Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
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Band 7 (1887), Seite 280283
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Wiktionary: Gewebe
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Gewebe. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 7, Seite 280–283. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Gewebe (Version vom 12.04.2024)

[280] Gewebe (Tela), im anatomischen Sinn Anhäufungen gleichartiger Zellen im tierischen und pflanzlichen Körper. Im Tier unterscheidet man vier Gruppen von Geweben: 1) Haut- oder Epithel-, 2) Binde-, 3) Muskel- und 4) Nervengewebe. Das Haut- oder Epithelgewebe besteht aus dicht nebeneinander liegenden Zellen ohne Zwischensubstanz und bekleidet die freien Oberflächen des Körpers, also die äußere Haut, die Haut des Darms, der Drüsen etc. (s. Epithelium). Das Bindegewebe ist dadurch gekennzeichnet, daß sich zwischen seinen Zellen eine häufig außerordentlich reichliche Zwischensubstanz (Intercellularsubstanz, s. d.) befindet, die in ihrem Bau sehr viel größere Verschiedenheiten darbietet als die Zellen, von denen sie herstammt. Die hauptsächlichsten Arten sind: a) Zelliges Bindegewebe, bei welchem die Intercellularsubstanz [281] verhältnismäßig gering ist, die Zellen rundlich und groß sind; es kommt bei Wirbeltieren nur in der Rückensaite, bei Weich- und Gliedertieren häufiger vor. b) Gallert- oder Schleimgewebe mit teils rundlichen, teils in die Länge gezogenen Zellen und gallertartiger durchscheinender Zwischensubstanz; es findet sich bei höhern Tieren z. B. im Glaskörper des Auges. c) Gewöhnliches oder faseriges (fibrilläres) Bindegewebe, dessen reichliche Zwischensubstanz in Fasern zerfällt, während die Zellen spindelförmig sind und sich zum Teil gleichfalls in Fasern verlängern (sogen. Bindegewebskörperchen). Aus ihm bestehen z. B. die Sehnen der Muskeln, die Häute um die Knochen, die Lederhaut; sind seine Zellen mit Fett erfüllt, so entsteht das Fettgewebe; eine andre Modifikation ist das elastische Gewebe mit elastischen Fasern. d) Knorpelgewebe mit meist runden Zellen und einer härtern Zwischensubstanz (s. Knorpel). e) Knochengewebe, dessen Intercellularsubstanz durch Aufnahme von Kalksalzen einen großen Grad von Festigkeit erreicht, während die Zellen entweder mit ihrem ganzen Leib oder nur mit ihren Ausläufern darin liegen (s. Knochen und Zähne). Das Muskelgewebe zeichnet sich durch die Kontraktilität, d. h. die Fähigkeit, sich auf Reize zusammenzuziehen, aus; die kontraktile Substanz ist umgewandelter Zellinhalt (Protoplasma, s. d.). Man unterscheidet a) glattes Muskelgewebe, bei welchem die kontraktile Substanz gleichmäßig ist, und b) quergestreiftes, bei welchem sie in eigentümlicher Weise quer gestreift ist. Ersteres zieht sich auf Reiz langsam, letzteres rasch zusammen (s. Muskeln). Das Nervengewebe endlich empfängt und leitet die Reize, setzt sie in Empfindungen um und erzeugt Willenserregungen. Es gibt zweierlei Elemente dieses Gewebes, nämlich a) Nervenfasern, welche zur Fortleitung dienen, sowie b) Nervenzellen oder Ganglienzellen, welche durch Fortsätze sowohl unter sich als mit den Nervenfasern in Verbindung stehen (s. Ganglien und Nerven). G. der Pflanzen, s. Zellgewebe. Die Lehre von den Geweben heißt Histologie (s. d.).

Gewebe (Zeuge, Stoffe) werden im allgemeinen durch Verschlingung eines oder mehrerer sich durchkreuzender Fäden zu einem zusammenhängenden Ganzen erhalten. Die Art und Weise, wie die Fäden verbunden werden, ist außerordentlich mannigfaltig, jedoch kann man unter den sämtlichen Zeugen drei Gruppen unterscheiden. Diese sind: 1) Der Stoff wird aus einem einzigen Faden erzeugt, der in wellen-

Fig. 1.
Maschengewebe.

oder schlangenförmigen Krümmungen fortläuft, so daß sich durch eigentümliche Verschlingungen zusammenhängende Schleifen oder Maschen bilden, welche bei der Rückkehr des Fadens die Maschen der folgenden Reihe aufnehmen und dadurch festhalten oder binden, wie bei gestrickter, gewirkter und gehäkelter Ware (Fig. 1). 2) Das Zeug wird aus zwei Gruppen von Fäden gebildet, die sich unter schiefem

Fig. 2.
Tüll.

Winkel durchkreuzen: Schnürriemen und ähnliche Bänder, gewöhnlicher Tüll etc. (Fig. 2). 3) Der Stoff wird aus zwei Systemen von Fäden gebildet, die sich unter einem rechten Winkel kreuzen und so verschlingen, daß sie sich gegenseitig festhalten oder binden. Diese Art der Fadenverbindung ist die wichtigste und heißt Weben, das erzeugte Produkt ist das eigentliche G. Für verschiedene Zwecke dienen auch Pferdehaare, Holzdraht, Stroh, Kautschuk, Glasfäden, Metalldraht u. dgl. zu Geweben. G. aus Garnen besitzen wegen ihrer geringen Dicke und der Geschmeidigkeit des Materials eine große Biegsamkeit, lassen sich leicht in Falten legen und schmiegen sich deshalb, zu Kleidern verarbeitet, bequem an den Körper an. Die meisten G., besonders aber jene, welche Kleidungsstücke zu liefern bestimmt sind, haben bei bedeutender Länge (20–50 m, auch mehr) eine verhältnismäßig geringe Breite (1–2 m). Von den kreuzweise liegenden Fäden nennt man die, welche nach der Länge des Gewebes laufen, Kette, Zettel, Werft, Schweif, Aufzug oder Anschweif und die, welche darauf senkrecht nach der Breite des Gewebes liegen, Schuß, Einschuß, Einschlag, Eintrag. Die Kettenfäden sind etwa so lang wie das G. und je nach der Beschaffenheit der Garne und der Art des zu erzeugenden Gewebes in verschiedener Zahl und Stärke vorhanden. Der Einschlag bildet einen ununterbrochenen Faden, welcher von den Breiteenden des Gewebes beständig zurückkehrt, wodurch sich eine Kante, die Egge, Leiste, Sahlleiste, bildet, die das Ausfasern der Fäden an den Langseiten hin verhindert. Faßt man bei den verschiedensten Arten von Geweben die Verbindungsweise von Kette und Einschuß ins Auge, so kann man vier Grundformen von Geweben unterscheiden, nämlich: 1) Bei den glatten oder schlichten Stoffen geht der Einschußfaden abwechselnd über und unter Einen Kettenfaden; er teilt somit die Kette in zwei Hälften, von der einen wird er bedeckt, die andre deckt er. Der nächste Einschußfaden wechselt mit dem Vorgänger in den beiden Hälften der Kette in der Weise ab, daß jene Kettenfäden, welche früher unter dem Einschuß lagen, jetzt über demselben liegen und umgekehrt. Es erhalten somit die Fäden 1, 3, 5, 7, 9 etc. sowie die Fäden 2, 4, 6, 8, 10 etc. in Kette und Schuß immer die gleiche Lage (Fig. 3). Zu diesen Geweben gehören die Leinwand, die meisten Baumwollzeuge, wie Kaliko, Nesseltuch, ferner Stramin, Seidentaft. Die glatten G. sind die einfachsten von allen, haben die meisten Bindungsknoten und sind somit verhältnismäßig am festesten. Durch Zusammenweben von zwei Ketten erzeugt man die oft auf beiden Seiten verschieden gefärbten Doppelgewebe sowie auch hohle G., wie die Säcke ohne Naht, Schläuche und hohlen Lampendochte. 2) Die [282] geköperten, gekieperten oder kroisierten Stoffe unterscheiden sich vom glatten G. hauptsächlich dadurch, daß jeder Einschlagfaden durch zwei, drei oder mehr Kettenfäden bedeckt wird, bevor er auf die andre Seite des Gewebes tritt und Einen Kettenfaden deckt. Dasselbe gilt auch von den Kettenfäden, und man unterscheidet demnach Kettenköper und Schußköper. Beim Köpergewebe wechseln stets mehr als zwei verschiedene

Fig. 3.
Glattes Gewebe.

Lagen des Einschlags miteinander ab, aber nach einem so einfachen Gesetz, daß das ganze G. gleichartig, d. h. ohne Figur oder Muster, sich darstellt. Die Anzahl der Kettenfäden (oder Schußfäden), welche der Einschlag (oder Kettenfaden) ohne Unterbrechung frei auf der Oberfläche liegen läßt, bestimmt die Stärke des Köpers, und man spricht danach von einem dreibindigen (-fädigen), vierbindigen bis acht- und zehnbindigen Köper. Fig. 4 zeigt einen vierfädigen Köper, bei welchem die Bindung immer auf

Fig. 4.
Vierbindiger Köper.

dem vierten Faden stattfindet. Das Köpergewebe gewährt im Vergleich mit dem glatten ein schöneres Ansehen, indem einerseits die schief laufenden Bindungen besser aussehen, anderseits der schönste und beste Teil des verwendeten Garns durch das Freiliegen auf größern Strecken (Flottliegen) besser hervortreten kann; auch fühlt es sich weicher und sanfter an, und zu Kleidungsstücken verarbeitet, legt es sich in gefälligere Falten. Werden die Bindungsknoten über die Fläche des Zeugs so unregelmäßig wie möglich verteilt, so daß sie sich fast dem Anblick entziehen, so erhält man eine besonders schöne Art von Köper, nämlich Atlas (s. d.) oder Satin. Köpergewebe werden aus allen Garnen erzeugt. 3) Bei gemusterten oder façonnierten Stoffen werden Kette und Schuß so gebunden, daß auf dem G. deutlich wahrnehmbare Figuren entstehen. Am einfachsten erhält man solche Figuren, wenn man für einen bestimmt abgegrenzten Teil des Gewebes z. B. Köperbindung und ringsum Leinwandbindung anwendet. In solche Muster kann man viel Abwechselung bringen durch die Wahl der Garne für Kette und Schuß, die entweder gleich, oder nach Feinheit, Glanz und Farbe verschieden, oder auch aus verschiedenen Faserstoffen erzeugt sein können. Zu den Stoffen, bei welchen das Muster durch stellenweise Änderung der Fadenbindung erzeugt wird, gehören z. B. die aus Leinen- u. Baumwollgarn gewebten Zeuge mit Streifen (Marseilles) oder Quadraten (karierter Damast); sodann die Stoffe mit Quadraten oder Rechtecken von verschiedener Größe (Servietten, Tischtücher etc.) nebst dem eigentlichen oder geblümten Damast von Leinen, Baumwolle, Wolle, Seide, Goldstoff (Brokat); endlich auch viele Bandsorten. Bei diesen Geweben kann das Muster aus dem Stoff nicht entfernt werden, ohne daß dieser zerstört wird. Gemusterte G. erhält man auch durch regelmäßige Abwechselung von Gaze (ein Zeug mit gitterförmig weiten Maschen) mit Stoffen von andrer Bindung, wobei dicht gewebte Figuren auf netzförmigem Grund erscheinen und umgekehrt, z. B. Fenstergardinen und einige Damenkleiderstoffe. Große Abwechselung in farbigen Figuren erhält man durch Zusammenweben von zwei oder drei Ketten von verschiedenen Farben und Eigenschaften, wobei bald die eine, bald die andre in bestimmt begrenzten Figuren an die Oberfläche des Gewebes tritt. Dahin gehören die schottischen oder Kidderminster-Teppiche, auch die einfachen schwarzroten Teppiche aus Wollgarn, endlich Pikee etc. Eine andre Art gemusterter G. entsteht dadurch, daß man in schlicht oder mit Köper- und Satinbindung gewebte Stoffe Fäden von ganz andern Eigenschaften (z. B. verschieden in Glanz, Farbe, Feinheit etc.) bringt und zwar an denjenigen Stellen, wo die Figur gebildet werden soll. Die Figur wird also hier für sich erzeugt, bildet keinen unentbehrlichen Bestandteil des Grundgewebes und kann somit ohne Zerstörung des Gewebes entfernt werden, wie bei mehreren Stoffen mit Blumen aus Seide und Kammgarn für Damenkleider sowie bei den gewöhnlichen weißen Fenstergardinen mit scheinbar darauf genähtem Muster. Sind die Figuren durch Einschlag entstanden, so nennt man die Stoffe broschiert, wenn die Einschlagfäden sich nicht über den Umfang der Figur hinaus erstrecken, lanciert (überschossen) dagegen, wenn die figurmachenden Fäden über die ganze Breite des Zeugs hinlaufen und dabei außerhalb der Figur auf der verkehrten Seite des Zeugs entweder ganz flott liegen (Umschlagtücher), oder an einzelnen Punkten durch die Kette gebunden, oder um die Figur herum abgeschnitten sind. Werden die Figuren aus gefärbten, zwischen der Kette liegenden Fäden gemacht, dann nennt man sie aufgelegte oder aufgeschweifte Muster. 4) Die samtartigen G. unterscheiden sich von allen andern Geweben durch eine eigentümliche haarartige Decke, gewöhnlich auf einer, manchmal auf beiden Seiten des Gewebes. Die Haardecke entsteht durch eine Menge sehr kurzer Faserenden, zuweilen auch durch kleine Noppen oder Litzen, die aus dem eigentlichen Stoff (Grund) hervorragen und eine haarartige Decke (Pol, Poil, Flor) bilden, von welcher auf der Kehrseite nichts zu sehen ist. Der Grund ist meist ein [283] Köpergewebe. Die Pole werden beim Weben befestigt und entweder durch eine besondere Kette (Polkette) oder einen besondern Schuß (Polschuß) gebildet. Beim Weben bilden die Pole immer Noppen oder kurze, reihenweise angeordnete Schlingen, die man entweder als solche bestehen läßt (Bastardsamt, ungeschnittener Samt), oder aufschneidet, so daß nur die Spitzen hervorstehen (eigentlicher Samt, geschnittener Samt). Vielfach wechselt bei einem G. Samt mit gewöhnlichen Geweben ab und zeigt Blumen (gemusterter Samt) oder Streifen (Kordmanchester). Der echte Samt oder Samt im engern Sinn mit wenig hervorstehendem und gleichmäßigem Flor besteht immer

Fig. 5.
Samt.
Fig. 6.
Schnitt durch ein Samtgewebe.
Fig. 7.
Gazeartiges Gewebe.

im Flor und oft auch im Grund aus Seide. Aus Baumwolle fertigt man den Manchester oder Baumwollsamt, aus Wollgarn den Möbelsamt. Einige Sorten wollener Teppiche zeigen auf der Oberfläche Noppen (türkische, New Doorniksche, Brüsseler); andre (englische, Patent) sind mit Flor bedeckt wie Samt. Fig. 5 zeigt ein Samtgewebe mit glattem Grund und Polkette, die Noppen sind zum Teil aufgeschnitten; Fig. 6 zeigt den Schnitt durch ein Samtgewebe mit glattem Grund und Polschuß, letzterer als Noppe, aufgeschnittene Noppe und Haardecke. 5) Ein ganz eigentümliches Gewebe (Fig. 7) entsteht dadurch, daß je zwei Nachbarfäden der Kette sich abwechselnd von links nach rechts übereinander legen und die Schußfäden zwischen diesen Kreuzungsstellen festhalten. Man nennt sie Stoffe mit gekreuzter Kette, Gaze oder gazeartige Stoffe. Sie haben die bemerkenswerte Eigenschaft, daß die zwischen den Ketten- und Schußfäden gebildeten viereckigen Öffnungen genau gleich groß sind, weshalb sie so besonders geschätzt werden als Material zu Sieben in der Müllerei (Beutelgaze, Beuteltuch).


Ergänzungen und Nachträge
Band 17 (1890), Seite 379380
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[379] Gewebe. Die Prüfung der G. hat zunächst ihre Festigkeit zu ermitteln, welche in der Richtung der Kettenfäden eine andre ist als in der Richtung des Schusses. Man schneidet deshalb appreturfreie Streifen aus beiden Richtungen, 35 mm breit und 250 mm lang, und zupft an beiden Längsseiten in einer Breite von 5 mm die Fäden aus, so daß ein 25 mm breiter voller Streifen stehen bleibt. Dieser Streifen wird in eine Festigkeitsmaschine (Frömbling in Gadderbaum bei Bielefeld) eingespannt, welche zugleich die Ausdehnung bis zum Zerreißen notiert. Die folgende Tabelle gibt einige Anhaltspunkte zur Beurteilung der Resultate:

Gewebe Gewicht
pro
Quadrat­meter
in Gramm
Fadenzahl
auf 25 mm
Festigkeit eines
Streifens von
10 cm Breite
in Kilogr.
Kette Schuß Kette Schuß
Kaliko ungebleicht 129–135 56 53 90 74
blau, Futter- 110–170 60 51 58 50
Leinen zu Hemden 225–235 32 28 73 67
Futter 205–215 26 22 105 100
Sommerhosen 240–260 33 30 230 144
Leinenzwilch, ungebleicht 320–340 30 29 230 200
Orléans, schwarz (halb­wollen) 63–69 72 62 36 30
Militärtuch (mittel) 80–85 37 37 57 52
Rocktuch, fein, Kunstwolle 30 25 35 34
Schafwollstoffe  Blusen 60–64 46 43 67 53
Futter 45–49 42 37 54 40
Kammgarnstoff, schwarz 50 60 55 100 92
Seide, gewöhnliche, glatte 20 120 110

Die Appretur wird oft durch halbstündiges Auskochen [380] in Wasser entfernt, bisweilen ist bei vegetabilischen Fasern Kochen mit 5proz. Sodalauge, bei tierischen mit 3proz. Salzsäure erforderlich. Die Dichtigkeit (Schwere) der G. wird bedingt durch die Dicke (Nummer) und die Zahl der Fäden. Die Garnnummer erhält man durch Abziehen des Garns aus dem appreturfreien G. und Abwägen einer bestimmten Länge (5, besser 10 m). Zum Abzählen der Fäden dient ein Weberglas (Fadenzähler). Dies besteht aus einer kleinen Messingplatte mit eingeschnittenem Loch von 10 mm im Quadrat, dessen Seiten abgeschrägt sind. Die Platte besitzt einen Träger, an welchem eine Linse über dem Loch in der Platte angebracht ist. Den Apparat setzt man auf das G., so daß die eine Kante des Loches mit einem Faden parallel läuft. Um zu ermitteln, wie stark das G. einlaufen wird, übergießt man einen Längs- und Querstreifen von 0,5 m Länge und 30 mm Breite mit heißem Wasser, läßt ihn eine Nacht im Wasser liegen und dann im ungespannten Zustand bei gelinder Wärme trocknen. Der Längenverlust, das Krumpmaß, wird in Prozenten ausgedrückt. Bei Beurteilung der fremden, in das G. gebrachten Stoffe (Appreturmasse und mineralische Beimengungen) ist festzuhalten, daß gegen dieselben nichts einzuwenden ist, solange sie nur zur Verschönerung des Ansehens dienen und eine Täuschung nicht beabsichtigt wird. Auch sucht sich der Fabrikant gegen den Verlust, den das Waschen und Bleichen des Garns verursacht, durch einen Ersatz in der Appretur schadlos zu halten, und ein solcher Ersatz gilt allgemein nicht als unreell. Für Baumwollgewebe z. B. kann man annehmen, daß sie im appretierten Zustand 78 Proz. Fasern, 7 Proz. Feuchtigkeit, 7 Proz. Stärke und 7,5 Proz. mineralische Zusätze enthalten. Weniger als 78 Proz. Fasern darf das G. nicht enthalten. Leinengewebe sollen, wenn es nicht ausdrücklich verlangt wird, ohne jede Appreturmasse oder nur mit Stärke ohne mineralischen Zusatz so appretiert sein, daß 2–5 Proz. durch das Auskochen verloren gehen. G. aus Streichgarn sind ohne Appreturmasse, aber wegen der großen Neigung der Welle, Wasser anzuziehen, gewöhnlich durch Feuchtigkeit beschwert; auch kommt es vor, daß man tuchartige Stoffe und Garne mit Stärkezucker, Dextrin, Glycerin, Chlormagnesium etc. imprägniert und mit Scherflocken einwalkt. Bei Kammwollstoffen gehört bisweilen Tränken mit Gummi-, Hausenblasen- oder Gelatinelösung zur Appretur. Am lohnendsten ist die Beschwerung der Seide. Der Verlust durch die Entschälung beträgt 12,5 Proz., und der Gebrauch, diesen Verlust zu ersetzen, ist gewissermaßen zu Recht anerkannt; man hat sogar eine Beschwerung bis zu 25 Proz. gestatten wollen, aber es kommen solche bis zu 150 Proz. vor, und dabei werden häufig giftige Bleisalze angewandt, die im höchsten Grad nachteilig werden können. Zur Untersuchung der Appretur trocknet man eine gewogene Probe des Gewebes bei 105° und bestimmt den Gewichtsverlust (Wasser) durch Wägen in einem verschlossenen Gefäß. Die getrocknete Probe extrahiert man mit wasserfreiem Äther zur Beseitigung von Fett, Harz, verdampft den Äther, trocknet den Rückstand bei 100° und wägt. Die entfettete Probe erschöpft man mit siedendem Wasser, verdampft letzteres im Wasserbad, trocknet den Rückstand bei 100° und wägt. Erzeugt Jodtinktur eine blaue Färbung, so ist Stärke zugegen, und dann muß man die Behandlung behufs vollständiger Lösung der Stärke im verschlossenen Gefäß unter Druck vornehmen. (Eine andre Probe des Gewebes verbrennt man zur Bestimmung des Aschengehalts, und die Asche prüft man in gewöhnlicher Weise auf ihre Bestandteile. Zur Ermittelung der Fasern, aus welchen das G. besteht, dient in erster Linie das Mikroskop. Vegetabilische und tierische Fasern unterscheidet man einfach durch Verbrennen (bei appretierten Stoffen, nachdem man sie 15 Minuten mit 5proz. Salzsäure gekocht, gut ausgewaschen und getrocknet hat). Pflanzenfasern brennen flott, tierische blähen sich auf unter Bildung schwer verbrennlicher Kohle und unter Entwickelung des Geruchs nach verbranntem Horn. Man kann auf diese Weise auch die Zahl der Fäden jeder Gattung im G. bestimmen. Zur Untersuchung gemischter G. legt man dieselben in einer Porzellanschale 15 Minuten in 3proz. Salzsäure, kocht auf, wäscht aus und trocknet. Von der Baumwolle löst sich hierbei die Farbe fast in allen Fällen, von der Wolle schwierig und von Seide sehr unvollständig. Eine derartig vorbereitete Probe wird 1–2 Minuten in eine siedende basische Chlorzinklösung von 60° B., bereitet aus 100 Teilen Chlorzink, 85 Teilen Wasser und 4 Teilen Zinkoxyd, eingetaucht, dann mit angesäuertem, zuletzt mit reinem Wasser gewaschen, getrocknet und gewogen. Der Gewichtsverlust ergibt den Gehalt des Gewebes an Seide. Die Probe wird dann 15 Minuten in Natronlauge vom spez. Gew. 1,02 auf 100° erhitzt, gut ausgewaschen und getrocknet, der jetzt sich ergebende Gewichtsverlust rührt von Wolle her. Um vegetabilische Fasern von animalischen zu trennen, kocht man das G. 30 bis 40 Minuten unter Ersatz des verdampfenden Wassers in einer Lösung von 1 Teil Kochsalz in 1 Teil Salzsäure und 5 Teilen Wasser, wodurch die Pflanzenfasern zerstört werden, so daß man sie durch Reiben in Wasser beseitigen kann. Über die Nachweisung von Baumwolle in Leinwand s. d. (Bd. 10, S. 661).

Wie bei der beschwerten Seide, kommen bei gefärbten Geweben und Bekleidungsgegenständen hygienische Rücksichten in Betracht, insofern manche Farben und namentlich gewisse Beizen gesundheitsschädlich wirken können. Schweinfurter Grün, Scheelsches Grün, Chromgelb etc. sind zum Färben und Bedrucken von Geweben angewandt worden, und da bei der Benutzung der G. ein Teil der Farbe sich leicht staubförmig ablöst, so ist die Gefahr einer Vergiftung gegeben. In Garnen hat man 0,11–0,31 Proz. Antimon (als Beize) und damit die Erklärung gefunden, daß solche Garne auf der Haut Ausschlag erzeugen. In Papierkragen, welche Geschwüre hervorgerufen hatten, wurden erhebliche Mengen Zinkweiß nachgewiesen. Auf diesem Gebiet hat das Gesetz vom 5. Juli 1887 (s. Farbstoffe, Bd. 17) Abhilfe geschaffen. Die Vertreter der angewandten Chemie in Bayern hatten schon früher, unter Berücksichtigung des Umstandes, daß die Industrie nicht mit chemisch reinen Rohstoffen arbeiten, auch nicht absolut giftfreie Farben liefern kann, festgesetzt, daß 100 qcm von Bekleidungsgegenständen nur enthalten dürfen 0,002 g Antimon oder 0,002 g Arsen und zwar nur in im Wasser unlöslicher Form.