Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Nordsee“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 12 (1888), Seite 232
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Nordsee. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 12, Seite 232. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Nordsee (Version vom 16.01.2023)

[232] Nordsee (Deutsches Meer), der nordöstliche Teil des Atlantischen Ozeans, wird von diesem durch die britischen Inseln als westliche Grenze und auf der entgegengesetzten Seite durch die Skandinavische Halbinsel, Dänemark und Schleswig-Holstein von der Ostsee getrennt, nach S. durch die Küsten von Frankreich, Belgien, der Niederlande und der deutschen Länder Hannover und Oldenburg begrenzt, steht nach Norden u. nach S., hier mittels des Kanals, mit dem Atlantischen Ozean und nach O. durch die Busen Skagerrak und Kattegat mit der Ostsee in Verbindung. Sie erstreckt sich durch 10 Breiten- und 11 Längengrade; ihre größte Längenausdehnung kann man zu 4500 km, ihre größte Breite zu 2600 km, ihren Flächeninhalt zu 547,600 qkm (9945 QM.) annehmen, wovon 6450 qkm auf Inseln entfallen. Man unterscheidet in der N. an der Ostseite folgende untergeordnete Teile: das norwegische Meer, mit zahlreichen tief eingreifenden Buchten (Fjorden) an der Küste Norwegens; das Skagerrak, zwischen Norwegen und Jütland; das Kattegat, zwischen Jütland und Schweden. Aus diesem führen der Sund, im O. von Seeland, der Große Belt, zwischen Seeland und Fünen, und der Kleine Belt, zwischen Fünen und Jütland, nach der Ostsee. Eine direkte Verbindung zwischen dem südlichen Teil der N. und der Ostsee wird durch den Nordostseekanal (s. d.) hergestellt. Als Buchten und Meerbusen sind noch zu erwähnen: die Hamburger Bucht, vor der Elbe- und Wesermündung, der Jadebusen, der Dollart, der Zuidersee; auf der Westseite an der schottischen Küste der Moray Firth und der Firth of Forth; an der Küste von England der Washbusen und die Themsemündung. Die N. hat Ebbe und Flut, am stärksten an den Küsten der Niederlande und Englands; aber dieselbe tritt weniger selbständig auf als in dem offenen Atlantischen Ozean und ist nur eine Nachwirkung von daher. Durchschnittlich beträgt der Unterschied zwischen Ebbe und Flut 31/3 m; bei Nordweststurm aber steigt die Flut auch wohl 7 m über die gewöhnliche Höhe und ist dann nicht selten von verheerendster Wirkung. Der gleichen sogen. Sturmfluten, als deren älteste die von 1066, welche den Anfang zum Jadebusen machte, und als deren heftigste die von 1170, 1277, 1570, 1717 und 1825 zu nennen sind, haben Tausenden von Menschen das Leben gekostet und an den flachen Küsten im Lauf der Jahrhunderte bedeutende Veränderungen hervorgerufen, indem das Meer an einer Stelle Strecken festen Landes nach und nach verschlang (vgl. Dollart), an andern Stellen dagegen gewaltige Massen erdiger Stoffe über lange Küstenstriche ausbreitete. Insgesamt berechnet man den Verlust an Marschland an der Süd- und Ostküste der N. seit dem Mittelalter auf 5055 qkm, wovon nur 2588 qkm durch Entwässerungsarbeiten wiedergewonnen sind. Die Tiefe der N. ist sehr gering und wenig wechselnd; sie beträgt im Mittel nur 88 m und übersteigt nicht 200 m. Der Meeresboden bildet ein Seehochland, das aber von der Südspitze Norwegens durch einen eigentümlichen, tief eingeschnittenen Kanal getrennt wird (s. Großbritannien, S. 761). Der Salzgehalt der N. ist beträchtlicher als jener der Ostsee und im Norden bedeutender als im S. Ihre Küsten sind meist niedrig, gegenwärtig aber fast auf der ganzen niederländisch-deutschen Strecke durch Deiche (oft zwei- und dreifach) geschützt; nur die zerrissenen Ufer von Norwegen sind hoch und felsig. Besonders bemerkenswert sind an der Südküste der N. die breit in das Meer sich ausdehnenden Sandbänke (Watten), welche den Zugang zu der Küste sehr erschweren. Zwischen den Watten befinden sich Ströme, die jedoch häufig ihren Lauf und damit auch die Ausdehnung der Watten verändern. So bilden die Eider, Elbe, Weser und Ems an ihren Mündungen dergleichen Wattenströme, die besondere Namen haben, und die ganze Jütische Halbinsel ist als eine einzige große Sandbank mit einer 450 km langen Reihe von Dünen (an der Westseite) zu betrachten. Die Schiffahrt auf der N. ist besonders wegen der vielen Sandbänke längs der Süd- und Ostküste gefährlich, was namentlich von der Fahrt um die Nordspitze Jütlands herum gilt, die sich als Sandriff weit in das Meer hinein fortsetzt. Zur Erleichterung der Schiffahrt sind längs der Küsten zahlreiche Leuchttürme errichtet und Baken oder Seemerkmale angebracht. Übrigens ist die Handelsschiffahrt auf der N. von großartigem Umfang. Ihre wichtigern Häfen sind, in England: London, Yarmouth, Hull; in Schottland: Leith und Dundee; in Frankreich: Dünkirchen; in Belgien: Ostende; in den Niederlanden: Vlissingen, Bergen op Zoom, Rotterdam, Amsterdam und Harlingen; in Deutschland: Emden, Bremerhaven, Hamburg, Altona, Tönning und Husum; in Norwegen: Bergen (s. die Karte bei „Dampfschiffahrt“). Die Zuflüsse der N. sind von S. her die Elbe, Weser, Ems, die Rheinmündungen und die Schelde, von W. die Themse, der Humber und Tay, von O. die Eider und die vielen kleinen Flüsse Schleswigs, Westjütlands und Norwegens. Die N. gefriert nie so zu wie die Ostsee, nur an den Küsten setzt sich Eis an. Sie ist zugleich sehr reich an Fischen (namentlich Kabeljaus, Schollen, Heringen, Seezungen, Steinbutten, Schellfischen) und Austern. Die bekanntesten Seebäder der N. sind zu Boulogne, Ostende, Scheveningen, auf Borkum, Norderney, Wangeroog, Helgoland, Föhr und Sylt.