Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Projektion“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 13 (1889), Seite 402405
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Projektion. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 13, Seite 402–405. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Projektion (Version vom 17.03.2022)

[402] Projektion (lat., „Entwurf“), die Darstellung (Abbildung) eines räumlichen Objekts (des Originals) auf einer Fläche, der Projektions- oder Bildfläche. Die Ausdrücke P. und Darstellung werden dabei in doppeltem Sinn gebraucht: für das Verfahren oder die Methode und für das Bild oder die Zeichnung selbst. Die Prinzipien, nach denen eine P. gefertigt wird, können unendlich mannigfach sein, und in der That finden wir z. B. bei der Kartenprojektion sehr verschiedene Grundsätze in Anwendung (s. Landkarten). Im engern Sinn wendet man das Wort P. auf das Abbildungsverfahren an, welches dem Prozeß des Sehens nachgebildet ist. Man verbindet

Fig. 1.

nämlich die Punkte (A, B, …, Fig. 1) des Objekts mit einem festen Punkt (O), in welchem man sich das Auge denkt, durch gerade Linien (Projektionsstrahlen); die Schnittpunkte (A′, B′, …) der letztern mit der Bildfläche (α) sind die Projektionen der einzelnen Punkte des Objekts, und wenn man dieselben durch Linien so verbindet, wie die Punkte am Objekt verbunden sind, und der Zeichnung das richtige Kolorit gibt, so macht letztere auf ein in O befindliches Auge dieselbe Wirkung wie das Objekt selbst. Eine solche Darstellung heißt eine Zentralprojektion oder perspektivische Abbildung, der Punkt O das Projektionszentrum. Ist die Bildfläche, wie wir fortan immer voraussetzen, eine Ebene, so gelten für diese P. folgende Regeln: 1) die P. eines Punktes ist wieder ein Punkt; 2) die P. einer Geraden ist wieder eine Gerade, die jedoch in einen Punkt zusammenschrumpft, wenn die räumliche Gerade durch das Projektionszentrum geht; 3) parallele Gerade projizieren sich im allgemeinen als Gerade, welche nach einem bestimmten Punkte, dem Flucht- oder Verschwindungspunkt, konvergieren; es ist dies der Punkt, in welchem eine vom Zentrum aus parallel zu den gegebenen gelegte Gerade die Bildebene schneidet. Insbesondere schneiden sich die Projektionen von Geraden, die auf der Bildebene senkrecht stehen, im sogen. Augenpunkt oder Hauptpunkt, dem Fußpunkt der vom Zentrum auf die Bildebene gefällten Senkrechten, und für Gerade, welche mit der [403] Bildebene einen Winkel von 45° einschließen, liegt der Verschwindungspunkt auf dem Umfang eines Kreises, des Distanzkreises, dessen Mittelpunkt der Hauptpunkt und dessen Halbmesser der Entfernung des Zentrums von der Bildebene gleich ist. Dagegen fällt für Gerade, welche mit der Bildebene parallel laufen, der Verschwindungspunkt in unendliche Ferne; ihre Projektionen laufen dann ebenfalls mit ihnen und also auch unter sich parallel. Mit Benutzung dieser Sätze lassen sich perspektivische Abbildungen leicht herstellen. Solche Abbildungen geben eine anschauliche Vorstellung von den Gegenständen und eignen sich daher für künstlerische Zwecke; sie haben aber den Nachteil, daß man die Dimensionen und Winkel nur sehr umständlich aus ihnen ersehen kann. Dieser Übelstand ist nicht vorhanden bei der Parallelprojektion, die man erhält, wenn man das Projektionszentrum in unendliche Ferne rückt, so daß die Projektionsstrahlen alle parallel gehen. Die zwei ersten der beiden obigen Sätze bleiben dann auch noch in Gültigkeit; statt des dritten hat man aber die beiden Regeln: die Projektionen von parallelen Geraden sind stets wieder parallel, und das Verhältnis zwischen zwei Abschnitten, die auf einer und derselben oder auf parallelen Geraden liegen, wird durch die Parallelprojektion nicht geändert. Man unterscheidet zwei Unterarten der Parallelprojektion: die schiefe (klinographische), bei welcher die Projektionsstrahlen einen schiefen Winkel mit der Bildebene einschließen, und die rechtwinkelige (orthogonale, orthographische) Parallelprojektion, bei welcher die Projektionsstrahlen senkrecht auf der Bildebene stehen. Als Beispiel der schiefen Parallelprojektion kann jeder durch die Sonnenstrahlen verursachte Schatten dienen; sie findet heutzutage nur noch selten Verwendung, während früher einzelne Arten derselben, wie die sogen. Militär- oder Kavalierperspektive (Neigungswinkel = 45°), zu besondern Zwecken benutzt wurden. Dagegen findet die rechtwinkelige Parallelprojektion allgemein zur Darstellung von Maschinen, Bauwerken etc. Anwendung. Gewöhnlich projiziert man dabei die Objekte auf zwei Ebenen, eine horizontale (α, Fig. 2) und eine vertikale (β), von denen die letztere von dem Zeichner stehend gedacht wird. Die Projektionen auf diese zwei Ebenen unterscheidet

Fig. 2.

man als horizontale P. od. Grundriß und vertikale P. oder Aufriß; durch beide ist das räumliche Objekt vollständig bestimmt. In Fig. 2 ist die P. einer geraden Linie PQ versinnlicht; PP′ u. QQ′ sind die auf die horizontale Ebene α, PP″ u. QQ″ die auf die vertikale Ebene β gefällten Perpendikel, welche von den Endpunkten der Geraden PQ ausgehen; P′ u. Q′ sind die horizontalen, P″ u. Q″ die vertikalen Projektionen von P und Q, P′Q′ ist daher die horizontale, P″Q″ die vertikale P. von PQ. Legt man noch durch P und Q Ebenen, welche, senkrecht auf der Schnittlinie der Projektionsebenen, auf dem sogen. Grundschnitt AB stehen und denselben in M und N schneiden, so geben die in der horizontalen Ebene liegenden Geraden MP′ und NQ′ (beide senkrecht auf AB) die Abstände P″P und Q″Q der Punkte P und Q von der vertikalen Projektionsebene an, während MP″ und NQ″ (gleich P′P und Q′Q) die Höhen über der horizontalen Ebene angeben. Da man nicht wohl auf zwei senkrecht aufeinander stehenden Zeichenebenen arbeiten kann, so denkt man sich beide in eine einzige Ebene umgeklappt; so daß der Grundschnitt von links nach rechts läuft (Fig. 3) und die obere Hälfte der Zeichenebene

Fig. 3.

die (obere) vertikale, die untere Hälfte aber die (vordere) horizontale Projektionsebene darstellt. Bemerkt werden mag noch, daß die Länge der P. einer Linie, wie P′Q′ oder P″Q″ (Fig. 3), gleich ist der Länge der Linie selbst, multipliziert mit dem Kosinus ihres Neigungswinkels gegen die Projektionsebene. Die P. ist also im allgemeinen stets kürzer als die Gerade selbst; nur wenn letztere mit der Bildebene parallel läuft, ist die P. ebenso lang. Aus Grund- und Aufriß lassen sich mit leichter Mühe alle Dimensionen und Winkel des dargestellten Objekts abnehmen, auch lassen sich bequem räumliche Konstruktionen durch solche in den Projektionsebenen ersetzen. Derartige Regeln waren schon seit langer Zeit bei Zimmerleuten und andern Handwerkern im Gebrauch; dieselben gesammelt, systematisch geordnet und zu einer neuen Wissenschaft, der darstellenden (deskriptiven) Geometrie, verarbeitet zu haben, ist das Verdienst von Gaspard Monge (s. d.). Häufig nimmt man zu den zwei betrachteten Projektionen noch eine dritte zu Hilfe, nämlich eine zweite vertikale P. auf eine zum Grundschnitt senkrechte Ebene (in Fig. 2 durch ihre

Fig. 4.

Durchschnitte AC u. AD mit α und β angedeutet); man bezeichnet diese P. als Querriß (Kreuzriß) oder Seitenansicht und kann sie aus Grund- und Aufriß entwickeln, wie in Fig. 4 angedeutet ist, wo man die Projektionsebene CAD um AD gedreht und auf C1AB gelegt hat. Die orthogonalen Projektionen auf zwei (oder auch drei) aufeinander senkrechte Ebenen genügen indes zwar den Ansprüchen des Technikers in vorzüglichem Grad, gewähren aber kein anschauliches Bild; vielmehr muß derjenige, welcher Grund- und Aufriß eines Objekts vor sich hat, erst aus diesen beiden sich im Geist ein Bild zusammenstellen. Allerdings zeigt eine jede orthogonale P. den Gegenstand so, wie er, aus großer (eigentlich unendlicher) Ferne betrachtet, erscheint. Beim Grundriß muß man sich dann das Auge weit über dem Objekt denken, ein ungewöhnlicher Standpunkt. Beim Aufriß aber, wo das Auge in weiter Ferne vor dem Objekt zu denken ist, hat zwar der Standpunkt nichts Ungewöhnliches; es werden aber in der Regel viele Linien etc. durch andre verdeckt, weil man behufs bequemerer Herstellung der Zeichnung das Objekt gern so stellt, daß möglichst viele Flächen parallel zur vertikalen Ebene oder senkrecht auf ihr stehen. Diese Übelstände fallen weg, wenn man das Objekt auf eine schräg geneigte Fläche orthogonal projiziert; das Bild gewährt dann den Anblick, welchen das (in der Richtung der Projektionsstrahlen [404] liegende) schräg von oben aus weiter Ferne auf das Objekt blickende Auge hat. Solche Abbildungen liefert die Axonometrie (Parallelperspektive). Man versteht darunter das Verfahren, die senkrechte P. eines Objekts mittels der auf drei rechtwinkelige Achsen bezogenen Koordinaten seiner Punkte zu bestimmen. Unter Koordinatenebenen denken wir uns drei aufeinander senkrechte Ebenen, eine horizontale und zwei vertikale, wie in Fig. 2 α, β und die Ebene ACD; ihre Durchschnitte AB, AC, AD heißen die Koordinatenachsen. Koordinaten eines Punktes sind die senkrechten Entfernungen desselben von den drei Ebenen; es sind also in Fig. 2 AN = x, NQ′ = y und Q′Q = z die drei Koordinaten des Punktes Q. Projiziert man nun diese räumliche Figur auf eine schräg liegende Ebene, so erscheinen die drei Achsen in der P. als drei von einem Punkt ausgehende Gerade, sie bilden das sogen. Achsenkreuz. Die Koordinaten fallen in Richtung dieser Achsen (oder parallel zu ihnen), erscheinen aber nach gewissen Verhältnissen verkürzt. Parallele Gerade erscheinen auch in der P. wieder parallel. Ist nun das Achsenkreuz

Fig. 5. Fig. 6.
1 : 1 : 1 2 : 1 : 2
Fig. 7. Fig. 8.
3 : 1 : 3 9 : 5 : 10

gegeben, und kennt man die Verkürzungsverhältnisse in der Richtung der drei Achsen, so findet man leicht die P. eines jeden durch seine Koordinaten gegebenen Punktes. Gesetzt, in Fig. 7 seien OX, OY, OZ die drei Achsen, und es sei bekannt, daß in der Richtung derselben die Verkürzungen 0,887, 0,493 und 0,985 stattfinden, so macht man , und parallel zu OY, endlich parallel OZ und hat dann in P die Darstellung eines Punktes, dessen Koordinaten x, y, z sind. Das Achsenkreuz ist bekannt, wenn man die drei Verkürzungszahlen kennt. Man braucht aber gar nicht die absoluten Werte dieser drei Zahlen zu wissen; es genügt, wenn drei Zahlen (m, n und p) bekannt sind, welche sich wie die drei Verkürzungszahlen verhalten. Man erhält letztere, wenn man m, n, p der Reihe nach mit multipliziert. Julius Weisbach, der Schöpfer der Axonometrie in diesem Sinne, nahm für m, n, p ganze Zahlen an. Die drei Linien des Achsenkreuzes findet man als Halbierungslinien der Winkel eines Dreiecks, dessen Seiten sich wie , , verhalten. Rücksichtlich der Beschaffenheit der Zahlen m, n, p sind drei Hauptfälle zu unterscheiden: 1) m = n = p = 1, die Darstellung heißt eine isometrische, die drei Linien des Achsenkreuzes schließen Winkel von 120° ein (s. Achsenkreuz Fig. 5), die drei Koordinaten sind gleichmäßig im Verhältnis 1 : 0,8165 verkürzt. 2) Die Zahlen m und p sind gleich, n ist kleiner; die Darstellung heißt dimetrisch (monodimetrisch). Häufig vorkommende Beispiele sind m : n : p = 2 : 1 : 2 (s. Achsenkreuz Fig. 6) und m : n : p = 3 : 1 : 3 (s. Achsenkreuz Fig. 7); die wahren Verkürzungszahlen sind im ersten Fall für x und z: 0,9428, für y: 0,4714, im zweiten Fall für x und z: 0,9733, für y: 0,3244. 3) Alle drei Verkürzungszahlen sind verschieden, was eine trimetrische (anisometrische) Darstellung gibt. Ein gewöhnliches Beispiel ist m : n : p = 9 : 5 : 10 (s. Achsenkreuz nebst P. eines Würfels Fig. 8); die wahren Verkürzungsverhältnisse sind 0,8868, 0,4927 und 0,9853. – Statt die drei rechtwinkeligen Achsen und Koordinaten rechtwinkelig auf eine Ebene zu projizieren, kann man auch schiefe Parallelprojektion anwenden. Es ergibt sich dann, wie zuerst K. Pohlke gezeigt hat, daß zwischen den Winkeln des Achsenkreuzes und den Verkürzungszahlen gar kein Zusammenhang stattfindet; man kann also drei beliebig lange, von einem Punkt ausgehende Gerade stets als die Projektionen dreier Würfelkanten ansehen. Dies ist eine noch allgemeinere Auffassung der Axonometrie als die Weisbachsche. – Endlich ist noch eine in der eingangs gegebenen Definition nicht enthaltene P. zu erwähnen: die räumliche P. oder Reliefperspektive, bei welcher ein räumlicher Gegenstand wieder durch einen räumlichen Gegenstand, ein Modell, dargestellt wird. Jeder Punkt P des räumlichen Objekts wird nämlich mit einem festen Punkt O, dem Zentrum, verbunden, und auf der Verbindungslinie wird die P. von P so bestimmt, daß, wenn drei Punkte P, Q, R des Objekts in gerader Linie liegen, dies auch mit ihren Projektionen der Fall ist. Einer Geraden entspricht also als P. wieder eine Gerade, folglich einer Ebene wieder eine Ebene. Es zeigt sich ferner, daß eine Ebene existiert, deren Punkte mit ihren Projektionen zusammenfallen (Hauptebene), und eine andre, der ersten parallele Ebene, deren Punkte die Projektionen der unendlich entfernten Punkte des Raums sind (Flucht- oder Verschwindungsebene). Parallelen Geraden entsprechen als Projektionen Gerade, welche sich in einem Punkte der Fluchtebene schneiden; nur wenn die Geraden der Fluchtebene parallel sind, ist dies auch mit ihren Projektionen der Fall. Sind die erwähnten beiden Ebenen und das Zentrum O gegeben, so kann man zu einem beliebigen Punkt P leicht die P. P′ finden, indem man durch P eine beliebige Gerade g zieht, welche die Hauptebene in A schneidet, und durch O eine parallele Gerade h, welche die Fluchtebene in B trifft; dann schneiden sich OP und AB in P′. Auf diese Weise werden alle Punkte des unendlichen, hinter der selbstentsprechenden Ebene gelegenen Raums dargestellt innerhalb des Raums zwischen den beiden Parallelebenen; die P. eines räumlichen Objekts erscheint also immer mehr platt gedrückt (als Basrelief), je geringer der Abstand der beiden Ebenen ist. Wenn derselbe vollständig verschwindet, also beide Ebenen aufeinander fallen, so geht das Modell oder Relief über in eine perspektivische Zeichnung. Rückt dagegen die Verschwindungsebene in unendliche Ferne, so wird das Modell dem Original ähnlich, und wenn zugleich das Zentrum in unendliche Ferne rückt, so wird das Modell dem Original ähnlich und gleich. Die beiden letztern Fälle finden bei Statuen statt. Die Reliefperspektive, welche zuerst von Desargues, Bosse (1668), Petitot (1758) und J. A. Breysig (1798) begründet worden ist, leistet für den Bildhauer das, was für den Maler die gewöhnliche Perspektive leistet.

[405] Da die hier besprochenen Darstellungsweisen den Inhalt der darstellenden Geometrie im heutigen Wortsinn bilden, so kann im allgemeinen auf die Lehrbücher dieser Disziplin verwiesen werden (s. Geometrie); die Litteratur über Perspektive s. d. Zur ersten Einführung in die Orthogonalprojektion kann Anger, Elemente der Projektionslehre (Danz. 1862), dienen, welches Werk auch die Reliefperspektive behandelt; für Axonometrie: Weisbach, Anleitung zum axonometrischen Zeichnen (Freiberg 1857); Staudigl, Axonometrische und schiefe P. (Wien 1875, von der Weisbachschen verschiedene Auffassung); Gebr. Meyer, Lehrbuch der axonometrischen Projektionslehre (Leipz. 1855–63); für Reliefperspektive: Staudigl, Grundzüge der Reliefperspektive (Wien 1868).