserte denselben 1813 so weit, daß er anfing, eine Rolle in der Baumwollmanufaktur zu spielen. Von 1822 an ergriff Roberts in Manchester die Angelegenheit und förderte sie endlich zum erwünschten Ziel. Anfangs dienten die Kraftstühle nur zum W. glatter Stoffe; bald aber wurden sie so weit vervollkommt, daß sie auch für Musterweberei benutzt und mit der 1808 von Jacquard erfundenen Maschine verbunden werden konnten. Vgl. White, Praktisches Lehrbuch der Hand- und Maschinenweberei (deutsch von Wieck, Leipz. 1847); Weise, Handbuch für Weber (Burgstädt 1862); Voigt, Die Weberei (3. Aufl., Weim. 1882); Beyssell u. Feldges, Lehrbuch der Weberei (Berl. 1863); Knorr, Die Elemente der Weberei (Chemn. 1872); Ölsner, Die deutsche Webschule (6. Aufl., Meerane 1884, mit Supplement: „Webmaterialienkunde“, 1884); Reiser u. Spennrath, Handbuch der Weberei (Berl. 1885 ff.); Schams, Theorie der Schaftweberei (Dresd. 1888); Lembcke, Mechanische Webstühle (Braunschw. 1886, mit Fortsetzungen 1888); Derselbe, Die Vorbereitungsmaschinen in der mechanischen Weberei (Leipz. 1877); Reh, Mechanische Weberei (Wien 1889), Karmarsch, Handbuch der mechanischen Technologie, Bd. 2 (6. Aufl., Leipz. 1889); Hoyer, Lehrbuch der vergleichenden mechanischen Technologie (2. Aufl., Wiesb. 1888). Zur Geschichte der Weberei vgl. Fischbach, Geschichte der Textilkunst (Hanau 1883); Derselbe, Ornamente der Gewebe (160 Tafeln); Bucher, Geschichte der technischen Künste, Bd. 3 (Stuttg. 1886 ff.); Schmoller, Die Entwickelung und Krisis der deutschen Weberei im 19. Jahrhundert (Berl. 1873); Kohl, Geschichte der Jacquardmaschine (das. 1873).

[Ξ]

WEBEREI.
1. Altägyptisches Stoffmuster.
2. Römisches Gewebe (400 n. Chr.).
3. Seidengewebe von der Tunika Heinrichs II. (11. Jahrh.).
4. Byzantin. Stoff (12. Jahrh.).
5. Ital. Seidengewebe (13. Jahrh.).
6. Samtstoff (15. Jahrh.).
7. Samtstoff (15. Jahrh.).
8. Samtstoff (15. Jahrh.).
9. Samtstoff (16. Jahrh.).
10. Französischer Gobelin (17. Jahrh.).
11. Seidenstoff (17. Jahrh.).
12. Burgunder Samt (16. Jahrh.).
13. Samtstoff (16. Jahrh.).
14. Franz. Seidenstoff (18. Jahrh.).
15. Franz. Stoff aus Seide und Wolle (18. Jahrh.).
16. Pers. Teppich (16. Jahrh.).
17. Altarabisches Gewebe.
18. Seidenstoff (17. Jahrh.).
19. Seidengewebe (18. Jahrh.).
20. Japanisches Gewebe.
21. Gobelin (16. Jahrh.).
22. Ind. Baumwollenteppich.
23. Borte eines Kaschmirshawls.
24. Chinesischer Seidenstoff.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Siehe auch den Artikel Weberei in Band 17.