Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Helgoland“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 8 (1887), Seite 351352
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Helgoland. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 8, Seite 351–352. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Helgoland (Version vom 24.04.2024)

[351] Helgoland (engl. Heligoland), kleine, den Briten gehörige Insel mit vielbesuchtem Seebad in der Nordsee, nordwestlich von den Mündungen der Elbe und der Weser, 44,5 km vom Festland entfernt, unter 54°10′ nördl. Br. und 7°53′ östl. L. v. Gr., ist 1700 m lang, 600 m breit, hat etwa 4000 m Umfang und 0,55 qkm (0,01 QM.) Flächengehalt und besteht aus dem Oberland und dem im SO. vorgelagerten Unterland (s. Kärtchen). Das Oberland ist ein bis 63 m hoher, roter Thonsteinfelsen, der, von fern gesehen, wie eine matt ziegelrote, unregelmäßige Mauer aus den grünen Meereswogen emporsteigt, mit niedrigem Strauchwerk, Gras, Klee und einigen Gerste- und Kartoffelfeldern bedeckt ist und auch eine kleine Stadt sowie einen schönen Leuchtturm trägt; das Unterland ist ein flaches, sandiges, mit Muscheln und Seetang bedecktes Vorland von geringer Ausdehnung, mit dem Oberland durch eine Treppe von 193 Stufen und seit 1885 durch einen Aufzug in Verbindung stehend. Etwa 1200 m östlich von diesem Vorland [352] liegt die Düne, eine auf Felsgrund gelagerte, sanft hügelige, im Sonnenglanz blendend weiß erscheinende Sandinsel von 550 m Länge, deren fester und feiner Sandgrund den herrlichsten Badestrand darbietet, zu dem man auf kleinen Fahrzeugen übersetzt, und wo man an der Nord- oder Ostseite je nach der Windrichtung stärkern oder schwächern Wellenschlag benutzen kann. Das 1826 gegründete Seebad nimmt entschieden den ersten Rang unter allen deutschen Nordseebädern ein; es ist das einzige, dessen insulare Lage eine stets reine Seeluft bedingt. Seitdem die Badeanstalt vor längerer Zeit in die Hände der Munizipalität gelangt ist, haben zeitgemäße Verbesserungen stattgefunden, unter denen das mit einem Dampfbad verbundene große, glasgedeckte Schwimmbassin und die erwähnte Aufzugverbindung mit dem Oberland besonders zu nennen sind. Im J. 1887 soll die Badeanstalt auf 80 Jahre verpachtet werden; es soll dann an Stelle des jetzigen Konversationshauses ein Hotel gebaut und ein Konversationshaus an Stelle des jetzigen Strandpavillons errichtet

Kärtchen von Helgoland.

werden. Die Badezeit beginnt Anfang Juni und dauert bis Ende Oktober. Im J. 1886 zählte man 8500 Badegäste und 4000 Touristen. Die Brandung des Meers hat an der ehemals viel größern Insel arg gearbeitet. Die Düne wurde 31. Dez. 1720 von der Insel losgetrennt. An der Westseite Helgolands zeigt sich zur Ebbezeit ein 100 m breiter Felsgrund, und die Uferwände bieten hier das großartigste Bild von hohen Felsthoren, riesigen Felskegeln und großen, tiefen Grotten dar. Auf den Felsvorsprüngen brüten viele Hundert Paare von Seevögeln in gedrängten, langen Reihen. Aus der lebhaften Farbenzusammenstellung, welche das Landschaftsbild der Insel darbietet, entstand die grün-rot-weiße Flagge der Helgoländer. Die Reede (Nord- und Südhafen genannt) liegt zwischen H. und der Düne und wird von vier Batterien verteidigt.

Die Zahl der Einwohner betrug 1860: 2172, 1881 nur 2001. Sie bewohnen eine kleine Stadt, teilweise im Oberland, teilweise im Unterland gelegen, mit Kirche und Schule, und nähren sich von Fischerei nebst Austern- und Hummernfang, Schiffahrt, Lotsendienst sowie von dem starken Fremdenverkehr während der Badesaison. Sie besitzen 45 kleine Segelboote (zusammen von 454 Ton. Gehalt). Kartoffeln und Fische sind Hauptnahrung. Die Helgoländer sind vorwiegend friesischen Stammes und sprechen einen friesischen Dialekt (vgl. Ölrichs, Wörterschatz, Leipz. 1882), während die deutsche Sprache Kirchen- und Schulsprache ist. Ihre Biederkeit wird allgemein gerühmt, Verbrechen sind unter ihnen fast unerhört; dennoch ist ihnen durch den Verkehr mit vielen Fremden eine gewisse berechnende Schlauheit eigen geworden. Seit 1868 residiert ein englischer Gouverneur auf der Insel. Die Revenue belief sich 1884 auf 8336 Pfd. Sterl., die Kolonialschuld auf 3547 Pfd. Sterl. Mit Hamburg, Kuxhaven und Geestemünde besteht regelmäßige Dampfschiffahrt, mit der deutschen Küste submarine Telegraphenverbindung. Auf verschiedenen Feldern der Naturwissenschaften bietet H. die interessantesten Erscheinungen dar, z. B. seine geologische Formation (vgl. Wiebel, Die Insel H., Hamb. 1848). Dann ist die Zahl der H. während der Zugperioden besuchenden Vögel aller Länder der ganzen nördlichen Hemisphäre geradezu beispiellos (einen Beweis dafür liefert die Gätkesche Sammlung auf der Insel). Unter den Lepidopteren ist eine höchst interessante Art, Spilosana Zatime, fast ausschließlich helgoländisch zu nennen, und unter der Flora sind einheimisch die hochnordische Cochlearia danica sowie die südliche Lobularia maritima; die Zahl und Mannigfaltigkeit der submarinen Flora ist begreiflicherweise sehr groß. – H. ist das alte Fositesland (s. Forseti) und war, wie die Sage meldet, eine umfangreiche, stark bevölkerte Insel. Seit dem 14. Jahrh. gehörte sie den Herzögen von Schleswig-Holstein-Gottorp, bis sie in dem Kampf der königlichen Linie gegen die herzogliche 1714 von den Dänen belagert und erobert ward. 1807 bemächtigten sich ihrer die Engländer und wurden im Frieden von 1814 in ihrem Besitz bestätigt. Zur Zeit der Kontinentalsperre (1812) war H. ein Hauptplatz für den Schmuggelhandel. Am 9. Mai 1864 fiel in der Nähe ein Seegefecht zwischen den Österreichern und Dänen vor. Vgl. von der Decken, Untersuchungen über die Insel H. (Hannov. 1826); Lappenberg, Über den ehemaligen Umfang und die alte Geschichte Helgolands (Hamb. 1831); Ötker, H. (Berl. 1855); Hallier, H. (Hamb. 1869); Derselbe, Verfassung und Recht auf H. (Stuttg. 1878); Lütken, Die Nordsee-Eskadre und das Seegefecht bei H. am 9. Mai 1864 (Wien 1886).


Jahres-Supplement 1890–1891
Band 18 (1891), Seite 409410
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[409] Helgoland wurde durch das deutsch-englische Abkommen vom 1. Juli 1890 (s. oben, S. 198) an Deutschland abgetreten, das Hauptzugeständnis Englands für die erheblichen Vorteile, die es in Afrika gewann. Die Denkschrift der deutschen Reichsregierung über das Abkommen sagte daher auch: „Die kaiserliche Regierung dürfte der Überzeugung leben, daß ein Ersatz für das, was in Afrika an nationalen Motiven und Wünschen etwa unbefriedigt bleiben mochte, im Wiedergewinn von H. gefunden werden mochte“, und hob hervor, daß es seit Menschenaltern in Deutschland schmerzlich empfunden worden sei, daß unmittelbar vor der Mündung der Elbe, der Weser und der Jade ein fremdes Reich Herr deutschen Landes war, und daß ein echt deutscher Stamm, von seinem Heimatland losgerissen, trotz humanster Behandlung verkümmerte, daß aber alle Versuche, H. von England zu erwerben, wegen Mangels eines Kompensationsobjekts gescheitert seien. „Abgesehen aber von diesem pretium affectionis bedeutet der Besitz der Insel H. für Deutschland eine wesentliche Erhöhung seiner Wehrkraft zum Schutze der Küsten und Flußmündungen in der Nordsee … In deutschen Händen wird H. die Verteidigung unsrer Nordseeküsten wie unsers deutschen Meeres erleichtern, eine feindliche Blockade aber mindestens sehr erschweren … Auch erhält der zur Zeit im Bau begriffene Nordostseekanal erst durch ein deutsches H. seinen vollen Wert für den Kriegsfall.“ Eine Abstimmung der Bevölkerung von H. über die Abtretung bedang sich England nicht aus, doch sollten alle Eingebornen sich für die britische Nationalität entscheiden dürfen, alle vor 1. Juli gebornen männlichen Einwohner vom deutschen Kriegsdienst befreit sein und die vor der Abtretung gültigen Zölle vor 1. Jan. 1910 nicht erhöht werden; die Rechte der britischen Fischer in den Gewässern von H. blieben unberührt. Nachdem das englische Parlament die Abtretung genehmigt hatte, fand 9. Aug. 1890 die Übergabe der Insel seitens des britischen Gouverneurs Barkly an den deutschen Staatssekretär des Reichsamtes des Innern, v. Bötticher, statt. Kaiser Wilhelm traf 10. Aug. von England selbst in H. ein, nachdem eine ansehnliche Zahl von deutschen Kriegsschiffen vor H. Anker geworfen hatten, und hielt eine Parade über die Matrosen und ein Seebataillon ab. Hierauf ergriff er mit einer Proklamation an die Helgoländer von der Insel Besitz und nahm sie „in den Kranz der deutschen Inseln wieder auf, welcher die vaterländische Küste einsäumt“. „Ich werde“, versicherte der Kaiser, „dahin Sorge tragen, daß Recht und Gerechtigkeit unter euch unparteiisch gepflegt werden wird und eure heimischen Gesetze und Gewohnheiten soweit wie möglich unverändert fortbestehen. Eine wohlwollende und umsichtige Verwaltung wird auch in Zukunft bestrebt sein, eure Wohlfahrt zu fördern und das wirtschaftliche Gedeihen der Insel zu heben.“ Mit Zustimmung des Bundesrats und des Reichstags (Gesetz vom 18. Febr. 1891) wurde H. 1. April 1891 dem Königreich Preußen und zwar der Provinz Schleswig-Holstein und dem Kreis Süderdithmarschen einverleibt. Die Bevölkerung von H. zeigte sich mit dem Wechsel der Herrschaft durchaus einverstanden, da sie deutsch fühlte und bei aller Anerkennung der Uneigennützigkeit und des Wohlwollens der englischen Regierung doch erhebliche Vorteile sich versprach.

[410] Zur Litteratur: Lindemann, Die Nordseeinsel H. in topographischer, geschichtlicher, sanitärer Beziehung (Berl. 1889); Dalla Torre, Die Fauna von H. (Jena 1890); B. v. Werner, Das Seegefecht bei H. am 9. Mai 1864 (in „Unsre Zeit“, 1889, Heft 5; Kritik der Schrift von Lütken).