Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Menschenopfer“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 11 (1888), Seite 473
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Menschenopfer. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 11, Seite 473. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Menschenopfer (Version vom 17.03.2024)

[473] Menschenopfer, in vielen ältern Kulten gebräuchliche Opfer lebender Menschen. In Ägypten wurden z. B. dem Busiris rothaarige Menschen geopfert, in verschiedenen semitischen Kulten dem Moloch (Melkart) die menschliche Erstgeburt dargebracht, und selbst den alten indischen, griechischen und italienischen Kulten fehlte dieser grausame Gebrauch nicht. Mit dem Fortschreiten der Gesittung wurden diese Opfer gemildert oder abgeschafft, so z. B. zunächst statt der Eingebornen Kriegsgefangene und Sklaven, dann stellvertretende Tiere und zuletzt nur noch Puppen u. dgl. geopfert. Auch wurden statt der Menschen Teile von ihrem Körper, z. B. die Vorhaut bei den Semiten, Haar und auch wohl ein einzelner Finger oder eine Portion Blut, als Lösungsmittel für das Leben hergegeben. Der Akt der Ablösung wurde in besondern Mythen (Iphigenia) verherrlicht und bestimmten Wohlthätern der Menschheit (z. B. dem Herkules, Perseus und Numa) als Verdienst angerechnet. Während das M. (namentlich das eines Kindes) als das Teuerste galt, was man den Göttern darbringen konnte, also immer den Sinn des Opfers beibehielt, gehören die ehemals sehr verbreiteten M. am Grab Verstorbener (s. Manendienst, Trauerverstümmelung und Totenbestattung) einem andern Ideenkreis an, obwohl sie einer ähnlichen Ablösung unterlagen. M. fanden in prähistorischer Zeit auch in unsern Gegenden sicher statt, wie dies ja auch von den alten Germanen von den alten Schriftstellern (Tacitus) berichtet wird. Sichere Spuren davon sind bis jetzt in den Altertümern nur selten gefunden worden, obgleich früher viel darüber geschrieben worden ist. Fraas fand z. B. in einer alten Ansiedelung auf dem Lochenstein in Württemberg einen zertrümmerten menschlichen Schädel mit ungewöhnlich starken Wandungen und ein zerhacktes Schienbein, welche in alten Zeiten und wahrscheinlich in noch frischem Zustand so übel hergerichtet worden waren.