MKL1888:Historische Litteratur 1890/91

Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Historische Litteratur 1890/91“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 19 (Supplement, 1892), Seite 443450
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Historische Litteratur 1890/91. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 19, Seite 443–450. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Historische_Litteratur_1890/91 (Version vom 28.05.2024)

[443] Historische Litteratur 1890/91. Die nachfolgende Übersicht über die historische Litteratur des Jahres 1890 und der ersten Hälfte des Jahres 1891 (des erstern, insoweit die bezüglichen Werke nicht schon im gleichnamigen Artikel des 18. Bandes erwähnt worden sind) beschränkt sich auf eine Auswahl von wichtigern und hervorragendern Erscheinungen, namentlich auf solche, die nicht bloß für Fachgelehrte von Interesse sind, bezieht aber neben den eigentlich politisch-geschichtlichen auch eine Anzahl kulturhistorischer Arbeiten in den Kreis der Besprechung ein, die bisher von jenen gesondert behandelt worden sind.

Methodik.

Von dem geistreichen, aber an Paradoxen noch reichern Werke von O. Lorenz, „Die Geschichtswissenschaft in Hauptrichtungen und Aufgaben“, ist der 2. Band (Berl. 1891) erschienen, in welchem der Verfasser seinen Kampf gegen die sogen. kritische Schule unsrer Geschichtsforschung und seinen aussichtslosen Versuch, an die Stelle der herkömmlichen und wohlbegründeten Periodisierung der Weltgeschichte ein von ihm erfundenes System der Generationenlehre zu setzen, weiter führt. Daneben enthält aber der Band namentlich zur Charakteristik der Rankeschen Geschichtschreibung, aber auch über andre wichtige Fragen viele treffende und geistreiche Bemerkungen. In der Diskussion zwischen D. Schäfer und E. Gothein, die schon in unserm vorigen Bericht (Bd. 18, S. 526) besprochen worden ist, hat der erstere auf die Ausführungen des letztern mit einer zweiten kleinen Schrift, „Geschichte und Kulturgeschichte, eine Erwiderung“ (Jena 1891), geantwortet, in welcher er seinen Standpunkt, daß das eigentliche Arbeitsgebiet der Geschichte in der Betrachtung staatlicher Entwickelung zu suchen sei, abermals energisch vertritt, sich aber ebenso energisch gegen die Ansicht verwahrt, als ob er darum den innigen Zusammenhang der verschiedenen Seiten menschlicher Gesittung übersehe oder unbeachtet wissen wolle. „Über die Grenzen des historischen Erkennens und die Objektivität des Geschichtschreibers“ handelt eine wenig umfangreiche, aber ansprechende akademische Rede des Erlanger Kirchenhistorikers Th. Kolde (Erlang. 1891), auf die wir namentlich deshalb die Aufmerksamkeit lenken möchten, weil sie insbesondere über die Behandlung kirchengeschichtlicher Fragen sehr beachtenswerte Gesichtspunkte aufstellt.

Altertum.

Für die Geschichte des Orients ist an dieser Stelle zunächst die „Geschichte Babyloniens und Assyriens“ von F. Mürdtner zu nennen, deren von dem bekannten Keilschriftforscher Fr. Delitzsch bearbeitete 2. Auflage (Kalw 1891) das Wissenswerteste über jene merkwürdigen, zu verhältnismäßig hoher Kultur gelangten alten Völker in anregender und klarer Darstellung vorträgt. Eine Einführung in das Studium des ägyptischen Altertums versucht das Handbuch der „Ägyptologie“ von H. Brugsch (Leipz. 1891), welches die Ergebnisse der neuern Forschungen auf dem Gebiete der Sprach-, Schrift- und Altertumskunde in gedrängter Übersicht darlegt. Eine kurz gefaßte und gut gearbeitete Übersicht über die „Geschichte Ägyptens“ gibt auch A. Wiedemann (Kalw 1891). Auf dem Gebiete der griechischen Geschichtsforschung wird die allgemeine Aufmerksamkeit vorzugsweise durch einen überraschenden und überaus wichtigen Fund beherrscht, der im Britischen Museum gemacht worden ist. Die dem Aristoteles zugeschriebene, uns bisher nur in dürftigen Bruchstücken bekannte Schrift „Über die Staatsverfassung der Athener“, die aus einem ägyptischen Papyrus, der sie nahezu vollständig enthält, zuerst von Kenyon (Lond. 1891), dann von G. Kaibel und U. v. Wilamowitz-Möllendorff in bedeutend verbesserter Gestalt herausgegeben worden ist (Berl. 1891), und von der Kaibel im Verein mit A. Kießling eine vortreffliche deutsche Übersetzung veranstaltet hat (2. Aufl., Straßb. 1891), bietet so viel neue, von der bisherigen Überlieferung abweichende oder sie ergänzende Aufschlüsse über die Entwickelung der attischen Staatsverfassung, daß die geschichtliche Arbeit noch lange zu thun haben wird, um sich mit ihr abzufinden. Daß sie wirklich dem großen Stagiriten angehört, ist zwar mehrfach in England wie in Ungarn und in Deutschland, hier namentlich von Fr. Cauer (Tübing. 1891) und von Fr. Rühl („Rheinisches Museum für Philologie“, Bd. 46, S. 426 ff.) bestritten worden, wird aber von der überwiegenden Mehrzahl der Forscher, wie es scheint mit besten Gründen, festgehalten; wie weit sie auch da, wo sie von der bisher für durchaus zuverlässig gehaltenen Überlieferung, namentlich der thukydideischen abweicht, glaubwürdig sei, und wie weit wir daher unsre bisherigen Ansichten auf Grund dieser neuen Quelle umzugestalten haben, wird noch vieler weitern Untersuchungen bedürfen (weiteres s. im besondern Artikel Aristoteles). Gerade die Zeit, in der Aristoteles lebte und wirkte, steht im Mittelpunkte der Darstellung des 3. Bandes von A. Holms „Griechischer Geschichte“ (Berl. 1890), der die Erzählung bis zum Tode Alexanders fortführt und sich wie seine Vorgänger durch Sorgfalt der Forschung und Schärfe der Auffassung auszeichnet. Der Standpunkt, von welchem aus Holm das wichtigste Ereignis des 4. Jahrh., die Einigung Griechenlands unter der makedonischen Herrschaft, betrachtet, nähert sich in vielen Beziehungen demjenigen J. G. Droysens: wie bei diesem erfährt namentlich Demosthenes eine vielfach ungünstige Behandlung, während Alexanders Bild in hellen Farben gezeichnet wird. In die älteste Vorzeit der griechischen Geschichte führt das zusammenfassende Werk von G. Schuchhardt, „Schliemanns Ausgrabungen in Troja, Tiryns, Mykenä, Orchomenos, Ithaka im Lichte der heutigen Wissenschaft“ (Leipz. 1891), dessen topographische und architektonische Aufstellungen freilich mehrfach angefochten worden sind. Mit den Zuständen Griechenlands unter römischer Herrschaft [444] beschäftigt sich ein Werk des ausgezeichneten englischen Philologen J. P. Mahaffy, „Greece under Roman sway“ (Lond. 1891), und mitten in den merkwürdigen Bereich des asiatischen Hellenismus führt uns die zweibändige Biographie Mithridates’ d. Gr. von Th. Reinach, „Mithridate Eupator, roi de Pont“ (Par. 1890), ein fleißig gearbeitetes und gut geschriebenes Werk, in welchem der Held beinahe mit Alexander d. Gr. verglichen wird; der Verfasser bezeichnet es als den leitenden Gedanken der Politik des großen Königs von Pontos, daß er die Absicht gehabt habe, die gesamte hellenistische Welt: Griechenland, Makedonien, Kleinasien, die Pontusländer, später auch Syrien und Palästina zu einem gewaltigen Reiche zusammenzufassen. Wir erwähnen endlich noch die Geschichte des wichtigsten griechischen Koloniallandes Sizilien, die der inzwischen verstorbene englische Historiker E. A. Freeman zu schreiben begonnen hat; die beiden ersten Bände seines neuesten, breit angelegten Werkes: „The history of Sicily from the earliest times“ (Oxford 1891), führen die Erzählung bis zu dem verhängnisvollen Feldzuge der Athener gegen Syrakus; die Arbeit zeigt alle Vorzüge, aber auch die Fehler des Verfassers, die aus seinen frühern Werken bekannt sind.

Auf dem Gebiete der römischen Geschichte ist die bedeutendste Erscheinung V. Gardthausens „Augustus und seine Zeit“ (Leipz. 1891). Der erste Band reicht bis zum Ende des Bürgerkrieges. An einer zusammenfassenden Darstellung der zahllosen Einzelforschungen über diese epochemachende Zeit des Überganges von der Republik zum Kaisertum fehlte es bisher; Gardthausen gibt sie auf Grund sorgfältigster Studien in geschmackvoller Form; seine Auffassung ist maßvoll, die Beurteilung der in Betracht kommenden Persönlichkeiten unbefangen gerecht. Ohne die Bedeutung seines Helden irgendwie abzuschwächen, ist doch Gardthausen weit davon entfernt, den Versuch einer sogen. Rettung zu machen. Eine solche versucht F. Aly mit seinem Buche über „Cicero, sein Leben und seine Schriften“ (Berl. 1891). Die mehr vom Standpunkte des Philologen als von dem des Historikers aus geschriebene Biographie will Cicero gegen die abschätzige Beurteilung Drumanns und Mommsens verteidigen, fördert aber wenig neue Ergebnisse zu Tage. Ein nicht sehr erfreuliches Buch ist C. P. Burgers Schrift über „Sechzig Jahre aus der alten Geschichte Roms“ (Amsterd. 1891), Untersuchungen, meist chronologischer und quellenkritischer Art, über die Jahre 418–358, die durch die Kühnheit ihrer Vermutungen überraschen. Die in letzter Zeit so oft behandelte Frage nach dem Schauplatz der Varusschlacht (vgl. Bd. 18, S. 413 f.) ist neuerdings wieder von R. Tieffenbach untersucht worden (Berl. 1891), der zum Teil mit neuen Gründen Knokes Ansicht gegen Mommsen verteidigt. Interessante Abschnitte aus der römischen Kulturgeschichte behandelte R. Bonghi in dem reich illustrierten, auch ins Deutsche übersetzten Werke über die nach der Folge der Monate dargestellten römischen Feste: „Le feste Romane“ (Mail. 1891), und A. Deloume in seinem belehrenden, freilich nicht besonders gut geschriebenen und im einzelnen zu vielfachen Ausstellungen Veranlassung gebenden Buche über die an moderne Aktien- oder Kommanditgesellschaften erinnernden Vereinigungen der römischen Steuerpachter (publicani) und den Einfluß, den in Rom Bankiers und Geldmänner bis auf die Zeit des Kaiserreichs ausgeübt haben („Les manieurs d’argent à Rome“, Par. 1890). Beachtung verdienen noch die Arbeit von L. Maury über das römische Postwesen („Les postes romaines“, Par. 1890) und das nützliche Werk von F. Fröhlich über „Das Kriegswesen Cäsars“, das mit dem dritten Teil (Zür. 1891) zum Abschluß gekommen ist; der Verfasser ist nicht ohne Erfolg bemüht gewesen, über die bekannten Forschungen Rüstows über den gleichen Gegenstand hinauszukommen. Ein bisher noch wenig bearbeitetes Gebiet hat W. Liebenam, „Zur Geschichte und Organisation des römischen Vereinswesens“ (Leipz. 1890), in Angriff genommen; doch sind von kundiger Seite schwerwiegende Mängel der Arbeit aufgedeckt worden. Die Geschichte der Christenverfolgung unter Diokletian behandelt P. Allard, „La persécution de Dioclétien et le triomphe de l’Église“ (Par. 1890, 2 Bde.).

Mittelalter und Neuzeit.

Allgemeines. Von der trotz mancher Mängel recht brauchbaren Neubearbeitung von W. Aßmanns „Geschichte des Mittelalters“, die Ernst Meyer und Ludwig Viereck besorgen, ist die erste Lieferung der dritten und Schlußabteilung erschienen (Braunschw. 1890). Die Herausgeber berücksichtigen mit großem Fleiße die wichtigere neuere Litteratur, gehen auch nicht selten auf die ursprünglichen Quellen selbst zurück; daß ihnen aus dem weitzerstreuten Material manches entgangen ist, wird man billigerweise nicht zu stark betonen dürfen. Der vorliegende Halbband bezieht sich auf das Deutsche Reich in dem Zeitabschnitt von Rudolf von Habsburg bis zum Ausgange Friedrichs III. Ein gedankenreicher Vortrag von A. Dove: „Der Wiedereintritt des nationalen Prinzips in die Weltgeschichte“ (Bonn 1890), behandelt die Gründung der germanischen Staaten auf dem Boden des römischen Reiches im Zeitalter der Völkerwanderung; der Verfasser zeigt in ansprechender Darstellung, welche Bedeutung es für das Fortschreiten der Weltgeschichte hatte, daß so an die Stelle eines gleichmachenden, jede selbständige Bewegung seiner Teile erdrückenden Weltreichs neue, auf nationaler Grundlage beruhende Staaten traten, die ein vielseitiges und doch des Zusammenhanges nicht entbehrendes geistiges und politisches Leben entwickeln konnten. Ein Werk von ungemeiner Bedeutung ist die von staunenswerter Gelehrsamkeit und größtem Scharfsinn zeugende „Universalgeschichte des Handelsrechts“ von L. Goldschmidt (Stuttg. 1891), deren erste Lieferung kurz das Altertum, sehr eingehend aber das Mittelalter behandelt. Nicht bloß über das Handelsrecht, sondern über den Handel selbst, die Gestaltung und die Mittel des Güteraustausches, die Organisationen und Formen der Handelsvereinigungen und des Kredits werden hier vielfach neue und überraschende Aufschlüsse geboten. Das Werk bildet die erste Abteilung von Goldschmidts bekanntem Hauptwerk: „Handbuch des Handelsrechts“, 3. Aufl.

Wie das Papsttum die eigentlich universale und alle Nationen miteinander verbindende Macht namentlich der spätern Jahrhunderte des Mittelalters gewesen ist, so gibt es für die Geschichte dieser Jahrhunderte kaum eine wichtigere Quelle als die Korrespondenz der Päpste, die uns seit 1198 in vielen Tausenden von Abschriftenbänden, sogen. Registerbüchern, erhalten ist. Lange der gelehrten Forschung so gut wie völlig unzugänglich, sind diese kostbaren Schätze des vatikanischen Archivs erst durch den Papst Leo XIII. wissenschaftlicher Benutzung eröffnet worden; und wie Frankreich, Österreich und Deutschland in Rom eigne gelehrte Institute vornehmlich zu ihrer Ausbeutung gegründet haben (die École française [445] de Rome, das Königlich preußische historische Institut und das Istituto Austriaco di studi storici), so haben sich auch andre Regierungen und gelehrte Korporationen an dieser ruhmvollen Arbeit in regem Wetteifer beteiligt. Von den aus diesen Bestrebungen hervorgegangenen überaus wichtigen Publikationen gehört natürlich nur ein kleiner Teil den Jahren an, über deren Litteratur wir hier berichten; es wird aber zweckmäßig und vielen Lesern willkommen sein, wenn wir an deren Erwähnung eine vollständige Zusammenstellung dieser mit dem vatikanischen Archiv zusammenhängenden Quellenschriften knüpfen. Die französische Schule in Rom hat sich die Veröffentlichung der Registerbücher des 13. Jahrh. zur Aufgabe gesetzt und mit derselben eine Reihe jüngerer Gelehrter beauftragt. So sind teils schon erschienen, teils im Erscheinen begriffen (sämtlich in Paris gedruckt und gleichmäßig angelegt und ausgestattet) die Registerbücher Gregors IX. von L. Auvray, Innocenz’ IV. von E. Berger, Honorius’ IV. von M. Prou, Nicolaus’ IV. von E. Langlois, Bonifaz’ VIII. von Digard, Faucon und Thomas und Benedikts XI. von Ch. Grandjean. Für die voraufgehende und nachfolgende Zeit treten im Auftrage und mit Unterstützung des Papstes Italiener ein; für Honorius III. J. Pressutti (Rom 1888 ff.), für Clemens V. mehrere Benediktiner von Monte Cassino (das. 1885 ff.), endlich hat den für die Reformationsgeschichte so wichtigen Pontifikat Leos X. der jüngst verstorbene Kardinal J. Hergenröther zu bearbeiten unternommen. Außer diesen Gesamtpublikationen der vollständigen Registerbücher haben wir zahlreiche Teileditionen, welche sich auf die für ein Land wichtigen Papstbriefe beziehen. Dahin gehören für das römisch-deutsche Reich die „Epistulae saeculi XIII“, die C. Rodenberg für die „Monumenta Germaniae historica“ herausgibt, von denen zwei Bände (Berl. 1883 ff.) erschienen sind, der dritte, bis zum Ende des Interregnums reichend, im Druck nahezu vollendet ist. Hieran schließen sich die von dem österreichischen Institut herausgegebenen „Mitteilungen aus dem vatikanischen Archiv“, deren erster Band (Wien 1889), bearbeitet von F. Kaltenbrunner, die Zeit Rudolfs I. und Albrechts I. umfaßt, während die Münchener historische Kommission die „Vatikanischen Akten zur Geschichte Ludwigs des Bayern“ (Innsbr. 1891) durch S. Riezler hat herausgeben lassen, und E. Werunsky mit Unterstützung der österreichischen Regierung für die Zeit Karls IV. wichtige Exzerpte aus den Registern Clemens’ VI. und Innocenz’ VI. veröffentlicht hat (Innsbr. 1885). Auf einzelne Teile des Reiches beziehen sich die in den Geschichtsquellen der Provinz Sachsen für diese und die angrenzenden Lande von G. Schmidt und P. Kehr veröffentlichten Urkunden (Halle 1886 ff.), das „Bullarium Traiectense“ (für die Diözese Utrecht) von G. Brom (Haag 1891), die Mitteilungen W. Hauthalers (für die Diözese Salzburg) im „Archiv für österreichische Geschichte“, Bd. 71, die von H. Finke edierten „Papsturkunden Westfalens“ (Bd. 1, Münst. 1888) und die „Acta Pontificum Helvetica“ (Bd. 1, Basel 1891) für die Schweiz. Endlich sind hier zu nennen die von der Budapester Akademie herausgegebenen „Monumenta Vaticana Hungarica“ (Budap. 1884 ff.) und die von H. Hildebrand veröffentlichten „Livonica“ (Riga 1887). In die Herausgabe der außerordentlich wichtigen Nunziaturberichte des 16. Jahrh. aus Deutschland haben sich das preußische und das österreichische Institut geteilt; von der ersten Veröffentlichung ist soeben der Anfang erschienen; polnische Nunziaturberichte aus den Jahren 1574–78 hat Th. Wierzbowsky (Warsch. 1887) publiziert. Man sieht aus dieser langen Liste, in die manche kleinere und minder wichtige Publikationen nicht aufgenommen sind, wie reiche Früchte der historischen Erkenntnis aus der Öffnung des päpstlichen Archivs bereits erwachsen sind.

Für die Geschichte der Neuzeit wollen wir hier noch zwei andre, höchst wichtige Quellenpublikationen erwähnen. Einmal die „Documentos escogidos dell’ archivo de la casa de Alba“, welche die gegenwärtige Herzogin von Alba aus ihrem bisher fast gar nicht benutzten Hausarchiv herausgegeben hat (Madr. 1891); namentlich für die Zeit Karls V. und Philipps II. ist diese Auslese von Urkunden von größtem Interesse und wirft nicht bloß auf spanische, sondern auch auf englische und französische, italienische und niederländische, afrikanische und amerikanische Verhältnisse vielfach neues Licht. Für die Erweiterung unsrer Kenntnisse von der Geschichte der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrh. hatte man seit langem die größten Hoffnungen auf die Memoiren Talleyrands gesetzt, von denen die zwei ersten, bis zum Wiener Kongreß reichenden Bände endlich durch den Herzog von Broglie herausgegeben worden sind (Par. 1890; deutsche Ausgabe von A. Ebeling, Köln 1890). Daß die Memoiren in der Hauptsache echt, wenn auch nicht ganz ohne Entstellung überliefert sind, kann trotz eines sehr unnützen Streites, der sich darüber in der französischen Presse entsponnen hat, nicht wohl bezweifelt werden; aber die großen Erwartungen, mit denen man ihnen entgegengesehen hatte, sind nicht ganz erfüllt worden. Wenngleich sie natürlich nicht wenig Neues lehren (namentlich für den Sturz Napoleons und die Restauration der Bourbonen in Frankreich), war doch das meiste, was sie bieten, durch neuere archivalische Arbeiten bereits bekannt geworden.

An Bearbeitungen von Stoffen aus der allgemeinen Geschichte der Neuzeit ist nicht eben viel zu nennen: eine fleißige, auf neuen Archivalien beruhende, unsre Kenntnisse mehrfach erweiternde, aber etwas trockene Darstellung des „Friedens von Utrecht“ von O. Weber (Gotha 1891); interessante, farbenreiche Bilder aus den Jahren 1848 und 1849, auf Deutschland und Italien bezüglich, die Alex. Graf Hübner, damals österreichischer Diplomat in Sachsen, aber während des tollen Jahres zu verschiedenen Missionen in andern Ländern verwandt, auf Grund seines Tagebuchs entworfen und unter dem Titel: „Ein Jahr meines Lebens. 1848 und 1849“ (Leipz. 1891) herausgegeben hat; endlich eine „Histoire diplomatique de l’Europe depuis l’ouverture du congrès de Vienne jusqu’à la clôture du congrès de Berlin, 1814–78“ (Par. 1891, 2 Bde.), von A. Debidour, die, vorzugsweise kompilatorischen Charakters und viel zu wenig auf die diplomatischen Akten selbst zurückgehend, das ungenügende Material, das sie bietet, in parteiischer und voreingenommener Weise verarbeitet.

Deutschland.

Von den drei neuen Gesamtdarstellungen der deutschen Geschichte, die wir zu verzeichnen haben: G. Dittmar, „Geschichte des deutschen Volkes“ (Heidelb. 1891, 3 Bde.), H. Gerdes, „Geschichte des deutschen Volkes und seiner Kultur im Mittelalter“ (Bd. 1, Leipz. 1891), K. Lamprecht, „Deutsche Geschichte“ (Berl. 1891), ist die letztere bei weitem die bedeutendste. Der bisher erschienene erste Band, welcher bis zum Ende der merowingischen Epoche reicht, vereinigt in [446] zweckmäßiger Anordnung die Betrachtung der politischen Verhältnisse mit derjenigen des rechtlichen, wirtschaftlichen und geistigen Lebens der werdenden Nation; er beruht auf gründlichen, wenn auch nicht immer ganz erschöpfenden Studien und ist gut geschrieben, nur daß der Verfasser, namentlich in Bezug auf die Verhältnisse der Urzeit, sehr zweifelhaften Hypothesen gegenüber sich nicht immer vorsichtig genug verhalten hat. Die Rolle, die er den „Resterscheinungen“ eines ursprünglichen Mutterrechts im ältesten germanischen Volksleben einräumt, hat dasselbe nach neuern rechts- und sprachgeschichtlichen Untersuchungen schwerlich bei den Germanen gespielt. A. Sachs’ Buch über „Deutsches Leben in der Vergangenheit“ (Bd. 2, Halle 1891) ist für weitere Kreise bestimmt; vielseitig und reichhaltig, bietet es gleichwohl nur einzelne Bilder aus dem Leben unsers Volkes, ohne dasselbe in seiner ganzen Breite und Tiefe zu erfassen. H. Herrigs „Kaiserbuch“ (Berl. 1890), das sich auf Jahrhunderte deutscher Geschichte bezieht, ist vornehmlich ein ebenso glänzend wie geschmackvoll ausgestattetes Bilderwerk; der Text ist oberflächliche Arbeit.

Für die Rechtsgeschichte der ältesten deutschen Entwickelungsperiode sind von großer Bedeutung J. Fickers „Untersuchungen zur Erbenfolge der ostgermanischen Rechte“ (Bd. 1, Innsbr. 1891), ein grundgelehrtes und höchst scharfsinniges, aber wie alle Bücher dieses namhaften Forschers schwer lesbares Werk; von besonderm Interesse ist der Nachweis überraschender Zusammenhänge zwischen Rechtsgebieten, die man bisher weit voneinander getrennt glaubte; sehr merkwürdig auch die Darlegungen, daß in den mittelalterlichen Rechtsaufzeichnungen Spaniens sich vielfach altgermanisch-gotisches Recht erhalten hat, so daß diese zu Schlüssen auf die älteste Entwickelung verwertet werden können. Von A. Haucks ausgezeichneter „Kirchengeschichte Deutschlands“ ist der zweite Band erschienen (Leipz. 1891), der die Geschichte der fränkischen Reichskirche bis zu ihrer in der zweiten Hälfte des 9. Jahrh. erfolgenden, mit dem Verfall der karolingischen Monarchien überhaupt zusammenhängenden Auflösung darstellt. Die Vorzüge des nach Form und Inhalt bedeutenden Werkes sind gegen den ersten Band noch gewachsen. Nicht ganz dasselbe gilt von dem zweiten Bande von K. Th. von Inama-Sterneggs „Deutscher Wirtschaftsgeschichte“, der das 10., 11. und 12. Jahrh. behandelt (Leipz. 1891). Der Verfasser, durch eine hohe amtliche Stellung der ausschließlich gelehrten Thätigkeit entzogen, hat den gewaltigen Stoff nicht in so vorzüglicher Weise beherrschen können, wie das im ersten Bande (erschienen 1879) der Fall war; manche neuern Untersuchungen sind nicht genügend berücksichtigt, andern ist vielleicht zu viel Vertrauen geschenkt. Immerhin bleibt das Werk ein wertvoller und dankenswerter Versuch erster Zusammenfassung aller wirtschaftlichen Verhältnisse des ganzen Deutschland, wie er vor dem Verfasser nie unternommen war.

Von größern Werken über einzelne Perioden der deutschen Geschichte nennen wir, die zahllosen kleinen Monographien selbstverständlich übergehend, G. Meyer v. Knonaus „Jahrbücher des deutschen Reiches unter Heinrich IV. und Heinrich V.“, deren erster Band (Leipz. 1890) von 1056–69 reicht; eine höchst gründliche Arbeit, aber keine eben leichte Lektüre. In zahlreichen Einzelheiten hat der Verfasser die bisherige Auffassung berichtigt, ohne ihre Grundzüge, wie sie von Giesebrecht festgelegt ist, zu verändern: namentlich verhält er sich der Hauptquelle für diese Epoche, den Annalen Lamberts von Hersfeld, gegenüber mit Recht skeptischer als der verstorbene Münchener Gelehrte: auch er freilich folgt ihm vielleicht noch etwas mehr, als nötig ist. Eine gute Biographie Gregor Heimburgs, der als einer der namhaftesten Vorkämpfer kirchlicher Reformbestrebungen im 15. Jahrh. eine bedeutende Rolle gespielt und die Rechte städtischen Bürgertums gegen fürstliche Gewalt mannhaft verteidigt hat, verdanken wir P. Joachimsohn (Hamb. 1891). H. Ulmanns außerordentlich fleißige, in sehr umfassender Weise bisher unbekannte archivalische Quellen berücksichtigende, Licht und Schatten gewissenhaft verteilende Biographie Kaiser Maximilians I. ist mit dem zweiten Bande (Stuttg. 1891) abgeschlossen. Ein durch Forschung und Darstellung gleich ausgezeichnetes Werk ist O. v. Bezolds „Geschichte der deutschen Reformation“ (Berl. 1890), die in der illustrierten Groteschen Sammlung erschienen ist. Obwohl auf entschieden protestantischem Standpunkt stehend, sucht der Verfasser doch mit Erfolg die Objektivität des Urteils überall sich zu bewahren. Wie sehr er die Größe Luthers bewundert, ist er doch weit davon entfernt, etwa seine Haltung gegenüber der Bauernrevolution zu verteidigen oder seine Schwäche gegenüber der Doppelehe Philipps von Hessen zu beschönigen, und mit maßvoller Gerechtigkeit urteilt er über Freunde und Gegner der Reformation. Ganz andern Schlages ist Onno Klopps Werk: „Der Dreißigjährige Krieg bis zum Tode Gustav Adolfs“ (Bd. 1, Paderb. 1891; eine neue Ausgabe seines ältern Werks: „Tilly im Dreißigjähr. Kriege“), eine ultramontane Tendenzarbeit schlimmster Art; der bekannte Verehrer Tillys nähert sich zwar in der seiner geschichtlichen Darstellung zu Grunde liegenden Auffassung J. Janssen, steht aber an Gelehrsamkeit und Scharfsinn weit hinter ihm zurück: das Buch ist mit geradezu dürftigem Material gearbeitet. Die Darstellung des Dreißigjährigen Krieges, welche G. Droysen in der Groteschen Sammlung gibt, ist, obwohl schon drei Lieferungen erschienen sind, noch nicht bis zum Beginn des eigentlichen Kampfes vorgeschritten; und auch B. Erdmannsdörffers in der gleichen Sammlung erscheinende „Deutsche Geschichte vom Westfälischen Frieden bis zum Regierungsantritt Friedrichs des Großen“ ist von der Vollendung noch weit entfernt; die vier vorliegenden Lieferungen reichen bis zum Jahre 1674. Ein aus dem Nachlaß von Adolf Schmidt durch Alfred Stern herausgegebenes Werk: „Geschichte der deutschen Verfassungsfrage während der Befreiungskriege und des Wiener Kongresses“ (Stuttg. 1890), steht vielfach im Gegensatz zu Treitschkes Auffassung in seiner Behandlung des gleichen Stoffes: durch Heranziehung einiger von Treitschke nicht beachteten Aktenstücke ist manches richtiger bestimmt worden; insbesondere hinsichtlich der Absichten Steins, die Treitschke auf die Errichtung eines deutschen Einheitsstaates oder auf die Vereinigung Deutschlands unter preußischer Führung gerichtet glaubte, weicht Schmidt von seinem Vorgänger gewiß mit Recht ab. Auch K. Biedermanns Buch: „Fünfundzwanzig Jahre deutscher Geschichte. 1815–1840“ (Bresl. 1890, 2 Bde.), behandelt ein eben von Treitschke bearbeitetes Gebiet, aber in andrer Art und mit andern Absichten: was Glanz der Darstellung und umfassende Heranziehung neuen Materials, überhaupt was wissenschaftlichen Wert betrifft, darf er mit Treitschke nicht verglichen werden; aber seine kurze und geschickt angelegte Erzählung hat jenem gegenüber das Maß des Urteils und das redliche [447] Streben, auch dem Gegner gerecht zu werden, voraus. Wertvolle Ergänzungen für die Geschichte der neuesten Zeit, auch zu Sybels großem Werk, bringt die liebevoll gezeichnete Biographie Max Dunckers von R. Haym (Berl. 1891); namentlich aus den Jahren, in denen Duncker als vortragender Rat dem Kronprinzen (später Kaiser Friedrich) zur Seite stand, bieten seine nachgelassenen Papiere viele neue Aufschlüsse über die Haltung seines Herrn, insbesondere gegenüber der schleswig-holsteinischen Frage und dem preußischen Verfassungskonflikt. W. Onckens große, aber viel zu schnell gearbeitete Geschichte Kaiser Wilhelms I. in der Groteschen Sammlung ist noch nicht vollendet.

Von den Einzelfragen der deutschen Verfassungsgeschichte erweckt die nach dem Ursprung der Städteverfassung noch immer besonders reges Interesse. J. E. Kuntze, „Die deutschen Städtegründungen, oder Römerstädte und deutsche Städte im Mittelalter“ (Leipz. 1891), ist auf die längst abgethan geglaubte Ansicht von einem Zusammenhang der mittelalterlichen Städteverfassung mit altrömischen Einrichtungen zurückgekommen, ohne daß es ihm gelungen wäre, derselben neues Leben einzuflößen. Die Gerichtsverfassung von Braunschweig hat W. Varges (Marb. 1890), die Anfänge der Stadtverfassung in Koblenz M. Bär („Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte“, Germanistische Abteilung, Bd. 12) behandelt; die Teilnahme der Städte an den Reichsversammlungen untersucht für die Zeit Kaiser Friedrichs III. W. Becker (Bonn 1891). Kallsens Buch: „Die deutschen Städte im Mittelalter“ (Halle 1891), hat keinen oder sehr geringen wissenschaftlichen Wert. Von dem deutschen Reichszollwesen im 13. Jahrh. handelt A. Braunholtz (Berl. 1890), von den Beziehungen der Krone zum niedern Kirchengut unter Friedrich II. H. Geffcken (Jena 1890). Ein wichtiges Kapitel der Kulturgeschichte hat F. H. Quetsch in seiner „Geschichte des Verkehrswesens am Mittelrhein von den ältesten Zeiten bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts“ (Freiburg 1891) in Angriff genommen und viel brauchbares, wenn auch nicht immer ganz klar geordnetes Material zusammengetragen; das bedeutendste Kapitel ist dasjenige, welches, auf ehemals kurmainzischen Akten beruhend, über das Postwesen am Mittelrhein handelt. Gewissermaßen eine Fortsetzung dieses Werkes, aber einen sachlich engern, örtlich weitern Bereich umfassend, ist das Buch von A. v. Mayer: „Geschichte und Geographie der deutschen Eisenbahnen“ (Berl. 1890).

Deutsche Einzelstaaten.

Die Studien über die preußisch-brandenburgische Geschichte haben seit 1888 an der von R. Koser vortrefflich redigierten Halbjahrsschrift „Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte“ (Leipz. 1888–91, 4 Bde.) einen neuen und willkommenen Mittelpunkt gefunden; manche kleinere, aber wertvolle Arbeiten, die früher in ihrer Vereinzelung leicht der Beachtung entgingen, sind hier gesammelt. In die Anfänge der hohenzollernschen Herrschaft in Brandenburg führt die fleißige Abhandlung von Erich Brandenburg, „König Sigmund und Kurfürst Friedrich I. von Brandenburg“ (Berl. 1891), welche zu zeigen versucht, daß von einer bisher meist angenommenen deutsch-nationalen Richtung der Politik des Kurfürsten nicht die Rede sein darf, daß dieselbe vielmehr stets durch persönliche Interessen bestimmt war. Von der für das 17. Jahrh. wichtigsten Publikation der „Urkunden und Aktenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg“ sind der 13. und 14. Band erschienen (Berl. 1890). Der erstere, bearbeitet von R. Brode, umfaßt die politischen Verhandlungen und militärischen Ereignisse von 1672–75; den Aktenstücken gehen übersichtliche Einleitungen des Herausgebers voran; besonders erfährt man mancherlei Neues über den brandenburgisch-französischen Separatfrieden von 1673. Im 14. Band teilt A. F. Pribram die auf die Beziehungen zu Brandenburg bezüglichen Akten des österreichischen Archivs aus der Zeit von 1640–1675 mit, die viel wichtiges und interessantes, bisher nicht benutztes Material enthalten. Für die Zeit Friedrichs d. Gr. haben wir ein bedeutendes Buch aus Frankreich erhalten. E. Lavisse, „La jeunesse du Grand Frédéric“ (Par. 1891), benutzt nicht nur die deutsche Litteratur so gut wie erschöpfend, sondern daneben die bis jetzt unbekannten Berichte der französischen Gesandten am preußischen Hof, aus denen er manchen neuen Zug zu gewinnen weiß, die aber sehr einseitig sind und deshalb mehrfach ein schiefes Bild von den Dingen geben. Einzelne harte Urteile ausgenommen, ist Lavisse auch dem für Franzosen so schwer verständlichen Charakter Friedrich Wilhelms I. gerecht geworden: ganz unbeeinflußt von der Tagespolitik ist auch er allerdings nicht geblieben. Die Form ist vortrefflich. Das sehr interessante Tagebuch eines preußischen Musketiers aus dem Siebenjährigen Kriege hat D. Kerler (Münch. 1891), die Memoiren eines Offiziers, der 1750 in die preußische Armee eingetreten ist, hat Helene v. Hülsen (Berl. 1890) herausgegeben. Die interessante Episode des Müllers Arnold, zu dessen gunsten Friedrich d. Gr. sein Kammergericht maßregelte, behandelt K. Dickel (Marb. 1891). Für die Zeit Friedrich Wilhelms III. sind wichtig die Untersuchungen H. Hüffers über „Die Kabinettsregierung in Preußen und Joh. Wilh. Lombard“ (Leipz. 1891); können sie auch die Politik des letztern in seiner einflußreichen Stellung als Kabinettsrat des Königs nicht rechtfertigen, so ergibt sich doch aus ihnen, daß die Lombard gemachten Vorwürfe der Bestechlichkeit und Verräterei unbegründet sind. Für die Geschichte des Krieges von 1806 hat P. Foucart neuerdings aus französischen Archiven ein reiches Material zusammengetragen („La campagne de Prusse 1806“, Par. 1887–90, 3 Bde.), das in dem vortrefflichen Buche von O. v. Lettow-Vorbeck: „Der Krieg von 1806 und 1807“ (Bd. 1, Berl. 1890), bereits verwertet worden ist. Der erste Band des Werkes geht bis zu den Schlachten von Jena und Auerstädt. Die Schuld an der Katastrophe der preußischen Armee mißt der Verfasser mit großer Bestimmtheit der höhern und höchsten Führung derselben bei; die Verwirrung im preußischen Hauptquartier, die unglückselige Unentschlossenheit des Königs, der immer alle Welt um Rat zu fragen geneigt war, werden offen aufgedeckt. Welch andres Bild ist es da, das eben wieder in dem ausgezeichneten Werk des Grafen Moltke über den Krieg von 1870/71 (Berl. 1891) entrollt worden ist! Aus Bayern erwähnen wir den zweiten Band von F. L. Baumanns vortrefflicher „Geschichte des Allgäu“ (Kempt. 1890), einer der besten deutschen Provinzialgeschichten, die wir besitzen, in der auch die kulturgeschichtlichen Momente völlig zu ihrem Recht gelangen. Baden hat durch Fr. v. Weech (Karlsr. 1890) eine auf umsichtiger Beherrschung des Stoffes beruhende, gut geschriebene Landesgeschichte erhalten. Einen mehr gelehrten Charakter als dies Werk trägt E. Heycks „Geschichte der Herzöge von Zähringen“ (Freiburg 1891), ein Buch, das auf höchst sorgfältigen [448] Quellenstudien beruht, aber in der Sprache gesucht und nicht immer glücklich ist, und in der Auswahl des Stoffes entschieden zu weit geht: die Reichsgeschichte ist in einem Umfang in die Darstellung einbezogen worden, der durch den Anteil der zähringischen Herzöge an den Ereignissen derselben schwerlich gerechtfertigt werden kann. Allerdings wird eben darum das Buch auch von allen denen, die sich mit der Reichsgeschichte des 11. und 12. Jahrh. beschäftigen, beachtet werden müssen. Den günstigsten Eindruck erwecken die bis jetzt erschienenen Lieferungen von E. Gotheins „Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der angrenzenden Landschaften“ (Straßb. 1891). Wir erwähnen schließlich noch, anderes übergehend, die liebevolle, vortrefflich unterrichtete Biographie des Großherzogs Friedrich Franz II. von Mecklenburg-Schwerin von L. v. Hirschfeld (Leipz. 1891) und die kulturgeschichtlich interessante Skizze von H. Haupt, „Waldensertum und Inquisition im südöstlichen Deutschland“ (Freiburg 1890).

Ehemals deutsche Länder. Österreich. Schweiz.

In die Zeit des Josephinischen Österreich führen zwei Arbeiten: eine Geschichte des Aufstandes der Niederlande gegen Joseph II. von dem Jesuiten L. Delplace (Brügge 1890), die denselben natürlich von streng kirchlichem Gesichtspunkt aus beurteilt und für die Reformen des Kaisers kein Verständnis hat, und eine von C. Wolfgruber (Saulgau 1890) aus handschriftlichen Materialien gearbeitete Biographie des Kardinals Migazzi, Fürsterzbischofs zu Wien, der seinerseits ein Gegner der Josephinischen Kirchenpolitik war. Fr. v. Krones, „Tirol 1812–1816 und Erzherzog Johann von Österreich“ (Innsbr. 1890), schöpft vornehmlich aus den Tagebüchern des Erzherzogs und ist im stande, dessen bisher vielfach verkanntes Verhalten den Tirolern gegenüber vollkommen zu rechtfertigen; in einer zweiten Publikation: „Aus dem Tagebuch Erzherzog Johanns von Österreich 1810–1815“ (Innsbr. 1891), gibt er schätzbare Beiträge zur Geschichte der Befreiungskriege und des Wiener Kongresses. Eine vortreffliche Arbeit, die reife Frucht langjähriger Studien, ist die Geschichte der „Finanzen Österreichs von 1701–1740“, nach archivalischen Quellen dargestellt vom Freiherrn v. Mensi (Wien 1890): die Kläglichkeit der Finanzlage Österreichs in dieser Epoche, in der es vier mehrjährige Kriege auszufechten hatte und zu verzweifelten Kreditoperationen schreiten mußte, tritt hier in hellste Beleuchtung.

In der historischen Litteratur der Schweiz stehen in diesen Jahren die beiden Jubiläen, welche im Sommer 1891 gefeiert worden sind, das der Eidgenossenschaft und dasjenige der Stadt Bern, im Mittelpunkt. Die zahlreichen, diesen Vorgängen gewidmeten Schriften, die wir hier nicht sämtlich aufzählen können, zeigen, wie schon die Anberaumung des eidgenössischen Festes selbst auf den 1. Aug. 1891, d. h. den 600. Jahrestag des ersten uns erhaltenen Bündnisses zwischen den Urkantonen, daß man auch in der Schweiz jetzt mehr und mehr dahin gelangt ist, die nationale Geschichte auf zuverlässigen Urkunden und Quellen statt auf der ruhmvollen, aber wankenden Grundlage der patriotischen Befreiungssagen aufzubauen. Darum ist es verdienstvoll, daß J. J. v. Ah die ältesten „Bundesbriefe der Eidgenossenschaft 1291 bis 1513“ (Einsiedeln 1891) in glänzender Ausstattung und doch zu billigem Preise allgemein zugänglich gemacht hat; diplomatischer Genauigkeit entbehren diese Abdrücke allerdings und genügen deshalb wissenschaftlichen Bedürfnissen nicht. Der Bundesbrief von 1291 selbst ist außerdem noch mehrfach veröffentlicht worden. Wie schwer man sich übrigens selbst in rein wissenschaftlichen Kreisen entschließen kann, ganz auf die Sagen von der Schweizer Befreiung zu verzichten, das zeigt die Darstellung der Anfänge der Eidgenossenschaft in dem Neujahrsblatt der Baseler Gesellschaft zur Beförderung des Guten (Basel 1890) von A. Bernouilli: nur die Tellsage wird hier völlig preisgegeben, dagegen der wenig aussichtsvolle Versuch gemacht, die Männer und den Bund vom Rütli aus dem Anfang des 14. Jahrh., wo die Sage sie kennt, in die Mitte des 13. Jahrh. zu versetzen und so für die Geschichte zu retten. Zwei wahrhaft glänzende Publikationen sind: das ausgezeichnete Werk von W. Öchsli, „Die Anfänge der schweizerischen Eidgenossenschaft“ (Bern 1891), und die „Große Festschrift zur VII. Säkularfeier der Gründung Berns“ (Bern 1891), mit wertvollen Beiträgen verschiedener bernischen Gelehrten; aber auch die populäre Festschrift von Wolfgang v. Mülinen: „Berns Geschichte 1191–1891“ (das. 1891), darf als eine tüchtige und verdienstliche Arbeit bezeichnet werden.

Ausland.

Frankreich. Ein gelehrtes und gründlich gearbeitetes, dabei doch vortrefflich geschriebenes Handbuch der französischen Verfassungsgeschichte hat P. Viollet in seiner „Histoire des institutions politiques et administratives de la France“ (Par. 1890) zu schreiben begonnen; der erste Band umfaßt die gallische, römische, fränkische Periode. Mit den Zuständen speziell der ältesten Zeit beschäftigt sich ein umfangreiches Werk von H. d’Arbois de Jubainville, „Recherches sur l’origine de la propriété foncière et des noms de lieux habités en France“ (Par. 1890), der in lebhafter Polemik gegen Fustel de Coulanges und mit besonderer Berücksichtigung der Ortsnamen das Fehlen eines Sondereigentums an Grund und Boden im vorrömischen Gallien zu erweisen sucht. Seine ausgezeichnete Verfassungsgeschichte der kapetingischen Epoche: „Histoire des institutions monarchiques sous les premiers Capétiens“, hat A. Luchaire in zweiter Auflage erscheinen lassen (Par. 1891), und demselben fleißigen Forscher verdankt man noch zwei andre Werke über die kapetingische Epoche, eine Geschichte der Gemeinden: „Les communes françaises à l’époque des Capétiens“ (Par. 1890), und eine Spezialarbeit über „Ludwig VI.“ (das. 1890), die aus einer elegant geschriebenen Einleitung und Regesten zusammengesetzt ist. Für die Beziehungen Frankreichs zu Deutschland im Mittelalter ist von Interesse P. Fournier, „Le royaume d’Arles et de Vienne“ (Par. 1891). Der Verfasser, der mit der einschlägigen deutschen Litteratur gut vertraut ist, behandelt in ansprechender Darstellung den Kampf um das burgundisch-arelatische Reich, der im 14. Jahrh. zum Nachteil Deutschlands zu Ende geht; natürlich steht er auf französischem Standpunkt; die Einverleibung Burgunds in Frankreich erscheint ihm als ein notwendiges und heilvolles Ereignis. – Aus der sehr umfangreichen Litteratur über neuere französische Geschichte greifen wir nur einiges heraus. Eine Biographie des Finanzministers Nicolas Fouquet unter Ludwig XIV. von J. Lair (Par. 1891, 2 Bde.) gestaltet sich zu einer vollständigen Rettung dieses viel angeklagten Staatsmannes, den der Verfasser als treu, unbestechlich und tugendhaft hinstellt. L. Wiesener, „Le Régent, l’abbé Dubois et les Anglais“ (Bd. 1, Par. 1890), schöpft in seinem die Politik des [449] Regenten und des Kardinals Dubois bis 1717 darstellenden Buche fast nur aus englischen Quellen und gelangt infolge der Nichtberücksichtigung der französischen und spanischen Archivalien zu keiner vollständigen Übersicht. A. Sorel, der ausgezeichnete Geschichtschreiber der Revolution, ist mit seinem großen Werk: „L’Europe et la Révolution française“, bis zum dritten Bande (Par. 1891) gelangt, der unter dem Spezialtitel: „La guerre aux rois“ den Krieg von 1792/93 darstellt; vielfach sich mit Sybel berührend, weicht er doch natürlich in zahlreichen Beziehungen von dem deutschen Geschichtschreiber ab. H. Wallon hat ein großes Werk: „Les représentants du peuple en mission et la justice dans les départements“, durch dessen genaue und gewissenhafte Schilderung man eine volle Vorstellung von dem erhält, was in den Schreckensjahren unter dem Namen der Rechtspflege in den Provinzen verbrochen wurde, mit dem fünften Bande (Par. 1890) abgeschlossen. Die interessanten „Mémoires du général Tercier“, bearbeitet von C. de la Chanonie (Par. 1891), führen ein in das Leben der Emigranten und in die wilden Kämpfe der Chouans. H. Taine hat von seinem großen, in zahlreichen Auflagen verbreiteten Werke „Les origines de la France contemporaine“, das immer eine der bedeutendsten Leistungen der neuern französischen Historiographie bleiben wird, den dritten Hauptteil begonnen, der das Régime moderne behandelt; der erste Band (Par. 1890) gibt eine kunstvolle Charakteristik Napoleons I. und eine feinsinnige und geistvolle Analyse der Grundlagen der Napoleonischen Staatseinrichtungen, gestaltet sich aber auch zu einer scharfen Kritik dieser das französische Leben noch heute beherrschenden Institutionen. Eine „Histoire parlementaire de la deuxième République“ von E. Spuller (Par. 1891) behandelt die Geschichte der gesetzgebenden Versammlung vom 25. Mai 1849 bis zum Staatsstreich 2. Dez. 1851. Der Graf d’Hérisson vereinigt unter dem Titel „Napoléon IV“ (Par. 1891) allerhand Materialien zur Geschichte des unglücklichen Prinzen, der sein Leben in Südafrika beschloß: leider sind seine Quellen nicht immer zweifelsfrei und seine Angaben häufig unzuverlässig. Zum Schluß erwähnen wir noch, daß von den interessanten kulturhistorischen Skizzen, die A. Franklin unter dem anspruchslosen Titel: „La vie privée d’autrefois“ erscheinen läßt, drei neue Bändchen vorliegen (Par. 1890–91), in denen die Zustände der öffentlichen Gesundheitspflege, die gastronomischen und die medizinischen Verhältnisse des alten Paris und seiner Bürger auf Grund sorgfältigster Studien beleuchtet werden.

England. Die große Zahl populärer Handbücher der englischen Geschichte ist durch ein ganz ausgezeichnetes von R. S. Gardiner, „A student’s history of England“ (Lond. 1891, 2 Bde.), vermehrt worden. Eine Biographie des heil. Anselm von Canterbury hat in französischer Sprache der P. Ragey veröffentlicht (Par. u. Lyon 1890), in der auch die Schriften des großen Kirchenfürsten eingehend behandelt und gewürdigt sind. Der Standpunkt des Verfassers ist freilich kein ganz unbefangener, auch schenkt er den Angaben der alten Lebensbeschreibung Anselms von Eadmer wohl zu viel Vertrauen. M. Brosch hat die Fortsetzung der nur bis zum Beginn der Neuzeit reichenden englischen Geschichte von Lappenberg-Pauli übernommen; der erste Band (Bd. 6 des ganzen Werkes) umfaßt das 16. Jahrh., also die Regierungen Heinrichs VIII. und der Elisabeth: ein Buch, dem es weder an Fleiß noch an redlichem Streben, der schwierigen Aufgabe gerecht zu werden, fehlt, das aber doch den frühern Arbeiten desselben Verfassers nicht ganz gleichwertig ist. Dieser Zeit gehören noch einige beachtenswerte Biographien an: Bridgett, „Life of J. Fisher, Bishop of Rochester“ (Lond. 1890); Derselbe, „Life and writings of Sir Th. More“ (das. 1891); E. T. Bradley, „Life of Lady Arabella Stuart“ (das. 1890), denen sich natürlich wieder einige Maria Stuart-Leben, die wir nicht aufzählen, zur Seite stellen. A. Zimmermanns „Maria die Katholische“ (Freiburg 1890) ist ein ultramontaner Rettungsversuch dieser Fürstin, der als durchaus mißlungen bezeichnet werden muß. Von Bagwells großem Buch: „Ireland under the Tudors“, sind drei Bände erschienen (Lond. 1890). Aus dem 17. Jahrh. erwähnen wir einen beachtenswerten Quellenbeitrag zur Revolutionsgeschichte, den die „Clarke Papers“, herausgegeben von C. H. Firth (Lond. 1891), liefern; es ist der handschriftliche Nachlaß von W. Clarke, der 1647–49 Sekretär des Armeerats war und 1651–60 als Sekretär General Moncks und der schottischen Armee fungierte. Interessante Studien über Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung während der Republik und des Protektorats veröffentlicht F. A. Inderwick: „The Interregnum“ (Lond. 1891). Die große „History of England in the XVIII. century“ von W. H. Lecky ist mit Bd. 7 und 8 (Lond. 1891) abgeschlossen; die beiden Bände beziehen sich auf die Geschichte Irlands am Schluß des vorigen Jahrhunderts, die ganz unbefangen darzustellen einem Engländer auch bei den besten Bemühungen schwer fällt. Ohne eigentlich wissenschaftlichen Wert ist die „History of the Four Georges“ von Justin Mc Carthy (Lond. 1889 ff.), der nur journalistische Verdienste zukommen. Von einer der Hauptquellen zur Geschichte des 18. Jahrh., den „Letters of Horace Walpole“, ist eine neue Ausgabe in neun Bänden erschienen (Lond. 1891); die Briefe sind hier wenigstens chronologisch geordnet. Sonst sind namentlich noch zahlreiche Biographien von Staatsmännern des 19. Jahrh. erschienen: wir erwähnen diejenigen Lord Melbournes von H. Dunckley (Lond. 1891), Disraeli-Beaconsfields von J. A. Froude (das. 1890) und Sir W. Fraser (das. 1891), Sir Stafford Northcotes von A. Lang (das. 1890) und Gladstones von J. B. Smith (das. 1890). Von der Kirchengeschichte Englands von R. Dixon ist der vierte Band erschienen, der die Zeiten der Königin Maria umfaßt (Lond. 1891); A. Bellesheim hat eine sehr gelehrte Geschichte der katholischen Kirche in Irland (Bd. 1, Mainz 1890) zu schreiben begonnen. Von den Arbeiten zur Verfassungsgeschichte nennen wir nur Ch. Groß’ „The Gild Merchant“ (Oxf. 1891), eine auf langjährigen Studien beruhende Geschichte der englischen Kaufgilden, die für die Erkenntnis der Entwickelung des englischen Städtewesens von erheblicher Bedeutung ist.

Papsttum. Eine als Manuskript gedruckte Untersuchung: „War Gregor VII. Mönch?“ von W. Martens (Danz. 1891), verneint die aufgeworfene Frage im Gegensatz zu der bisher herrschenden Meinung. U. Robert, der sich seit vielen Jahrzehnten mit den Urkunden Calixtos II. beschäftigt, hat mit einer neuen Ausgabe derselben („Bullaire du pape Calixte II“) gleichzeitig eine „Histoire du pape Calixte II“ (Par. 1891) erscheinen lassen, die auf guten Studien beruht und besonders eingehend dessen Beziehungen zu Heinrich I. von England und Heinrich V. von Deutschland behandelt, ohne jedoch erhebliche neue Resultate [450] zu erbringen. Über „Gregor X. und Rudolf von Habsburg in ihren beiderseitigen Beziehungen“ handelt A. Zisterer (Freib. 1891), der namentlich auf die Stellungnahme des Papstes zu den staatsrechtlichen Fragen ausführlich eingeht. Die fleißige Untersuchung von J. P. Sägmüller: „Die Papstwahlen und die Staaten 1447–1552 (Tübing. 1890), sucht besonders das sogen. Exklusivrecht einzelner Staaten, welches sich eben in dieser Zeit ausgebildet hat, näher zu beleuchten.

Südeuropa. Aus den Werken zur Geschichte des byzantinischen Reiches erwähnen wir die Arbeit von K. Schwarzlose, „Der Bilderstreit“ (Gotha 1890), welche sorgfältig bemüht ist, die ernsten religiösen und kirchenpolitischen Gesichtspunkte aufzuzeigen, die den langjährigen und erbitterten Kämpfen zwischen Bilderdienern und Bilderstürmern zu Grunde lagen. Glänzend ausgestattet und reich illustriert ist G. Schlumbergers Werk, „Un empereur byzantin au dixième siècle. Nicéphore Phocas“ (Par. 1890). Spaniens Beziehungen zu Frankreich im Anfang des 18. Jahrh, untersucht Baudrillart, „Philippe V et la cour de France“ (Par. 1890–91), der auf Grund spanischer und französischer Archivalien zu einem sehr günstigen Urteil über die Politik des Regenten und des Kardinals Dubois gelangt, welch letztern er für einen, wenn nicht der größten, so doch der geschicktesten Minister des alten Frankreich hält. Auch die von A. Morel-Fatio veröffentlichten „Études sur l’Espagne au XVIII. siècle“ (Bouillon 1890) haben allgemeineres Interesse: sie beruhen auf der Korrespondenz des spanischen Diplomaten Graf Fernan Nuñez mit dem Fürsten Salm-Salm und bringen merkwürdige Einzelheiten über spanische und zum Teil auch über deutsche Verhältnisse. In Italien hat der jetzige Unterrichtsminister P. Villari eine Reihe kleinerer Aufsätze, als „Saggi critici e storici“ (Bologna 1890), zusammengestellt; wir heben daraus besonders die Abhandlungen über Savonarola hervor. Von deutschen Arbeiten über mittelalterliche italienische Geschichte erwähnen wir die Studie J. Gittermanns über den in Sage und Dichtung berühmten „Ezzelino von Romano“ (Stuttg. 1891), die Untersuchungen G. Caros, „Zur Verfassungsgeschichte Genuas“ (Straßb. 1891), und die Abhandlung B. Kindts über die „Katastrophe Lodovico Moros in Novara im April 1500“ (Greifswald 1890), durch welche die Ansicht, daß die schweizer Söldner den Herzog von Mailand an die Franzosen verkauft haben, widerlegt wird. Ein sehr gewissenhaftes Buch über die Verfassung des Königreichs Neapel unter den beiden ersten angiovinischen Herrschern: „Essai sur l’administration du royaume de Naples sous Charles I et Charles II d’Anjou“, ist aus dem Nachlaß L. Cadiers (Par. 1891) herausgegeben. Besonders eifrig beschäftigt man sich mit der neuesten Zeit. Tivaroni, „L’Italia durante il dominio francese“ (Bd. 2, Turin 1890), stellt die Verhältnisse der italienischen Halbinsel unter Napoleon I. dar, wobei sich ergibt, wie diese Herrschaft trotz des Druckes, den sie ausübte, doch aus manchen Gründen den frühern Zuständen, an deren Stelle sie trat, vorzuziehen war. V. Bersezios großes Werk „Trent’ anni di vita italiana“ (Turin 1890) ist mit dem 5. Bande bis 1852 vorgerückt; Cesare Correnti hat an Massarani einen vortrefflichen Biographen gefunden (Rom 1890); M. Minghetti gab den zweiten und dritten Band seiner Memoiren: „Miei ricordi“ (Turin 1890), heraus.

Über Nord- und Osteuropa sind in der Hauptsache nur Schriften erschienen, welche ihrer Sprache halber weitern Kreisen in Deutschland nicht zugänglich sein werden. Doch mögen E. H. Meyers Untersuchungen über „Eddische Kosmogonie“ (Freiburg 1890), welche die eddische Lehre von der Weltentstehung auf christlich-mittelalterliche Grundlage zurückführen, dann ein populäres und illustriertes englisches Werk über das Wiking-Zeitalter von Du Chaillu (Lond. 1891, 2 Bde.) erwähnt werden. Arbeiten über Christina von Schweden sind in England von F. W. Baines (Lond. 1891) und in Italien, wo die Königin durch ihren längern Aufenthalt ein lebhaftes Andenken hinterlassen hat, von Grottanelli (Flor. 1890) publiziert worden. Ein wichtiges Quellenwerk zur Geschichte Rußlands im Revolutionszeitalter sind die „Materialien zur Lebensbeschreibung des Grafen Panin“, hrsg. von A. Brückner, deren dritter Band (Petersb. 1890) die Jahre 1797 u. 1798 umfaßt. Die Beziehungen Alexanders I. von Rußland und Napoleons I. von Frankreich behandeln fast gleichzeitig, natürlich von verschiedenen Gesichtspunkten aus, J. Tatistchew (Par. 1890) und A. Vandal (das. 1890).

Wir beschließen diese nur einen ausgewählten Teil der reichen historischen Litteratur der letzten Jahre umfassende Übersicht mit der Erwähnung der vortrefflichen „Verfassungsgeschichte der Vereinigten Staaten von Nordamerika“ von H. v. Holst, die mit ihrem vierten Bande (Berl. 1891) das gesteckte Ziel: den Ausbruch des Bürgerkrieges zwischen Nord- und Südstaaten, erreicht hat. Der Band schildert die Präsidentschaft Buchanans, dessen Schwäche, Selbstüberschätzung und Eigensinn klar hervorgehoben werden.