MKL1888:Stolberg
[344] Stolberg (Stollberg), ehemalige Grafschaft am südlichen Fuß des Harzes, deren Gebiet, 429 qkm (7,8 QM.) mit 33,000 Einw., seitdem die Landeshoheit auf Preußen übergegangen ist (seit 1815), zwei Standesherrschaften, S.-Stolberg und S.-Roßla, im Regierungsbezirk Merseburg, Kreis Sangerhausen, bildet. – Die Stadt S. (S. am Harz), Hauptort der Standesherrschaft S.-Stolberg, in einem engen Waldthal an der Tyra, 297 m ü. M., hat eine evang. Kirche, ein gräfliches Konsistorium, ein Waisenhaus, ein Amtsgericht, Bergbau auf Eisen und Kupfer, eine Zigarren- und eine Pulverfabrik, 2 Sägemühlen und (1885) 2140 Einw. Über der Stadt das gräfliche Residenzschloß mit ansehnlicher Bibliothek.
Stolberg (Stollberg), Stadt im preuß. Regierungsbezirk und Landkreis Aachen, an der Vicht, Knotenpunkt der Linien M’Gladbach-S., Langerwehe-Herbesthal, S.-Alsdorf, Stolberger Thalbahn, Eschweiler-Velau, S.-Münsterbusch und Morsbach-S. der Preußischen Staatsbahn, hat 2 evangelische und 2 kath. Kirchen, ein uraltes Schloß (nach der Sage Jagdschloß Karls d. Gr.), ein Amtsgericht, eine Handelskammer, Sayettspinnerei, großartige Zink- und Messingindustrie, Eisengießereien, Dampfkesselfabriken, Bleihütten, Kupferhämmer, Glasfabriken mit Glasschleiferei, ein Walzwerk, Fabriken für Spiegelglas, Maschinen, Nähnadeln, Haken und Schlingen, Messing- u. Eisendraht, ferner Gerberei, Kalkbrennerei, Seifensiederei, eine große chemische Fabrik (Waldmeisterhütte) der Gesellschaft Rhenania, Bergbau auf Steinkohlen, Eisen, Blei, Galmei und Zinkblende und (1885) 11,835 meist kath. Einwohner. Die Messingindustrie der Stadt wurde im 16. und 17. Jahrh. durch aus Frankreich und Aachen vertriebene Protestanten begründet.
Stolberg, altadliges Geschlecht aus Thüringen, welches bis ins 11. Jahrh. zurückreicht, und dessen Stammland die Grafschaft S. in Thüringen ist. Schon 1412 in den Reichsgrafenstand erhoben, vermehrte es seinen Besitz durch Erwerbung der Grafschaften Hohnstein, Wernigerode, Königstein, von welch letzterer jetzt nur noch Gedern und Ortenberg dem Haus angehören, Wertheim und Rochefort in Belgien, die 1801 verloren ging, sowie des hennebergischen Fleckens Schwarza. Von den beiden Linien, in welche sich das Geschlecht früher teilte, der Harz- und der Rheinlinie, erlosch erstere 1631. Letztere teilte sich 1645 in die Linien: S.-Wernigerode, S.-Stolberg und S.-Roßla. Die erste hat außer der Grafschaft Wernigerode im Harz nebst Schwarza noch große Besitzungen in Schlesien, dem Großherzogtum Hessen und Hannover und wird gegenwärtig durch Graf Otto von S., geb. 30. Okt. 1837, repräsentiert (s. S.-Wernigerode 2). Dieser Linie gehörten an: Graf Ferdinand von S., geb. 18. Okt. 1775, gest. 20. Mai 1854 in Peterswaldau als preußischer Geheimrat, und Graf Anton von S., geb. 23. Okt. 1785, gest. 11. Juli 1854, der bis 1840 Oberpräsident der Provinz Sachsen und von 1842 bis 1848 zweiter Chef des Ministeriums des königlichen Hauses war. Dessen Sohn war Graf Eberhard von S., gest. 1872 (s. S.-Wernigerode 1). Die Linie S.-Stolberg, die ein Areal von 200 qkm besitzt, blüht in dem Hauptast, repräsentiert durch den Grafen Alfred von S., geb. 23. Nov. 1820, preußischen Standesherrn, und einem Nebenast, dessen Chef derzeit Graf Günther von S., geb. 22. Nov. 1820, ist. Ein Oheim desselben war Graf Joseph von S., geb. 12. Aug. 1804, gest. 5. April 1859 in Mecheln, bekannt durch die Stiftung des Bonifaciusvereins (s. d.). Der Stifter dieses Nebenastes war Graf Christian Günther von S., gest. 22. Juni 1765 als dänischer Geheimrat, der Vater der als Dichter bekannten Grafen Christian und Friedrich Leopold zu S. Die Linie S.-Roßla, deren Besitzungen in Preußen, dem Großherzogtum Hessen und Anhalt 300 qkm betragen, wird gegenwärtig durch Graf Botho August Karl, Standesherrn in Preußen und Hessen, geb. 12. Juli 1850, vertreten. Vgl. Graf Botho zu S.-Wernigerode, Geschichte des Hauses S. 1210–1511 (Magdeb. 1883); Derselbe, Regesta Stolbergica (das. 1886).
Stolberg, 1) Christian, Graf zu, Dichter, der Linie S.-Stolberg angehörig, geb. 15. Okt. 1748 zu Hamburg, Sohn des Grafen Christian Günther, studierte seit 1769 in Halle, 1772–74 in Göttingen, wo er dem Göttinger Dichterbund (s. d.) beitrat, erhielt 1777 die Amtmannsstelle zu Tremsbüttel in Holstein und vermählte sich hier mit der in vielen [345] seiner Gedichte gefeierten Luise, Witwe des Hofjägermeisters v. Gramm, einer gebornen Gräfin von Reventlow. Nach 23jähriger musterhafter Verwaltung seines Amtes legte er dasselbe (1800) nieder und lebte fortan auf seinem Gut Windebye bei Eckernförde. Er starb 18. Jan. 1821. Seine kleinern „Gedichte“ (Elegien, Lieder, Balladen etc.) sind mit denen seines Bruders zuerst 1779 in Leipzig (neue Aufl. 1822) erschienen; ebenso die „Schauspiele mit Chören“ (1787), von denen ihm „Belsazar“ und „Otanes“ angehören. Beiden Brüdern gemeinsam waren auch die „Vaterländischen Gedichte“ (Hamb. 1810, 2. Aufl. 1815), in welchen sie freilich an die neue Zeit einen veralteten Maßstab legten. Christian lieferte außerdem „Gedichte aus dem Griechischen“ (Hamb. 1782) und eine Übersetzung des Sophokles (Leipz. 1787, 2 Bde.) in fünffüßigen Iamben, Übertragungen, die für ihre Zeit nicht ohne Wert waren. Seine sämtlichen poetischen Arbeiten befinden sich in der Ausgabe der „Werke der Brüder S.“ (Hamb. 1820–25, 20 Bde.); eine Auswahl aus den Gedichten beider gab Kreiten heraus (Paderb. 1889).
2) Friedrich Leopold, Graf zu, jüngerer Bruder des vorigen, Dichter und Schriftsteller, geb. 7. Nov. 1750 in dem holsteinischen Flecken Bramstedt, gehörte in Göttingen, wo er von 1772 an studierte, gleichfalls zu dem erwähnten Dichterbund. Nach Beendigung der Universitätsstudien wurde er als königlicher Kammerjunker dem dänischen Hof attachiert und bekleidete später (1777) den Posten eines Lübecker Geschäftsträgers bei der dänischen Regierung. Vermählt (1782) mit der mehrfach von ihm besungenen Agnes, einer Gräfin von Witzleben, lebte er mehrere Jahre ganz seinem häuslichen Glück und den Musen. Nach dem Tod seiner Gattin bekleidete er den Gesandtschaftsposten in Berlin und schritt hier 1790 zu einer zweiten Vermählung mit der Gräfin Sophie von Redern. Von Berlin ging er 1791 als Präsident der fürstbischöflichen Regierung nach Eutin, wo er mit Voß den alten Bund der Freundschaft neu knüpfte und durch ihn wieder zu litterarischer Thätigkeit angespornt wurde. Nach einer Reise durch die Schweiz und Italien legte er 1800 seine sämtlichen Ämter nieder, zog nach Münster und trat mit Weib und Kindern (die älteste, später dem Grafen Ferdinand von S.-Wernigerode vermählte Tochter ausgenommen) zur römisch-katholischen Kirche über. Von Stolbergs alten Freunden machten namentlich Voß und Jacobi ihrem Unwillen über den Abtrünnigen durch den Druck, ersterer auf ebenso derbe und bittere wie letzterer auf eine würdevolle Weise, Luft. Stolbergs litterarische Thätigkeit beschränkte sich seitdem vorzugsweise auf seine „Geschichte der Religion Jesu Christi“ (Hamb. 1807–18, 15 Bde.; fortgesetzt von Fr. v. Kerz, Bd. 16–45, Mainz 1825–48, und von Brischar, Bd. 46–53, das. 1850–64) und ein tendenziös gefärbtes „Leben Alfreds d. Gr.“ (Münst. 1815, 2. Aufl. 1837), Werke, die durchgehends von der geistigen Befangenheit ihres Urhebers zeugen, und auf asketische Produkte, die kein Blatt in seinen Lorbeerkranz flechten konnten. „Gedichte“, „Schauspiele mit Chören“ und „Vaterländische Gedichte“ gab er mit seinem Bruder gemeinsam heraus. Stolbergs Lyrik ist vielfach altertümelnd, in ihrer Freiheitsbegeisterung ganz vag und phrasenhaft, oft gesucht einfachen Gepräges; sie stand im allgemeinen noch unter den Einwirkungen Klopstocks. Als Prosaiker versuchte er sich auch in einem Roman: „Die Insel“ (1788), und einer weitschweifigen „Reise durch Deutschland, die Schweiz, Italien u. Sizilien“ (1794); als Übersetzer trat er mit der ersten Übertragung der Iliade, einer vorzüglichen Nachdichtung von vier Tragödien des Äschylos und mehreren Schriften Platons hervor. S. starb 5. Dez. 1819 auf dem Gut Sondermühlen bei Osnabrück, nachdem er kurz zuvor „Ein Büchlein von der Liebe“ (Münst. 1820, 5. Aufl. 1877) vollendet hatte. Seine Schriften nehmen den größten Teil der „Werke der Brüder S.“ (Hamb. 1820–1825, 20 Bde.) ein. Vgl. Nicolovius, F. L., Graf zu S. (Mainz 1846), mehr apologetische Parteischrift als Lebensbeschreibung; Menge, Graf F. L. S. und seine Zeitgenossen (Gotha 1863, 2 Bde.); Hennes, Aus Fr. L. v. Stolbergs Jugendjahren (das. 1876); Janssen, F. L., Graf zu S. (3. Aufl., Freiberg 1882).
3) Auguste Luise, Gräfin zu, Schwester der vorigen, geb. 7. Jan. 1753 zu Bramstedt, wurde durch ihre Brüder mit Klopstock, Miller und andern Mitgliedern des Göttinger Dichterbundes bekannt und trat auch mit Goethe in Briefwechsel, den sie übrigens persönlich nie kennen lernte. Sie heiratete 1783 den dänischen Minister Grafen A. P. Bernstorff, wurde 1797 Witwe und starb 30. Juni 1835. Vgl. „Goethes Briefe an die Gräfin Auguste zu S.“ (mit Einleitung von W. Arndt, 2. Aufl., Leipz. 1881).
[893] Stolberg, altadliges Geschlecht. Graf Otto von S.-Wernigerode erbat und erhielt im Oktober 1890 von König Wilhelm II. von Preußen die Erlaubnis, für sich und seine direkten Nachkommen den fürstlichen Titel zu führen, der von Kaiser Karl VII. am 18. Febr. 1742 dem Grafen Friedrich Karl von der jüngern Linie S.-Gedern verliehen, aber nach deren Erlöschen (1804) von deren Erbin, der ältern Linie S.-Wernigerode, nicht übernommen worden war.