MKL1888:Theater in Deutschland 1889–90

Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Theater in Deutschland 1889–90“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 18 (Supplement, 1891), Seite 915918
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Theater in Deutschland 1889–90. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 18, Seite 915–918. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Theater_in_Deutschland_1889%E2%80%9390 (Version vom 19.05.2024)

[915] Theater in Deutschland 1889–90. Die wichtigsten Ereignisse in der Geschichte des deutschen Theaters während der Jahre 1889 und 1890 sind: 1) die auf dem Münchener Hoftheater versuchte Bühnenreform zur Vereinfachung der szenischen Apparate, 2) die Begründung privater Bühnenvereine und 3) die Beendigung der Gastspielreisen des Meininger Hoftheaters, welches im J. 1874 den Anstoß zu einer völligen Umgestaltung des deutschen Bühnenwesens in Bezug [916] auf äußere Ausstattung mit Dekorationen und Kostümen im Sinn eines geschichtlichen Realismus, auf ein lebendiges Zusammenwirken zwischen Einzelspielern und Statisten und auf eine natürliche Gestaltung der gesamten szenischen Vorgänge gegeben hatte. Die von den Meiningern im Laufe von 17 Jahren an vielen Orten ausgestreuten Samenkörner hatten so reiche Früchte getragen, und ihre Reformen, die im Grunde darauf hinausliefen, aus einem Bühnenwerk ein nach allen Richtungen gleich vollendetes Kunstwerk zu schaffen, hatten trotz anfänglichen Widerspruchs allmählich so überzeugend und bahnbrechend gewirkt, daß die Mission der Meininger als vollendet gelten konnte, als 10. Aug. 1890 der Intendant Chronegk bekannt machte, daß der Herzog von Sachsen-Meiningen den Beschluß gefaßt, sein Theater in Zukunft nicht mehr in der bisher üblichen Weise gastieren zu lassen. Das erste auswärtige Gastspiel der Meininger hatte 1. Mai 1874 im Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater zu Berlin mit einer Aufführung von Shakespeares „Julius Cäsar“ stattgefunden, das letzte 1. Juli 1890 im Stadttheater zu Odessa mit einer Aufführung von Shakespeares „Was ihr wollt“. In diesem Zeitraum hat die Gesellschaft des Meininger Hoftheaters 2591 Vorstellungen in 36 Städten (in 18 deutschen und 18 fremden) gegeben, bei denen 41 Schauspiele zur Aufführung gelangten, und die eine Einnahme von 6,322,978 Mk. brachten. Die meisten Aufführungen erlebten „Julius Cäsar“ (330) und das „Wintermärchen“ (231) von Shakespeare, „Wilhelm Tell“ (223), „Die Jungfrau von Orleans“ (194) und „Fiesco“ (152) von Schiller. Vgl. Richard, Chronik sämtlicher Gastspiele des herzoglich Sachsen-Meiningenschen Hoftheaters 1874–90 (Leipz. 1890).

Die guten künstlerischen Grundsätze der Meininger waren in der letzten Zeit von mehreren Bühnenleitern einseitig ausgelegt und nach verschiedenen Richtungen übertrieben worden. Einerseits hatte ein maßloser Prunk in der äußern Ausstattung um sich gegriffen, anderseits war der geräuschvollen Thätigkeit der Statisten, der sogen. Komparserie, in den Volksszenen ein Spielraum überlassen worden, in dem die Leistungen der führenden Darsteller sich nicht mehr frei entfalten konnten, und dieser Übelstand droht schließlich das künstlerische Niveau der Schauspielkunst im allgemeinen herabzudrücken. Gegen einen dieser Auswüchse richtet sich die von dem Intendanten des Münchener Hoftheaters unternommene Reform, der durch ein Zurückgreifen auf den einfachen szenischen Apparat der alten englischen Bühne zur Zeit Shakespeares zunächst den häufigen Wechsel der Schauplätze in den Dramen Shakespeares, der bei der Einrichtung unsrer modernen Bühne nur nach jedesmaligem Fallen des Zwischenvorhanges durch zeitraubende Veränderungen hinter ihm herbeigeführt werden kann, vermeiden und dadurch die Einheitlichkeit der Wirkung des dichterischen Werkes steigern wollte. Freiherr v. Perfall war zu diesem Unternehmen durch einige, 1887 in der Münchener „Allgemeinen Zeitung“ veröffentlichte Artikel von R. Genée angeregt worden, die der Verfasser später noch einmal, mit andern auf dasselbe Thema bezüglichen vereint, in Buchform unter dem Titel: „Die Entwickelung des szenischen Theaters und die Bühnenreform in München“ (Münch. 1889) herausgab. In einem Rundschreiben an die Mitglieder des Münchener Hoftheaters und die Zeitungen begründete Freiherr v. Perfall seinen Reformversuch folgendermaßen: Da die moderne Bühne mit ihrem schweren, äußerst komplizierten Apparat und Mechanismus in einem ganz entschiedenen Gegensatz zu den Shakespeareschen Dramen steht, die ungeachtet ihrer vielfach verschlungenen und doch so klaren Komposition ohne Rücksicht auf jeden Mechanismus gedacht und geschrieben sind, so werden wir das anzustrebende Ziel nur erreichen können, wenn wir eine Bühne schaffen, die in ihrer Einfachheit als eine gewisse Nachbildung der Shakespeareschen den Dramen dieses Dichters eine freie und uneingeschränkte Entwickelung gestattet.

Die nach dieser Ankündigung eingerichtete Münchener Shakespearebühne (s. Figur), deren praktische Brauchbarkeit zuerst 1. Juni 1889 mit einer Aufführung des „König Lear“ erprobt wurde, schließt sich insofern an einen 1817 aufgestellten Plan Schinkels an, als sie ein in das Orchester vorgebautes Proszenium angenommen hat und die wechselnden Seitenkulissen wegfallen läßt, an deren Stelle eine bleibende

Grundriß der Münchener Shakespearebühne.
A Beleuchtung, B Thüren mit Vorhängen.

Gardinendekoration tritt, während der Wechsel der Schauplätze durch den Prospekt im Hintergrunde angedeutet wird. In diesem vorgebauten Proszenium sieht Genée die eine der beiden großen Errungenschaften der neuen Shakespearebühne (die andre ist der leichte Szenenwechsel), weil nach seiner Meinung auf diesem Proszenium das Wort des Dichters ganz unvergleichlich mehr zur Geltung kommt als auf der gewohnten, mit allerlei die Aufmerksamkeit ablenkenden Requisiten und Versatzstücken ausgestatteten Bühne. An dieses Proszenium schließen sich nach hinten zwei Bühnenteile an, ein vorderer, der unverändert bleibt (die Vorderbühne), und ein durch drei Stufen erhöhter schmälerer, der in der ersten Kulisse der vorhandenen Bühne beginnt und durch einen Vorhang geschlossen werden kann (die Mittelbühne). Über die Einzelheiten macht die Schrift Genées folgende Angaben: Die Münchener Bühne, die in der Linie des Hauptvorhangs (vor der Vorderbühne) eine Breite von 131/2 m hat, ist nach vorn bogenförmig bis über die Hälfte des Orchesters nach dem Zuschauerraum vorgerückt, die Mittelbühne ist 8 m breit und 6 m hoch und hat ebenfalls statt der Seitenkulissen eine feststehende Begrenzung, deren Ein- und Ausgänge, wie die der Vorderbühne, durch Gardinen geschlossen sind. Die ganze Vorderbühne, die unverändert bleibt, zeigt [917] in den obern Teilen eine gemalte Rundbogenarchitektur. Die Vorderbühne ist in halbdunklem, unbestimmtem Farbenton gehalten. Wenn der Vorhang der erhöhten Mittelbühne nach beiden Seiten auseinander gezogen wird, sind Vorder- und Mittelbühne ein einheitliches Ganze, und der Schauplatz erhält reicheres Leben durch die den Abschluß bildende, meist heller beleuchtete Hintergrunddekoration. Das erhöhte und schmälere Dekorationstheater gibt in dieser Vereinigung mit der Vorderbühne den natürlichen Boden für malerische Gruppierungen. In diesen zwanglos sich ergebenden Wechselbeziehungen zwischen beiden Bühnenteilen liegt (nach Genées Ansicht) der Hauptzweck dieser szenischen Einrichtung. Einzig bei den wirklichen Aktschlüssen fällt der zum Teil zurückgezogene, zum Teil aufgeraffte Hauptvorhang hernieder. Sämtliche Veränderungen der Szene während der Akte werden entweder durch das Schließen des Mittelvorhangs bewirkt, so daß dann die nächste kurze Szene auf der Vorderbühne spielt, oder sie geschehen bei gänzlich offener Bühne durch den bloßen Wechsel des Prospekts im Hintergrunde. Die grundsätzlichen Gegensätze zwischen der neuen Shakespearebühne und der Dekorationsbühne, wie sie sich jetzt bei uns entwickelt hat, sind nach den Darlegungen von J. Savits, dem Regisseur des Münchener Hoftheaters (im „Neuen Theateralmanach für das Jahr 1890“, Berl. 1890), folgende: „Die jetzt allgemein übliche Dekorationsbühne glaubt im künstlerischen Sinne zu handeln, wenn sie jeden einzelnen Ort, an welchem sich eine Handlung vollzieht, historisch richtig und vollkommen naturgetreu wirklich herzustellen sucht, während die neue Shakespearebühne sich damit begnügt, den Ort nur anzudeuten, ihn symbolisch zu bezeichnen, um durch die Macht dieses Symbols den übrigen Theaterraum, auf welchem sich die Darsteller bewegen, mitsamt dem architektonischen Bau jeweilig in die entsprechende, vom Dichter gewollte Örtlichkeit geistig zu verwandeln.“ Gegen diese Bühneneinrichtung, die allerdings starke Anforderungen an die Einbildungskraft der Zuschauer stellt, wurde unter andern geltend gemacht, daß sie ein Zurückschrauben der historischen Entwickelung der Bühne auf einen primitiven Standpunkt bedeute, und daß der Verzicht auf viele Errungenschaften, die die szenische Kunst mit Hilfe der modernen Maschinentechnik, der Malerei und der verwandten Künste in unserm Jahrhundert gemacht, in Wirklichkeit ein historischer Rückschritt sei und das Zusammenwirken aller Künste zur Herstellung eines nach allen Seiten gleich vollendeten szenischen Kunstwerkes, das namentlich von Wagner und seinen Anhängern als das höchste Ziel der Bühnenkunst bezeichnet wird, unmöglich mache. In der That ist außerhalb Münchens die neue Bühneneinrichtung (bis März 1891) noch nirgends angenommen worden, während in München die Versuche mit Shakespeares „König Heinrich IV.“, erster u. zweiter Teil, mit „König Heinrich V.“ und mit Goethes „Götz von Berlichingen“ fortgesetzt wurden, wobei der Obermaschinenmeister Lautenschläger, der die Bühne nach dem Gedanken des Freiherrn v. Perfall eingerichtet hatte, noch mancherlei Verbesserungen und szenische Bereicherungen anbrachte.

Der häufige Szenenwechsel in dem Goetheschen Jugenddrama hatte auch den Direktor des königlichen Schauspielhauses in Berlin, Otto Devrient, der in dieser Stellung vom 1. Sept. 1889 bis 14. Dez. 1890 wirkte, zu dem Versuche einer neuen szenischen Einrichtung veranlaßt, der er die erste Fassung des Schauspiels unter dem Titel: „Geschichte Gottfriedens von Berlichingen mit der eisernen Hand. Dramatisiert“ in eigner Bearbeitung (Leipz. 1890) zu Grunde legte. Für den zweiten, den vierten und einen Teil des fünften Aufzugs ordnete er eine Zweiteilung der Bühne durch eine Zwischenwand an, wobei die eine Hälfte der Bühne immer verdeckt blieb, während auf der andern gespielt wurde. Die Vorteile der raschen Aufeinanderfolge der Szenen wurden aber durch ebenso große Nachteile aufgewogen, da das szenische Bild durch die Zweiteilung zerrissen wurde, die tote Hälfte der Bühne die Illusion der Wirklichkeit mehr störte als förderte und überdies den Schauspielern auf der verengerten Bühne nicht der nötige Raum zur freien Bewegung übrigblieb. Die 30. Sept. 1890 erfolgte erste Aufführung hatte denn auch einen so geringen Erfolg, daß das Drama nach einigen Wiederholungen wieder vom Spielplan verschwand.

Über die Freien Bühnen s. den besondern Artikel, dem noch nachzutragen ist, daß sich im Januar 1891 in München eine „Gesellschaft für modernes Leben“ gebildet hat, die auch dort eine Freie Bühne ins Leben rufen will. Aus der auf die Freien und Volksbühnen bezüglichen Litteratur sind hervorzuheben: H. v. Maltzan, Die Errichtung deutscher Volksbühnen, eine nationale That (Berl. 1889); Kaatz, Die Frage der Volksbühnen (Dresd. 1890); G. Adler, Die Sozialreform und das Theater (Berl. 1891); „Münchener Flugschriften“ (hrsg. von M. G. Conrad, Vorsitzendem der Gesellschaft für modernes Leben, München 1891).

Aus der deutschen Theaterchronik der Jahre 1889 und 1890 sind von den übrigen Vorgängen geringerer Bedeutung noch folgende hervorzuheben: Die beiden im Herbst 1888 neugegründeten Bühnen in Berlin, das Berliner Theater und das Lessingtheater, hatten sich eines guten Gedeihens zu erfreuen, ersteres vorzugsweise durch die Pflege des klassischen Dramas im Sinne der Meininger, ohne daß Gewicht auf hervorragende Einzelleistungen gelegt wurde, letzteres durch einen abwechselungsvollen Spielplan, in dem besonders das französische Sittendrama und die deutsche realistische Richtung, die in erster Linie durch H. Sudermann vertreten wird, zur Geltung kam. Sudermanns Schauspiel „Die Ehre“ erlebte dort seine erste Aufführung und machte von da die Runde über die meisten deutschen Bühnen. Erheblich geringere Erfolge hatte das zweite Werk des Verfassers, „Sodoms Ende“. Die Nachahmer dieser Richtung, die die Einheitlichkeit des dramatischen Kunstwerkes preisgibt, weil ihre dramatischen Erzeugnisse halb Volksschauspiel, halb Salonkomödie oder -Tragödie sind, wandten sich zumeist dem Deutschen Theater zu, so E. v. Wildenbruch mit seiner „Haubenlerche“, L. Fulda mit dem „Verlornen Paradies“ und F. Philippi mit dem „Alten Lied“. Einen nachhaltigern Erfolg als mit diesen ephemeren Erscheinungen hat das Deutsche Theater mit einer in die Zeit eines Theaterabends zusammengedrängten Bearbeitung des zweiten Teiles von Goethes „Faust“ erzielt, die, von A. L’Arronge durchgeführt, unter dem Titel: „Fausts Tod“ am 1. Sept. 1890 zum erstenmal aufgeführt wurde und bis März 1891: 100 Aufführungen erlebte. Aus der Reihe der ältern Theater Berlins scheidet mit Schluß der Wintersaison 1891 das 1859 erbaute Viktoriatheater, in dem vorzugsweise die Feerie und das Ausstattungsstück gepflegt wurde. Es wird wegen Weiterführung der Kaiser Wilhelmstraße abgebrochen. Einen Ersatz dafür bieten zwei neue Theaterunternehmen, die sich zur Zeit (März 1891) noch in den ersten Stadien der Entwickelung befinden, aber völlig [918] gesichert sein sollen: ein Theater für das feinere Schau- und Lustspiel am Schiffbauerdamm und eine Spezialitätenbühne, die auch Ausstattungsstücke bringen will, auf einem großen Gebäudekomplex Unter den Linden. Neu begründet sind in den Jahren 1889 und 1890 das Parodietheater, das sowohl klassische Schauspiele und Opern als auch die erfolgreichsten Repertoirestücke andrer Theater zu tollen Burlesken travestiert, und das Bürgerliche Schauspielhaus, das seine Absicht, zu einem guten Volkstheater für den Mittelstand zu werden, jedoch aus Mangel an Teilnahme nicht durchführen konnte.

Unter den während der Jahre 1889 und 1890 neuerbauten und eröffneten Theatern im Deutschen Reich sind die hervorragendsten: das Stadttheater in Tübingen (eröffnet 1. Jan. 1889), das aus Beiträgen der Stadt und der Bürgerschaft nach den Plänen von O. March in Charlottenburg errichtete Spiel- und Festhaus in Worms (eröffnet 20. Nov. 1889), das einerseits zur Pflege des Volksschauspiels unter Mitwirkung der Einwohnerschaft bei festlichen Gelegenheiten dienen soll, anderseits für gewöhnlich nur an Sonntagen Vorstellungen von Mitgliedern des Hoftheaters in Darmstadt bietet, und das von Schnittger und Nierenheim erbaute Stadttheater in Göttingen (eröffnet 30. Sept. 1890).

Das Oberammergauer Passionsspiel kam 1890 zum 25. Male an 25 Tagen (vom 26. Mai bis 28. Sept.), denen sich an den folgenden Tagen noch häufig wegen des großen Andrangs Wiederholungen anschließen mußten, zur Aufführung, aber in einer Gestalt, die von der der frühern Aufführungen in vielen Punkten abwich und sich (im Gegensatz zu den in München gepflegten Bestrebungen nach Vereinfachung des Bühnenapparats) mehr dem modernen Bühnenprunk zuwandte, wodurch der naive Charakter des ursprünglichen Volksschauspiels stark beeinträchtigt wurde. Das alte Bühnenhaus wurde nicht nur von dem Münchener Obermaschinenmeister Lautenschläger völlig umgestaltet und mit neuen Maschinerien versehen, sondern es wurden auch neue Dekorationen und Kostüme angeschafft, wodurch ein Kostenaufwand von etwa 250,000 Mk. verursacht wurde, dem allerdings eine Einnahme von etwa 700,000 Mk. gegenübersteht. Das Passionsspiel rief wieder eine Flut von litterarischen Erzeugnissen hervor, von denen jedoch keins die vorhandene ältere Litteratur wesentlich bereichert. Auch im übrigen Deutschland haben die auf Wiederbelebung des altdeutschen Volksschauspiels unter Mitwirkung von Dilettanten gerichteten Bestrebungen lebhaften Anklang gefunden. Nächst dem Lutherspiel von Hans Herrig, der auch für die Eröffnung des Wormser Spiel- und Festhauses ein Volksschauspiel unter dem Titel: „Drei Jahrhunderte am Rhein“ verfaßt hat, haben die meisten Aufführungen erlebt: das Lutherspiel von Otto Devrient (138 von 1883 bis 1890, davon 70 in den Jahren 1889 und 1890) in 13 verschiedenen Städten, das Weihnachtsspiel „Christnacht“ von Hans Herrig, das Volksschauspiel „Luther und seine Zeit“ von Trümpelmann, das Hutten-Sickingen-Spiel von Bungert in Kreuznach und „Gustav Adolf“ von Paul Kaiser.

Aus der Chronik der deutschen Theater außerhalb des Deutschen Reiches ist der am 30. April 1890 erfolgte Schluß des deutschen kaiserlichen Hoftheaters in St. Petersburg nach etwa 80jährigem Bestehen besonders erwähnenswert. Obwohl diese Maßregel nicht ohne Zusammenhang mit den neuerdings mit großem Nachdruck betriebenen Russifizierungsbestrebungen sein mag, so ist doch der Verlust dieser Pflegstätte deutscher Schauspielkunst im Auslande deshalb nicht sehr zu beklagen, weil der letzte Leiter, vielleicht unter dem Druck ungünstiger Verhältnisse, weniger auf die Pflege der deutschen Bühnenlitteratur als auf leichte Reizungen des Unterhaltungsbedürfnisses durch Singspiele etc. bedacht war. Auch das deutsche Theater in Budapest ist, nachdem es 20. Dez. 1889 durch Brand zerstört worden, eingegangen. Vgl. auch Dramaturgische etc. Litteratur.