Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Häring“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 8 (1887), Seite 160161
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Häring. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 8, Seite 160–161. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:H%C3%A4ring (Version vom 19.11.2021)

[160] Häring, Fisch, s. Hering.

Häring, Georg Wilhelm Heinrich, unter dem Pseudonym Wilibald Alexis bekannter Romandichter, geb. 29. Juni 1798 zu Breslau als Sprößling einer französischen Réfugiésfamilie aus der Bretagne, die ihren französischen Familiennamen Hareng ins Deutsche übersetzt hatte, besuchte das Werdersche Gymnasium in Berlin, machte als Freiwilliger den Feldzug von 1815 und die Belagerungen der Ardennenfestungen mit, widmete sich hierauf zu Berlin und Breslau juristischen Studien und ward Auskultator und Kammergerichtsreferendar in Berlin. Bald entsagte er jedoch der juristischen Laufbahn und widmete sich ausschließlich der schriftstellerischen Thätigkeit. Später verwandte er einen Teil seines Vermögens auf die Einrichtung eines großartigen Lesekabinetts, gründete auch eine Verlagsbuchhandlung etc. Doch waren dies alles nur Episoden in der fortgesetzt vorwiegend litterarischen Laufbahn des Autors, der, wie kaum ein zweiter, mitten durch das Gewirr publizistischer und litterarischer Vielgeschäftigkeit feste poetische Pläne trug und künstlerisch gestaltete. Bis 1856 ununterbrochen thätig, hatte H. das Unglück, bald nach seiner Übersiedelung nach Arnstadt in Thüringen, wo er sich ein anmutiges Heim gegründet, von einem Gehirnschlag getroffen zu werden, von dem er sich nie wieder vollständig erholte. Er starb 16. Dez. 1871 in Arnstadt. Seine eigentliche litterarische Thätigkeit begann H. mit einem idyllischen Epos in Hexametern: „Die Treibjagd“ (Berl. 1820), welchem „Die Schlacht bei Torgau und der Schatz der Tempelherren“ (das. 1822) folgte. Aus einer Wette im Freundeskreis ging ein dreibändiger Roman: „Walladmor“ (Berl. 1823–24, 3 Bde.), hervor, eine kecke Mystifikation, indem der Verfasser das Werk für eine Schöpfung Walter Scotts ausgab und damit auf seiten des Publikums und der Kritik Glauben fand. Der Roman ward ins Englische und mehrere andre Sprachen übersetzt. Unter derselben Maske erschien auch der Roman „Schloß Avalon“ (Leipz. 1827, 3 Bde.), dem die „Geächteten“ (das. 1825) vorausgegangen waren. Bald aber trat H. auf dem Gebiet der Novellen- und Romanpoesie mit selbständigern Produkten auf, in denen sich Anklänge an Scott und Tieck mit seinen eignen, von der jungdeutschen Bewegung beeinflußten Reflexionen mischten, ohne daß der Objektivität der Darstellung dadurch Eintrag geschah. Unter seinen Novellen, die zuerst in Journalen und Taschenbüchern zerstreut, dann als „Gesammelte Novellen“ (Berl. 1830–31, 4 Bde.) und „Neue Novellen“ (das. 1836, 2 Bde.) erschienen, sind einzelne, wie: „Venus in Rom“ und „Acerbi“, vortrefflich in Ausführung und Darstellung. Sein eigenstes Gebiet, das der historischen Romandichtung mit dem Hintergrund märkisch-preußischer Geschichte, betrat H. zuerst in seinem umfangreichsten Werke: „Cabanis“ (Berl. 1832, 6 Bde.; 6. Aufl. 1880, 2 Bde.), einem charakteristischen Bild aus der Zeit Friedrichs d. Gr. Aber bereits mit dem Roman „Das Haus Düsterweg“ (Leipz. 1835) schien H. wieder in andre Bahnen einzulenken. Als Reiseschriftsteller trat er in seiner „Herbstreise durch Skandinavien“ (Berl. 1828, 2 Bde.), den „Wanderungen im Süden“ (das. 1828) und den „Wiener Bildern“ (Leipz. 1833) auf, welch letztere in Preußen verboten, während umgekehrt seine „Schattenrisse aus Süddeutschland“ (Berl. 1834) von den Liberalen angefeindet wurden. Seine „Zwölf Nächte“ (Berl. 1838, 3 Bde.) leiden an einer gewissen Nüchternheit und Breite des Räsonnements, die der sonst trefflichen Darstellung Eintrag thun. Sein „Urban Grandier“ (Berl. 1843, 2 Bde.) war als Nachtgemälde des Fanatismus von Interesse. Zwischen der Folge seiner historischen Romane erschienen noch: „Der Zauberer Virgilius“ (Berl. 1851); „Märchen aus der Gegenwart“ (das. 1852) und das Bruchstück eines unvollendet gebliebenen Zeitromans, das Idyll „Ja, in Neapel“ (das. 1860). Für die Bühne schrieb H. in früherer Zeit die Lustspiele: „Der Prinz [161] von Pisa“ und „Die Sonette“ (1828), das Drama „Ännchen von Tharau“ (1829) und den Fastnachtsschwank „Der verschwundene Schneidergesell“ (1841). Auch gab er „Balladen“ (Berl. 1836) und mit E. Ferrand und A. Müller „Babiolen“ (Leipz. 1837, 2 Bde.) heraus. Die längere Zeit geführte Redaktion des „Berliner Konversationsblatts“, womit 1830 „Der Freimütige“ verbunden wurde, gab er 1835 auf. Das von ihm mit Hitzig begonnene Werk „Der neue Pitaval“ (Leipz. 1842–63, Bd. 1–33) behauptet unter allen für ein größeres Publikum bestimmten Sammlungen von Kriminalgeschichten den Vorrang. Seine eigentliche Bedeutung in der neuern deutschen Litteratur errang aber „Wilibald Alexis“ lediglich mit den vortrefflichen historischen Romanen, zu denen „Cabanis“ der Vorläufer gewesen war. Nacheinander erschienen: „Der Roland von Berlin“ (Leipz. 1840, 3 Bde.; 4. Aufl. 1881), welcher die letzten Kämpfe des altmärkischen Bürgertums gegen den neuaufstrebenden Hohenzollernstamm im 15. Jahrh. zum historischen Hintergrund hat; „Der falsche Woldemar“ (Berl. 1842, 3 Bde.; 4. Aufl. 1880), welcher die denkwürdigste Episode der mittelalterlichen Geschichte der Mark Brandenburg behandelt; der Doppelroman „Die Hosen des Herrn von Bredow“ (das. 1846–1848, 5 Bde.; 9. Aufl. 1881) mit den Einzeltiteln: „Hans Jürgen und Hans Jochem“ und „Der Wärwolf“ (5. Aufl. 1884), der die Zeit des Kurfürsten Joachim I. und der Reformation zum Hintergrund hat; „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“ (das. 1854, 5 Bde.; 4. Aufl. 1881), die traurigste Zeit Preußens vor der Katastrophe von Jena darstellend; „Isegrimm“ (das. 1854, 3 Bde.; 4. Aufl. 1881), aus den Tagen der Erhebung und des Aufschwunges nach 1806, und endlich „Dorothe“ (das. 1856, 3 Bde.; 3. Aufl. 1879), welcher Roman wiederum in die letzte Zeit des Großen Kurfürsten zurückgreift. Alle diese Romane, obschon nicht völlig von prosaischen Elementen frei, erheben sich doch in der Hauptsache durch die Fülle charakteristischer Gestalten sowie durch die Wiedergabe der Zeitstimmung und die Schilderung märkischer Landschaften, aus welchen die Eigentümlichkeiten der Menschen erwachsen, zu wahrhaft poetischer Bedeutung. Seine „Gesammelten Werke“ erschienen in 20 Bänden (Berl. 1874), die „Vaterländischen Romane“ besonders in 8 Bänden (zuletzt das. 1884). Vgl. Julian Schmidt, Neue Bilder aus dem geistigen Leben unsrer Zeit (Leipz. 1873); Ad. Stern, Zur Litteratur der Gegenwart (das. 1879).