Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Kotzebue“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 10 (1888), Seite 125127
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Kotzebue. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 10, Seite 125–127. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Kotzebue (Version vom 04.04.2023)

[125] Kotzebue (spr. -buh), 1) August Friedrich Ferdinand von, der fruchtbarste und gewandteste Lustspieldichter der Deutschen, geb. 3. Mai 1761 zu Weimar, wo sein Vater Legationsrat war, widmete sich zu Jena und Duisburg juristischen Studien und ließ sich hierauf als Rechtsanwalt in seiner Vaterstadt nieder, ging aber schon 1781 nach Petersburg, wurde Sekretär bei dem Generalgouverneur v. Bawr, 1783 Assessor des Oberappellationstribunals in Reval und 1785 Präsident des Gouvernementsmagistrats der Provinz Esthland, gleichzeitig in den Adelstand erhoben. Inzwischen hatte er sich durch eine Reihe von Erzählungen, wie „Leiden der Ortenbergischen Familie“ (1785 f.), und mehrere sentimentale Dramen (namentlich „Menschenhaß und Reue“ und „Die Indianer in England“) zum Liebling des Publikums gemacht, wogegen ihm das 1790 in Pyrmont (wo er eine Brunnenkur gebrauchte) unter Knigges Namen herausgegebene Pasquill „Doktor Bahrdt mit der eisernen Stirn“ in der öffentlichen Meinung sehr schadete. Nach dem Tod seiner ersten Gemahlin (einer Tochter des russischen Generalleutnants v. Essen) nahm er seine Entlassung aus dem Staatsdienst, privatisierte in Paris und Mainz und zog sich 1795 auf sein Landgut Friedenthal bei Reval zurück, fortwährend nur mit schriftstellerischen Arbeiten beschäftigt. „Die jüngsten Kinder meiner Laune“ (Leipz. 1793–96, 6 Bde.) sowie über 20 Schauspiele, darunter als die bedeutendsten: „Armut und Edelsinn“ (1795), „Die Spanier in Peru“ (1796), „Die Negersklaven“ (1796) und „Die Verleumder“ (1796), waren die Frucht dieser Muße. 1798 folgte er einem Ruf als Theaterdichter nach Wien, sah sich indessen infolge von Intrigen, die er zum Teil selbst angezettelt hatte, noch vor dem Jahresschluß genötigt, seine Entlassung zu nehmen (vgl. seine Schrift „Mein Aufenthalt in Wien und meine erbetene Dienstentlassung“, Wien 1800), und ließ sich zunächst in seiner Vaterstadt nieder. Das Erfolglose seines Strebens, mit Goethe in nähere Beziehung zu kommen, sowie die immer heftiger werdenden Angriffe der Koryphäen der romantischen Schule, welche er durch die Posse „Der hyperboreische Esel“ (1799) gereizt hatte, verleideten ihm indessen den Aufenthalt in Weimar und in Deutschland überhaupt, und er beschloß, nach Rußland zurückzukehren. Kaum hatte [126] er jedoch die russische Grenze überschritten, als er (im April 1800) aus bis jetzt noch nicht aufgehellten Ursachen verhaftet und nach Sibirien geführt wurde. Ein kleines Drama: „Der Leibkutscher Peters III.“, eine indirekte Lobrede auf Paul I., die Krasnopulski ins Russische übersetzt hatte, brachte ihm plötzlich nicht nur die Freiheit, sondern erwarb ihm auch die Gunst des Kaisers, der ihn mit dem Krongut Worroküll in Livland beschenkte und zugleich zum Direktor des deutschen Theaters in Petersburg ernannte. Der kurze Aufenthalt in Sibirien gab K. Gelegenheit zu einer romanhaften Beschreibung, die er unter dem Titel: „Das merkwürdigste Jahr meines Lebens“ (Berl. 1801, 2 Bde.) veröffentlichte. Nach Pauls I. Tod nahm er seine Entlassung aus dem russischen Staatsdienst, ging wieder nach Weimar und nach einem Zerwürfnis mit Goethe 1803 nach Berlin, wo er in der von ihm mit Merkel herausgegebenen Zeitschrift „Der Freimütige“ eine heftige Polemik gegen Goethe und die romantische Schule eröffnete. Anfang 1806 begab er sich nach Königsberg, um für die beabsichtigte Bearbeitung einer Geschichte Preußens das dortige Archiv zu benutzen. Das Werk, mit dem Titel: „Ältere Geschichte Preußens“, erschien auch wirklich (Riga 1809, 4 Bde.), hat aber nur durch den Abdruck zahlreicher Urkunden litterarischen Wert. Nach der Schlacht bei Jena kehrte K. auf sein Gut nach Esthland zurück und gab von hier aus die Zeitschriften: „Die Biene“ (1808–1809) und „Die Grille“ (1811–12) heraus, worin er gegen Napoleon und das Franzosentum in satirischer Weise und zwar im Interesse Rußlands auftrat. Infolgedessen ward er 1813 vom Kaiser Alexander I. zum Staatsrat ernannt, folgte als solcher 1814 dem russischen Hauptquartier, gab dann in Berlin eine Zeitlang ein „Russisch-deutsches Volksblatt“ heraus und erhielt nach dem Sturz Napoleons I. die Stelle eines russischen Generalkonsuls in Königsberg. Hier beschäftigte er sich wieder vorzugsweise mit historischen Forschungen und schrieb neben verschiedenen Lustspielen eine „Geschichte des Deutschen Reichs“ (Bd. 1 u. 2, Leipz. 1814–15; fortgesetzt von Rüder, Bd. 3 u. 4, 1833), die sich freilich nur durch ihre Beschränktheit und Einseitigkeit auszeichnet. 1816 nach Petersburg zurückberufen, ward er als Staatsrat im Departement des Auswärtigen daselbst angestellt, erhielt aber schon 1817 die Erlaubnis, nach Deutschland zurückzukehren, und zwar unter Beibehaltung seines russischen Gehalts gegen die Verpflichtung, von Zeit zu Zeit Berichte über die öffentlichen Zustände in Deutschland einzuschicken. Er nahm zuerst seinen Wohnsitz in Weimar, sodann in Mannheim und gab zugleich ein „Litterarisches Wochenblatt“ heraus, das viel gelesen wurde, seinem Autor aber bald den Haß aller liberal Gesinnten erwarb. Namentlich rief der Hohn und Spott, mit welchem K. die patriotischen Bestrebungen der deutschen Burschenschaft übergoß, unter der deutschen Jugend allgemeine Entrüstung hervor. Dies trieb den schwärmerischen jenaischen Studenten K. L. Sand (s. d.) bis zum Fanatismus, und in K. den Todfeind aller Freiheit erblickend, erdolchte er denselben zu Mannheim 23. März 1819. Kotzebues Talent als Lustspieldichter mußte der verschiedenartigsten Beurteilung unterliegen. Wer nur die Leichtigkeit seiner Phantasie, die Schlagkraft seiner Situationskomik, die theatralische Behendigkeit seines Dialogs und überhaupt seine Kenntnis der Bühnenwirkungen in Anschlag brachte, erklärte ihn für einen bedeutenden Schriftsteller; wer umgekehrt die bare Äußerlichkeit, Hohlheit und die Effekthascherei seiner tragischen und sentimentalen Erfindungen und Gestalten, die Frivolität seiner Komik und den unkünstlerischen Grundcharakter seines auf die Lieblingsneigungen und Schwächen des laxen und unterhaltungsbedürftigen Publikums fast allein gestellten Talents in Betracht zog, konnte ihn nur verurteilen. Schließlich ward das Gesamturteil über K. bis zur Ungerechtigkeit herb und verkannte selbst seine unleugbare Begabung. Im ganzen veröffentlichte K. 15 Trauerspiele, 60 Schauspiele, 73 Lustspiele, 30 Possen, 11 Parodien und Travestien, 13 Vor- und Nachspiele und 17 Opern und Singspiele. Zu seinen besten Lustspielen, die begabten Darstellern noch heute Gelegenheit zu feiner Charaktermalerei bieten, gehören: „Die Verwandten“, „Die beiden Klingsberge“, „Der Wildfang“, „Die deutschen Kleinstädter“, deren Fortsetzung „Carolus Magnus“, „Pachter Feldkümmel“, „Der verbannte Amor“, „Der gerade Weg ist der beste“, „Das Intermezzo“, „Die Pagenstreiche“ und „Die Zerstreuten“. Gesammelt erschienen seine „Sämtlichen dramatischen Werke“ in 28 Bänden (Leipz. 1797–1823) und in 44 Bänden (das. 1827–29; neue Aufl. unter dem Titel: „Theater von K.“, das. 1840–41). Eine neuerliche „Auswahl dramatischer Werke“ (Leipz. 1868, 10 Bde.) und eine Sammlung „Ausgewählte Lustspiele“ (2. Aufl., das. 1873) erweisen die in gewissem Sinn unverwüstliche Wirkungskraft seines theatralischen Talents. Seine Romane verfolgen meist eine frivole, verwerfliche Richtung; seine rhetorisch-pathetischen „Gedichte“ (Wien 1818, 2 Bde.) sind ohne Wert. Vgl. „August v. K. Urteile der Zeitgenossen und der Gegenwart“, zusammengestellt von W. v. Kotzebue (Berl. 1881).

2) Otto von, berühmter russ. Reisender, zweiter Sohn des vorigen, geb. 30. Dez. 1787 zu Reval, besuchte die Kadettenschule in Petersburg und begleitete 1803–1806 als Sekretär Krusenstern auf seiner Reise um die Erde. Im Juli 1815 erhielt er selbst die Führung des Schiffs Rurik anvertraut, um die von den Holländern im 17. und 18. Jahrh. im Stillen Ozean gemachten Entdeckungen näher zu erforschen und die Möglichkeit einer nordwestlichen Durchfahrt in der Nähe der Beringsstraße zu untersuchen. Chamisso und Eschscholtz begleiteten ihn. Nach Umsegelung des Kaps Horn entdeckte K. mehrere Inseln, darunter die Ruriks- und Krusensternsgruppe, sowie (August 1816) im SO. der Beringsstraße den nach ihm benannten Kotzebuesund. Dann besuchte er Kalifornien und Hawai, entdeckte im Januar 1817 den Romanzow-Archipel und wollte eben wieder die nordwestliche Durchfahrt aufsuchen, als ihn ein Brustleiden (August 1817) zur Rückkehr nach Petersburg nötigte. Die Ergebnisse seiner Beobachtungen veröffentlichte er in seiner „Entdeckungsreise in die Südsee und nach der Beringsstraße zur Erforschung einer nordwestlichen Durchfahrt in den Jahren 1815–18“ (Weim. 1821, 3 Bde.). Zum Kapitänleutnant der russischen Gardemarine ernannt, trat er 1823, begleitet von ausgezeichneten Naturforschern und Ärzten, wie Eschscholtz, Lenz, Hoffmann, Preuß und Siewel, seine dritte Reise um die Welt an. Er bestimmte auf dieser seine frühern Entdeckungen in der Südsee genauer, nahm den Samoa-Archipel auf und entdeckte drei neue Inseln, die er nach seinem Schiff Predprijätje und nach seinen Leutnants, Bellingshausen und Kordukew, benannte. Am 10. Juli 1826 langte K. in Kronstadt wieder an. Die Beschreibung seiner Reise gab er unter dem Titel: „Neue Reise um die Welt in den Jahren 1823–26“ (Weim. 1830, [127] 2 Bde.) heraus. Seit 1829 privatisierend, starb K. 15. Febr. 1846 in Reval.

3) Moritz von, Bruder des vorigen, geb. 11. Mai 1789 auf dem Gut Kieckel in Esthland, besuchte die Kadettenschule in Petersburg und machte in seinem 14. Jahr mit seinem Bruder Otto als Seekadett unter Krusenstern die Reise um die Welt mit. Nach seiner Rückkehr trat er in die russische Landarmee und wohnte 1806 und 1807 dem Feldzug in Preußen gegen Napoleon I. bei. Im Feldzug von 1812 geriet er 10. Aug. in der Nähe von Polozk in französische Kriegsgefangenschaft, aus welcher ihn erst der Umschwung der Ereignisse 4. April 1814 befreite. Seine Schicksale in derselben beschrieb er in der von seinem Vater herausgegebenen Schrift „Der russische Kriegsgefangene unter den Franzosen“ (Leipz. 1815). Bekannt wurde er vorzüglich durch seine Reise nach Persien mit der russischen Gesandtschaft 1817, deren Beschreibung sein Vater (Weim. 1819) herausgab. Später diente er als Oberst im Generalstab, dann einige Jahre bei der kaukasischen Armee und lebte seit 1855 als Mitglied der polnischen Abteilung des russischen Senats in Warschau, wo er im Februar 1861 starb.

4) Paul, Graf von, Bruder des vorigen, geb. 22. Aug. 1801, trat in die russische Armee, wurde 1843 Generalquartiermeister unter Paskewitsch, 1846 Stabschef des kaukasischen Korps, 1853 Chef des Generalstabs der russischen Armee in den Donaufürstentümern, machte als solcher die Verteidigung von Sebastopol mit, ging dann mit Gortschakow als Chef des Generalstabs nach Polen, wurde 1859 General der Infanterie und 1862 Generalgouverneur von Neurußland und Bessarabien, später auch Oberbefehlshaber des Militärbezirks von Odessa, in welcher Stellung er besonders für Anlegung von Eisenbahnen in jenen Gegenden wirkte. Seit 1874 Generalgouverneur von Polen, wurde er 1875 vom Kaiser von Rußland in den erblichen Grafenstand erhoben. Bald nachdem er Anfang 1880 in Warschau sein 60jähriges Dienstjubiläum gefeiert, gab er den Posten eines Generalgouverneurs von Polen auf und starb 2. Mai 1884 in Reval.

5) Wilhelm von, Diplomat und belletristischer Schriftsteller, Bruder des vorigen, geb. 19. März 1813 zu Reval, erhielt eine ausgezeichnete Erziehung in Rußland, widmete sich der diplomatischen Laufbahn, verließ dieselbe aber, um in der Moldau die Güter seiner Gemahlin zu bewirtschaften, und trat erst 1857 wieder in den Staatsdienst ein. Er wurde als bevollmächtigter Minister zuerst in Karlsruhe, 1870 in Dresden, 1879 in Bern beglaubigt, nahm aber 1880 seinen Abschied und lebte seitdem wieder teils in Dresden, teils auf einem ihm gehörigen Gut in Esthland. Seine litterarische Thätigkeit eröffnete er mit der metrischen Übertragung der von dem Schriftsteller Alecsandri gesammelten rumänischen Volkslieder: „Rumänische Volkspoesie“ (Berl. 1857). Unter dem Pseudonym W. Augustsohn ließ er die dramatischen Dichtungen: „Ein unbarmherziger Freund“ und „Zwei Sünderinnen“ erscheinen, von denen namentlich die erstere auf deutschen Bühnen mit Erfolg gegeben ward. Anonym erschienen: „Aus der Moldau“, Bilder und Skizzen (Leipz. 1860); „Kleine Geschichten aus der großen Welt“ (Dresd. 1862; 2. Aufl., Leipz. 1880); „Laskar Vioresku“, ein moldauisches Genrebild (das. 1863); „Künstliches und natürliches Leben“ (Karlsr. 1869). Neuerlich veröffentlichte er das Werk „August v. Kotzebue“ (s. oben) und den Roman „Baron Fritz Reckensteg“ (Leipz. 1885).

6) Alexander von, Maler, Bruder des vorigen, geb. 9. Juni 1815 zu Königsberg, ward im Petersburger Kadettenkorps erzogen, verließ dasselbe 1834 als Gardeleutnant, widmete sich aber nach vier Jahren der Kunst und begann als Schüler der Petersburger Akademie unter Sauerweid seine Studien. Nachdem er sechs Jahre dort verbracht, ging er zu seiner Weiterbildung 1846 nach Paris und 1848 auf Reisen nach Belgien, Holland, Italien und Deutschland, bis er sich schließlich in München niederließ. Sein erstes Gemälde: die Erstürmung Warschaus, entstand 1844 in Petersburg. Seitdem malte er zahlreiche Schlachten der Russen im Siebenjährigen Krieg und aus den Feldzügen Suworows in großen Gemälden für den Kaiser von Rußland. Als die bedeutendsten unter denselben sind zu nennen: Erstürmung von Schlüsselburg, Schlacht bei Poltawa, Erstürmung Narwas, Übergang über die Teufelsbrücke, die Gründung Petersburgs (Maximilianeum in München). Kotzebues Bilder zeichnen sich durch Übersichtlichkeit der Komposition aus und fesseln doch in den Einzelheiten; sie sind dabei ebenso trefflich koloriert wie meisterhaft gezeichnet. K. ist kaiserlich russischer Professor u. Ehrenmitglied der Münchener Akademie.