MKL1888:Landwirtschaftliche Vereine

Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Landwirtschaftliche Vereine“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 10 (1888), Seite 491493
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Landwirtschaftliche Vereine. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 10, Seite 491–493. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Landwirtschaftliche_Vereine (Version vom 02.03.2024)

[491] Landwirtschaftliche Vereine (Ackerbaugesellschaften), Vereinigungen von Landwirten zur Förderung ihrer Interessen und zur Hebung der Landwirtschaft. Sie geben den Landwirten Gelegenheit, ihre Kenntnisse zu erweitern, über Fragen des landwirtschaftlichen Betriebs sich zu besprechen, gemeinsame Unternehmungen zu beraten und durchzuführen, ihre Interessen dem Staat und andern Berufsklassen gegenüber geltend zu machen. Nach einer Zusammenstellung von H. F. Brachelli („Die Staaten Europas“, 4. Aufl., Brünn 1883, S. 70) gab es 1883 l. V. in:

Staaten Landes- und Zentral­vereine Bezirks- und Zweig­vereine Selbst. Forst­vereine Andre Vereine Zu­sammen
Deutschland 137 2648 22 860 3667
 Preußen 48 1271 11 398 1728
 Bayern 9 228 3 226 466
 Sachsen 7 581 1 48 637
 Württemberg 14 100 1 39 154
 Baden 17 74 1 14 106
 Andre Staaten 42 394 5 135 576
Österreich-Ungarn 25 798 12 240 1075
 Österreich 22 741 10 210 983
 Ungar. Staatsgebiet 3 57 2 30 92
England 108 38 146
Frankreich 121 2 835 958
Italien 35 169 204
Rußland 45 17 1 19 82
Finnland 1 1
Schweden 27 27
Norwegen 1 18 19
Dänemark 4 37 33 74
Niederlande 13 194 4 211
Luxemburg 2 2
Belgien 17 25 127 169
Schweiz 6 158 1 248 413
Spanien 2 73 1 9 85
Portugal 1 21 22
Griechenland 1 1
Rumänien 32 32
Summa: 546 4000 39 2603 7188

In Deutschland entstanden die ersten landwirtschaftlichen Vereine um die Mitte des vorigen Jahrhunderts. Zu den ältesten gehören: die Thüringische Landwirtschaftsgesellschaft zu Weißensee (1762), die Königliche Landwirtschaftsgesellschaft zu Celle (1764, jetzt Landwirtschaftlicher Zentralverein für die Provinz Hannover), die Landwirtschaftliche Societät in Leipzig (1764), die Physikalisch-ökonomische Societät zu Lautern (1769), die Ökonomische Societät der Fürstentümer Schweidnitz und Jauer (1772), die Ökonomisch-patriotische Gesellschaft zu Breslau (1772) etc. [492] Die eigentliche Entwickelung und Verbreitung des landwirtschaftlichen Vereinswesens erfolgte aber erst seit der Mitte dieses Jahrhunderts. In Preußen gab es 1815 nur 8, 1820 nur 15, 1830 nur 45 l. V. In den 30er Jahren beginnt eine stärkere Ausdehnung. Man zählte 1840: 145, 1850: 313, 1860: 541, 1870: 865. Im J. 1881 gab es: 33 Provinzial-, Zentral- und Hauptverbände mit 262 Kreisvereinen, 615 Ortsvereinen, 357 Bauernvereinen, 22 Pferdezuchtvereinen, 4 Rindviehzuchtvereinen, 31 Geflügelzuchtvereinen, 68 Bienenzucht- und Seidenzuchtvereinen, 22 Obst- und Gartenbauvereinen und 18 weitern verwandten Vereinen. Die 1399 Vereine hatten eine Mitgliederzahl von 118,560. Auf die einzelnen Provinzen kamen:

Provinzen Haupt­vereine Unter­verbände Mit­gliederzahl
Ostpreußen 2 139 6108
Westpreußen 1 66 2539
Pommern 2 80 4319
Brandenburg 3 111 9069
Sachsen 1 84 10772
Posen 4 46 2916
Schlesien 1 73 7090
Westfalen 5 87 16870
Rheinland 1 390 18365
Hohenzollern 1 14 2031
Schleswig-Holstein 1 77 10095
Hannover 9 176 22759
Hessen-Nassau 2 56 5627

Die eignen Einnahmen der Vereine betrugen 742,126 Mk., die Staatszuschüsse 739,440 Mk. Außer diesen zentralisierten, mit der Staatsverwaltung in Verbindung stehenden Vereinen gibt es noch zahlreiche nicht zentralisierte Vereine für landwirtschaftliche und verwandte Zwecke. In ähnlicher Weise haben die landwirtschaftlichen Vereine auch in den übrigen deutschen Staaten zugenommen. Für die Verbreitung und erhöhte Wirksamkeit der landwirtschaftlichen Vereine war von großer Wichtigkeit, daß sich in den einzelnen Provinzen und Ländern die Lokalvereine zu Zentralvereinen verbanden und mit der Staatsgewalt in eine geregelte Verbindung traten. Die Zentralisierung erhöhte den Einfluß der Vereine und führte zu einem den ganzen Zentralvereinsbezirk umfassenden Netz von Lokalvereinen, die Verbindung mit der Staatsgewalt führte den Vereinen aus der Staatskasse Geldmittel zu und ermöglichte der Staatsgewalt eine Einwirkung auf die Vereinsthätigkeit. Heute sind die landwirtschaftlichen Vereine in allen deutschen Staaten, mit Ausnahme einiger ganz kleiner, so organisiert, daß die Lokalvereine eines Landes oder eines größern Landesteils einen Zentralverband (unter verschiedenen Namen) bilden, welcher den direkten Verkehr mit der Staatsregierung pflegt. Bei einem Teil der Zentralvereine sind weiter für die einzelnen Zweige des landwirtschaftlichen Betriebs und für die einzelnen Zwecke der landwirtschaftlichen Vereine besondere Sektionen des Zentralvereins und der Lokalvereine (für Ackerbau, Viehzucht, landwirtschaftliche Nebengewerbe, Meliorationen, Genossenschaftswesen, Unterricht etc.) eingerichtet, um dadurch die Einwirkung der Vereine auf die Verbesserung des Betriebs und die Erhöhung des Reinertrags der Landwirte im Vereinsbezirk zu steigern, und ferner bestehen noch neben den landwirtschaftlichen Vereinen besondere Ortsvereine. Mit dieser Organisation ist der Landwirtschaftliche Zentralverein der Rheinprovinz den andern vorangegangen, und sie hat sich dort vortrefflich, namentlich zur Hebung der bäuerlichen Wirtschaften, bewährt. Der Staat unterstützt die landwirtschaftlichen Vereine mit Geldmitteln, erfordert deren Gutachten und nimmt ihre Wünsche entgegen. Die Staatsmittel dürfen nur zu den vorgeschriebenen oder vereinbarten Zwecken verwendet werden; im übrigen ist die Thätigkeit der landwirtschaftlichen Vereine eine ganz freie. Die landwirtschaftlichen Vereine haben in den letzten 50 Jahren auf die Verbesserung des landwirtschaftlichen Betriebs und Hebung der landwirtschaftlichen Bevölkerung wie der Landwirtschaft (Gründung von Versuchsstationen und landwirtschaftlichen Kreditanstalten, Förderung von Ausstellungen, Wettkulturen u. dgl.) unzweifelhaft günstig gewirkt; die Wirksamkeit derselben aber könnte und würde eine noch viel größere sein, wenn die Beteiligung der Landwirte an den Vereinen eine allgemeinere und ihre Mitwirkung an den Aufgaben derselben eine intensivere sein würde. Das letztere würde am sichersten erreicht werden, wenn allgemein die Bildung von Sektionen (wie in der Rheinprovinz) und dazu in Gegenden mit stark parzelliertem Besitz die Bildung von Ortsvereinen durchgeführt würde. Verringert wird die Wirksamkeit der landwirtschaftlichen Vereine auch dadurch, daß die Beiträge meist zu niedrig sind und den Vereinen die genügenden Geldmittel fehlen. – Aus dem Bedürfnis der deutschen Landwirte, einen gemeinsamen Vereinigungspunkt und ein Organ zur Vertretung der gemeinsamen Interessen zu haben, entstand die Wanderversammlung der deutschen Land- u. Forstwirte, welche zum erstenmal 1837 in Dresden tagte und dann über 30 Jahre lang alljährlich an einem Orte Deutschlands stattfand. Sie erlag der Konkurrenz mit dem im J. 1867 gegründeten Kongreß norddeutscher Landwirte, welcher 1872 sich zum Kongreß deutscher Landwirte erweiterte. Dieser wurde seit 1875 wesentlich das Organ einer politischen Partei (der Agrarier) und verlor dadurch an Bedeutung. Neben ihm wurde 1872 der Deutsche Landwirtschaftsrat (s. d.) gegründet, aber nicht, wie der Kongreß, als eine freie Versammlung deutscher Landwirte, sondern als eine aus 60 gewählten Mitgliedern bestehende Vertretung aller landwirtschaftlichen Zentralvereine. Österreichs l. V. sind gleichfalls zentralisiert, doch gibt es auch zahlreiche nicht zentralisierte Vereine für einzelne Zweige der Landwirtschaft. Die oberste Leitung untersteht dem Ackerbauministerium. In der Schweiz besitzt jeder Kanton seinen landwirtschaftlichen Kantonalverein, welcher sich jährlich zu einer allgemeinen Versammlung vereinigt; die nennenswertesten sind die zu Basel, Bern, Genf, Lausanne und Zürich. Das landwirtschaftliche Vereinswesen in Frankreich erfreut sich dort einer hohen Würdigung. Gewöhnlich ist mit den zahlreichen Sociétés des sciences eine Sektion für Ackerbau verbunden; außer diesen gibt es aber noch sehr viele selbständige, ausschließlich der Landwirtschaft gewidmete Lokalvereine, welche immerhin von Bedeutung sind und gewöhnlich die Namen Sociétés d’agriculture, bez. Comices agricoles führen. Gewöhnlich bilden die in den Hauptstädten der Departements befindlichen Vereine eine Art Konzentrationspunkt für die in den meisten übrigen Departementsstädten von größerer Einwohnerzahl befindlichen Vereine. Mit der Regelung des Landwirtschaftswesens in Frankreich überhaupt ist auch hier das Ackerbauministerium betraut. Ähnliche Verhältnisse finden sich in England, wo bereits 1723 die Society of Improvers in the knowledge of Agriculture in Scotland, wohl der älteste aller landwirtschaftlichen Vereine, gegründet wurde, dann in Italien und Rußland. Große Aufmerksamkeit wird dem [493] landwirtschaftlichen Vereinswesen in den Vereinigten Staaten von Nordamerika geschenkt, deren jeder durch eine State Agricultural Society vertreten ist.