MKL1888:Fabrikinspektion

Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Fabrikinspektion“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 5 (1886), Seite 10041005
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Fabrikinspektion. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 5, Seite 1004–1005. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Fabrikinspektion (Version vom 31.05.2024)

[1004] Fabrikinspektion, eine besondere staatliche Beamtenorganisation im Interesse der in Fabriken und diesen gleichgestellten Gewerbebetrieben beschäftigten Arbeiter. Die wesentlichen Aufgaben und Funktionen der für bestimmte Bezirke angestellten Beamten (Fabrikinspektoren, in Preußen Gewerberäte) sind: 1) die genaue Kontrolle der ihrer Aufsicht unterstellten Anlagen und Arbeiter, bei letztern insbesondere die Feststellung aller auf die materielle und soziale Lage derselben bezüglichen Verhältnisse; 2) die Sicherung einer ordentlichen Durchführung der bestehenden Fabrik- oder Arbeiterschutzgesetzgebung; 3) die weitere Ausbildung dieser Gesetzgebung. Durch die Erfüllung dieser Funktionen werden die Fabrikinspektoren zu wichtigen und unentbehrlichen Organen der sozialen Reform. Sie schaffen die erste unerläßliche Voraussetzung derselben, die genaue Kenntnis der thatsächlichen, für diese in Betracht kommenden Verhältnisse; sie bewirken, daß die zum Schutz der Arbeiter erlassenen Gesetze und Verordnungen nicht bloß auf dem Papier stehen, und sind durch die fortwährende Beobachtung der Zustände, durch die stete Berührung mit den Arbeitern und Arbeitgebern die besten Sachverständigen, um die Gesetzgebung zu einer den thatsächlichen Verhältnissen und berechtigten Ansprüchen entsprechenden zu gestalten, um die im Interesse der Arbeiter notwendigen Maßregeln herbeizuführen, aber zugleich unpraktische oder die berechtigten Interessen der Unternehmer verletzende oder die Unternehmungen gefährdende zu verhindern. Sollen diese Funktionen ordentlich erfüllt werden, so müssen sie besonders geeigneten Beamten als deren ausschließliche Berufsthätigkeit übertragen werden. Beruft man die rechten Männer zu diesem Amt, so erlangt die F. noch eine weitere wichtige sozialpolitische Bedeutung: die Beamten werden Vertrauenspersonen für die Arbeiter wie für die Arbeitgeber ihres Bezirks und können als solche entstehenden Streitigkeiten vorbeugen, entstandene schlichten, sie können aber auch private Maßregeln zur Verbesserung der Arbeiterverhältnisse (s. Industrielle Arbeiterfrage) in Anregung bringen und bei deren Ausführung behilflich sein.

Wie die F. im einzelnen zu organisieren, muß sich nach den besondern Verhältnissen der einzelnen Länder bestimmen. Im allgemeinen sind aber an die Organisation, wenn sie ihre Zwecke erreichen soll, folgende Anforderungen zu stellen: 1) eine gute persönliche Befähigung der Beamten (Energie, Pflichttreue etc., auch eine gewisse nationalökonomische und technische Ausbildung); 2) vollständige Unabhängigkeit (genügendes Einkommen) und höhere soziale Stellung derselben (daher zweckmäßig, wie in Preußen, Titel und Rang von Räten); 3) die F. darf nicht bloß ein Nebenamt, sondern muß ausschließliche Berufsthätigkeit sein; 4) die Beamten müssen obrigkeitliche Befugnisse, insbesondere das Recht jederzeitigen Eintritts in alle Geschäfts- und Arbeitsräume während des Betriebes, das Recht der eidlichen Vernehmung von Personen zur Ermittelung von Thatsachen und das Recht zum Erlaß polizeilicher Strafmandate haben; 5) die F. muß zentralisiert werden.

Die F. wurde zuerst in England eingeführt. Heute existieren dort Fabrikinspektoren für die Fabriken und Werkstätten und besondere Inspektoren für Bergwerke und Steinbrüche, für ländliche Arbeiter und für die Hausindustrie. Die Institution wurde durch das Fabrikgesetz von 1833 (s. Fabrikgesetzgebung) geschaffen, die Zahl der damaligen Inspektoren (4) allmählich erhöht, 1878 fand eine Reorganisation der F. statt. Vor 1878 standen 2 Inspectors an der Spitze, beide in gleichem Rang, jeder hatte 2 Assistant inspectors und Subinspectors (für das eigentliche Inspektionsgeschäft) mit Junior inspectors unter sich. Die Zahl der Subinspectors überhaupt war 38, die der Junior inspectors 11. Im J. 1878 wurde die F. zentralisiert, das Land in 39 Inspektionsbezirke geteilt. Für jeden Bezirk ist ein Inspektor ernannt (Gehalt 300–500 Pfd. Sterl.), in den zehn größten ist demselben noch ein Hilfsarbeiter (junior inspector) beigegeben (Gehalt 200–300 Pfd. Sterl.). An der Spitze steht, direkt unter dem Secretary of state (Minister des Innern), der Chief inspector (Gehalt 1200 Pfd. Sterl.). Den Verkehr der Inspektoren mit dem Chef vermitteln 5 Superintending inspectors (auf jeden kommen 7–8 Bezirke); dieselben haben die Inspektoren zu kontrollieren und sollen die F. einheitlich zu gestalten suchen (Gehalt 500–700 Pfd. Sterl.). Für die Inspektoren ist eine Prüfung vorgeschrieben; die meisten haben 1000–1500 Unternehmungen, einzelne über 3000 zu kontrollieren und wöchentlich dem Superintending inspector ihren Bericht zu erstatten. Sie machen 1500–2000 Besuche im Jahr. Zur F. gehören auch noch die Fabrikärzte (certifying surgeons); denselben liegt insbesondere ob: die Feststellung des Alters der in Fabriken arbeitenden Kinder und jugendlichen Arbeiter, die ärztliche Untersuchung des Gesundheitszustandes derselben vor ihrer Beschäftigung und die Prüfung, ob sie zu der beabsichtigten Arbeit die gesetzlich vorgeschriebene physische Tauglichkeit besitzen, endlich die Untersuchung der durch Unfälle bei der Arbeit geschädigten Personen und Berichterstattung darüber an die Inspektoren. Die Zahl der Inspektoren reicht noch nicht aus. Die Institution als solche aber hat sich, wie alle Parteien anerkennen, bewährt, sie erfüllt die oben angeführten Funktionen in hohem Grade, die Fortschritte und praktische Gestaltung der englischen Fabrikgesetzgebung (s. d.) sind ihr zu einem großen Teil zu verdanken. In Frankreich war zwar schon 1841 die Bestellung von Fabrikinspektoren vorgesehen, doch ist erst durch das Gesetz vom 2. Juni 1874 (über die Arbeit der in der Industrie beschäftigten Kinder und minderjährigen Mädchen vgl. Fabrikgesetzgebung) eine F. zur Durchführung der Bestimmungen dieses Gesetzes geschaffen worden. Die F. besorgen zunächst 25 Bezirksinspektoren, sie sind unterstellt einer Lokalkommission von 5–7 Mitgliedern, welche auf Vorschlag des Generalrats des Arrondissements vom Präfekten ernannt werden. Die Zentralleitung hat eine obere Kommission von 9 durch den Präsidenten der Republik ernannten Mitgliedern. In der Schweiz besteht die F. seit dem Fabrikgesetz von 1877 und wird durch 3 Inspektoren (Gehalt 6000 Fr.) besorgt. In Deutschland ist die F. obligatorisch seit der Novelle zur Gewerbeordnung von 1878 (§ 139b). In Preußen gab es schon seit 1853, aber nur in drei Regierungsbezirken (Aachen, Düsseldorf, Arnsberg) und nur für jugendliche Arbeiter, Fabrikinspektoren. Die Gewerbeordnung von 1869 gestattete (§ 132) den Einzelstaaten, eigne Beamten für die F. zu ernennen; in Preußen wurden solche seit dem Anfang der 70er Jahre für Berlin und einzelne Provinzen eingesetzt, aber der Erfolg war gering. Seit 1878 ist dies besser geworden. In einzelnen Staaten wird, wie die im Reichsamt des Innern regelmäßig veröffentlichten Jahresberichte der deutschen Fabrikinspektoren erweisen, von den Inspektoren sehr Tüchtiges geleistet, aber die Organisation ist noch keine genügende. Die Zahl der [1005] Inspektoren (49) ist unzureichend, es fehlt denselben an Hilfskräften (Assistenten), sie haben noch nicht in ausreichendem Maß obrigkeitliche Befugnisse (sie haben bei Ausübung ihrer Aufsicht alle amtlichen Befugnisse der Ortspolizeibehörden), es fehlt vor allem die Zentralisierung der F. Die Ernennung und Instruktion der Beamten sowie die Ordnung der Zuständigkeitsverhältnisse zwischen ihnen und den ordentlichen Polizeibehörden ist Sache der Einzelstaaten, in manchen (z. B. Württemberg) ist die F. nur ein Nebenamt. Die ausführlichste (und sehr gute) Dienstanweisung ist die preußische vom 24. Mai 1879. Die Berichte der deutschen Fabrikinspektoren sind eine der wichtigsten Quellen über die Zustände der Fabrikbevölkerung geworden. In Österreich wurde die F. durch Gesetz vom 11. Juni 1883 geregelt, die Zahl der Gewerbeinspektoren ward durch Verordnung vom 18. Jan. 1885 auf 12 festgesetzt. Vgl. Schönberg, Arbeitsämter (Berl. 1871); Thun, Die Fabrikinspektoren in Deutschland (in Schmollers „Jahrbuch“ 1881, Bd. 1, S. 55 ff.); Adler, Die F. insbesondere in England und der Schweiz („Jahrbücher für Nationalökonomie“, neue Folge, Bd. 8, S. 193 ff.). Vgl. auch die Litteratur bei Fabrikgesetzgebung.