Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
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Band 14 (1889), Seite 824826
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Seide. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 14, Seite 824–826. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Seide (Version vom 06.09.2024)

[824] Seide, der von der Seidenraupe aus dem Sekret ihrer Spinndrüse gefertigte Faden, aus welchem sie behufs der Verpuppung einen Kokon spinnt. Das aus zwei feinen Öffnungen unter dem Munde der Raupe austretende honigdicke Sekret vereinigt sich zu einem einzigen massiven Faden, der an der Luft sofort erhärtet. Die Raupe erzeugt zuerst ein lockeres, grobes, durchsichtiges Gespinst (Flockseide) und innerhalb desselben den dichten, eiförmigen, 33–36 mm langen Kokon (Galette) von 20–25 mm Durchmesser, dessen innerste Schicht von pergamentartiger Beschaffenheit ist. Da nun weder die letztere Schicht noch das äußere lose Fädengewirr technisch nutzbar ist, so erhält man von den ca. 3700 m, aus welchen der ganze Kokon besteht, nur etwa 300–600, seltener 900 m brauchbare S. Von frischen Kokons wiegen durchschnittlich 540 (von den größten 360, von den kleinsten 1200) 1 kg. Die rohe S. ist weiß, blaß- oder hochgelb, zuweilen auch rötlichgelb; von dem einfachen Kokonfaden wiegen 2570–3650 mg; er ist bemerkbar abgeplattet, von 0,013–0,026 mm Dicke, läßt sich um 15–20 Proz. seiner Länge ausdehnen und reißt bei einer Belastung mit 43,62 kg pro QMillimeter (ein Drittel der Festigkeit besten Eisendrahts). Er ist völlig strukturlos und besteht aus etwa 66 Proz. stickstoffhaltiger Seidensubstanz (Fibroin), welche mit oberflächlich anhängenden Stoffen verunreinigt ist. Letztere bestehen aus leimartiger, in Wasser, nicht in Alkohol löslicher Substanz, Seidenleim (gleichsam ein Hydroxyd des Fibroins), aus Fett und Wachs (1–1,5 Proz.). Die gelbe S. enthält 1/20 Proz. harzartigen, gelben, in Alkohol und heißem Seifenwasser löslichen Farbstoffs. Die von diesen Verunreinigungen befreite S. hat ein spezifisches Gewicht von 1,3, löst sich in Kupferoxydammoniak und beim Kochen mit Kalilauge, in konzentrierter Schwefelsäure, Salpetersäure und Salzsäure, wenig in Essigsäure und tritt, aus ihren Lösungen abgeschieden, stets in Fadenform auf. Rohe S. hinterläßt etwa 0,6 Proz. Asche.

Da der auskriechende Schmetterling mittels eines durch den Mund abgesonderten Saftes den Kokon befeuchtet, erweicht und durchbohrt, so muß die Puppe vor dem Auskriechen getötet werden. Dies geschieht in einem Backofen oder in einer geheizten Kammer bei einer Temperatur von 57–75° C., auch durch Wasserdampf, indem man die Kokons nach dem Abpflücken der Flockseide in locker geflochtenen Körben etwa 10 Minuten auf einen Kessel mit kochendem Wasser setzt. Nachdem die Kokons alsdann sorgfältig sortiert sind, werden sie abgehaspelt (Spinnen). Man legt sie in heißes Wasser und schlägt sie mit einem kleinen Besen oder mechanisch bewegten Bürsten oder tränkt sie in Netzbeuteln mit warmem Wasser und schüttelt sie dann, um auf die eine oder die andre Weise den Anfang des Kokonfadens, der sich an die Reiser oder Netzmaschen anhängt, zu finden. Die Kokons werden dann in warmes Wasser (25–27°) gebracht und die Fäden von 3–8, selbst 15–20 Kokons, je nach der Stärke der darzustellenden S., bereinigt, indem man sie durch gläserne Ringe leitet. Mittels des vom Wasser erweichten Seidenleims kleben die Kokonfäden zusammen und bilden, ohne eine Drehung erhalten zu haben, einen starken Seidenfaden, der sofort auf einen Haspel gewickelt wird. 10–16 kg frische, grüne Kokons oder 7–9 kg gebackene geben 1 kg gehaspelte S., was auf 1 Kokon 150–180 (bis 240) mg oder 1/8 vom Gewicht des ganzen Kokons (mit der Puppe) beträgt.

Die gehaspelte S. (rohe S., Grège-, Rohseide, Grezseide) wird meist gezwirnt, indem man zwei und mehr Fäden durch Zusammendrehen vereinigt. Aber auch wenn dies nicht geschieht, muß der Faden der Rohseide eine Drehung erhalten; er wird dadurch runder, dichter und verliert die Eigenschaft, beim spätern Entschälen in einzelne Kokonfäden zu zerfallen. Das Zwirnen (Filieren, Moulinieren) ist eine sehr einfache Operation, die auf Spulmaschinen, Dubliermaschinen und Zwirnmaschinen (Spinnmühlen, Filatorien) ausgeführt wird. Nach den Verschiedenheiten in der Zusammensetzung und Drehung der Fäden unterscheidet man: Organsin (Orsoyseide, Kettenseide), aus den schönsten Kokons, aus 2, seltener 3 Fäden gezwirnt, deren jeder aus 3–8 [825] Kokonfäden besteht und vor dem Zusammenzwirnen einzeln sehr stark gedreht ist; dient zur Kette der meisten seidenen Stoffe. Tramseide (Trama, Einschlagseide), aus geringern Kokons, besteht entweder aus nur einem mäßig gedrehten oder aus 2–3 nicht gedrehten, schwach zusammengezwirnten Rohseidefäden, deren jeder aus 3–12 Kokonfäden gebildet ist; dient zum Einschlag, zu Schnüren etc. Marabutseide besteht aus drei (selten zwei) Fäden weißer Rohseide, die nach Art der Trama gezwirnt, dann ohne vorhergehendes Kochen oder Entschälen gefärbt und schließlich sehr scharf gezwirnt sind, hat peitschenschnurartige Härte, wird in der Weberei benutzt. Soie ondée, aus einem groben und einem feinen Rohseidefaden gezwirnt, von welchen der erstere in Schraubenwindungen um den letztern sich herumlegt; dient zu leichten Modestoffen. Pelseide (Pelo), aus den geringsten Kokons gewonnen, ist ein einziger grober, gedrehter Rohseidefaden aus 8, 10 oder mehr Kokonfäden, dient als Grundlage zu Gold- und Silbergespinsten und wird mit geplättetem Draht umwickelt. Nähseide (Cusir) ist aus 2, 4, auch 6 gedrehten oder ungedrehten Rohseidefäden (à 3–42 Kokonfäden) zusammengezwirnt. Strickseide, der vorigen ähnlich, aber dicker und schwächer gezwirnt, weil sie weich sein muß, enthält 3 bis etwa 18 Rohseidefäden. Kordonnierte S., bestehend aus schönen Rohseidefäden, die man zunächst rechts dreht, worauf 4–8 Fäden links zusammengezwirnt und 3 gezwirnte Fäden durch eine Zwirnung rechts vereinigt werden, ist drall und derb, sehr rund und glatt, schnurähnlich, dient zu gestrickten, gehäkelten Arbeiten etc. Stickseide (flache S., Plattseide) ist ein schwach gedrehter einfacher Rohseidefaden oder aus 2–10 und mehr nicht gedrehten Rohseidefäden durch eine sehr schwache Drehung gebildet. Der ganze Faden breitet sich flach aus, und man kann nach dem Kochen und Färben die einzelnen Kokonfäden unterscheiden. Die aus den Seidenfilatorien (Seidenmühlen) hervorgehende S. heißt filierte oder moulinierte S. im Gegensatz zur Rohseide.

Zur Bestimmung der Feinheit der filierten S. (Titrierung) gibt man das Gewicht einer bestimmten Fadenlänge an und zwar das Gewicht einer Strähne von 9600 Pariser Aunes (11,400 m) in Deniers (à 24 Gran). Ein Denier ist beim französischen Seidengewicht = 1,275, beim piemontesischen = 1,281, beim mailändischen = 1,224 Gran. Man haspelt ein Gebind von 400 Aunes (475 m) ab und bestimmt dessen Gewicht in Gran. So viel Gran die Probe wiegt, so viel Deniers wiegen 9600 Aunes. In Frankreich setzt man die 400 Aunes rund = 480–500 m. Der einfache Kokonfaden wiegt 2–3,5 Deniers, feinste ungezwirnte Rohseide 7–10, feinste Organsin 21–24, gröbste 50–85, feinste Trama 12–24, gröbste 60–80 Deniers. Auf den internationalen Kongressen von 1873 und 1874 wurde beschlossen, die Feinheitsnummer der Seidengespinste durch den zehnfachen Wert der Zahl auszudrücken, welche das absolute Gewicht eines Fadenstücks von 1 m Länge in Milligrammen darstellt; als Einheitslänge soll hierbei 500 m, als Einheitsgewicht 0,05 g angenommen werden. Die S. ist ungemein hygroskopisch; sie nimmt in Kellern 30 Proz. Feuchtigkeit auf, ohne eigentlich Nässe zu zeigen, und je nach der Beschaffenheit des Aufbewahrungsorts und der Luft schwankt ihr Gewicht leicht um mehrere Prozent. Um nun dem Seidenhandel mehr Sicherheit zu geben, wird die S. in besondern Anstalten (Konditionieranstalten) probeweise bei 20–30° getrocknet und danach ihr Wert bestimmt. Richtig konditionierte S. enthält 9–10 Proz. Feuchtigkeit; man trocknet aber auch eine Probe bei 110°, wägt sie und schlägt zu dem Gewicht dieser absolut trocknen S. 10 Proz. hinzu.

Rohe S. ist hart, rauh, steif und ohne Glanz (ungekochte, unentschälte S., écru) und wird zu Gaze und Blonden verarbeitet; meist aber wird sie entschält, d. h. von dem Seidenleim und Farbstoff befreit, wodurch sie glänzend und weich wird (gekochte, entschälte, linde S.) und sich leichter und besser färbt. Man behandelt sie zu dem Zweck mit starker Seifenlösung bei 90° (Degummieren), windet die Strähnen aus, bringt je 20–30 kg in einen leinenen Sack, kocht sie in schwächerer Seifenlösung, spült und trocknet. Gute S. erleidet hierbei einen Gewichtsverlust von 27 Proz.; die Kokonfäden sind wieder vollständig voneinander getrennt, und die S. erscheint daher lockerer, gleichsam aufgequollen. Gelbe S. ist nun weiß und kann auch mit hellen Farben gefärbt werden; die weiß zu verarbeitende wird mit schwefliger Säure vollständig gebleicht und dann mit Indigolösung gebläut oder mit Orlean schwach rötlich gefärbt (Chinesischweiß). Rohe S. kann ohne Entschälung gebleicht werden, indem man sie 48 Stunden mit einem Gemisch aus 1 Teil Salzsäure und 23 Teilen Weingeist digeriert.

Florettseide (Fleurett, Filoselle, Florett) wird aus den Seidenabfällen (Galettseide) bereitet und besteht nicht, gleich der gehaspelten S., aus ununterbrochenen langen Fäden, sondern aus mehr oder weniger kurzen, durch einen wirklichen Spinnprozeß zu Fäden vereinigten Fasern. Die Abfälle bestehen aus der Flockseide und den pergamentartigen innern Häutchen der Kokons (beide Sorten werden als Strusi bezeichnet) sowie aus beschädigten oder durchgebissenen Kokons. 8–10 kg Kokons liefern etwa 1 kg gehaspelte S. und 1–2 kg Abfälle. Die Strusi werden 8–10 Tage in Wasser maceriert und dann gewaschen; die Kokons kocht man mit Seifenwasser und wäscht sie dann ebenfalls; das so gewonnene Material wird nun wie Baumwolle gekrempelt und gesponnen. Bisweilen zerschneidet man auch das Material zunächst in Längen von 40–70 mm, oder man hechelt oder kämmt die langen Sorten, wie Flachs oder lange Wolle, auf der Dressingmaschine und erhält als Abfall Stumpen- oder Seidenwerg. Zum Spinnen dient das Handrad oder Maschinen, wie sie bei der Baumwoll-, Flachs- oder Kammwollspinnerei benutzt werden. Die Gespinste (Seidengarn) kommen als Chappe, Crescentin, Galettam, Galette in den Handel; auch die Abfälle bei der Florettseidenfabrikation (Strazza) werden ebenfalls noch versponnen. Man benutzt die Gespinste zu Geweben, Hutfelbel, groben Bändern und Schnüren, als Stickseide, auch zum Stricken und in der Strumpfwirkerei. Für gewisse Waren wird Florettseide auch mit Baumwolle oder Wolle versponnen.

Seidenbau und Seidenmanufaktur wurden zuerst in China betrieben; schon 4000 Jahre v. Chr. war die S. den Chinesen bekannt, doch geschieht der Seidenzucht erst 2602 Erwähnung. Eine chinesische Kaiserstochter verpflanzte die Seidenzucht 140 v. Chr. nach Japan und eine andre im 6. Jahrh. nach Tibet. Nach Ritter wanderte die Zucht wohl in der Sassanidenperiode nach Sogdiana, Baktriana und Iran und kam von dort nach Serinda. Bei den Griechen spricht zuerst Aristoteles von der S. und der Seidenraupe, und zwar scheint Alexander durch seinen Feldzug diese Kenntnis vermittelt zu haben. Ward nun schon hier die S. ein beliebter Gegenstand des Luxus, [826] so spielte sie bei den Römern eine noch viel größere Rolle, und trotz wiederholter Verbote gegen das Tragen seidener Kleider nahm der Luxus immer mehr überhand. Vielleicht schon unter Tiberius, sicher aber 220 wurde Rohseide nach Italien gebracht und dort zu halb- und ganzseidenen Stoffen verarbeitet. Unter Justinianus (555) brachten persische Mönche Seideneier und Maulbeersamen aus Serinda nach Konstantinopel, und nun erblühte bald in jeder griechischen Stadt Seidenbau. Von dort aus betrieb Venedig, von Indien und Persien aus Phönikien Seidenhandel. Im 8. Jahrh. gelangte der Seidenbau durch die Araber nach Spanien, ohne sich aber dort bedeutend zu entwickeln. 1130 kam er nach Sizilien und breitete sich von da bald über Florenz, Bologna, Venedig und Mailand aus; Venedig aber spielte im 15. und 16. Jahrh. in der Seidenindustrie die erste Rolle. Nach Frankreich soll der erste Maulbeerbaum 1268 gekommen sein; 1345 bestanden in Marseille und Montpellier Seidenmanufakturen, und unter Ludwig XI. und den folgenden Herrschern fand der Seidenbau kräftige Unterstützung. 1667 übertraf Frankreich in der Seidenindustrie alle Länder, durch die Auswanderung der Hugenotten aber erhielt dieselbe einen starken Stoß und verbreitete sich nun auch über andre Länder Europas. In Deutschland war die S. schon sehr früh bekannt durch den Handel, den die Ostseereiche über Kiew mit den Völkern am Schwarzen Meer trieben. Im 10. Jahrh. wurde S. in Mainz verwebt, und bald erblühte in Augsburg, Nürnberg etc. eine bedeutende Seidenindustrie. In Berlin gab es 1580 sehr viele Seidenmanufakturen. Die ersten Raupen zur Zucht scheinen 1599 nach Deutschland gekommen zu sein; 1670 bildete sich in Bayern die erste Seidenbaugesellschaft, und unter Friedrich II. erblühte das Seidengewerbe in der Mark, bei Halberstadt, Magdeburg und in Pommern, gewann indes keinen festen Boden und verfiel wieder während der Napoleonischen Kriege. Erst in neuester Zeit ward dieser Industriezweig von neuem angeregt, kam indes zu keiner rechten Entwickelung, da die Raupenkrankheit in den 50er Jahren die europäische Produktion um mehr als die Hälfte verminderte und von weitern Bemühungen abhielt. Hauptsächlich ist die europäische Seidenzucht gegenwärtig in Italien, Spanien (Murcia, Valencia), Portugal, Griechenland und der Türkei, in einigen Teilen Frankreichs (Gard, Ardèche, Drôme, Vaucluse) und Österreichs (Südtirol, Görzer Gebiet, Istrien, Dalmatien), in Südrußland und der Schweiz (Tessin und Graubünden) entwickelt. Die Produktion betrug 1885 in Italien 2,457,000 kg, in Österreich-Ungarn 168,000, in Frankreich 535,000, in Spanien 56,000, in der Türkei 100,000, in Griechenland 20,000, in ganz Europa 3,340,000 kg. Die Ernte in China schätzt man auf 9,440,000 kg, sie betrug in Japan 3,520,000, in Kleinasien und Transkaukasien 430,000, in Ostindien 423,000, in Persien 400,000; die Ausfuhr aus Siam 66,000 kg, die Gesamtproduktion 17,619,000 kg. Die größte Seidenindustrie haben Frankreich, England, Italien und die Schweiz. Vgl. Quatrefages, Essai sur l’histoire de la sériciculture (Par. 1860); Duseigneur-Kléber, Le cocon de soie (2. Aufl., das. 1875); Clugnet, Géographie de la soie (Lyon 1877); Bavier, Japans Seidenzucht, Seidenhandel und Seidenindustrie (Zürich 1874); Brocket, Silk-industry in America (New York 1876); Persoz, Essai sur le conditionnement, le titrage et le décreusage de la soie (Par. 1878); Moyret, Traité de la teinture des soies (Lyon 1879); Nat. Rondot, L’art de la soie (2. Aufl., Par. 1885–87, 2 Bde.); A. Rondot, Essai sur le commerce de la soie en France (das. 1883); Giraud, Les origines de la soie, son histoire chez les peuples de l’Orient (das. 1883); Morand, Carte séricicole de la region italique, etc. (Lyon 1878); Kalesse, Geschichte der Seidenwebkunst (Leipz. 1883).

Seide (Klebe), Pflanze, s. Cuscuta.

Seide, vegetabilische, s. Asclepias, Calotropis.


Jahres-Supplement 1891–1892
Band 19 (1892), Seite 827828
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[827] Seide. Bei der Entschälung der Rohseide entzieht die Seifenlösung, mit der sie gekocht wird, der Seidenfaser das Sericin oder den Seidenleim. Die sericinhaltige Seifenlösung wird nun in eigenartiger Weise beim Färben der S. benutzt, indem man sie den Farbebädern zusetzt. Da das Färben der S. meist in sauren Bädern erfolgt, so werden auch die zum Entschälen benutzten Seifenlösungen mit Schwefel- oder Essigsäure angesäuert. Hierbei scheiden sich nicht wie bei reinen Seifenlösungen die Fettsäuren in große Tropfen oder als zusammenhängende Schicht aus, sondern es entsteht unter dem Einfluß des Sericins eine Emulsion, die als gebrochene Seife bezeichnet wird. Diese Flüssigkeit erteilt dem Färbebad eine leicht schleimige Beschaffenheit, und sie zwingt den Farbstoff, die eingetauchte Seidenfaser reiner und gleichmäßiger zu färben, als es ohne den Zusatz von gebrochener Seife geschehen würde. Die eigentümliche Wirkung des Sericins erklärt Witt in der Weise, daß er annimmt, die S. besitze ein Übermaß der dem Färber so nützlichen Affinität zu den Farbstoffen. Taucht man S. in eine Farbstofflösung, so wird der Farbstoff außerordentlich schnell absorbiert und die innern Fäden des Stranges finden nicht mehr hinreichend Farbstoff, weil die äußern zu viel davon an sich gerissen haben. Bringt man nun aber eine Substanz in das [828] Färbebad, welche ebenfalls sehr große Affinität zu den Farbstoffen besitzt, dann wird die S. verhindert, den Farbstoff allzu schnell aufzunehmen, sie muß denselben dem Sericin gleichsam entreißen, und wenn ihr dies schließlich auch gelingt, so verläuft doch der Prozeß so langsam, daß die Färbung sehr viel gleichmäßiger ausfällt. Ist der Farbstoff durch andre färbende Körper verunreinigt worden, so werden diese dem Sericin weniger leicht entzogen, weil die Schnelligkeit, mit der die Absorption durch das Fibroïn vor sich geht, von der Menge jedes vorhandenen Farbstoffes abhängt und die Verunreinigung doch stets zurücktritt. Das Sericin erhöht also auch die Reinheit der Farbe, freilich alles auf Kosten eines Teiles des Farbstoffs, da dieser dem sericinhaltigen Bad niemals vollständig entzogen werden kann. Bei der leichten Zersetzbarkeit des Sericins kann die gebrochene Seife nicht Handelsartikel sein, man benutzt deshalb statt derselben auch eine anhaltend gekochte Gelatinelösung oder eine Abkochung von getrocknetem Kot der Seidenraupe. Ein oft auch benutzter Zusatz von Stärkekleister zum Färbebad hat nur sehr geringe Wirkung, weil Stärkemehl nur geringe Affinität für Farbstoffe besitzt.