Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Erden“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 5 (1886), Seite 748749
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Erden. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 5, Seite 748–749. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Erden (Version vom 24.01.2022)

[748] Erden, in der Chemie die Oxyde der Erdmetalle (s. d.); alkalische E., die Oxyde der Erdalkalimetalle. – In der Geologie versteht man unter E. die Zertrümmerungs- und Verwitterungsprodukte der Gesteine, denen oft noch verwesende organische Substanzen, Reste abgestorbener Pflanzen und Tiere beigemengt sind (s. Boden). Je nach der chemischen und physikalischen Beschaffenheit jener Zertrümmerungs- und Verwitterungsprodukte und nach dem Gehalt an organischer Substanz (Humus) eignet sich die Erde mehr oder weniger gut für verschiedene Pflanzen, und die Gärtnerei präpariert daher für ihre Bedürfnisse verschiedene Erdarten. Bisweilen genügt gute Gartenerde, wie sie der sorgfältig bearbeitete und reichlich gedüngte Gemüsegarten liefert; häufiger kann man gute Komposterde benutzen, die durch Zusatz von Lehm oder Sand schwerer oder leichter gemacht wird. Ähnlich ist die Rasenerde, die man aus abgeschältem Rasen von fruchtbaren, lehmig-sandigen Wiesen oder Triften herstellt, indem man denselben auf Haufen setzt, wiederholt umsticht und mit Stallmist mischt. Für manche Pflanzen benutzt man Moorerde, die, der obern Schicht von Moorwiesen entnommen, längere Zeit der Luft ausgesetzt und dann reichlich mit Quarzsand gemischt wird. Ebenso behandelt man die Schlammerde aus Teichen und Gräben. Mistbeeterde besteht aus vollständig verrottetem Dünger. Heideerde wird in Nadelwäldern gesammelt und Lauberde in Laubwäldern. Letztere bereitet man aber auch künstlich, indem man Laub und andre Pflanzenabfälle auf Haufen setzt und wiederholt umsticht, bis sich alles in eine lockere, gleichmäßige Masse verwandelt hat. Diese Erdarten werden zum Teil unvermischt angewandt, für die meisten Pflanzen aber mischt man verschiedene Erdarten, namentlich Heideerde und Lauberde, und setzt je nach Bedürfnis Lehm (am besten von alten Lehmwänden), Sand und Kalk (von alten Mauern) hinzu. Für manche Zwecke wird auch lockeres Torfklein oder reiner Quarzsand und, wenn letzterer nicht zu haben ist, gewaschener Flußsand benutzt.

Eßbare Erden nennt man solche E., welche von gewissen Völkerschaften als Speise benutzt werden. Der Gebrauch der Erde als Speise findet sich am häufigsten in Ländern der heißen Zone. Weiber und auch erwachsene Männer zeigen eine fast unwiderstehliche Neigung, Erde zu verschlucken, und nicht etwa nur Kalkerde zur Sättigung von Magensäure, sondern eine fette, schmierige und stark riechende Erde. Die Ottomaken am Orinoko leben, solange die Überschwemmungen des Flusses dauern (2–3 Monate), wodurch ihnen Jagd, Fischfang und Kräutersuchen unmöglich gemacht sind, von einem feinen, graugelben, schmierigen Thon, den sie am Feuer etwas brennen, und auch beim reichsten Fischfang mischen sie diese Erde unter ihre Speise. Man rechnet auf die Person täglich 125 g, und dabei sind diese Leute gesund und kräftig und bekommen auch keinen harten und aufgetriebenen Leib. An den Küsten von Guinea speisen die Neger eine gelbliche Erde als Leckerbissen; noch als Sklaven in Amerika suchen sie eifrig nach diesem Genuß, leiden aber hier unter der Befriedigung desselben. Auf den Antillen wählen sie dazu einen rotgelben Tuff, den sie heimlich auf den Märkten kaufen. Auf Java verkauft man den Eingebornen kleine, viereckige und rötliche Kugeln aus schwach auf einem Eisenblech geröstetem Thon. Die Neukaledonier essen in teurer Zeit große Stücke eines zerreiblichen Tropfsteins; eine andre Erde, welche die Neger in Afrika auf den Inseln Bunka und Los Idolos essen, ist ein weißer und zerreiblicher Speckstein. Die Eingebornen von Tigua in der kalten Region von Quito speisen eine mit quarzigem Sand vermischte, sehr feine Thonerde ohne Nachteil. Sehr allgemein verbreitet ist das Erdeessen in Persien. In den Bazaren werden besonders zwei Erdarten feilgeboten: die eine (vom Mahallatgebirge) ist ein weißer, feiner, etwas fettig anzufühlender Thon; die andre (von Kirman) bildet unregelmäßige, weiße, feste Knollen, fühlt sich feinerdig an und schmeckt etwas salzig. Zur Erklärung des Erdeessens in Persien verweist Göbel auf die trockne Hitze der Ebenen, das unthätige Leben der Orientalen und das dadurch bedingte sehr geringe Nahrungsbedürfnis. Wollte sich der Perser den Genuß des Essens stets durch wirkliche Nahrungsmittel verschaffen, so würde er sich Indigestionen zuziehen, die in jenen Gegenden sehr ernstlicher Natur sind; [749] er greift also zu den Erden, welche die Thätigkeit des Beißens und Schlingens verschaffen, das Gefühl einer vermeintlichen Sättigung hervorrufen und den Organismus verlassen, ohne die Blutmischung zu alterieren. Das reinliche Aussehen und das sanfte Gefühl der Erde laden zu dem Genuß ein, den Aberglaube, Unwissenheit und Faulheit überdies zu tief eingewurzelter Gewohnheit gemacht haben. Auch in Skandinavien und Deutschland findet sich eßbare Erde. So strichen die Arbeiter in den Sandsteingruben des Kyffhäuserbergs auf ihr Brot statt der Butter einen feinen Thon (Steinbutter) und hielten ihn für sättigend und verdaulich. Auch einige Tiere fressen vor Hunger Thon oder zerreiblichen Speckstein, z. B. die Wölfe im nordöstlichen Europa, die Renntiere und Rehe in Sibirien; hier und da werden solche eßbare E. auch als Lockspeise und Witterung für die Tiere gebraucht.