MKL1888:Eisenbahn-Personengeldtarife

Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Eisenbahn-Personengeldtarife“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 17 (Supplement, 1890), Seite 278280
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Eisenbahn-Personengeldtarife. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 17, Seite 278–280. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Eisenbahn-Personengeldtarife (Version vom 10.12.2022)

[278]  Eisenbahn-Personengeldtarife[WS 1] weisen die Beträge nach, welche für die Beförderung der Reisenden und des Gepäcks derselben zwischen den verschiedenen Eisenbahnstationen erhoben werden. Die ungleiche Bemessung der Einheitssätze, welche diesen Tarifen zu Grunde liegen, beruht teils auf den Abweichungen in den Anlagekosten der einzelnen Bahnen und den allgemeinen Preisverhältnissen der einzelnen Länder, teils auf der Verschiedenartigkeit der Leistungen der Eisenbahnen selbst in Bezug auf Fahrgeschwindigkeit, Ausstattung der Personenwagen und Beförderung des Gepäcks (Freigepäck). In Bezug auf die Fahrgeschwindigkeit, welche von der Stärke des Schienengestänges, den Krümmungen und Steigungen desselben abhängig ist, stehen die deutschen den fremdländischen, insbesondere den englischen, Eisenbahnen noch immer nach (vgl. Eisenbahnfahrgeschwindigkeit, Bd. 17). Die Ausstattung der Personenwagen ist dagegen bei den deutschen Eisenbahnen, zumal in der 1. und 2. Wagenklasse, eine weit bessere und bequemere als auf den meisten Eisenbahnen des Auslandes, insbesondere Frankreichs und Italiens. Das Reisegepäck wird auf den amerikanischen und englischen Bahnen fast durchweg unter Gewährung eines bedeutenden Freigewichts (meist 100 kg), aber ohne Abfertigung mittels Gepäckscheins und unter sehr beschränkter Haftverbindlichkeit der Eisenbahnen befördert, während auf den europäischen Bahnen Freigepäck nur in geringerm Umfang (bis zu 50 kg) oder, wie auf den süddeutschen und schweizerischen Bahnen, gar nicht gewährt wird, dagegen durchweg eine die sichere Beförderung mehr als das englische und amerikanische Verfahren gewährleistende Abfertigung auf sogen. Gepäckscheine und eine weitgehende Haftverbindlichkeit für den Fall des Verlustes oder der Beschädigung üblich ist.

[279] Den Personengeldtarifen für die deutschen und die österreichisch-ungarischen Eisenbahnen liegen der Regel nach folgende Normalsätze für die Person und das Kilometer zu Grunde.

1) Auf den preußischen Staatseisenbahnen:

  1. Kl. 2. Kl. 3. Kl. 4. Kl. Gepäckfracht für 10 kg und 1 km
Pfg. Pfg. Pfg. Pfg.
Für Personenzüge 8 6,00 4,00 2 0,5 Pfennig
   Schnellzüge 9 6,67 4,67

Vielfache Abweichungen von diesen Sätzen nach oben und nach unten bestehen noch auf frühern Privatbahnstrecken. Auf einfache und auf Rückfahrkarten, mit welch letztern gewöhnlich eine Fahrpreisermäßigung von 25 Proz. verbunden ist, werden 25 kg, auf Kinderfahrkarten (zum halben Fahrpreis) 12 kg Gepäck ohne Frachtberechnung befördert. Die Rückfahrkarten, welche mit wenigen Ausnahmen für sämtliche Züge, auch die Schnellzüge, benutzt werden können, gelten bei Entfernungen bis zu 200 km einschließlich 3 Tage, bis 300 km 4 Tage u. s. f., für jede 100 km und einen Tag steigend. Im Verkehr nach Berlin wird die so berechnete Gültigkeitsdauer der Rückfahrkarten bei Entfernungen von mehr als 50 km um einen Tag erhöht. Rückfahrkarten mit dreitägiger Gültigkeitsdauer, welche am Tag vor dem ersten Oster-, Pfingst- oder Weihnachtsfeiertag gelöst werden, können noch am Tage nach dem zweiten Feiertag zur Rückfahrt benutzt werden. Die Rückfahrkarten mit längerer als dreitägiger Gültigkeitsdauer sind zur Rückreise nur gültig nach vorheriger Abstempelung bei der Station, von welcher aus die Rückreise angetreten wird. Eine Rückfahrkarte ist zur Rück-, bez. Weiterfahrt nur für diejenige Person gültig, welche mit derselben die Reise begonnen hat. Auf einzelnen Eisenbahnstrecken werden noch sogen. Sonntagsbillets (zur Hin- und Rückfahrt an Sonn- und Festtagen) mit einer Fahrpreisermäßigung von 50 Proz., auf andern Strecken werden Tagesrückfahrkarten nur zur Benutzung an Wochentagen und ohne Gültigkeit für die Schnellzüge mit der gleichen Fahrpreisermäßigung ausgegeben. Militärpersonen werden zu dem Einheitssatz von 1,5 Pf. für 1 km in der 3. Wagenklasse, außerhalb ihres Wohnortes in Arbeit stehende Personen werden von und nach ihrer Arbeitsstelle zu dem Fahrpreis von 1–1,33 Pf. für das Kilometer in der 4. Wagenklasse befördert. Ferner werden zu ermäßigten Preisen verausgabt:

a) sogen. Zeit- (Abonnements-) Karten für Kinder (Schüler) und Erwachsene, wobei Familien noch besondere Vergünstigungen genießen;
b) Sommerfahrkarten zum Besuch von Gebirgsgegenden und Seebädern;
c) feste Rundreisehefte zum Besuch von Gegenden und Orten, welche sich durch Naturschönheit auszeichnen oder aus andern Gründen von besonderer Bedeutung sind.

Außerdem werden Fahrpreisermäßigungen bis zu 50 Proz. und darüber gewährt:

d) für Reisen größerer Gesellschaften von mindestens 30 Personen;
e) für akademische Ausflüge bei einer Teilnehmerzahl von mindestens 10 Personen;
f) für Schülerfahrten unter Aufsicht der Lehrer (bei einer Beteiligung von mindestens 10 Schülern);
g) für Krankenpfleger und Krankenpflegerinnen;
h) für mittellose Personen bei Fahrten zum Besuch heilkräftiger Bäder;
i) für arme skrofulöse Kinder, arme Waisenkinder, unbemittelte Zöglinge der Provinzial- und andrer öffentlicher Blindenanstalten und deren Begleiter sowie für Taubstumme, zur Fahrt nach den betreffenden Heilstätten, bez. zu Ferienreisen.

2) Ähnliche Vergünstigungen bestehen bei fast durchweg gleichen Normalsätzen auf den sächsischen, den oldenburgischen und den oberhessischen Staatseisenbahnen. Die 4. Wagenklasse wird auf den sächsischen Staatseisenbahnen nur an den Wochentagen, auf den oberhessischen Bahnen überhaupt nicht geführt. Auf den oldenburgischen Staatsbahnen bestehen für den innern (Lokal-) Verkehr besondere ermäßigte Fahrpreise ohne Gewährung von Freigepäck. Für je 10 kg Gepäck und ein Kilometer wird erhoben auf den sächsischen Staatsbahnen 0,53 Pf., auf den oldenburgischen Staatsbahnen 0,50 Pf., im Lokalverkehr 0,40 Pf. und auf den oberhessischen Staatsbahnen 0,40 Pf.

3) Auf den süddeutschen Bahnen werden durchweg nur drei Wagenklassen geführt. Freigepäck wird nicht gewährt. Es wird erhoben:

  1. Klasse 2. Klasse 3. Klasse
Pfennig Pfennig Pfennig
a) Auf den badischen, bayrischen, elsaß-lothringischen und württembergischen Bahnen:      
 Für Personenzüge 8,0 5,30 3,40
   Schnellzüge 9,10 6,40 4,50
b) Auf der Main-Neckarbahn:      
 Für Personenzüge 7,0 4,60 3,00
   Schnellzüge 8,40 5,60 4,00

Für je 10 kg Gepäck und ein Kilometer wird erhoben auf den badischen, bayrischen, württembergischen Bahnen und der Main-Neckarbahn 0,56 Pf., auf den elsaß-lothringischen Bahnen 0,424 Pf. (für je 5 kg 0,212 Pf.).

4) Auf den österreichischen Bahnen bewegen sich die den Personengeldtarifen zu Grunde liegenden Einheitssätze im wesentlichen in folgenden Grenzen:

  1. Klasse 2. Klasse 3. Klasse
  Kreuzer Kreuzer Kreuzer
Personenzüge 4–5 3–4 2–2,4
Schnellzüge 4,8–5,8 3,6–4,4 2,4–2,88

Zu diesen Einheitssätzen tritt noch eine Stempelgebühr von 1 Kreuzer für jeden halben Gulden, höchstens aber 25 Kr. für jede Fahrkarte und jede Bahn. Sogen. Kilometerbillets (näheres darüber s. den Spezialartikel, Bd. 17) werden mit 20 Proz. Ermäßigung des normalen Fahrpreises ausgegeben. Auf jede Fahrkarte werden 25 kg Gepäck frei befördert, für je 10 kg Übergewicht und Kilometer werden 2 Kr. erhoben, außerdem auf jede Fahrkarte eine Einschreibegebühr von 7 Kr. und eine Stempelgebühr von 5 Kr.

5) Auf den ungarischen Staatsbahnen ist vom 1. Aug. 1889 ab ein Zonentarif eingeführt. Derselbe besteht aus zwei Gruppen, einer Gruppe mit zwei Zonen für den unmittelbaren Nachbarverkehr und einer zweiten Gruppe mit 14 Zonen für den Fernverkehr. Die erste Zone des Nachbarverkehrs umfaßt den Verkehr zwischen je zwei Nachbarstationen, bez. Fahrkarten-Ausgabestellen einschließlich der zwischen denselben sowie den über die Nachbarstation hinaus bis zu der zweiten Station gelegenen Haltepunkten, die zweite Zone hingegen den Verkehr bis zur zweiten Nachbarstation und bis zu den über diese zweite Station hinaus bis zu der dritten Station gelegenen Haltepunkten.

In die erste Zone des Fernverkehrs fallen alle Stationen bis zu einer Entfernung von 25 km. Von der zweiten bis zur elften Zone steigt sodann die kilometrische Entfernung der einzelnen Zonen um je 15 und von der zwölften bis zur vierzehnten um je 25 km. Die Fahrpreise betragen (in Kreuzern): [280]

  1. Klasse 2. Klasse 3. Klasse
in der 1. Zone des Nachbarverkehrs 30 15 10
2. 40 22 15
1. Fernverkehrs:      
für Personen- und gemischte Züge 50 40 25
Schnellzüge 60 50 30

Diese Preise steigen bis zur zwölften Zone um die gleichen Beträge. Es betragen sodann die Fahrpreise:

  1. Klasse 2. Klasse 3. Klasse
in der 13. Zone:      
 Personen- und gemischte Züge 700 530 350
 Schnellzüge 840 650 420
in der 14. Zone:      
 Personen- und gemischte Züge 800 580 400
 Schnellzüge 960 700 480

so daß diese letztern Beträge den höchsten Fahrpreis für jede Reise innerhalb der 14. Zone und über dieselbe hinaus bilden, mit der alleinigen Beschränkung, daß, wenn sich die Reise über die Landeshauptstadt Budapest hinaus erstreckt, die Preise bis und ab Budapest gesondert berechnet werden. Freigepäck wird nicht gewährt; für den Gepäckverkehr sind drei Zonen festgesetzt, bis zu 50, bis zu 100 und über 100 km. Für jedes Gepäckstück bis 50 kg sind in der ersten Zone 25 Kr., in der zweiten 50 Kr. und in der dritten 1 Gulden zu entrichten, während für Gepäckstücke von einem Gewicht über 50–100 kg das Doppelte und für noch schwerere das Vierfache obiger Sätze erhoben wird.

Für die deutschen, die österreichisch-ungarischen, rumänischen, die holländischen, niederländischen, belgischen und schweizerischen Bahnen, ferner für die dänischen, schwedischen und norwegischen Bahnen werden zusammenstellbare Rundreisehefte für Rundreisen auf Entfernungen von mindestens 600 km mit einer Gültigkeitsdauer von 45 Tagen, bez. bei Entfernungen über 2000 km von 60 Tagen unter Gewährung einer Fahrpreisermäßigung von 25–30 Proz. ausgegeben. Auf diese Rundreisehefte wird Freigepäck nicht gewährt.

Die Einführung des Zonentarifs auf den ungarischen Staatsbahnen hat die in Deutschland seit langer Zeit angestrebte Verbesserung und Vereinfachung des Personengeldtarifs, wobei besonders an eine Ermäßigung desselben gedacht wird, wieder in den Vordergrund des öffentlichen Interesses gerückt. Vielen erscheint namentlich infolge der von Ed. Engel in seinem Buch „Eisenbahnreform“ (Jena 1888) gegebenen Anregung ein Zonentarif als die wünschenswerteste Lösung. Ganz abgesehen davon, daß die wirtschaftliche und sozialpolitische Wirkung eines solchen Tarifs von vornherein noch weit weniger zu übersehen ist als die Wirkung einer allgemeinen Herabsetzung der gegenwärtigen Tarife (die Wirkung des neuen Zonentarifs der ungarischen Staatsbahnen ist bei der kurzen Zeit seines Bestehens noch nicht mit annähernder Sicherheit erkennbar), gibt die durch einen Zonentarif bedingte verschiedenartige und, weil nicht auf einem bestimmten Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung beruhend, gänzlich willkürliche Behandlung der Reisenden bei verschwindend geringen Unterschieden in der Länge ihrer Fahrten (bei dem ungarischen Zonentarif zahlt z. B. ein Reisender, welcher 26 km fährt, das Doppelte von dem, was für eine Fahrt von 25 km erhoben wird) zu gewichtigen Bedenken Veranlassung. Eine zweifellos höchst wünschenswerte Verbesserung und Vereinfachung des gegenwärtigen Personengeldtarifs wird vor allem darauf Bedacht nehmen müssen, daß die jetzigen zahllosen Ungleichheiten beseitigt werden und (abgesehen von den berechtigten Fahrpreisermäßigungen zu wohlthätigen Zwecken, s. oben: 1 g–i) jedem Reisenden die gleichen Vergünstigungen gewährt werden. Ebenso wie die Gewährung von Freigepäck sich als eine völlig ungerechtfertigte Bevorzugung der meist wohlhabendern Reisenden mit größerm Gepäck vor denen ohne oder mit kleinerm (Hand-) Gepäck darstellt, bildet auch die Ausgabe von Rundreise- und Rückfahrkarten zu ermäßigten Preisen eine Vergünstigung, welche im wesentlichen nur den besser gestellten Klassen zu gute kommt. Eine Neugestaltung der Personengeldtarife wird daher in erster Linie das Freigepäck und (mit obiger Ausnahme) alle sonstigen mehr oder minder einseitigen Vergünstigungen zu beseitigen haben. Eine allgemeine Herabsetzung der gegenwärtigen Normalsätze auf die ungefähre Höhe der bisher nur bedingungsweise (bei den Rückfahrkarten u. dgl.) ermäßigten Fahrpreise würde einerseits den berechtigten Wünschen des reisenden Publikums Genüge thun und anderseits ohne dauernde Schädigung der Ertragsfähigkeit der Eisenbahnen durchführbar sein, da sie voraussichtlich über kurz oder lang zu einer den Einnahmeausfall mehr als deckenden Verkehrssteigerung führen würde. Ein solcher Ausgleich, bez. Zuwachs der Reineinnahmen aus dem Personenverkehr würde noch wesentlich gefördert werden können, wenn mit der Herabsetzung der Fahrpreise eine Vereinfachung der Betriebseinrichtungen Hand in Hand ginge. Z. B. würde es wohl zu erwägen sein, ob die vierte Wagenklasse, gegen deren Fortbestehen in ihrer jetzigen Gestalt ohnehin und nicht ohne Grund viel geeifert wird, dann nicht ganz eingehen könnte. Die zweite Wagenklasse, welche auf den meisten deutschen Bahnen in Bezug auf Ausstattung der ersten wenig nachgibt, würde bei etwas mehr Einfachheit weit weniger Herstellungs- und Unterhaltungskosten erfordern. Würde auf diese Weise das jetzige Publikum der vierten in die dritte und das der dritten wenigstens teilweise in die zweite Klasse verwiesen, so würde dies zweifellos auch zu einer bessern Ausnutzung der jetzt verhältnismäßig wenig benutzten und darum sehr wenig einträglichen ersten Wagenklasse führen. Schließlich müßte bei Fortfall des Freigepäcks selbstverständlich auch der Gepäcktarif eine angemessene Ermäßigung erfahren.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vgl. die Artikel Eisenbahntarife (Band 5, Nachtrag in Band 19) und Eisenbahnpersonengeld-Tarife (Band 18).