Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Feuerwerkerei“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 6 (1887), Seite 223225
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Feuerwerkerei. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 6, Seite 223–225. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Feuerwerkerei (Version vom 17.02.2024)

[223] Feuerwerkerei (Pyrotechnik), Anfertigung und Gebrauch von Gegenständen, welche aus mehr oder minder heftig brennenden Materialien in verschiedenen Formen hergestellt werden und vermöge ihrer Feuerwirkung entweder zu Kriegszwecken Verwendung finden sollen (Kriegsfeuer), oder zur Belustigung dienen (Lust- oder Kunstfeuerwerk).

1) Die Kriegsfeuerwerkerei umfaßt die Anfertigung und Aufbewahrung sämtlicher in der Armee zur Anwendung kommender Kriegsfeuer. Unter diesen versteht man die Munition für Geschütze und Handfeuerwaffen, die Zündungen und besondere Feuerwerkskörper. Die Anfertigung geschieht in Laboratorien, welche, den verschiedenen Arbeiten entsprechend, besonders baulich hergerichtete Arbeits- und Aufbewahrungsräume enthalten. Teile von Kriegsfeuern, deren Fertigung ein besonders geübtes Personal oder entsprechende Fabrikeinrichtungen erfordern, werden in technischen Instituten gefertigt oder von der Privatindustrie geliefert. Es werden gefertigt: im Feuerwerkslaboratorium zu Spandau die Kriegsraketen, alle mit Satz gefüllten Zünder, [224] Schlagröhren etc.; in den Gewehrfabriken zu Danzig, Spandau und Erfurt die Infanteriegeschosse und Perkussionszünder für gezogene Granaten; in den Pulverfabriken zu Spandau, Neiße, Metz sowie in den Privatpulverfabriken von Ritter zu Hamm a. S. und Duttenhofer zu Rottweil Schießpulver. Die Geschützgießerei zu Spandau sowie die Artilleriewerkstätten zu Spandau, Deutz, Danzig und Straßburg liefern Geschosse mit dünnem Bleimantel, Kartätschen etc., in nächster Zukunft auch die Geschoßfabrik zu Siegburg; eine Anzahl Eisengießereien und Hüttenwerke liefern die Geschoßeisenkerne. Die Messingpatronenhülsen für das neue Infanteriegewehr werden gleichfalls von Privaten, namentlich von England, bezogen. In allen technischen Instituten sind nur Zivilarbeiter und -Aufseher beschäftigt. Die Direktion sowie die Abnahme der Fabrikate liegt in der Hand von Offizieren und Militärkommandos. Die Arbeiten in den Laboratorien werden durch das Feuerwerkspersonal geleitet. Die meisten der früher gebräuchlichen Feuerwerkskörper sind in den letzten Jahren aus der Kriegsfeuerwerkerei ausgeschieden, weil sie der jetzigen Kriegführung nicht mehr entsprechen, z. B. Signalraketen, Bombenröhren etc.

2) Lust- oder Kunstfeuerwerkerei. Ein Feuerwerk besteht aus einer Anzahl einzelner Feuer, welche entweder einzeln nacheinander oder ihrer mehrere zugleich abgebrannt werden. Eine zweckmäßige derartige Zusammenstellung vermag wesentlich zur Erhöhung des Effekts, den das ganze Feuerwerk hervorbringen soll, beizutragen. Jedes in der F. benutzte brennbare Gemenge nennt man einen Satz. Man unterscheidet Flammenfeuersätze, welche schönes intensives Licht und tief gefärbte Flamme geben, und Funkenfeuersätze, die nur einen funkenreichen Feuerstrahl erzeugen sollen. Erstere sind Flammensätze zur Beleuchtung von Gebäuden, lebenden Bildern etc., Lichtersätze mit ruhiger, intensiv gefärbter Flamme, Leuchtkugelsätze, die während ihres Flugs durch die Luft verbrennen. Die Funkenfeuersätze geben nur einen schönen Funkenstrahl (Stillfeuersätze, Brillantsätze), oder sie entwickeln zugleich so viel Gas, daß sie rückwirkende Kraft auf die Hülse ausüben können, und dienen dann zu Feuerwerksstücken, denen man eine Bewegung erteilen will. Für Treib- und langsame Sätze ist das Schießpulver der Grundbestandteil, welches, zu Staub zerrieben, als Mehlpulver zur Anwendung kommt. Je nachdem der Satz heftiger oder langsamer brennen soll, werden dem Mehlpulver weniger oder mehr andre Körper, die im Feuer des Mehlpulvers entweder verbrennen oder glühen sollen, beigemengt. Statt des Mehlpulvers können auch seine Bestandteile, Salpeter, Schwefel und Kohle, genommen werden. Dies geschieht meist nur für faule Sätze, und man nimmt dabei den Salpeterschwefel (75 Salpeter, 25 Schwefel) als Fundamentalsatz an. Werden ihm 8 Proz. Mehlpulver zugesetzt, so erhält man den grauen Satz, einen zweiten Fundamentalsatz. Meist setzt man alle Treib- und faulen Sätze als Funken- oder Brillantsätze an. Die schönsten strahlenden Funken geben Eisen- oder Stahlfeilspäne, dann Messing-, Kupfer- und Zinkspäne sowie Porzellanpulver; glühende Funken erhält man durch Zusatz gesiebter grober Kohle (Goldregen). Alle diese Sätze werden in die Hülsen mit Stempel und Schlägel fest und gleichmäßig eingeschlagen, nur Schwärmer (Hülsen von 1 cm Durchmesser) werden am besten möglichst ungleichmäßig geschlagen. Die Röhren (Hülsen) sind am Brandende gewürgt, d. h. bis auf eine zentrale Öffnung (die Kehle) von 1/31/4 des Kalibers der Hülse zusammengeschnürt, gebunden und geleimt. Beim Schlagen steht dies Ende unten. Auf die letzte Schicht Satz bringt man in der Regel einen Schlag von Kornpulver und schließt dann die Röhre durch eine Thonschicht. Sollen mehrere Röhren nacheinander brennen, so muß das Feuer von einer auf die andre übertragen werden. Zu diesem Zweck wird die Thonschicht zentral bis auf den Satz durchbohrt, ein Ende Zündschnur hineingesteckt, dann zur Würgung der nächsten Röhre geführt und diese Verbindung sorgfältig mit Papier gegen zündende Funken umschlossen (das „Kommunizieren“). Die Würgung und Kehle jeder Röhre wird, um das Feuer leicht aufzunehmen, mit einem Brei von Mehlpulver und Kornbranntwein „angefeuert“. Die Zündschnur besteht aus Fäden von Baumwollgarn, in Anfeuerung getränkt. Leitfeuer, zum Kommunizieren entfernter Röhren dienend, ist Zündschnur, durch etwa 0,5–0,7 cm weite Papierhülsen gezogen. Zündlichte sind dünne Papierhülsen, mit Zündlichtersatz (grauer Satz und Kolophon) geschlagen, die zum Anzünden des Feuerwerks dienen. Lunte besteht aus Hanfschnüren, in salpetersaurem Bleioxyd getränkt und mit Schwefel, Salpeter oder Strontian überzogen; dient zur Darstellung von Namenszügen u. dgl. Fertige Hülsen werden in verschiedener Zahl meist in geometrischen Figuren an Bretter oder Gestelle gebunden. Drei- oder vierröhrige Räder, 1–1,5 m lange, gerade oder S-förmig gebogene Arme u. dgl. m. drehen sich vermöge der durch die ausströmenden Gase hervorgerufenen Reaktion um eine Achse. Stehende Feuer sind Sonnen oder Sterne, deren Strahlenzahl mehrfach nacheinander wechseln kann. Die Sonnen- und Radscheiben werden meist noch mit farbigen Lichtchen besetzt. Im übrigen können die Röhren, je nach der Phantasie des Verfertigers, zu den mannigfachsten Figuren zusammengestellt werden, in deren geschmackvollen Formen und Wechseln oft der Effekt des Feuerwerks und der Erfolg mancher Lustfeuerwerke beruht. Hervorzuheben sind die Kaskaden, der Palmenbaum, der Blumenstrauß (Fontäne von Funkenfeuer). Der Feuertopf (pot à feu) ist eine in einer Büchse stehende Brillantröhre, die zum Schluß eine größere Menge Leuchtkugeln oder Schwärmer auswirft; beim Bienenschwarm geschieht dies nach und nach. Kanonenschläge sind runde oder eckige, mit Pulver gefüllte und einem Zünder versehene Körper aus Pappe oder Holz mit geleimter Umwickelung von Bindfaden oder Zeug; je fester die Wandung, desto stärker der Knall. Schwärmer sind kleine Papierröhren, mit Funkenfeuersatz gefüllt, die beim Anzünden in schlangenförmigen Linien hin- und herfahren und mit einem Knall verlöschen. Frösche sind Papierhülsen, durch welche Zündschnur gezogen ist. Sie werden mehrfach scharf zusammengekniffen und -gebunden. Die brennende Zündschnur zerreißt mit einem Knall die Ecken, wobei der Frosch hin- und herhüpft. Raketen sind über einen konischen Dorn mit Satz in der Weise vollgeschlagene Papierhülsen, daß sie eine zentrale Höhlung, Seele, erhalten, welche den Zweck hat, eine möglichst große Gasentwickelungsfläche zu bieten. Die Gase müssen sofort nach Entzündung der Rakete mit einer solchen Heftigkeit ausströmen, daß die dadurch hervorgerufene Reaktion die Rakete mit Schnelligkeit emporreißt. Um der Rakete eine Steuerung, also regelmäßige Flugbahn, zu geben, bindet man sie an einen Holzstab von fünf- bis sechsfacher Länge der Hülse; an ihrem vordern Ende befestigt man eine mit Sternfeuer, Schwärmern oder einem Kanonenschlag gefüllte Papierhülse, auf welche eine konische Spitzkappe gesetzt wird. Diese Versetzung wird im [225] Kulminationspunkt der Flugbahn entzündet u. ausgestoßen und fällt brennend zur Erde. Bei Fallschirmraketen ist an ein Tuch von dünnem Zeug durch Fäden ein mit Leuchtsatz gefüllter Blechcylinder befestigt, der entzündet, durch den ausgestoßenen und ausgebreiteten Fallschirm getragen, leuchtend in der Luft schwebt. Bei Zimmerfeuerwerken werden nur kleine Hülsen verwendet, deren Satz bei der Verbrennung keine giftigen Dämpfe ausstoßen darf. Wasserfeuerwerke sind im allgemeinen den erstbeschriebenen gleich; die einzelnen Feuer werden auf schwimmenden Brettern befestigt; sollen sie aber im Wasser selbst schwimmen, wie die Taucher, Schnarcher, so werden die Hülsen mit einem wasserdichten Firnis überzogen.

Nachstehend geben wir einige Zusammensetzungen von Sätzen, bemerken aber, daß es Regel ist, alle Sätze vor ihrer Anwendung zu probieren. Treibsätze: 4 Mehlpulver, 1 grobe Kohle, Metallspäne oder Porzellanpulver. Raketensatz: 8 Mehlpulver, 3 gut gesiebte grobe Kohle. Faule Sätze: 8 Mehlpulver und 5 Kohle, Metallspäne etc. Bei den Flammenfeuern kommt Mehlpulver nur selten zur Anwendung; an seine Stelle tritt das chlorsaure Kali, und man bereitet sich, ähnlich wie den Salpeterschwefel, aus 80 chlorsaurem Kali und 20 Schwefel den Chlorkalischwefel als Fundamentalsatz. Zu farbigen (bengalischen) Flammen dienen folgende Mischungen: Weiß: 20 Schwefel, 60 Kaliumnitrat, 5 Schwefelantimon, 15 Mehlpulver; Blau: 54,5 Kaliumchlorat, 18,1 Holzkohle, 27,4 Kupferammonsulfat; Rot: 29,7 Kaliumchlorat, 17,2 Schwefel, 1,7 Holzkohle, 45,7 Strontiumnitrat, 5,7 Schwefelantimon; Grün: 32,7 Kaliumchlorat, 9,8 Schwefel, 5,2 Holzkohle, 52,3 Baryumnitrat; Gelb: 23,6 Schwefel, 3,8 Holzkohle, 9,8 Natriumnitrat, 62,8 Kaliumnitrat. 20 Salpeter, 5 Schwefel, 4 Schwefelkadmium, 1 Kohle geben eine prachtvolle weiße, blau gesäumte Flamme. Für nicht gestopfte Flammen: Rot: 9 salpetersaurer Strontian, 3 Schellack, 1,5 chlorsaures Kali; Grün: 9 salpetersaurer Baryt, 3 Schellack, 1,5 chlorsaures Kali; Blau: 8 schwefelsaures Kupferoxydammoniak, 3 Schellack, 6 chlorsaures Kali. Ausgezeichnete Resultate wurden durch Benutzung von Magnesiumpulver erzielt. Für weißes Feuer schmelzt man 1 Schellack mit 6 salpetersaurem Baryt zusammen, mahlt und setzt 2,5 Proz. Magnesiumpulver zu. Rotes Feuer geben 1 Schellack, 5 salpetersaurer Strontian und 2,5 Proz. Magnesiumpulver. Der Friktionssatz für den Reibapparat der Friktionsschlagröhren (s. Zündungen) und den Zündspiegel des preußischen Zündnadelgewehrs sowie die Zündpillen in den Schrapnellzeitzündern (s. Zündungen) besteht aus chlorsaurem Kali und Schwefelantimon zu gleichen Teilen, denen als Bindemittel in Spiritus aufgelöste Hausenblase zugesetzt wird. In England benutzt man zu Zündungen Armstrongs Mischung aus rotem Phosphor und chlorsaurem Kali. Zur Füllung der Zündhütchen für Perkussionsgewehre und die Metallpatronen der Hinterladungsgewehre (s. Handfeuerwaffen) dient ein Satz, dessen Grundbestandteil knallsaures Quecksilberoxydul ist, dem, je nach dem Zweck des Zündhütchens und der geforderten leichten Entzündlichkeit desselben, noch andre Stoffe zugesetzt werden; solche Sätze sind: 2 Teile Knallquecksilber, 1 Salpeter; 100 Teile Knallquecksilber, 62,5 Salpeter, 29 Schwefel; 10 Teile Knallquecksilber, 6 Mehlpulver; oder es wird dem Friktionssatz Knallquecksilber beigemischt. Vgl. Websky, Lustfeuerwerkerei (7. Aufl., Leipz. 1873); Sandmann, Lustfeuerwerkerei (10. Aufl., Weim. 1885); E. v. Meyer in Bolleys „Handbuch der Technologie“ (Braunschw. 1874); v. Nida, Katechismus der Lustfeuerwerkerei (Leipz. 1883); Frey, Die Feuerwerkskunst (2. Aufl., das. 1885); Eschenbacher, Die F. (2. Aufl., Wien 1885).