Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Geschütze“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 18 (Supplement, 1891), Seite 355356
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Geschütze. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 18, Seite 355–356. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Gesch%C3%BCtze (Version vom 15.10.2024)

[355] Geschütze.[WS 1] Die Thätigkeit der Geschützkonstrukteure ist jetzt im wesentlichen darauf gerichtet, die Verwendung rauchlosen Pulvers für die Geschützladungen und brisanter Sprengstoffe für die Sprengladung der Geschosse zur Erzielung möglichst großer Sprengwirkung auszubilden. Wenn ersteres zur Erreichung größerer Geschoßgeschwindigkeiten nur bei den Flachbahngeschützen der Feld-, Küsten- und Schiffsartillerien, weniger bei Festungs- u. Belagerungsgeschützen zur Geltung kommt, so gewinnen alle G. durch den fast gänzlichen Fortfall der Pulverrückstände. Schnellfeuerkanonen haben sich in die Schiffs- und Küstenartillerie überall, in die Festungsartillerie einstweilen nur in Verbindung mit den Panzerlafetten eingeführt. Auch ihre Verwendung in der Feldartillerie wird lebhaft besprochen und ist diese wohl nur eine Frage der Zeit. Ein Haupthindernis, der Mangel einer sichern Schußbremse, scheint in Frankreich durch die Seilbremse des Majors Lemoine befriedigend gelöst. Die Bremse wirkt durch Anziehen eines die Radnabe umschlingenden Drahtseiles selbstthätig, um so kräftiger, je heftiger der Rücklauf ist. Auch die österreichischen Feldgeschütze sind mit einer Fahr- und Schußbremse versehen worden. Das Grusonwerk hat eine kräftig wirkende Nabenbremse als Schußbremse hergestellt. In Rußland ist dem General Engelhardt die Herstellung einer leichten, fahrbaren Feldmörserlafette gelungen, es ist eine kurze Wandlafette, ähnlich den Feldlafetten. Das Zerbrechen der Achse durch den Rückstoß bei den hohen Elevationen des Mörsers wird durch zwei starke, mittels einer breiten Fußplatte verbundene Stützen verhütet, welche unter der Achse derart befestigt sind, daß sie beim Fahren heraufgeklappt werden können. Ihre Höhe ist so bemessen, daß sie die Räder ganz entlasten. Das Grusonwerk hat eine 12 cm Schnellfeuerhaubitze, eine 15 u. 21 cm Haubitze in Panzerlafette (s. d.) von guten Schußleistungen hergestellt. Die erstere erreicht 12–15 Schuß in der Minute. In England sollen die Versuche mit den für die Feldartillerie bestimmten Hinterladungskanonen noch nicht beendet sein. Zur Einführung kommen für die Positionsbatterien ein 20-Pfünder (8,89 cm Kaliber), Granate 9 kg, Geschützladung 2,7 kg, Geschoßgeschwindigkeit 513 m; für die Feldbatterien ein 12-Pfünder (7,62 cm Kaliber), Granate 5,675 kg, Geschützladung 1,815 kg, Geschoßgeschwindigkeit 521 m; für die reitenden Batterien ein leichter 12-Pfünder (7,62 cm Kaliber). Die Herstellung der neuen G., auch für die Marine, soll noch sehr im Rückstand sein und sehr langsam fortschreiten. In England ist das Vertrauen zu den neuen Geschützen nicht groß. Das größte G., welches von Armstrong bis jetzt gefertigt wurde, hat 43,2 cm Kaliber, ist 42 Kaliber [356] (18,1 m) lang, wiegt 142,25 Ton., die Ladung 498,9 kg, die Granate 907,2 kg, die Geschoßgeschwindigkeit beträgt 731,5 m, mit welcher eine lebendige Kraft von 24,740 Metertonnen erreicht wird, das anfängliche Durchschlagsvermögen beträgt 100 cm schmiedeeiserner Platte. Krupps neueste projektierte 40 cm Kanone L/40 wiegt 143 T., die 3,5 Kaliber lange Panzergranate 1050 kg, die Geschützladung 485 kg, mit welcher 640 m Anfangsgeschwindigkeit oder 21,925 Metertonnen lebendige Kraft erzielt werden, der eine anfängliche Durchschlagskraft von 120,7 cm schmiedeeiserner Platte entspricht. Krupps größte Schnellfeuerkanone hat 13 cm Kaliber, welche 12 Schuß in der Minute abgeben kann. Krupps 21 cm Kanone L/35 durchschlug mit ihrer 3,5 Kaliber langen Stahlgranate von 138 kg Gewicht auf 116 m vor der Mündung mit 550 m Auftreffgeschwindigkeit eine englische Stahleisenplatte von 39,5 cm, 20 cm Eichenholz und 2 Innenhautbleche von je 2 cm Dicke dahinter. Die Granaten blieben vollkommen unversehrt.

In allen Artillerien ist man bemüht, für die Feldarmeen ein Steilfeuergeschütz herzustellen oder ein vorhandenes dazu auszubilden. Die Schwierigkeit dieser Aufgabe liegt darin, daß das Kaliber in Rücksicht auf Geschoßwirkung nicht unter 12 cm heruntergehen kann; die Geschosse haben daher für die Mitführung in einer Protze und schnelle Handhabung ein sehr großes Gewicht. Die Lafette muß gleich den Feldlafetten fahrbar sein und doch hohe Elevationen gestatten, gleich den Belagerungsmörsern, die G. bedürfen daher einer fahrbaren Bettung oder andrer entsprechender Einrichtungen. Rußland hat einen 15 cm Feldmörser mit fahrbarer Bettung, Spanien und England haben einen 12 cm Feldmörser, die Schweiz und Schweden eine 12 cm Feldhaubitze in Feldlafette mit Puffervorrichtung angenommen. Krupp hat eine 12 cm Feldhaubitze von 11,6 Kaliber Rohrlänge, 450 kg Rohrgewicht, 15 Kaliber Drallänge hergestellt, welche gußeiserne und stählerne Zündergranaten sowie Stahlschrapnells von 20 kg Gewicht schießt. Größte Schußweite 5000 m. Die Lafette wiegt 650, die Protze 585, mit Munitionsausrüstung 985 kg. Die Protze faßt 16 Geschosse. Die gußeiserne Granate ist 3,1, die stählerne 4, der Schrapnell 2,5 Kaliber lang. Auf das Hemmen des Rücklaufs der schweren G. wird großer Wert gelegt; meist kommen hydraulische, mit Glycerin gefüllte Bremsen zur Verwendung, deren Cylinder in der Stirnmauer oder auf der Bettung, deren Kolben an der Lafette befestigt ist; Hemmkeile bewirken das selbstthätige Vorlaufen in die Feuerstellung. In England, Frankreich, Rußland werden Verschwindungslafetten bevorzugt, welche das Herabsenken des Geschützes aus der hohen Feuer- in die niedrige Ladestellung durch den Rückstoß selbstthätig bewirken. Der Rest der Rückstoßkraft wird durch Zusammendrücken von Federn oder Luft, oder Heben eines Gegengewichts verbraucht, so daß nach erfolgtem Laden das Geschütz durch die aufgespeicherte Kraft in die Feuerstellung wieder selbstthätig hinaufgehoben wird. Moncrieff hat sein altes System aufgegeben und eine hydropneumatische Verschwindungslafette konstruiert, welche auf Panzerschiffen, in Rußland nach Abänderung von Raskazoff (Panzerschiff Katharina II., Tschesme), Anwendung fand. Tunkler, Buffington, Eschenbacher, Hoog u. a. haben Gegengewichtslafetten konstruiert. Vgl. v. Löbell, Jahresberichte über Fortschritte und Veränderungen im Militärwesen (Berl. 1890); „Mitteilungen über Gegenstände des Artillerie- und Geniewesens“ (Wien 1887).

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vgl. Geschütz in Band 7 und 17.