Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Arithmētik“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 1 (1885), Seite 820821
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Arithmētik. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 1, Seite 820–821. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Arithm%C4%93tik (Version vom 20.04.2022)

[820] Arithmētik (griech., „Zahlenlehre“), derjenige Teil der Mathematik, welcher sich mit den unstetigen oder diskreten Größen, ihren Formen und Verbindungen beschäftigt; im engern Sinn die Lehre von der Rechnung mit bestimmten Zahlen, welche mit Ziffern geschrieben werden. Man teilt die A. gewöhnlich in die gemeine und in die höhere oder Zahlentheorie und begreift unter jener die vier Spezies der Rechenkunst in ganzen und gebrochenen Zahlen und ihre praktische Anwendung, die Lehre von den Proportionen, die Ausziehung der Quadrat- und Kubikwurzel und die Rechnung mit Logarithmen, unter der höhern dagegen die Untersuchung der Eigenschaften der Zahlen überhaupt, die Zerfällung der ganzen Zahlen in Faktoren, die Kongruenz der Zahlen etc. Auch unterscheidet man die theoretische, welche die Lehrsätze von den Verbindungen und Eigenschaften der Zahlen aufstellt und wissenschaftlich begründet, von der praktischen A., auch schlechthin Rechenkunst genannt. Die numerische A., die Logistik der Griechen, lehrt die Rechnung mit bestimmten, durch Ziffern ausgedrückten Zahlen. Von einem höhern Gesichtspunkt geht aus die Arithmetica speciosa, welche in allgemeinen Zeichen, in Symbolen, ausführt, was die numerische A. mit Ziffern durchsetzt. Ihr Name soll daher kommen, weil die Juristen fingierte Personen Cajus, Sempronius (um ihre Lehren an bestimmten einzelnen Fällen durchführen zu können) Spezies nannten. Jetzt heißt sie allgemeine oder reine A. Erratende A. (Arithmetica divinatoria) hieß früher die Algebra. Politische A. wird bisweilen die Anwendung der A. auf die in der Staatsverwaltung vorkommenden Verhältnisse, auf Berechnung der Lotterien, der Renten-, Versorgungs- und Versicherungsanstalten, der Sterblichkeitsverhältnisse, der Lebensdauer etc. genannt, welche Aufgaben ins Gebiet der Wahrscheinlichkeitsrechnung gehören. Ihre erste Entwickelung soll die A. bei den Indern gefunden haben, doch bezeichneten schon die Ägypter den Thoth als ersten Zahlenmeister; auch die Phöniker beschäftigten sich frühzeitig damit. Übrigens [821] trugen den Namen A. im Altertum vorzüglich die Untersuchungen über Formen von Zahlen, über gerade und ungerade Zahlen, Primzahlen u. a.; unsre Zahlenrechenkunst aber hieß, wie bemerkt, Logistik. Das Zahlenrechnen war damals sehr beschwerlich, was durch die Unbehilflichkeit des Zahlensystems der Griechen und Römer bedingt war (s. Zahlensystem und Ziffern). Wie sehr hierdurch dem weitern Fortschritt der A. ein Damm entgegengestellt war, sieht man unter anderm daraus, daß Archimedes nicht im stande war, ein genaueres Verhältnis der Kreisperipherie zum Durchmesser als 22/7 und 223/71 anzugeben. Der einzige Mathematiker des frühern Altertums, welcher Schriften über A. hinterlassen hat, ist Euklides (das 7.–10. Buch seiner „Elemente“). Aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. stammen Nikomachos’ arithmetische Bücher über Zahlenformen, aus dem 3. Jahrhundert haben wir die Schriften des Diophantos. Im 6. Jahrhundert verfaßte Boetius zwei Bücher über arithmetische Gegenstände. Mit der Einführung eines bequemern Zahlensystems änderte sich die schwerfällige Form der A. In diese Zeit fällt Joh. de Sacro Boscos (gest. 1226) „Algorithmus seu arithmeticae introductio“ (Vened. 1523). Sein Zeitgenosse Jordanus Nemorarius schrieb ein Werk über A., 1514 mit gotischer Schrift gedruckt; im 15. Jahrh. schrieb der Minorit Lukas Pacioli dal Borgo San Sepolcro über Algebra und Geometrie. Im 16. Jahrh. findet sich das langgeschätzte klassische Werk des Adam Riese, wo noch mit Linien Proportionen durchgeführt werden. Auch Kettenregel und Gesellschaftsrechnung finden sich schon in dieser Zeit vor; letztere lehrte (1527–40) Peter Apianus. Im 17. Jahrh. wurden die Logarithmen erfunden, der letzte epochemachende Fortschritt in der gemeinen A. Als tüchtige Rechner aus diesem Jahrhundert sind zu nennen: Neper, Briggs, Vlacq; von ihnen haben wir Rechenstäbe, Logarithmen- und Sinustafeln; Fermat in Frankreich beschäftigte sich mit den Eigentümlichkeiten der Zahlen. Hier tritt die Analysis helfend ein, und nun gewinnt die Rechenkunst immer größere Allgemeinheit in der Behandlung. Die Geschichte der A. fällt von da ab mit der der Analysis (s. d.) zusammen.