MKL1888:Eierkunde
[205] Eierkunde.[WS 1] Bekanntlich variieren die Vogeleier einer und derselben Art mehr oder weniger in Form, Farbe und Gewicht, und Gelege derselben Art wechseln auch hinsichtlich der Anzahl der darin befindlichen Eier. Eine Gesetzmäßigkeit konnte jedoch Bourcart hinsichtlich des Gesamtgewichts der Gelege nachweisen. Bourcart bestimmte zunächst das spezifische Gewicht der Eier, welches im Lauf der Bebrütung zwischen 1,09 und 0,80 schwankt; verursacht wird der Gewichtsverlust durch die Verdunstung des Wassers, indem in der ersten Woche 5 Proz., in der zweiten 9 Proz, in der dritten 3 Proz. Wasser verloren gehen. Das normale spezifische Gewicht eines unbebrüteten Eies konnte Bourcart zu 1,05 bestimmen. Da auch bei den Gelegen infolge der Bebrütung das Gesamtgewicht ständig wechselt, so muß, um rechnerisch vorzugehen, bei dem Wägen der Gelege das gefundene Gewicht auf das normale spezifische Gewicht umgerechnet werden, indem das Produkt von gefundenem Gesamtgewicht eines Geleges und dem normalen spezifischen Gewicht 1,05 mit dem gefundenen spezifischen Gewicht des Eies des betreffenden Geleges dividiert wird. Indem Bourcart auf diese Weise bei seinen Untersuchungen zahlreicher Gelege verschiedener Vogelarten Gesamtgewichte erhielt, welche sich alle auf dasselbe spezifische Gewicht bezogen (Normal-Gesamtgewichte), fand er die merkwürdige Thatsache, daß die Normal-Gesamtgewichted er Gelege der gleichen Art unter sich immer gleich sind, unabhängig von der Anzahl der darin befindlichen Eier, von der Größe und der Form derselben, daß also gewissermaßen jeder Vogel einer gleichen Art nur eine bestimmte Gewichtsquantität an Eiern legen kann und, wenn er nicht gestört wird, auch thatsächlich legt; daß aber die Eier unter sich in Form, Gewicht und Zahl variieren können, wie sie wollen, insofern diese Variation auf das Gesamtgewicht keinen Einfluß auszuüben vermag. Die Normalgewichte der zweiten Bruten sind in der Regel geringer als diejenigen der ersten Brut. Würden für alle Vögel die Normalgewichte der Gelege bekannt sein, so ließe sich die erkannte Gesetzmäßigkeit der Gewichtskonstanz zusammen mit der Art und Weise des Vorkommens auch zur raschen Bestimmung der Eier verwerten, was für die praktische E. von großer Bedeutung wäre. Zugleich ist auf diese Weise ein Mittel an die Hand gegeben, zu konstatieren, ob ein gefundenes Gelege vollständig ist.
Die Verschiedenheit in der Farbe bei Eiern einer und derselben Art ist bekanntlich am größten beim Kuckuck, dessen Eier in der Regel eine große Ähnlichkeit mit denen seiner Pflegeeltern haben. In der Erklärung dieser Thatsache werden nun Beweise für die Richtigkeit der Theorie gebracht, nach welcher ein und dasselbe Weibchen nur Eier von einer Farbe legt, die den Eiern derjenigen Vogelart am ähnlichsten sehen, bei welcher das betreffende Weibchen aufgezogen worden, und deren Nest es nun auch seinerseits wieder bei der Ablage seiner Eier bevorzugt. So kommt es, daß man in einer Gegend oft nur Kuckuckseier von sehr ähnlichem Färbungscharakter findet, daß die Färbung aber nach den Gegenden verschieden ist, indem die Kuckucke in den einzelnen Gegenden besondere Vogelarten bevorzugen. Nach Hartert legt z. B. der Kuckuck bei Kassel und Frankfurt a. M. seine Eier besonders in Rotkehlchennester, an den Rheinufern bei Wesel schmarotzt er stets bei den Rohrsängern, und in einer andern Gegend findet man die Kuckuckseier stets in Bachstelzennestern. Ausländische Kuckucke begnügen sich, soviel bis jetzt bekannt ist, mit einer oder nur wenigen Arten von Zieheltern, deren Eiern die sich gleich bleibenden Kuckuckseier täuschend ähnlich sehen; es legt z. B. der Häherkuckuck (Coccystes glandarius) nur in Elstern- und Krähennester. Auch bei andern Vögeln kommt es als Seltenheit hier und da vor, daß ein Ei dem Ei einer andern Art ähnlich sieht und von dem gewöhnlichen Charakter in Form und Farbe zum Teil stark abweicht. Die wenigen sichern Beobachtungen, die hierüber gesammelt sind, daß z. B. anläßlich eines heftigen Kampfes zwischen Mauerseglern und Staren um den Besitz der Starenkasten ein Starenweibchen ein ganz weißes, durch Färbung, geringe Größe und gestreckte Gestalt an ein Seglerei [206] erinnerndes Ei legte, erscheinen als eine Stütze der Theorie des „Versehens“, nach welcher plötzlich und sehr tief aufgenommene Eindrücke auf dem im Werden begriffenen Produkt des Mutterleibes sich irgendwie wiedergeben können.
Form, Farbe und Größe des Eies kommen mit dessen weitern Eigenschaften, speziell dem Geruch und der momentanen Temperatur, auch in Betracht bei dem Verhalten der Vögel gegen fremde Eier in ihrem Neste, worüber Leuerkühn Untersuchungen angestellt hat. Es kamen zur Beobachtung das Verhalten der Vögel gegen Eier derselben Art und gegen Eier einer andern Art, wobei jedesmal wieder unterschieden wurde, ob die Eier durch Menschen oder durch die Vögel selbst in das Nest der Adoptiveltern gelegt wurden. Bei einigen Vogelgruppen herrscht eine große Indifferenz gegen fremde Eier derselben Art im eignen Neste; besonders gilt dies von den kolonienweise brütenden Seevögeln; doch ist auch bei Einzelbrütern ein Zusammenlegen zweier Weibchen der gleichen Art in dasselbe Nest konstatiert, und zwar bei Rotschwanz, Neuntöter, Krähe, Amsel, Schleiereule, Fasan, Bachstelze, Rebhuhn, Wasserhuhn. In allen diesen Fällen ist stets Wohnungsnot als Beweggrund dieses Verfahrens anzusehen; daß unser Hausgeflügel ohne Bedenken die Eier andrer Genossen der gleichen Art, die ihm vom Menschen untergelegt werden, übernimmt, ist bekannt. Die Ablage der Eier in das Nest einer andern Art kommt, vom Kuckuck abgesehen, in der Natur selten vor; sie hat in den meisten Fällen ihren Grund entweder in momentaner Legenot, indem das Weibchen, vom Legetrieb überrascht, zufällig vom eignen Nest weit entfernt ist, oder im Wohnungsmangel, unter dem in unsrer Zeit besonders die Höhlenbrüter leiden. Durch den Menschen ausgeführte Experimente mit der Unterlage der Eier fremder Arten beziehen sich meist auf Stubenvögel, zum Teil aber auch auf wild lebende Vögel. In großem Maßstab geschah es bei der Wiederbesetzung Schottlands mit dem ausgerottet gewesenen Auerwild, indem die Eier dieser Art wilden Birkhennen untergeschoben und von diesen ausgebrütet wurden. Als Gesamtresultat der Leverkühnschen Untersuchungen ergab sich, daß in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle fremde Eier im Nest angenommen werden. Von 171 zu wiederholten Malen beobachteten Arten nahmen 117 fremde Eier an, während 54 dieselben zurückwiesen, resp. das Nest verließen. Von den dauernden Eigenschaften der Eier, Größe, Form und Farbe, scheint die Farbe die geringste Rolle bei dem Entscheid über Annahme oder Nichtannahme zu spielen; weit wichtiger sind überhaupt der Geruch und die Temperatur des Stiefeies, indem besonders, wenn dieses erkaltet ist, auch Vögel, die sonst fremde Eier annehmen, in diesem Fall das Nest verlassen. Vgl. Bourcart, Erklärung der Variation der Vogeleier (Genf 1889); Leverkühn, Fremde Eier im Nest (Berl. 1891).