Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
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Band 11 (1888), Seite 3740
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Madagaskar. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 11, Seite 37–40. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Madagaskar (Version vom 20.11.2023)

[37] Madagaskar (bei den Eingebornen Nosin Dambo, „Insel der wilden Schweine“, Izao rehetra izao, „dies alles“, und Izao tontolo izao, „dies Ganze“, genannt), zu Afrika gehörige Insel, von der Ostküste des Kontinents durch den Kanal von Mosambik getrennt, erstreckt sich mit ihrer Längsachse (1515 km) von NNO. (Kap Amber 11° 57′ südl. Br.) nach SSW. (Kap Ste.-Marie 25° 39′ südl. Br.), während ihre größte Querachse (580 km) von Foulpointe im O. zur Coffininsel im W. reicht (s. Karte). M. ist die drittgrößte Insel der Erde (nach Neuguinea und Borneo) und hat ein Areal von 591,563 qkm (10,743 QM.). Die Insel gehört zu den tektonischen, sie ist infolge einer durch Bewegungen in der erstarrten Erdrinde erzeugten Spaltbildung vom afrikanischen Festland losgerissen und stand früher vielleicht mit ihren heutigen Nachbarinseln (Seschellen, Komoren), ferner mit Teilen Asiens und Afrikas und unter Vermittelung des letztern selbst mit Amerika im Zusammenhang (Sclaters und Wallaces „Lemuria“). Die südwestliche und mehr noch die nordwestliche Küste werden von mächtigen Korallenriffen umsäumt; sehr ausgedehnt ist auch das nordöstliche Riff zwischen Kap Amber und Tamatave, das auch die Insel Ste.-Marie einschließt. Bedeutendere fjordartige Einbuchtungen hat die Nordwestküste in der Marambitra-, Bombetoke-, Mayambo-, Narinda-, Radama- und Pasandawabai, die Nordostküste in der Antongilbai; unbedeutender ist eine Reihe von Einschnitten südlich von Tamatave. Gute Landungsplätze finden sich nur in den Häfen Diego Soarez, zu Wohemar, Maroanzettra im Grunde der Antongilbai, zu Mawelona oder Foulpointe, zu Toamasina oder Tamatave. Im übrigen ist die Küste im N. sehr felsig, im S. flach und sandig und die Annäherung sehr gefährlich. Am Nordwestrand liegt eine Reihe kleiner, von den Franzosen seit 1841 infolge von Verträgen mit den Häuptlingen besetzter Inseln: Nossi Bé, Nossi Cumba, Nossi Mitsiu und Nossi Lava, mit bedeutendem Reisbau, zusammen 293 qkm groß mit 9339 Einw. An der Ostküste liegt die seit 1643 von Frankreich besetzte Insel Ste.-Marie (Nossi Boraha), 165 qkm groß mit 7287 Einw. und dem Hafen Port Louis.

Was die Bodengestaltung Madagaskars anlangt, so wird M. keineswegs, wie man oft annahm, in seiner ganzen Länge und in gleichen Abständen von der Ost- und Westküste von einer großen Gebirgskette

durchzogen, die Wasserscheide liegt vielmehr 100–120 km vom Ostrand. Grandidier unterscheidet fünf verschiedene Gebirgsketten, welche sämtlich von NNO. nach SSW. verlaufen. Die erste, von W. gerechnet, ist niedrig, die zweite, Bemaraha genannt, ist anfangs schmal, bildet aber später mit der ersten eine weite Hochebene. Alle drei ersten Ketten werden durch Sandebenen oder trockne, von wenig tiefen Rinnsalen durchfurchte Hochebenen getrennt. Die beiden andern Ketten, östlich von 43° 20′ östl. L. v. Gr., bilden eine ungeheure Masse granitischer Berge, die durch zwei verschiedene Erhebungen entstanden zu sein scheinen. Die erste erstreckt sich von der Halbinsel Anurutsangane bis 22° südl. Br. und hat eine durchschnittliche Breite von 160 km, die zweite zieht die ganze Ostküste von Wohemar bis Fort Dauphin [38] entlang. Dieses große granitische Massengebirge hat nur eine durchschnittliche Höhe von 1000–1200 m; die höchsten Gipfel liegen nahe dem Mittelpunkt der Insel im Ankaratragebirge; es sind dies Ambohimirandrana (2350 m), Ankawitra (2530 m), Tsiafakafo (2540 m) und Tsiafajavona (2590 m). Nach Sibree erstreckt sich eine vulkanische Linie in ununterbrochenem Zug von SO. nach NW. und bis zur äußersten Nordspitze mit zahlreichen ausgebrannten und zum Teil mit Wasser gefüllten Kratern. Daß die vulkanischen Kräfte noch nicht ganz erloschen sind, beweisen leichte, jährlich vorkommende Erdstöße und mehrere heiße Quellen. Der Grundstock der Gebirge scheint durchgängig aus Granit und Gneis zu bestehen; im erstern ist Quarz in mächtigen Adern abgesondert. Bergkristalle sind häufig, und Basalt findet sich in großen, gebirgsartigen Anhäufungen. Der südwestliche Teil des Ankaratragebirges enthält ein Lager kohlensauren Kalks mit Höhlen voller Stalaktiten. Auf den Ebenen und in den Thälern erscheinen sekundäre, zahlreiche Versteinerungen bergende Lager; im SW. haben Grandidier und Hildebrandt die fossilen Reste von Flußpferden, Riesenschildkröten und Straußvögeln aufgefunden. Sibree berichtet von erratischen Blöcken in verschiedenen Teilen der Insel, deren Ablagerung man mit Gletschern in Zusammenhang denken müßte. Die beträchtlichsten Flüsse nehmen ihren Lauf von O. nach W., die meisten weisen zahlreiche Fälle und Stromschnellen auf, und nur wenige sind für größere Fahrzeuge und auch diese nur auf kurze Strecken schiffbar. Nach Sibree kann der bedeutendste, der Betsiboka, 145 km von seiner Mündung aufwärts mit Dampfern von geringem Tiefgang befahren werden. Die östlichen Mündungen sind zum Teil durch Sandbänke verlegt. Seen sind nicht zahlreich. Die größten sind der Alaotra (42 km lang und 6–7 km breit), der Tasi, der Kinkony und der Andranomena. Ausgedehnte Strandseen hat namentlich die Ostküste.

Das Klima ist an der Küste heiß und ungesund, im höhern Innern aber, wo sich die Berge im Winter mit Schnee bedecken, auch Europäern zuträglich. In Antananarivo fällt das Thermometer im Januar nicht unter 15°, im Juni nicht unter 6° C. und steigt im November nicht über 28,5°, im Juni nicht über 22° C. An der Westküste zu Tullear notierte Grandidier als niedrigste Temperatur im Juli 10°, im Januar 24° C., als höchste im Juli 27°, im Januar 33° C. Der Mineralreichtum der Insel ist noch wenig bekannt, da die Gesetze der Hova das Suchen nach Metallen unter schweren Strafen verbieten. Sehr weit verbreitet sind Eisenerze, die sich namentlich im zentralen Plateau finden; auch Kupfer, Ocker, Graphit, Steinsalz, Salpeter, Silber, Antimon, Mangan und Gold kommen vor. Ein Kohlenbecken von 3000 qkm Umfang soll sich zwischen 12° 26′ und 13° 37′ südl. Br. befinden. Der Eisenkies liefert Schwefel; die gefundenen Edelsteine sind aber wenig schön. Salz-, Eisen- und Schwefelquellen von hoher Temperatur sind häufig. Die Pflanzenwelt ist von einem Reichtum und einer Mannigfaltigkeit, wie man sie nirgends sonst antrifft. Die ganze Insel wird von einem Streifen Urwald umsäumt, der eine durchschnittliche Breite von 25–30 km besitzt. Zuweilen laufen zwei solcher Streifen nebeneinander parallel. Auch im Innern, namentlich nach N. zu, finden sich sehr ausgedehnte tropische Waldgebiete, während im S. großenteils nur Buschdickichte und dicht bewachsene Grasgefilde existieren. Das Gebirgsland ist meist traurig öde und nur mit grobem Gras bedeckt, die Thäler zeigen aber eine reichere Vegetation. Die nennenswertesten Bäume sind der Baobab, die Fächerbanane Ravenala (der sogen. „Baum der Reisenden“, weil die aufrecht stehenden Blattscheiden lange Zeit Wasser enthalten), die hoch wachsende Chrysopia, Eben-, Rosen-, Palisanderholz u. a. Harz liefernde Bäume sind gleichfalls zahlreich vorhanden. Gebaut werden: Baumwolle, Hanf, Reis, Kaffee, Tabak, Zuckerrohr, Kartoffeln, Mais, Hirse, Maniok, Bohnen; dagegen werden Weizen, Hafer und Gerste wenig geschätzt. Die Kokosnuß kennt man seit zwei Jahrhunderten, Bataten und Bananen seit undenklichen Zeiten. Zitronen, Orangen, Pfirsiche und Maulbeeren gedeihen vorzüglich. Auch an Farbepflanzen ist M. reich. Noch mehr als die Pflanzenwelt überrascht die Fauna durch seltsame Formen. Man findet hier keins der großen Säugetiere Afrikas, aber dafür Arten, welche der Insel allein angehören. Zu den wunderbarsten Vertretern der madegassischen Tierwelt gehören die Halbaffen (Lemuridae), die merkwürdige Frettkatze (Cryptoprocta ferox), das Wildschwein; von 238 Vogelarten gehören 129 M. an, die den amerikanischen weit näher verwandt sind als den afrikanischen. Auch die Reptilien und Amphibien weisen sehr merkwürdige Formen auf. Die fossile Fauna, ein kleiner Hippopotamus, ein Krokodil, ein Riesenvogel u. a., weist auf den ehemaligen Zusammenhang mit den Ländern im O. und W. hin.

Die Bevölkerung wird von einigen Reisenden auf 6, von Grandidier aber auf nur 3 Mill. geschätzt. Nach ihm wohnen in dem zentralen Imerina 1 Mill. Hova; ihre Nachbarn, die Betsileo, zählen 600,000. Im O. und S. wohnen 1 Mill., und die übrigen Völkerschaften zählen kaum 500,000 Seelen. Die Bevölkerung besteht aus verschiedenen Bestandteilen. Ein Teil kam aus Ostafrika, ein andrer aus Arabien und Indien, ein dritter wahrscheinlich aus Polynesien. Aus der Vermischung derselben sind zwei Rassen hervorgegangen, die eine mit olivenfarbigem Teint, die andre mit schwarzer oder dunkelbrauner Hautfarbe. Als Urbewohner Madagaskars betrachtet man die Wazimba, Kimo und Kalio, letztere, wie es heißt, pygmäenhafte Wesen mit wolligem Haar. Negroid sind die Sakalaven (s. Tafel „Afrikanische Völker“, Fig. 27) an der Westküste und Nordspitze, welche die übrigen Weststämme allmählich unterjocht und denselben den eignen Namen gegeben haben. An der Westküste leben außer afrikanischen Sklaven noch Araber, Inder und Suaheli. Die übrigen Stämme: die Betsileo, die Bara im S., die Tanala oder Waldleute mit fast unzugänglichen Bergorten, die Tonkai, welche von der Beförderung der Waren zwischen der Küste und dem bergigen Innern leben, die Sihanaka im nördlichsten Waldgürtel, die Betsimisaraka an der Ostküste, sind alle mehr oder weniger dem herrschenden Volk der Insel, den Hova, unterthan. Die Hova, ein Mischvolk aus polynesischen und afrikanischen Elementen, sind von Mittelgröße (1,6 m), schlank und wohlgebaut, mit gerader oder gebogener, stumpfer Nase, großem Mund mit fleischigen Lippen und zurückweichendem Kinn. Die Männer schneiden das Haar kurz, so daß es bürstenartig emporsteht, oder sie lassen es einige Zentimeter lang. Um die Lenden wird ein Zeugschurz gewunden und darüber ein langer, breiter Überwurf, die Lamba, in schönen vollen Falten drapiert. Bei den Offizieren und höhern Beamten von Seide, ist er für die Adligen rot, für die andern weiß, auch mit roten oder bunten Streifen verziert. Die Beine bleiben nackt. An die Stelle dieser malerischen Kleidung tritt [39] jetzt leider häufig europäischer Plunder. Die Prinzen stolzieren in Generalsuniform, die Prinzessinnen in bauschigen Seidenroben, höhere Staatsbeamte tragen den Frack, lange Beinkleider und Lackstiefel. Die Elitetruppe in Antananarivo ist anständig und gleichmäßig uniformiert, in den Provinzen dagegen paradieren die Soldaten in den unglaublichsten Uniformen. Die ursprünglichen Waffen waren Lanzen und Schilde, Bogen und Pfeil, jetzt herrscht das Feuergewehr vor. Die Wohnungen werden aus rotem Thon aufgemauert, das sehr steile, auf starken Pfählen ruhende Giebeldach wird mit Heu oder Binsen gedeckt; eine ummauerte Bodenstelle dient als Herd, der Rauch entweicht durch Thür und Fenster. Die Ansiedelungen werden durch Palissaden oder Mauern eingeschlossen. Hauptnahrung ist der Reis, auch wird viel Fleisch genossen. Das Volk bedient sich der Löffel und Blätter, die Vornehmen haben europäisches Tafelgeschirr. Tabak wird meist nur geschnupft und gekaut. Der Landbau dreht sich in erster Linie um die Reiskultur; aus Zuckerrohr werden Zucker und schlechter Rum bereitet. Die Rinder gehören einer schönen Zeburasse an, das Schaf ist das haarige, fettschwänzige; unter den vielen eingeführten Schweinerassen herrscht die chinesische vor. Die Pferde gedeihen aber gar nicht. Neben der einheimischen Seidenraupe ist die echte eingeführt worden. Man webt sehr dauerhafte Seidenstoffe und Baumwollenzeug, bereitet schöne Zeuge aus den Blattfäden der Raphiapalme und aus Rinde sowie Matten aus Gräsern, Papyrusbast und Binsen. Äußerst geschickt sind die Madegassen in Filigranarbeiten aus Gold und Silber. Das Bambusrohr dient, wie im Indischen Archipel, den allerverschiedensten Zwecken. Die Sprache gehört zur malaiisch-polynesischen Sprachfamilie, sie scheint mit der philippinischen Tagalensprache nähere Verwandtschaft zu haben. Daß sie durchaus keine Verwandtschaft mit afrikanischen Idiomen hat, wie behauptet wird, ist noch nicht erwiesen. Der grammatische Bau ist einfach. Man unterscheidet den Hova- und den Sakalavendialekt. Die Ehe ist eine reine Geschäftssache, und obwohl die Madegassen offiziell sich zum Christentum bekennen (das Volk ist nominell presbyterianisch, 10,000 katholisch), so halten sie doch häufig an der Vielweiberei fest. Keuschheit wird von den Frauen nicht verlangt, doch wird Ehebruch bestraft. Die Sitte der Beschneidung verschwindet seit Einführung des Christentums mehr und mehr. Wie auch sonst in Afrika wird die Blutsverbrüderung, die Falotra, eifrig geübt. Von Charakter sind die Hova leidenschaftlich, empfindlich und rachsüchtig, zeigen sich aber äußerlich höflich und erheucheln lauernd eine kühle Indifferenz. Im Handel sind sie äußerst verschlagen, und an Zuverlässigkeit lassen sie viel zu wünschen übrig. Die frühere Religion war ein Wasserfetischdienst, und hoch im Schwange stand die Wahrsagerei. Jetzt sind sehr viele zum Christentum bekehrt, doch wuchert trotzdem noch der unsinnigste Aberglaube. Das Gerichtsverfahren beruhte auf Gottesurteilen, vornehmlich in dem Trinken des Tangena, eines Gifttrankes, wobei viel Betrug geübt wurde. Das Volk teilt sich in drei ziemlich scharf gesonderte Klassen: Andriana oder Adlige, Hova, den Mittelstand, und Andewo, Sklaven, meist von Kriegsgefangenen und afrikanischen Schwarzen abstammend.

Das Hovareich ist ein durchaus despotisch regierter Staat, in welchem der Herrscher absolute Gewalt über Besitz und Leben aller Unterthanen hat. Der erste Minister, jetzt Gemahl der Königin, ist eine Art Majordomus, seine Macht ist unumschränkt, und die übrigen Minister sowie das in neuester Zeit geschaffene, aus 100 Mitgliedern bestehende Parlament sind durchaus von ihm abhängig. Von den Beamten werden nur die Schullehrer regelrecht besoldet; die übrigen leben sämtlich von Geschenken, Erpressungen und Unterschlagungen. Die Regierung zieht ihre Einkünfte aus Zöllen und Steuern. Das Land ist in zehn Distrikte geteilt, die wiederum in Kreise zerfallen. Dem Aufschwung des Verkehrs ist der Mangel an ordentlichen Straßen außerordentlich hinderlich. Ausfuhrartikel sind: Häute, Hörner, Talg, Wachs, Rinder, Schweine, Schmalz, Salz, Fleisch, Federharz, etwas Kaffee und Vanille, viele Matten und Säcke zum Verpacken von Kaffee, Tabak und Reis. Eingeführt werden: Baumwollgewebe, Kleidungsstücke, Schirme, Wäsche, Glaskorallen, Porzellan, Steingut, Glas, Wein, Rum (von Mauritius), Eisenwaren, Pferde. Den Gesamthandel schätzt man auf 30 Mill. Frank, derselbe könnte aber bei bessern Verkehrsmitteln sehr viel bedeutender sein. Amerikaner, Engländer, Franzosen, auch Deutsche sind die am meisten beteiligten Nationen. Die Hovaregierung erhebt in Waren zahlbare Einfuhrzölle von 10 Proz.; ausgeschlossen sind Pulver und Blei, die nur von der Regierung importiert werden dürfen. Die Ausfuhrzölle betragen 10–35 Proz. Man unterscheidet Wolatsiwaki, d. h. unzerteiltes Geld, ganze Säulen- oder Fünffrankenthaler, und geteiltes Geld, indem man den Thaler in vier Stücke teilt und diese abwägt. Auch Reiskörner bilden Kleingeld. Hauptstadt des Hovareichs ist Antananarivo, das, auf hügeligem Terrain gelegen, sich terrassenförmig erhebt und mit seinen vielen Hütten, größern Giebelhäusern (darunter der königliche Palast) und Kirchen alle andern Orte überragt. Die Einwohnerzahl soll 80,000 betragen. Die Haupthäfen sind Tamatave an der Ostküste mit Befestigungen, einer Reede und 3000 Einw., auch Sitz eines deutschen Konsuls, und Majunga an der Nordwestküste. S. Tafel „Flaggen“.

[Geschichte.] M., von den Arabern Dschesira el Komr („Mondinsel“) genannt, wird schon von Marco Polo in der zweiten Hälfte des 13. Jahrh. unter dem Namen Magastar oder Madugascar erwähnt, wurde aber erst 2. Febr. 1506 von dem Portugiesen Antão Gonsalves wieder aufgefunden und nach dem Heiligen des Entdeckungstags Lorenzinsel oder Isla de São Lourenço genannt. Später richteten die Franzosen ihr Augenmerk auf M.; bereits Heinrich IV. ließ dort das Fort Dauphin errichten, und auf Betreiben des Kardinals Richelieu erklärte König Ludwig XIII. 24. Juni 1642 die Insel für ein Besitztum Frankreichs. Auf diesen vorgeblichen „Rechtstitel“ gründet Frankreich noch gegenwärtig seine Ansprüche auf die Insel. Es wurden darauf von den Franzosen einige Häfen an der Küste okkupiert, zeitweilig wieder aufgegeben und dann gelegentlich abermals in Besitz genommen. Die Eindringlinge erbitterten aber durch ihre Ausschweifungen die Eingebornen in dem Grade, daß dieselben dreimal die Kolonisten niedermetzelten, 1652 zu Manghisia, 1670 auf dem Fort Dauphin und 1754 auf der Insel Ste.-Marie. Eine Zeitlang war ein Überrest der gefürchteten Flibustier, die an den Küsten Seeraub trieben und die Sklaverei einführten, das einzige europäische Element auf M. Die französische Regierung ließ zwar 1746 und 1774 durch den Grafen Benjowski (s. d.) einige Versuche machen, die Insel zu kolonisieren; da diese aber mißlangen, so begnügte sie sich damit, mehrere Faktoreien anzulegen, um die benachbarte Insel Bourbon mit den nötigen [40] Lebensmitteln zu versorgen. Diese Besitzungen gingen in den Revolutionskriegen an England verloren, wurden jedoch durch die Wiener Verträge von 1814 und 1815 den Franzosen wieder zurückgegeben. Ein um so größeres Interesse hatte England fortan an der Aufrechthaltung der Selbständigkeit der Insel, und es erkannte den damaligen König der Hova, Radama I. (1810–28), als König von M. an. Gleichzeitig sandte es Missionäre nach M., die bis 1828 einige Buchdruckereien angelegt und schon 100 Schulen gestiftet hatten, in denen 5000 Kinder christlich unterrichtet wurden. Englische Offiziere organisierten Radamas Heer. Hierdurch gelang es diesem, sich einen Stamm nach dem andern zu unterwerfen, bis er zuletzt auch die französische Besatzung im Fort Dauphin angriff und vertrieb; den Engländern wurden dagegen alle Häfen eröffnet, und sie waren im faktischen Besitz des Landes. Aber Radama starb 27. Juli 1828 an Gift, das ihm seine Gattin Ranavalona beigebracht, welche 3. Aug. 1828 von der Volksversammlung zur Herrscherin ausgerufen wurde. Die neue Königin war den Fremden abgeneigt und brach den mit den Engländern angeknüpften Handelsverkehr wieder ab. Auch haßte sie das Christentum, zerstörte die Missionen, verjagte die Missionäre und ließ viele Christen hinrichten. Die Franzosen versuchten zwar 1829 an zwei Punkten zu landen, wurden aber bei Foulpointe geschlagen. Frankreich und England vereinigten sich 1845 zu einer gemeinschaftlichen Expedition gegen die Stadt Tamatave und schossen sie in Brand, mußten sich aber nach einem unglücklichen Sturm auf das Fort mit Verlust auf ihre Schiffe zurückziehen. Die Folge waren nun blutige Christenverfolgungen auf der Insel. Nachdem jedoch der Kronprinz Rakoto und andre Prinzen 1846 offen zur christlichen Kirche übergetreten waren, erlangten englische Missionäre, namentlich seit 1853, wieder Eingang auf M. und erwirkten auch die Freigebung des Handels. Mit Ranavalonas Tod und der Thronbesteigung ihres Sohns Rakoto als Radama II. (16. Aug. 1861) gestalteten sich die Verhältnisse günstiger für die Europäer. Radama II. öffnete den Fremden bereitwillig sein Land, schaffte alte barbarische Gebräuche ab und suchte die Bildung seines Volkes zu befördern. Durch die Rücksichtslosigkeit aber, mit welcher er Fremde bevorzugte und den Wünschen der einheimischen Edelleute und Priester entgegentrat, erregte er deren Unzufriedenheit, und es ward eine Verschwörung gegen ihn angezettelt, als deren Opfer er 12. Mai 1863 fiel. Seine Witwe Rabodo, welche als Königin den Namen Rasoherina annahm, bestieg darauf den Thron, verlor aber bald ihr Ansehen völlig und befand sich ganz in der Gewalt ihres Premierministers, dem sie unklugerweise und zum Verdruß des Volkes ihre Hand gereicht hatte. 1865 kam es zu einem förmlichen Aufstand des Volkes gegen die Franzosen, während England 27. Juni 1865 einen äußerst günstigen Freundschafts- und Handelsvertrag mit M. abschloß. Rasoherina starb 1. April 1868, und nach einigen Streitigkeiten über die Thronfolge zwischen der alten Hovapartei und dem Premierminister der verstorbenen Königin, Rainitaiarivoy, ward einer Verwandten derselben, Ramona, unter dem Namen Ranavalona Majonka II. die Krone übertragen. Die neue Königin zeigte sich dem Christentum günstig und ließ sich nebst einem großen Teil des Adels 21. Febr. 1869 taufen. Trotz der Entrüstung der heidnischen Priesterschaft und der Masse des Volkes befahl sie darauf die Zerstörung der alten Götzenbilder, deren strafloses Gelingen solchen Eindruck auf das Volk machte, daß es in großer Zahl zum Christentum übertrat. 1877 wurde die Sklaverei abgeschafft. Als 1882 die Franzosen über Belästigung ihrer Mitbürger, Verweigerung des Verkaufs von Land u. dgl. Beschwerde führten, schickten die Hova eine Gesandtschaft nach Europa, welche mit mehreren Staaten, auch mit Deutschland, Handelsverträge schloß, aber mit Frankreich keine Vereinbarung zu stande brachte, da letzteres die Schutzherrschaft nicht bloß über die Sakalaven, sondern über die ganze Ostküste beanspruchte. Frankreich schickte darauf 1883 ein Geschwader nach M., das mehrere Küstenplätze bombardierte und 13. Juni Tamatave besetzte. Auch die neue Königin, Ranavalona III., welche nach Ranavalonas II. Tod (13. Juli) den Thron bestieg, ihren Premierminister Rainilairivony heiratete und 22. Nov. feierlichst gekrönt wurde, weigerte sich, die französischen Forderungen zu bewilligen, und beanspruchte die Herrschaft über ganz M. Obwohl nun die Versuche der Franzosen, 1885 von Tamatave in das Innere von M. einzudringen, an dem tapfern Widerstand der Madegassen scheiterten, schlossen diese doch 17. Dez. mit Frankreich einen Vertrag, der diesen eine Schutzherrschaft, namentlich die Vertretung in allen auswärtigen Beziehungen, einräumt; M. sollte 10 Mill. Kriegskosten bezahlen, bis dahin Tamatave von den Franzosen besetzt bleiben. Ein französischer Generalresident (Le Myre de Vilers) nahm mit einer kleinen militärischen Eskorte seinen Sitz in Tananarivo. Vgl. Ellis, History of M. (Lond. 1838); Derselbe, Three visits to M. (das. 1858); Bocage, M., possession française depuis 1642 (Par. 1859); Ida Pfeiffer, Reise nach M. (Wien 1861, 2 Bde.); Mears, The story of M. (Philad. 1873); Grandidier, Histoire physique, naturelle et politique de M. (Par. 1876 ff., auf 28 Bde. berechnet); Sibree, M., Geographie, Naturgeschichte, Ethnographie der Insel etc. (deutsch, Leipz. 1881); Escamps, Histoire et géographie de M. (neue Ausg., Par. 1884); Little, M., its history and people (Lond. 1884); R. Hartmann, M. und die Seychellen etc. (Leipz. 1886); Oliver, M., an historical and descriptive account (Lond. 1887, 2 Bde.). Ein madegassisch-englisches Wörterbuch gab Richardson (1886) heraus.


Ergänzungen und Nachträge
Band 17 (1890), Seite 545
korrigiert
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[545] Madagaskar. Die an der Nordspitze der Insel gelegene Bai von Diego Suarez oder Antomboka unter 12° 14′ südl. Breite wurde mit dem sie umgebenden Küstenland von Frankreich in Besitz genommen. Die Bai dringt an der Spitze einer langgestreckten Halbinsel, welche im Kap Ambre endigt, durch eine enge, aber tiefe Einfahrt weit ins Land ein und bildet nun ein großes, geschütztes Becken, das eine starke Flottenabteilung aufnehmen könnte. Der Hafen steht durch die Dampfer der Messageries maritimes mit den übrigen Häfen Madagaskars sowie mit Mosambik in Verbindung.


Jahres-Supplement 1891–1892
Band 19 (1892), Seite 597
korrigiert
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[597] Madagaskar, s. Mission, S. 629.