Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Merseburg“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 11 (1888), Seite 501502
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Merseburg. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 11, Seite 501–502. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Merseburg (Version vom 28.08.2021)

[501] Merseburg, im Mittelalter eine Markgrafschaft zwischen Saale und Mulde zu beiden Seiten der untern Weißen Elster, gehörte ursprünglich zur thüringischen Mark, die Karl d. Gr. anlegte, der Sachsenherzog Otto um 900 bis zur Elbe erweiterte. Zu Merseburg hatte Graf Erwin, der Schwiegervater Heinrichs I., seinen Sitz. Die thüringische Mark, von Gero 940 neugeordnet, wurde bei seinem Tod 965 in drei Marken geteilt; doch das Gebiet um Merseburg (660 qkm) fiel an das neue Bistum, das Otto I. 968 zum Gedächtnis der Ungarnschlacht auf dem Lechfeld und dem heil. Laurentius zu Ehren stiftete und dem Erzbistum Magdeburg unterordnete. Der erste Bischof, Boso (gest. 970), wirkte sehr thätig für die Bekehrung der Wenden in der Gegend von Zeitz. Als sein Nachfolger Giseler 981 Erzbischof von Magdeburg geworden war, wurde das Bistum M. aufgehoben und unter die Diözesen Magdeburg, Halberstadt, Meißen und Zeitz geteilt. König Heinrich II. stellte jedoch 1004 das Bistum wieder her. Ursprünglich stand die Schutzgerechtigkeit dem Kaiser zu, der auch in der ersten Zeit die Bischöfe ernannte. Nachher aber suchten sich die Markgrafen von Meißen die Oberherrschaft über das Bistum zuzueignen, und obwohl 1288 Markgraf Friedrich darauf verzichtete und noch Kaiser Karl V. 1541 dem Bischof Siegmund die Reichsunmittelbarkeit bestätigte, haben jene und später die Kurfürsten von Sachsen-Wittenberg die Lehnshoheit über M. nicht aufgeben wollen. Von den Bischöfen von M. ist der berühmteste Thietmar (1009–1019), der Verfasser einer Chronik, die für die Zeiten Ottos III. und Heinrichs II. unschätzbare Mitteilungen enthält. Unter Herzog August von Sachsen (1544–48), Administrator des Stifts, wurde die Reformation eingeführt. Bald darauf (1561) kam infolge einer Kapitulation die Administration des Stifts definitiv an Kursachsen, dem sie auch im Westfälischen Frieden zugesprochen wurde. Christian I., Sohn des Kurfürsten Johann Georg und seit 1650 Administrator des Stifts, erhielt durch testamentarische Verfügung seines Vaters 1657 auch die Niederlausitz, die Herrschaften Dobrilugk und Finsterwalde nebst den Ämtern Delitzsch, Bitterfeld und Zörbig und wurde so der Stifter der Linie Sachsen-M., einer Nebenlinie des Kurhauses Sachsen, die aber 1738 mit Herzog Heinrich erlosch. Seit dieser Zeit war das Bistum M. ein Teil von Kursachsen, bis es durch den Wiener Kongreß 1815 etwa zu drei Vierteilen an Preußen kam und seitdem den Kreis M. bildet. Der kleinere Teil blieb bei Sachsen und ist zum Leipziger Kreis geschlagen. Das Domkapitel besteht noch gegenwärtig. Vgl. Schmekel, Beschreibung des Hochstifts M. (Halle 1858).

Merseburg, Hauptstadt des gleichnamigen Regierungsbezirks in der preuß. Provinz Sachsen und Kreisstadt, an der Saale und den Linien Weißenfels-Halle und M.-Mücheln der Preußischen Staatsbahn, 99 m ü. M.,

Wappen von Merseburg.

besteht aus der eigentlichen Stadt, der Domfreiheit, den Vorstädten Altenburg und Neumarkt und einem neuen Stadtteil, hat im Innern ein altertümliches Ansehen und besitzt 5 evangelische und eine kath. Kirche, unter erstern die ausgezeichnete viertürmige Domkirche, die nach Plänen von Adler und v. Dehn-Rothfelser 1884–86 würdig restauriert ist. Dieselbe gehört drei verschiedenen Bauperioden an: das Chor, die Krypte und die beiden Rundtürme (1042 geweiht) der rein romanischen, das Querschiff (um 1274) der spitzbogig-romanischen Periode, das Schiff mit einem barock gotisch dekorierten Portal dem 16. Jahrh. Im Innern sind das Grabmal Rudolfs von Schwaben (des Gegenkönigs Heinrichs IV.), das Grabmal des Bischofs Siegmund von Lindenau (von Hans Vischer), die reichgeschnitzte spätgotische Kanzel u. die große Orgel (1666 eingeweiht) bemerkenswert (vgl. Puttrich, Die Kirche zu M., Leipz. 1836). Das Schloß, im gotischen Stil mit drei Türmen, ehedem Residenz der Bischöfe, dient jetzt als Regierungsgebäude; in dem daran stoßenden Garten steht das gußeiserne Denkmal des Feldmarschalls Kleist v. Nollendorf. Noch sind von öffentlichen Gebäuden zu erwähnen: das Kapitelhaus, das Rathaus, die Domschule neben der Domkirche, das Waisenhaus, die alte Kirche St. Thomä in der Vorstadt Neumarkt, das Militärlazarett, die Dompropstei, das Postgebäude, das Ständehaus. Die Zahl der Einwohner beträgt (1885) mit der Garnison (3 Eskadrons Husaren Nr. 12) 16,828, meist Evangelische. Die Industrie erstreckt sich auf Eisengießerei, Armatur-, [502] Maschinen-, Cellulose- und Papierfabrikation, Fabriken in Leim und Zigarren, Gerberei, Färberei und Bierbrauerei. M. ist Sitz einer königlichen Regierung, der Landesdirektion und der Generalkommission für die Provinz Sachsen, hat ein Amtsgericht, ein Domkapitel, ein Gymnasium, ein Waisenhaus und vortreffliche Armenanstalten. – Die Stadt M. stammt schon aus der Karolingerzeit und wurde von König Heinrich I., der hier ein Asyl eröffnete, erweitert und befestigt. Sie ward Residenz der Markgrafen von M., von 968 an Sitz der Bischöfe und im 10. und 11. Jahrh., nachdem sie Otto I. zur kaiserlichen Pfalz erhoben hatte, auch Lieblingsaufenthalt der deutschen Kaiser. Von 973 bis 1302 wurden hier 15 Reichstage gehalten. Die Stadt hatte im Bauernkrieg 1525, namentlich aber im Dreißigjährigen Krieg viel zu leiden; 1631 wurde sie von Pappenheim genommen, 1632 nochmals an die Kaiserlichen übergeben, 1636 von den Schweden gebrandschatzt und 1640 von denselben geplündert. Von 1656 bis 1738 war sie Residenz der Herzöge von Sachsen-M. Die Annahme, daß der Ort der Ungarnschlacht von 933 hier zu suchen sei, hat wenig Wahrscheinlichkeit. Bei M. lieferten 29. April 1813 preußische Truppen unter v. Lobethal gegen Teile des französischen Korps Macdonald ein siegreiches Gefecht. Chroniken von M. schrieben Brotuff (1557) und Vulpius (1700).

Der Regierungsbezirk M. (s. Karte „Provinz Sachsen“) umfaßt 10,207 qkm (185,37 QM.), zählt (1885) 1,027,228 Einw. (darunter 1,003,560 Evangelische, 21,261 Katholiken und 1510 Juden) und besteht aus den 17 Kreisen:

Kreise QKilo­meter QMei­len Ein­wohner Einw. auf 1 QKilom.
Bitterfeld 696 12,64 54469 78
Delitzsch 757 13,75 59821 79
Eckartsberga 561 10,19 40039 71
Halle 25 0,45 81982
Liebenwerda 794 14,42 47568 60
Mansfeld (Gebirgskr.) 497 9,03 60758 122
Mansfeld (Seekreis) 588 10,68 89445 152
Merseburg 576 10,46 73490 128
Naumburg 162 2,94 32225 199
Querfurt 684 12,42 58492 86
Saalkreis 510 9,26 75559 149
Sangerhausen 773 14,04 70702 91
Schweinitz 1010 18,34 42178 42
Torgau 988 17,94 55657 56
Weißenfels 496 9,01 83551 168
Wittenberg 824 14,97 53468 65
Zeitz 266 4,83 47724 179

Vgl. Schadeberg, Skizzen über den Kulturzustand des Regierungsbezirks M. (Halle 1852–58, 4 Tle.).