Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Abessinien“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 1 (1885), Seite 3441
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Abessinien. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 1, Seite 34–41. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Abessinien (Version vom 18.05.2022)

[34] Abessinien (weniger richtig Abyssinien, eigentlich Habesch, Habaschâ, s. Karte „Ägypten“), ein großes Reich im O. Nordafrikas, im S. von den Gallaländern, im übrigen von zum ägyptischen Sudân gehörigen Landschaften begrenzt. Es umfaßt drei ehemals selbständige Reiche: Tigré im N., mit der frühern Hauptstadt Adua (4000 Einw.) und dem alten, in Ruinen liegenden Axum, Amhara, mit der frühern Hauptstadt Gondar (12,000, einst 60,000 Einw., mit 44 Kirchen) und der jetzigen Residenzstadt Debra Tabor im O. des Tanasees, und Schoa im S., mit den verfallenden Städten Ankober und Angolala, und hat ein Gesamtareal von 333,200 qkm (6058 QM.) und 3 Mill. Einw. Aus den ringsum liegenden niedrigen Landschaften steigt das Land im N. und S. allmählich, im O. und W. aber unvermittelt zu einem äußerst zerrissenen Alpenland von 2000–2300 m mittlerer Erhebung auf. Das Innere ist eine Folge grasreicher, aber meist waldloser Plateaus, auf welchen sich zahlreiche isolierte, oft sehr grotesk gestaltete Felsmassen mit senkrecht abfallenden Wänden und von sehr verschiedener Größe erheben. Während einzelne derselben nur mit Leitern erstiegen werden können, haben andre das Aussehen von Tafelbergen, sind auf der Gipfelfläche wohlbewässert und mit üppiger Vegetation bedeckt, daher auch bewohnt und angebaut. Diese Felsmassen dienen der Bevölkerung in ihren Kriegen gegen auswärtige Feinde und bei ihren innern Fehden als natürliche Festungen und werden mit dem allgemeinen Namen Amba bezeichnet. Außerdem sind die Hochebenen von mehreren ansehnlichen, nur teilweise voneinander getrennten Gebirgsketten durchzogen, unter denen im nördlichen Teil des Landes besonders folgende bemerkenswert sind. Die eine zieht sich an der Nordgrenze von der Landschaft Semién durch ganz A. bis in die Nähe des Hawaschthals, wo sie noch bis zu 3500 m ansteigt, um sich dann gegen W. in die Hochebene der Galla zu verflachen. Eine nach SW. gehende Abzweigung umfaßt im S. den großen Tanasee und endigt in dem wenigstens 3600 m hohen Talba-Wahagebirge in den Landschaften Matscha und Godscham. Dieser langen Gebirgskette gehören in Semién und Wogera an der Ras Daschan von etwa 4620 und der Buahit von 4510 m Höhe, deren Gipfel einen großen Teil des Jahrs mit Schnee bedeckt sind. Südwestlich von Semién setzen sich die Gebirge in der 3000 m hohen, gestaffelten Terrasse von Wogera fort, die sich allmählich nach SO. verflacht und kesselförmig das große Becken des Tanasees umgibt. Ohne Unterbrechung ziehen die Gebirge nach SO. weiter durch das 4300 m hohe Gunagebirge bis zum trennenden Thal des Beschilo. Südlich von diesem ragt isoliert Abessiniens höchstes Gebirge, die Kollo, bis 4600 m empor. Auch die südlichen Landschaften Kaffa und Enarea sind gebirgig und haben sogar mit ewigem Schnee bedeckte Gipfel aufzuweisen. Die Hochflächen sind häufig von engen, manchmal sehr tiefen, schluchtenartigen Thälern durchfurcht, in denen die Flüsse des Landes ihren Lauf nehmen. Wo breitere Einschnitte sind, besteht die Hochebene aus mehreren isolierten Plateaus mit steil abstürzenden Wänden, so besonders im Hochland von Schoa.

Von dem niedrigen Küstenstrich, der Samhara, aus gesehen, gewährt A. den Anblick einer ragenden Burg, durch deren Wälle nur wenige, oft treppenartige Pässe auf das eigentliche Hochland führen. Der frequenteste dieser Pässe ist der am Tarantaberg, der von dem Hafenort Massaua nach dem Hochland führt, neben welchem wir im Innern Semiéns noch den in fast 3000 m Höhe liegenden Selkipaß erwähnen, der bis in die Schneeregion reicht. Den nördlichen und westlichen, wahrscheinlich auch den südlichen Abfall des Hochlands umzieht eine 6–7 Tagereisen breite, sumpfige, mit dichtem Urwald bedeckte und von Elefanten, Raubtieren und Schlangen erfüllte, aber dünn bevölkerte Region, die sogen. Kola oder Kwola (d. h. heißes Land). Von ganz andrer Beschaffenheit als das Hochland ist die Samhara, indem sich diese nur wenig über den Meeresspiegel erhebt und ein heißes, wasser- und vegetationsloses, schwach bevölkertes Gebiet bildet, dessen Oberfläche teils aus nacktem Fels, teils aus flüchtigen Sandablagerungen [35] über demselben besteht. Geognostisch ist A. vorwiegend vulkanischer Natur, und nur von O. her ragt die Kalk– und Sandsteinformation in den vulkanischen Kern keilförmig hinein. Schon in der Samhara finden sich ausgebrannte Krater, Lavaströme und Lavafelsen. Ebenso ist der ganze nördliche Rand des Hochlands mit Massen von Lava, Schlacken, Mandelsteinen und Basalt bedeckt, und weiter im Innern ist der Tanasee von einem schroffen, aus vulkanischem Gestein bestehenden Kamm umschlossen, an welchem zahlreiche warme Quellen entspringen. Weiterhin befinden sich besonders in den Landschaften Wogera, Talemt, Agamé und Semién vulkanische und plutonische Gebilde in großer Verbreitung, und auch in den südlichern Landschaften Begemeder, Godscham, Ghedem, Agaomeder hat man dergleichen in Masse angetroffen, die aber vorzugsweise aus Trachyt bestehen. Aktive vulkanische Thätigkeit hat man 1861 noch beim Vulkan Ed am Roten Meer beobachtet.

A. ist überaus reich an Gewässern, aber keins derselben ist schiffbar oder auch nur flößbar. Alle befinden sich in einer Höhe von fast 3000 m. Als der bedeutendste Strom im nördlichen Teil des Landes ist der Abai, der obere Lauf des Blauen Nils, zu nennen, der bei Säkkala in der Provinz Matscha entspringt, als reißender Bergstrom in den Tanasee fällt und, nachdem er ihn wieder verlassen, in langer Spirale die amharische Landschaft Godscham umzieht, eine lange Reihe von Stromschnellen und Katarakten bildend. Unter seinen zahlreichen Nebenflüssen seit seinem Austritt aus dem Tanasee sind die bedeutendsten: auf der linken Seite Beschilo, Dschamma, Guder, Didessa, Jabus und Tumat, auf der rechten Dinder und Rahad, von denen die zwei letzten von den Bergen Godschams herkommen. Der Takazzé, der zweite Hauptstrom Nordabessiniens, entspringt auf der Grenze zwischen Lasta und Begemeder, scheidet in seinem nordwestlich gerichteten Lauf bis zum 17.° nördl. Br. die Landschaften Tigré und Amhara voneinander und bildet, mit einer Breite von etwa 200 m ein hohes Plateauland durchziehend, den Abzugskanal für das nordöstliche A. Er erhält später den Namen Setit und fällt dann als Atbara in den Nil. Im südlichen A. ist der Hawasch von Bedeutung, der im Guraguegebirge entspringt, in einem weiten, fruchtbaren Thal zuerst nach N., dann nach O. fließt, die Landschaft Schoa gegen die freien Gallaländer abgrenzend, und endlich sich wieder nach N. wendet, um sich in den Aussasee zu ergießen. Endlich ist noch der Mareb oder Gasch zu erwähnen, der in Tigré entspringt, auf einer weiten Strecke nach NW. fließt, dann aber eine nordöstliche Biegung macht. Man glaubte früher, daß er in das Rote Meer münde, weiß aber jetzt, daß er sich zur Zeit seiner Hochflut in den Atbara ergießt. Alle angeführten Ströme also, mit Ausnahme des Hawasch, gehören dem Stromsystem des Nils an. Nur der in der nördlichen Landschaft Hamasen bei Tatsega entspringende Ainsaba, der Mensa und Bogos durchzieht, wendet sich dem Baraka zu und gehört so dem Roten Meer an. In der trocknen Jahreszeit sind die Ströme teilweise ohne Wasser, in der Regenzeit aber überfluten sie, oft furchtbare Zerstörungen hervorbringend, das Flachland. Sie bedingen wesentlich das Steigen des Nils und sind Ursache des fruchtbaren Schlammabsatzes in Ägypten durch die aufgelösten vulkanischen Massen, die sie mit sich führen. – Unter den zahlreichen Landseen Abessiniens sind einige sehr bedeutende, die fast ohne Ausnahme im Hochland liegen und den Charakter der europäischen Alpenseen haben. Ihre vulkanische Umgebung scheint zu der Annahme zu berechtigen, daß sie Ausfüllungen von erloschenen Kratern sind. In Nordabessinien ist als der größte der 1859 m ü. M. gelegene Tana– oder Dembeasee in der Landschaft Dembea (s. Tana), im O. der Aschangisee in der Landschaft Wogera zu erwähnen, welch letzterer, von 3300 m hohen Bergen umgeben, in 2441 m Höhe liegt und einen Umfang von 22 km hat.

[Klima, Naturprodukte.] Der Abessinier unterscheidet in seinem in klimatischer Beziehung so viele Abwechselung bietenden Vaterland zwei Hauptregionen: die Kola oder Kwola (das Tiefland unter 1600 m) und die Deka, nebst einem vermittelnden Gliede, der Woina Deka (1600–2400 m). Das Klima ist im Hochland gemäßigt und angenehm, nur in der Deka und namentlich auf den hohen Gebirgszügen von Lasta und Semién im Winter sehr kalt. Auf den östlichen höhern Plateaus steigt das Thermometer im Sommer selten über 30° R. und fällt nicht unter 17°, so daß die mittlere Temperatur etwa 24,5° beträgt. Weit milderes Klima hat das westliche Hochland, wo die mittlere Temperatur zwischen 17,5 und 31,5° schwankt. Gondar hat bei seiner 1904 m hohen Lage eine mittlere Temperatur von 15°, aber bei fast immer heiterm Himmel ist die Wärme selbst im Sommer nicht drückend. In den Niederungen herrscht dagegen einen großen Teil des Jahrs hindurch eine glühend heiße Temperatur, die in den engen Flußthälern wahrhaft erstickend wird. Da in der Samhara die Tropenregen fehlen oder nur periodisch eintreten, so ist hier zugleich die Atmosphäre außerordentlich trocken, während in der Kola wegen des dichten, für die Sonnenstrahlen undurchdringlichen Urwalds und Gestrüpps bei ebenfalls großer Hitze Feuchtigkeit vorherrscht. Im nördlichen Hochland beginnt die Regenzeit im April, um mit Unterbrechungen bis Oktober anzuhalten; in Schoa dauert sie von Mitte Juni bis September. Bei der außerordentlichen Reinheit der Luft erfreuen sich die Bewohner der höher gelegenen Gegenden einer ausgezeichneten Gesundheit; nur rheumatische Übel werden durch die kalten Winde veranlaßt, und in Schoa grassiert der Aussatz. Eine unter den Abessiniern sehr verbreitete Krankheit ist der Bandwurm, ohne Zweifel infolge des fortwährenden Genusses von rohem Fleisch; doch bietet die Natur selbst in einigen Pflanzen die kräftigsten Gegenmittel dar. In den heißen Flußthälern und in der Kola herrschen Dysenterien, Faulfieber und heftige nervöse Krankheiten, welche besonders den Weißen verderblich werden. – Der Pflanzenwuchs ist bei den verschiedenen klimatischen Verhältnissen des Landes sehr mannigfaltig und in günstigen Lagen außerordentlich üppig. Während er in den hoch gelegenen Gegenden schon ganz subalpinisch ist, hat er in der Kola und in den heißen Thälern des untern Mareb und Takazzé ganz den tropischen Charakter. Die Vegetation der letztern zeigt Tamarisken, Sykomoren, Adansonien und Fikusarten, Tamarinden und Kigelien, Akazien, wilde Baumwolle, Sesam und Büschelmais längs der Flußufer. In der mittlern Region der Kola beginnt die Vegetation der Aloepflanzen. In 1500 m Höhe erscheint die für A. so charakteristische Kolkwaleuphorbie, die bis 3600 m Höhe aufsteigt. Ihr gesellen sich der Ölbaum und die mächtige Adansonia bei, doch stehen alle diese Bäume in der Kola [36] nie in Massen beisammen. Die Woina Deka führt ihren Namen nach dem Weinstock, der bis 2500 m Höhe geht. Hier gedeihen zumal Ölpflanzen (Nuk und Lein), Hülsenfrüchte, Dakuscha, Tef, Mais, Weizen, Gerste und andre Cerealien. Kaffee wird noch in der Kola gebaut, wächst aber hauptsächlich im südlichen A., seinem Heimatsland, zwischen 1800 und 2300 m Höhe. Die Ensetebanane wird noch höher hinauf angepflanzt; mit ihr steigt eine Phönixpalme bis 2400 m. Bignonien, Erythrinien, Loranthus und Orchideen zieren diese Region mit reichem Blütenschmuck; in ihr gedeihen Myrten, Granaten, Zitronen. Auch die Kartoffel ist dort eingeführt. Reichtum, Mannigfaltigkeit, Fülle und Üppigkeit zeichnen die Woina Deka aus. Gehen ihr auch die Riesenformen der Adansonien und Kigelien des Tieflands ab, so finden wir hier andre, ihrem Typus nach echt tropische Gewächse, wie Kolkwal und Ensete, oft waldartig zusammengedrängt neben herrlichen blühenden Zwiebelgewächsen, Gladiolus, Hämanthus, Amaryllis etc. Den größten Teil des Landes nimmt die Deka ein; bis zu 3900 m gedeihen hier noch Gerste, Weizen, Einkorn, der bandwurmvertreibende Kusso (Brayera anthelmintica). Ein baumartiges Hyperikum und die baumartige Heide bilden in 3500 m die Baumvegetation mit ihren zahlreichen Flechten. In dieser Höhe beginnt die Region der merkwürdigen Gibarra (Rhynchopetalum montanum), einer Lobeliacee, die an der Grenze des Schnees plötzlich die Form der Palmen vor Augen zaubert. Neben ihr blühen Alpenpflanzen; bis in die gleiche Höhe gehen baumartige Kugeldisteln (Echinops). Außer den schon erwähnten Getreide– und Ölfrüchten werden in A. folgende Nutzpflanzen angebaut: die Ensetebanane, Rettiche, Senf, Zwiebeln, Knoblauch, Ingwer, Kaffee, Indigo, Tabak, Baumwolle, Wein, Pfirsiche, Mandeln etc. Reich ist das Land an medizinischen Pflanzen, namentlich an wurmtreibenden (Brayera, Bussena); Celastrus dient gegen Wechselfieber; Rizinus ist häufig. Bambus, Rotang, Sykomoren, der Ölbaum, Akazien etc. liefern Nutzholz. – Kaum minder reich als die Pflanzenwelt ist die Tierwelt Abessiniens, ebensowohl durch Menge der Individuen als Mannigfaltigkeit der Arten. Zahlreich sind besonders die Pachydermen: Elefanten, die selbst auf dem Plateau bis zu einer Höhe von 2500 m hinaufgehen, ein– und zweihörnige Nashörner, Nilpferde, Büffel und wilde Schweine bevölkern die Kola. Rindvieh, worunter eine Varietät, das Sangarind, durch kolossale Hörner ausgezeichnet ist, ernähren die wiesenreichen Striche des Hochlands in großer Menge; Kamele finden sich aber nur in der Samhara und im Adâlland; Schafe, zum Teil fettschwänzige, auch behaarte, werden besonders in der Provinz Begemeder, treffliche Pferde und Maulesel auf den Hochebenen Nordabessiniens und in den Gallaebenen gezüchtet. Giraffen bewohnen die sandigen südöstlichen Gegenden, Antilopen in Menge und in verschiedenen Arten Gebirge und Ebenen; mehr vereinzelt kommen wilde Ziegen vor. Raubtiere, namentlich Schakale und Hyänen, werden oft zur Landplage. Löwen schweifen in der Samhara und im Adâlgebiet, Panther und Leoparden, Luchse, wilde Katzen, Füchse und Zibetkatzen (wichtig für den Handel der südabessinischen Länder) in Enarea und Kaffa umher. Affen sind in verschiedenen Arten, darunter der herrliche schwarz und weiß gefärbte Guereza, der im Hochgebirge weilende Tscheladapavian, der Silberpavian oder Hamadryas, die Meersäugetiere im Dugong (Hallcore tabernaculus) an der Dahlakgruppe im Roten Meer vertreten. Als besondere Charaktertiere sind noch zu erwähnen: der Walgiéhund in den höchsten Gebirgen Semiéns, der Honigdachs oder das Ratel, das Erdferkel (Orycteropus), der abessinische Steinbock, das Nachtschwein (Nyctochoerus Hassama), der Klippschliefer (Hyrax). In außerordentlicher Menge sind Vögel vorhanden, besonders Geier, Adler und Falken, Guinea– und Rebhühner, Nashornvögel und Strauße, letztere in den heißen, sandigen Landstrichen. Von Reptilien gibt es Krokodile in Menge, jedoch nur in den größern wärmern Flüssen, und große Schlangen in der Kola. Reich an Fischen ist der Tanasee; am Strande der Adulisbai lebt der froschlarvenartige merkwürdige Fisch Periophthalmus Koehlreuteri. Im Atbara kommt ein Wels vor, der Hausenblase liefert. Von Insekten treten die Heuschrecken und Termiten oft als Landplage auf, und eine Fliege (Tsaltsalya) ist in der Regenperiode dem Vieh selbst tödlich. Schöne Mollusken, auch Perlmuscheln und Austern bieten die Küsten des Roten Meers dar. – Von Mineralien findet sich Gold im N. in der Kola von Râs el Fil und in den Alluvionen am Mareb, im W. in den an Agaomeder angrenzenden Gegenden der Kola, im S. im Sande der Flüsse von Damot, Kaffa und Gurague, in den Trachytgesteinen von Schoa. Eisen ist besonders in Tigré und Schoa am Tschatschafluß verbreitet; Steinkohlen birgt der Ostrand des Plateaus von Schoa, Schwefel die Taltalebene bei Alaul, Salz die flachen Striche des Adâllands.

[Bevölkerung.] Die Bevölkerung von A. ist sehr gemischt. Durch die Vielweiberei und den Sklavenhandel, welcher seit Jahrtausenden Frauen aus sehr verschiedenen Völkern ins Land gebracht hat, wurden die eigentlichen echten Typen vielfach verwischt, wie dadurch auch die Ausbildung eines festen nationalen Charakters mit scharfem Gepräge bei den einzelnen Völkerstämmen unmöglich geworden ist. Was man als eigentliche Abessinier (s. Tafel „Menschenrassen“[WS 1]) oder Äthiopier bezeichnet, ist ein zur südlichen Familie der Semiten gehöriges, ursprünglich aus Arabien eingewandertes Volk, das infolge seiner höhern Anlage und Gesittung die Herrschaft an sich gebracht hat. Viele Angehörige tragen noch das rein kaukasische Gesichtsgepräge und haben schlichtes, schwarzes Haar, während die Hautfarbe wechselt; man hat Kinder Eines Vaters mit roter, olivengelber, brauner und schwarzer Hautfarbe, mit schlichten oder wollig gekräuselten Haaren. Als ausgestorbene, nur noch in den religiösen Büchern lebende Ursprache der Abessinier gilt die äthiopische oder das Geéz, das zur Zeit der Einführung des Christentums im Land gesprochen wurde. An seine Stelle traten (seit wann, ist unbekannt) zwei lebende Sprachen, die von den beiden Hauptstämmen der Abessinier heute geredet werden. Das Amharische (Amhareña) wird in den südlich und westlich vom Takazzé gelegenen Landschaften, das Tigrische (Tigreña, Tigré) in den östlich davon gelegenen Gegenden gesprochen. Das Amharische hat mehr Fremdartiges angenommen als das Tigrische, aber es wurde zur Regierungssprache erhoben und reicht bis Harar im O. Das Tigrische hat im Dialekt von Gurague, einer südabessinischen Landschaft, eine Tochtersprache aufzuweisen. Wie sprachlich, so sind auch im Charakter die beiden Hauptstämme der Abessinier mannigfach geschieden, und diese Verschiedenheit hat auch Einfluß auf den [37] Gang der Geschichte des Landes gehabt, indem die Bewohner Amharas und Tigrés sich häufig feindlich gegenüberstanden. Zwischen den eigentlichen Abessiniern hausen zerstreut eine Anzahl kleinerer, aber streng von ihnen geschiedener Stämme. Eine auffällige Erscheinung sind die Falascha oder abessinischen Juden, die früher sogar das Land zeitweilig beherrschten, jetzt auf einen kleinen Winkel am nordöstlichen Ufer des Tanasees zusammengedrängt sind. Sie sind schwarz und geben an, von den Patriarchen abzustammen; sie sind von exemplarischer Sittenreinheit, fleißig, aber dem Handel abgeneigt. Über ihre Herkunft schwebt Dunkelheit, jedenfalls weichen sie ethnisch ab von den eigentlichen Hebräern. Mit der Sprache dieser Juden, die dem Agau (s. unten) am nächsten steht, stimmt jene der heidnischen Gamanten überein, die sich durch hohen Wuchs auszeichnen, Ackerbau und Viehzucht treiben und über den Westen und Süden verbreitet sind. Ihre Verwandten sind die gleichfalls heidnischen Waito am Tanasee. Wahrscheinlich einen Teil der Urbevölkerung bilden die heidnischen, schlangenverehrenden Agau oder Agow im westlichen A. (ihre Sprache bearbeitet von Halévy in den „Actes de la Société philologique“, Bd. 3, Par. 1873). Zu ihnen gehören die Tschertz in der Provinz Avergale. Der Ausdruck Schangalla, der fälschlich oft für einen besondern abessinischen Volksstamm gebraucht wird, ist nur ein generischer, auf die umwohnenden Neger angewandter Name. Ganz verschieden von den Abessiniern sind noch die heidnischen Bazen oder Kunama am Mareb. Ohne jede Staatsordnung, ohne Familie, doch mit eigentümlichem Recht, lebt das negerartige Volk friedlich von Ackerbau und Viehzucht in seinen Hochthälern. Von großer Bedeutung sind die Galla geworden, welche sich in ihrer Heimat, südlich von A., weithin vom Meer bis ins äquatoriale Innere ausdehnen und die Zerrüttung des altabessinischen Reichs benutzt haben, um bis weit nach N. vorzudringen und sich wie ein Keil zwischen Schoa und Amhara und als Wollo–Galla sogar ins nördliche Hochland einzuschieben. Sie sind ein streitbares und tapferes Volk, und es war ein Glück für die Beherrscher Abessiniens, daß die Galla von jeher in eine Menge kleiner Stämme zerfielen, denn einer vereinigten Kraft dieser mutigen Völker hätten jene keinen dauernden Widerstand entgegenstellen können. Wie weit die Galla mit den Adâl oder Danakil in der Samhara verwandt sind, bleibt noch zu ermitteln. Diese letztern sind Nomaden und bekennen sich fast alle zum Islam, während von den Galla manche dem Islam, andre dem Christentum und wieder andre dem Heidentum angehören. Zu einer reichgegliederten Staatsbildung, zu einem wahren Kulturleben haben es auch die christlichen Abessinier nie zu bringen gewußt, und über eine halb despotische, halb feudale Verfassung sind sie nie hinausgekommen. Der moralische Zustand der Abessinier wird von den Reisenden mit düstern Farben geschildert. Man beobachtete an ihnen einen Mangel an Regsamkeit, dann Arbeitsscheu und Zügellosigkeit. Eine gewisse Gastfreundschaft, die Achtung der Frau, Anhänglichkeit der Kinder an die Eltern, eine patriarchalische Behandlung der Dienenden sind die einzigen Tugenden dieses Volks. Die Ehe besteht oft nur dem Namen nach: beide Ehegatten leben in völliger Ungebundenheit. Der Mann arbeitet wenig oder nicht. Handwerke kennt die christliche Bevölkerung nicht, das Gerben des Leders und das Weben baumwollener Stoffe wird ausschließlich durch Mohammedaner betrieben. Die Speisen sind sehr einfach und bestehen für den Armen einzig und allein in Brot, das in eine Pfefferbrühe getaucht wird. Der Reiche genießt außer Milch Honigwein, Fleisch von Hühnern, Schafen und Ziegen, welches gebraten, und von Ochsen, welches vielfach roh gegessen wird. Ein großes Stück Baumwollzeug (Schamma), in das man sich hüllt, ist für Männer und Frauen die Kleidung; die Frauen tragen außerdem ein grobes Hemd. Eine Kopfbedeckung ist nur bei den Priestern gebräuchlich. Die geistige Kultur steht auf sehr niedriger Stufe. Die alte Litteratur Äthiopiens (s. Äthiopische Sprache etc.) ist längst verfallen; Lesen und Schreiben, in amharischer Sprache, ist ein Privilegium der höhern Klassen, namentlich der Geistlichkeit, geworden. Durch die Bemühungen deutscher Missionäre, besonders Isenbergs, sind in London mehrere Bücher, darunter eine vollständige Bibel, in amharischer Sprache gedruckt worden. Unter den Künsten wird nur eine rohe Art Malerei geübt, die Musik ist äußerst einfach und erhebt sich kaum über jene der Neger. Die meisten Wohnungen sind kleine, schmutzige Strohhütten, umgeben von einer hohen Dorneneinzäunung; nur wenige Häuser haben eine gewöhnlich kreisförmige Steinmauer als Grundlage sowie ein festes konisches Strohdach, das in der Mitte auf einem Hauptpfeiler ruht und außerdem von einer kreisförmig gestellten Reihe hölzerner Stützen getragen wird.

Gegenwärtiger Herrscher des Landes ist Johannes, der den Titel „Negus Negesti“ (d. h. König der Könige) führt und sich besonders durch die gegen Ägypten glücklich geführten Kriege (1875 und 1876) vollkommene Anerkennung in ganz A. errungen hat (s. unten). Er residiert zu Debra Tabor.

Die herrschende Religion in A. ist das monophysitische Christentum. Die Ausbreitung desselben in A. begann nach griechischen Kirchenschriftstellern um 330 durch Frumentius und Ädesius, zwei gefangene Christenjünglinge, welche in Axum eine Gemeinde gründeten. Frumentius erbat sich darauf von Athanasius, dem Patriarchen von Alexandria, Priester für A. und wurde selbst zum Bischof geweiht. Er ist ohne Zweifel identisch mit Abba Salama, in welchem die einheimische Tradition den ersten Patriarchen Abessiniens verehrt. Die alexandrinischen Patriarchen pflegten seitdem regelmäßig den Patriarchen oder Abuna („unser Vater“) der abessinischen oder äthiopischen Kirche zu weihen, gestanden ihm aber nur den Rang, nicht die Gewalt eines Patriarchen zu. Die fernern Pfleger der abessinischen Kirche waren ägyptische Mönche, welche das ganze Mönchswesen in A. einführten und Felskirchen und Einsiedeleien gründeten. Als 451 die Synode von Chalkedon den Patriarchen Dioskoros von Alexandria als Eutychianer verdammte, wodurch die Partei der Monophysiten oder Jakobiten (nach dem Syrer Jakob Baradai) entstand, harrte die abessinische Kirche bei ihrem Patriarchen aus, und der jakobitische oder koptische Patriarch von Alexandria weihte fortan den Abuna. Aber erst im Lauf des Mittelalters rotteten die Könige das Heidentum in A. völlig aus. Die Kirche war und blieb während dieser Zeit die Trägerin der Kultur und litterarischen Thätigkeit, um erst seit dem 16. Jahrh. an dem Verfall des Reichs teilzunehmen. Seither ist das abessinische Christentum je länger je mehr zum leeren Zeremonien– und Zauberwesen [38] herabgesunken. Düsterer Aberglaube lastet auf dem Volk und Ignoranz, Armut und Verachtung auf dem Priesterstand. Dem Missionseifer der römischen Kirche im 17. und der protestantischen im 19. Jahrh. haben die Abessinier gleichwohl zu widerstehen gewußt. Die Bibel wird zwar hochgehalten, aber nicht verstanden, denn man gebraucht sie nur in der äthiopischen Übersetzung, und diese Sprache ist längst nicht mehr die Volkssprache. Man nimmt eine Art Fegfeuer an, indem man Fasten, Almosen und Fürbitten für diejenigen veranstaltet, welche in Sünden sterben. Neben der Taufe, welche häufig auch noch an Erwachsenen vollzogen wird, besteht die Beschneidung, die an Kindern beider Geschlechter vollzogen wird. Zum Andenken an seine Taufe trägt der abessinische Christ sein lebenlang eine blauseidene Schnur um den Hals. Das Abendmahl wird unter beiderlei Gestalt mit gesäuertem, am Gründonnerstag mit ungesäuertem Brot, von den Priestern täglich, von andern nach Belieben empfangen. Auch die neben dem Sonntag festgehaltene Feier des Sabbats, die Speise- und Reinigungsgesetze sowie die Zurückführung der Form der Gotteshäuser auf den jüdischen Tempelbau erinnern an das Judentum. Der Patriarch oder Abuna, der stets aus dem koptischen Volk genommen wird, residiert in Gondar. Seine Macht ist nur durch die des Königs beschränkt, und oft wurde sie den Monarchen furchtbar. Er ist in Glaubenssachen höchste Autorität und entscheidet auch in Staatsfragen nicht selten als angesehenster Schiedsrichter. Die Klostergeistlichkeit steht unter dem Etschegié, dem Großprior des im 13. Jahrh. gestifteten Klosters Debra Libanos in Schoa, der im Rang zunächst nach dem Abuna folgt. Die berühmtesten Klöster sind außerdem: St. Stephan am Haiksee im Land Jedschu, Debra Damo in Tigré und Lalibela in Lasta. Vgl. Pichler, Geschichte der kirchlichen Trennung, Bd. 2, S. 498 f. (Münch. 1865). Neben den Christen wohnen in A. zahlreiche Mohammedaner. Ganze Landschaften des Hochlands, wie Ifât in Schoa und die Gallastaaten in Lasta und Jedschu, sind fast nur von Mohammedanern bewohnt. Sie zeichnen sich meist durch höhere Bildung, Ehrlichkeit und Thätigkeit vorteilhaft vor den Christen aus.

Hauptnahrungszweig ist der Ackerbau, der sich auf Cerealien (Weizen, Gerste, Mais, Hirse, Machilla [eine Art Durra], Teffgras, dessen Körner Brot geben), Tabak und Baumwolle beschränkt. Die ergiebigsten Kulturstriche liegen in den Provinzen Agaomeder, Dembea, Enarea und Tigré. Auch Viehzucht wird stark betrieben, Kamelzucht nur im Tiefland, Rindviehzucht auf den Alpenwiesen von Semién, Lasta und Schoa sowie auf den Savannen der südlichen Galla, Pferdezucht bei letztern, Schafzucht in Begemeder. Der Gewerbfleiß ist nicht von Belang. Am bedeutendsten ist das Kunsthandwerk in Gondar sowie zu Adoa und Islamgié in Wogera, wo gröbere und feinere Baumwollstoffe angefertigt werden. Bergbau auf Eisen wird in Enarea, am Tschatschafluß und in den zu Tigré gehörigen Distrikten Entitschô und Tsalimbet getrieben. Auch der Handel Abessiniens kann nach keiner Richtung ein bedeutender genannt werden. Die hohen, steil abfallenden Gebirgsketten mit den schwer zugänglichen Pässen erschweren die Verbindung; die Flüsse sind nicht schiffbar, das Kamel geht nicht ins Hochland. Dazu kommt die geringe eigne Produktion, so daß schließlich für den Handel, von Sklaven abgesehen, nur die aus den südwestlichen Landschaften stammenden Erzeugnisse, wie Gold, Elfenbein etc., als Durchgangswaren in Betracht kommen. Für den Großhandel hat der Abessinier wenig Sinn; er ist dem kleinen Schacher zugethan, der auf stark besuchten Messen geführt wird. Der europäische Handel hat sich noch wenig Eingang verschaffen können. Die größte Schwierigkeit bietet der Mangel eines Hafens. Zur Ausfuhr kommen Häute, Maultiere, gute Gebirgspferde, Honig, Wachs, etwas Gummi; der ausgezeichnete Kaffee gelangt kaum zum Export. Eingeführt werden Kattune, blaue Seidenschnüre, Spießglanz zum Färben der Augenlider, Tabak, Pfeffer, Nähnadeln, Glasperlen, Sandelholz zum Räuchern. Der Sklavenhandel, zumal mit Gallamädchen, steht immer noch in Blüte, wiewohl ihn König Theodoros bei Todesstrafe verbot. Von Münzen laufen hauptsächlich der österreichische Mariatheresienthaler (4,2 Mark) mit der Prägung 1789, weniger der ältere spanische Silberpiaster (4,3 Mk.) um; auf den Wochenmärkten der Städte zahlt man mit Stücken Baumwollzeug (Gali) von 8 m Länge und Teilen desselben. Gegenstände von geringerm Wert werden gegen Stücke eines unreinen Steinsalzes in Form eines Wetzsteins (Amulè) gekauft, die aus der Salzebene in der Nähe von Tadschurra kommen. Der Wert dieser Amulè schwankt nach den politischen Verhältnissen; in Gondar gehen 27–32 Amulè (54–80 kg) auf einen Mariatheresienthaler. Mit diesen Amulè zahlt man Abgaben, Tribut, Trägerlohn u. a.

[Erforschungsgeschichte.] Den alten Ägyptern wurde A., das damalige Äthiopien, erst durch die Kriegszüge Alexanders d. Gr. und durch. die von ihm an die Küste verpflanzten syrischen Kolonisten bekannt. Die Ptolemäer drangen siegreich tief ins Land ein und brachten diesem griechische Bildung, so daß dort.vom 4. bis 7. Jahrh., nach der Einführung des Christentums, eine hohe Blüte herrschte. Ein christlicher Kaufherr aus Alexandria, Kosmas Indikopleustes, besuchte im 6. Jahrh. die Bai von Adulis, wo er eine wichtige Inschrift kopierte, die über das damalige A. Aufklärung gibt. Dann finden wir erst in dem zu Venedig aufbewahrten Weltbild des Fra Mauro (15. Jahrh.) ein Gemälde Abessiniens (im Mittelalter Abascia genannt) von wunderbarer Treue wieder, das schon den spiralförmig gewundenen Blauen Nil mit seinem heimischen Namen Abai zeigt. Die Missionäre (Alvarez, Bermudez, Paez, Mendez), welche mit dem christlichen Reich des „Erzpriesters Johannes“ in Verbindung traten, brachten weitere Kunde, nicht minder die Invasionen der Portugiesen im 16. Jahrh. Der wissenschaftlichen Welt wurde aber erst 1681 das Land durch das gelehrte Meisterwerk des Deutschen Job Ludolf („Historia aethiopica, sive brevis et succincta descriptio regni Habessinorum“) erschlossen, das aus abessinischen Quellen und unter Mitwirkung des abessinischen Patriarchen Aba Gregorius entstanden war. 1698 durchzog der Franzose Poncet das Land; gründlicher förderte aber 70 Jahre später der Schotte Bruce unsre Kenntnisse. Seine Reisebeschreibung („Travels in Abyssinia“, Edinb. 1790; deutsch von Volkmann, Leipz. 1792) ward als ein Lügen– und Märchenbuch verschrieen, bis durch die Expedition Lord Valentias und seines Sekretärs Henry Salt im Beginn dieses Jahrhunderts Bruces Wahrheitsliebe gerettet wurde („Voyage to Abyssinia“, Lond. 1814). Die politische Mission des Kapitäns Harris 1841, an der auch die Deutschen Roth und [39] Bernatz teilnahmen, eröffnete uns die Kenntnis Schoas („The highlands of Aethiopia“. Lond. 1844; deutsch, Stuttg. 1847, 3 Bde.); die deutschen Naturforscher Hemprich und Ehrenberg hatten schon 1825 das Küstengebiet bei Massaua durchforscht, wobei Hemprich dem Fieber erlag. Von außerordentlicher Bedeutung, namentlich durch Ortsbestimmungen, zoologische, historische und linguistische Arbeiten, war die Reise des Frankfurters Ed. Rüppell („Reise in Abyssinien“, Frankf. 1840), die trotz aller neuern Werke immer noch eine Grundlage unsrer Kunde Abessiniens bildet. Wenig zuverlässig sind die Reisewerke der Franzosen Combes und Tamisier („Voyage en Égypte, en Nubie, en Abyssinie etc.“, Par. 1838) und v. Kattes („Reise in A.“, Stuttg. 1838). Viel zur Kunde des Landes trug auch der seit 1837 dort angesiedelte Botaniker W. Schimper bei, dem ein ganzer Schwarm deutscher Abenteurer folgte. Missionäre sowie Forschungsreisende, die von jetzt ab in großer Anzahl A. besuchten, förderten dessen Kunde weiter, unterließen es aber nicht, sich in die politischen Verhältnisse des Landes intrigierend einzumischen und seit den 40er Jahren dem protestantisch-englischen oder katholisch-französischen Einfluß sich dienstbar zu machen, wodurch eine natürliche Reaktion von seiten der Eingebornen und Herrscher gegen die Europäer hervorgerufen wurde, die oft mit der Verjagung oder Mißhandlung der letztern endigte. Von Werken der Missionäre sind hier zu erwähnen: Isenberg und Krapf, Journals detailing their proceedings in the kingdom of Shoa (Lond. 1843); Krapf, Reisen in Ostafrika (Tübing. 1858). Unter den französischen Reisenden ragen hervor: Lefebvre, Voyage dans l’Abyssinie (Par. 1845–48, 6 Bde.); Ferret und Galinier, Voyage en Abyssinie (das. 1847–48, 2 Bde.), und namentlich die Gebrüder d’Abbadie (s. d.). Das Werk Rochets d’Héricourt: „Voyage sur la côte occidentale de la mer Rouge etc.“ (Par. 1841) ist unzuverlässig, ebenso sein zweites Werk: „Second Voyage etc.“ (1846). Neue Aufklärungen brachte der Italiener Sapeto in „Viaggio e missione cattolica fra i Mensa, i Bogos e gli Habab“ (Rom 1857) sowie Lejean in „Voyage en Abyssinie 1862 et 1864“ (Par. 1873). Ein klassisches Werk sind die „Ostafrikanischen Studien“ des Schweizers W. Munzinger (Schaffh. 1864). Die Resultate der deutschen Expedition unter v. Heuglin und Steudner finden sich in dem Werk des erstern: „Reise nach A.“ (Jena 1868). Die Zoologie behandelten A. Brehm, Ergebnisse einer Reise nach Habesch (Hamb. 1863), und Blandford, Observations on the geology and zoology of Abyssinia (Lond. 1870). Brehm reiste im Gefolge des Herzogs Ernst II. von Koburg, der einen Jagdzug nach Mensa unternahm und darüber ein Prachtwerk mit Farbendrucken nach Rob. Kretschmer (Leipz. 1863) herausgab. Die Resultate aller neuern Reisenden faßte zusammen Richard Andree in „A.“ (Leipz. 1869). Vgl. außerdem Rohlfs, Im Auftrag des Königs von Preußen mit dem englischen Expeditionskorps in A. (Brem. 1869); Plowden, Travels in Abyssinia (Lond. 1868); Jonveaux, Deux ans dans l’Afrique orientale (Tours 1871); Girard, Voyage en Abyssinie (Kairo 1873); Raffray, Afrique orientale (Par. 1876); Rohlfs, Meine Mission nach A. (Leipz. 1883); Mateucci, In Abissinia (Mail. 1880); Vigoni, Abissinia (das. 1880); Winstanley, A visit to Abyssinia (Lond. 1881); Hartmann, A. (Leipz. 1883).

[Geschichte.] Abessinien, dessen älteste Bewohner wohl der Negerrasse angehörten, erhielt seine älteste Kultur von Ägypten aus, von wo ein Teil der Kriegerkaste (240,000 Mann) zur Zeit des Königs Psammetich I. um 650 v. Chr. in A. einwanderte und ein Reich mit der Hauptstadt Axum (Axome, westlich von Adoa) am obern Atbara gründete, wie Baureste ägyptischen Stils bestätigen (weiteres s. Axum). Im 3. Jahrh. v. Chr. siedelten sich griechische Kolonisten an der Küste in Adulis (jetzt Ruinen von Zula) an und brachten die Kenntnis des Landes nach dem Abendland. In früher Zeit wanderten Araber aus Südarabien ein, das zeitweilig von den Königen von A. beherrscht wurde. Um 330 n. Chr. fand das Christentum von Alexandria her Eingang und bewirkte einen noch engern Verkehr mit griechischer Bildung. Die Blüte der dadurch erzeugten Kultur fällt in das 4.–7. Jahrh. Später fanden viele religiöse Kriege statt, und im 10. Jahrh. kamen infolge davon wieder Bekenner des jüdischen Glaubens, bis 1268, zur Oberherrschaft. Im 16. Jahrh. war das Land in Gefahr, dem Mohammedanismus zu erliegen, und diese ward nur abgewendet durch rechtzeitige Hilfe der Portugiesen vom Indischen Ozean und der Ostküste Afrikas her. Leider brachten sie neue Streitigkeiten ins Land, denn die römisch–katholischen Priester, insbesondere die Jesuiten, trachteten für ihre Lehre und Kirche nach unbedingter Herrschaft. Alfons Mendez wurde vom Papst als Patriarch nach A. geschickt und baute mehrere Klöster; aber schon 1634 wurden die Katholiken vertrieben, und die alte monophysitische Lehre gelangte durch die koptischen Geistlichen wieder zur Herrschaft. Die Geschichte der letzten 80 Jahre zeigt uns A. von unausgesetzten innern Kriegen zerrissen. Der Kaiser oder Oberkönig (Negus) wurde während derselben immer machtloser, und der letzte Schatten eines gemeinsamen Oberhaupts verschwand mit der Absetzung des Negus Saglu Denghel. Er wurde zu Anfang unsers Jahrhunderts zu Gondar in Amhara wie ein Gefangener gehalten, wo er das Oberrichteramt ausübte und geringe Einkünfte bezog. Aber jeder der in den verschiedenen Landschaften unabhängig gewordenen Statthalter wollte alle übrigen unterjochen und Beherrscher ganz Abessiniens werden, so auch Sabagades, der 1823 Gebieter am Tigré und der östlich vom Takazzé liegenden Gegenden war. Ihn schlugen die übrigen unter Ras Mario 1831. Seitdem wurde in Amhara der Ras Ali mächtig, in Tigré herrschte Ubié als unabhängiger Fürst und in Schoa der streitbare Sahela Selassi. Da trat um das Jahr 1850 eine unerwartete Wendung ein. Kasa (s. Theodoros), der Sohn eines Statthalters von Quara, besiegte und stürzte Ras Ali und ward Herr von Amhara, dem ganzen mittlern Habesch, das westlich vom Takazzé bis zum Blauen Nil liegt. Er wollte ganz A. erobern und das alte äthiopische Reich wiederherstellen. Zu diesem Zweck benutzte er eine alte Sage, nach der einst ein König Theodoros sich erheben, der das Land groß, das Volk glücklich machen, die Mohammedaner vertreiben und selbst Mekka erobern werde. Religiöse Verhältnisse halfen ihm: seit 1838 wirkte, von der römischen Propaganda gesandt, der höchst gewandte und intelligente Kapuziner de Jacobis in A. und hatte sich selbst den einheimischen Priestern (Debteras) gegenüber in einen Geruch der Heiligkeit zu bringen gewußt; darauf gestützt, suchte er den von dem Koptenpatriarchen in Alexandria abhängigen Landesbischof (Abuna) Salama seines Einflusses zu berauben, welcher seinerseits, während Ubié von Tigré völlig unter dem Einfluß de Jacobis’ [40] stand, einen Rückhalt in dem schnell zu größerer Macht aufsteigenden Kasa suchte. Diesen Abuna, Abba Salama, der zu Adowa in Tigré wohnte, lud Kasa zu sich nach seiner Hauptstadt Gondar ein; derselbe forderte erst die Austreibung aller römischen Priester: sie geschah, und nun kam der Abuna, wurde mit großer Ehrfurcht empfangen, und seitdem war die Geistlichkeit im ganzen Land für den jungen Herrscher gewonnen. Kasa verbot die Vielweiberei und den Sklavenhandel, und als er sich eines starken Heers und der Geistlichkeit sicher wußte, forderte er von Ubié Tribut; dieser verweigerte ihn, unterlag aber 1855 in der Schlacht bei Debraski völlig. Kasa unterwarf nun Tigré und nahm den Titel Theodoros, Kaiser (Negus Negesti, „König der Könige“) von Äthiopien, an. Auch die Provinz Schoa fiel ihm zu. Sahela Selassis Nachfolger, König Haila Malakot, verlor Krone und Reich in einer einzigen Schlacht und starb bald nachher 1856. Nun bildeten die drei Staaten Tigré, Amhara und Schoa Ein Reich. Nachdem er die Empörung Negusiés, der sich zum Herrscher von Tigré aufwarf, 1861 unterdrückt hatte, begann Theodoros durchgreifende Reformen des Staats und der Kirche. Die Zustände Abessiniens zeigten ein Gemisch europäischer Formen und barbarischer Roheit: es bestand eine Art Feudalsystem neben völlig demokratischen Einrichtungen; die Rechtspflege war auf das justinianische Recht gegründet, die Verwaltung eine äußerst einfache. Daneben galt indes ein rohes Kriegsrecht, auch die Blutrache, freilich beschränkt durch zahlreiche Zufluchtsorte (Gheddems). Mit eiserner Strenge und blutiger Grausamkeit wurden Ordnung und Sicherheit gehandhabt, durch Einführung der Monogamie die Sittlichkeit gehoben. Von besonderer Wichtigkeit war, daß unter der Billigung des Volks Theodoros die Güter der Kirche einzog, dagegen der Geistlichkeit ein bestimmtes Einkommen sicherte und den Klöstern das zu ihrem Unterhalt ausreichende Land ließ.

Da brach infolge von Verwickelungen mit England eine Katastrophe herein. Theodoros haßte alle Missionäre, da er unter seinem Zepter nur eine, seine eigne Religion dulden wollte, und gestattete daher nur Bekehrungsversuche an den Juden (Falaschas). Gegen dieses Gebot hatten einige englische Missionäre verstoßen; dazu kam, daß England einen Antrag des Theodoros auf Abschluß eines Bündnisses gegen die Türken zunächst gar nicht, dann unhöflich ablehnend beantwortete. So glaubte sich Theodoros von England schwer verletzt, und jene Missionäre und der Konsul Cameron sollten ihm als Geiseln dienen, bis er von England Genugthuung erlangt hätte. Später ließ er alle Europäer, auch den englischen Gesandten Rassam, ins Gefängnis werfen. Die leidenschaftliche Wut Theodoros’ wurde dadurch noch gesteigert, daß gerade in jener Zeit in allen Teilen des Landes Erhebungen gegen ihn ausbrachen und er seine mühsam begründete Herrschaft dem Ansturm der verbündeten Großen erliegen zu sehen fürchten mußte. Im J. 1867 war faktisch ganz A. von Theodoros abgefallen, der nur noch in seinem Lager bei Debra Tabor als Herr über seine Krieger herrschte. Da dennoch die Versuche Englands, die Befreiung der Gefangenen gütlich zu erwirken, fruchtlos blieben, sah es sich zu einer kriegerischen Expedition genötigt, für die in Bombay eine Armee von 4000 Mann englischen und 8000 Mann indischen Truppen nebst zahlreicher Artillerie unter Befehl von General Sir Robert Napier ausgerüstet wurde. Im Oktober 1867 landete der englische Vortrab an der Westküste der Annesleybai, im Hafen von Zula. Der Marsch ging nun aufwärts nach Senafe, das Napier 31. Jan. 1868 erreichte. Auf dem Weitermarsch über Adigirat und Antalo nach Magdala waren ungeheure Schwierigkeiten zu überwinden, Pässe von 3100 m Höhe und zuletzt eine Reihe scheinbar unpassierbarer Schluchten. Von dem sprach- und terrainkundigen Munzinger geführt, kam das Heer glücklich durch. Theodoros erwartete es bei Magdala. Bei der Annäherung der Engländer griff er dieselben 10. April gegen Abend an mit 5000 Musketieren und 1000 Speerträgern, welche den Abhang herabstürmten, unter den sichern Schüssen der Stahlkanonen in kurzer Zeit 800 Tote und 1500 Verwundete verloren und dann schleunigst zurückflohen; die Engländer, welche 1600 Mann im Gefecht gehabt hatten, verloren 20 Verwundete. Kleinmütig dachte Theodoros jetzt nur an Frieden. Am 11. April ließ er die Freilassung sämtlicher Gefangenen anbieten, wenn ihm dagegen die Engländer bei der Wiedereroberung seines aufständischen Reichs Hilfe leisten wollten. Übergabe von Magdala und bedingungslose Unterwerfung war dagegen die Forderung Napiers. Darauf entschloß sich Theodoros zur Auslieferung der Gefangenen, welche 11. und 12. April geschah. Als er sich jedoch in der Hoffnung, nun günstigere Bedingungen zu erhalten, getäuscht sah und die Engländer 12. April nach einer kurzen Beschießung zum Sturm auf Magdala schritten, erschoß sich Theodoros (14. April). Am 1. Juni schifften sich die englischen Truppen in Zula wieder nach Indien ein. Damit war die Expedition beendigt.

A. aber wurde gerade durch den schnellen Abzug der Engländer den Verwirrungen wechselvoller Kriege zwischen den Häuptlingen und innerer Zerrissenheit preisgegeben. Diesen Zustand benutzend, annektierte auf Anstiften des zum Gouverneur von Massaua ernannten Munzinger der Chedive von Ägypten 1872 die nördlichen Teile Abessiniens, namentlich die Länder Bogos und Mensa. Inzwischen hatte der Fürst Kassai von Tigré den Fürsten Gobesieh von Godscham besiegt, ganz A. außer Schoa unterworfen und sich 1. Febr. 1872 unter dem Namen Johannes in Axum zum Negus Negesti krönen lassen. Als nun Munzinger 1875 in Tadschurra landete, um im Bund mit König Menelek von Schoa A. von Süden her anzugreifen, während Arakel Bei und der frühere dänische Offizier, Oberst Arendroop, mit einem ägyptischen Heer bis Gundet im nördlichen A. vordrangen, stießen die Ägypter auf unerwartet kräftigen Widerstand. Am 15. Nov. ward Munzinger bei Aussa überfallen und getötet, an demselben Tag fiel bei Gudda Guddi Arendroop im Kampf gegen Kaiser Johannes, und sein und Arakels Heer wurde aufgerieben; 2400 Ägypter wurden niedergemetzelt. Ismail Pascha schickte darauf seinen Sohn Hassan mit 20,000 Mann nach Massaua, der im März 1876 von da in A. einrückte, aber 25. März bei Gura vom Kaiser Johannes gänzlich geschlagen wurde; nur mit einem geringen Reste des Heers entkam Hassan nach Massaua. Unter dem Eindruck dieser Siege und der raschen Unterdrückung des Aufstands des Fürsten Uld Michael in Hamasen unterwarfen sich die Könige Menelek von Schoa und Ras Adal von Godscham dem Kaiser Johannes, der nun ganz A. beherrschte. Seit dem Aufstand in Ägypten 1882 und dem Abfall des Sudân drohte A. von dieser Seite keine Gefahr mehr. Mit den europäischen Mächten knüpfte Johannes freundliche Beziehungen an. Ein unversöhnlicher Feind des Islam, ließ er alle Mohammedaner in seinem Reich zwangsweise taufen.

[41] Vgl. Markham, A history of the Abyssinian expedition (Lond. 1869.); Holland und Hozier, Record of the expedition to Abyssini (der offizielle Bericht, das. 1871); Rohlfs, Im Auftrag des. Königs von Preußen in A. (Brem. 1869); Carter, Report on the survey operations, Abyssinia (Lond. 1869); Stumm, Meine Erlebnisse bei der englischen Expedition in A. (Frankf. 1868); v. Seckendorff, Meine Erlebnisse mit dem englischen Expeditionskorps in A. (Potsd. 1869); die Berichte der Missionäre: Blanc, Narrative of captivity in Abyssinia (Lond. 1868); Stern, The captive missionary (das. 1869); Flad, Zwölf Jahre in A. (Bas. 1869); Waldmeyer, Erlebnisse in A. (das. 1869).


Ergänzungen und Nachträge
Band 17 (1890), Seite 2
korrigiert
Indexseite

[2] Abessinien. Der Negus Negesti von A., Johannes, hatte zwar nach seinem Sieg über das ägyptische Heer 1876 bei Gura seine mächtigen und nur ungern seiner Oberherrschaft sich fügenden Vasallen in Schoa und Godscham sich gefügig gemacht, allein ihre Bestrebungen, unabhängig zu werden, waren damit keineswegs gebrochen. Namentlich hatte Menelek von Schoa, ein Sprosse altäthiopischen Stammes, niemals die Hoffnung aufgegeben, den Tigriner Usurpator vom Thron zu stoßen. Daran änderte auch nichts, daß Johannes wiederholt Menelek als Erben des abessinischen Throns bezeichnete und ein Ehebund zwischen den Kindern beider abgeschlossen wurde. Menelek legte zwar den angenommenen Titel Negus Negest ab, begnügte sich mit dem eines Negus von Schoa und verpflichtete sich, einen jährlichen Tribut an Johannes zu zahlen; aber er ließ sein Endziel doch nie außer Augen. Er unterwarf bis 1885 das Gebiet der Soddo-Galla, Kabiena, Inarja, Gomma, Gumma, Gera, Dschimma Kaka, Kaffa und Gurage und bändigte damit die zügellosen Galla vollständig. Dann wurde auch das von den Engländern dem Emir Abdullah, welcher den italienischen Reisenden Porro und Gefährten ermorden ließ, übergebene Harar erobert. Inzwischen war das Streben des Negus Johannes darauf gerichtet gewesen, den Hafen von Massaua von Ägypten zurückzuerhalten, und er hatte sich deshalb wiederholt, wiewohl vergebens, an die europäischen Kabinette gewandt. Als nun die Italiener 27. Febr. 1885 die Stadt mit Zustimmung der Engländer besetzten, glaubten sie auch in die freundschaftlichen Beziehungen zum Negus treten zu können, welche Admiral Hewett durch den Vertrag vom 3. Juni 1884 angeknüpft hatte. Um dieselben noch enger zu knüpfen, schickten sie eine Gesandtschaft unter dem General Pozzolini zu Johannes. Indes nahm der Negus, welcher die Besetzung von Massaua als einen Eingriff in seine Rechte betrachtete, sofort eine feindselige Haltung an. Sein General Ras Alula griff die bis Saati vorgeschobenen Posten der Italiener an und vernichtete infolge des Verrats Debebs, eines Neffen des Negus, der sich das Vertrauen der Italiener erschlichen hatte, 25. und 26. Jan. 1887 eine aus 552 Mann bestehende, zur Verstärkung der Posten abgesandte italienische Abteilung bei Dogali bis auf 83 Mann. Wegen der enormen Kosten und Schwierigkeiten eines größern Feldzugs in A. unterließen es die Italiener, eine Genugthuung vom Negus zu erzwingen, welche dieser freiwillig nicht gewährte. Menelek aber weigerte sich, einer Aufforderung des Negus, mit ihm gegen die Italiener vorzugehen, nachzukommen, unterhielt vielmehr freundschaftliche Beziehungen zu denselben, und als der schon seit Jahren in Schoa weilende Graf Antonelli Anfang Februar 1889 von Italien mit Kriegsmaterial für den Krieg in Schoa eintraf, wurde er in der königlichen Residenz Entotto mit großem Gepränge empfangen; Menelek ließ 4000 Krieger ausrücken, um den Italiener zu ehren. An König Humbert aber richtete er ein Schreiben, worin er erklärte, seinen ganzen Einfluß aufbieten zu wollen, um den Zugang von der italienischen Kolonie Assab nach Schoa durch das Danakilland über Aussa freizumachen. Im Winter 1887–1888 zog er ein Heer von 40,000 Mann Fußvolk nebst viel Reiterei an der Nordwestgrenze zusammen. Johannes aber, der bereits mit einem Heer am Abaj stand, mußte sich gegen die Mahdisten wenden, welche den schon im Vorjahr glücklich ausgeführten Streifzug wiederholten und die Umgebung des Tanasees verwüstet hatten. Im Verein mit dem König von Godscham trieb er die Derwische aus dem Land und verfolgte sie über die Grenze hinaus, wurde aber von ihnen 7. und 8. März 1889 bei Metemmeh gänzlich geschlagen und starb selbst an den erhaltenen Wunden zu Makalle auf einer Insel im Tanasee, nachdem er seinen Thron seinem Neffen Mangascha vermacht hatte. Der mächtigste Häuptling in A., Ras Mikael, unterwarf sich aber dem Herrscher von Schoa, der sogleich nach Empfang der Nachricht von der Niederlage des Johannes nach Norden vorrückte, um den Thron des Negus Negesti zu besteigen. Mit seiner Thronbesteigung wird jedenfalls das Unternehmen der Italiener, von Massaua aus in wirtschaftliche Verbindung mit A. zu treten, aussichtsvoller, denn Menelek zeigt sich als einen ebenso warmen Freund Italiens, als Johannes ein heftiger Gegner desselben war. Die Besetzungen der auf der gesunden Gebirgsstufe gelegenen Orte Keren (2. Juni 1889) und Asmara (4. Aug) sind wichtige Schritte zur Verwirklichung der italienischen Projekte. Mitte 1889 ordnete König Menelek eine Gesandtschaft nach Italien ab, die dort mit allen Ehren empfangen wurde. Die förmliche Abtretung des von Italien zur Sicherung seiner militärischen Stellung beanspruchten Bogoslandes wurde vereinbart und ein Vertrag abgeschlossen, wonach A. mit Schoa sich unter das Protektorat Italiens stellte.


Jahres-Supplement 1890–1891
Band 18 (1891), Seite 2
korrigiert
Indexseite

[2] Abessinien. Die Freundschaft zwischen dem „König der Könige“ von A., Menelik, und Italien, scheint sich bis in die jüngste Zeit bewährt zu haben. In dem vom Grafen Pietro Antonelli im Kriegslager von Udschali 2. Mai 1889 abgeschlossenen Vertrag war bestimmt worden, daß eine von Arafali (an der Annesleybai) ausgehende Linie die Grenze zwischen dem italienischen und abessinischen Gebiet bilden solle und zwar so, daß Halai, Saganeiti und Asmara bei Italien verblieben, während vom Dorfe Joannes aus die Grenze nach W. verlaufen solle. Doch sollte das Kloster Debra Bizon im Besitz der abessinischen Regierung belassen werden. Ferner wurde bestimmt, daß beiderseits ein Grenzzoll von nicht über 8 Proz. erhoben werden dürfe, daß der Sklavenhandel verboten und die Einfuhr von Waffen und Munition nur auf Rechnung der abessinischen Regierung stattfinden könne. Endlich verpflichtet sich der König der Könige, Verhandlungen mit andern Mächten nur durch die Vermittelung der italienischen Regierung zu führen und Bürgern andrer Staaten keine Rechte zuzugestehen, die nicht gleichzeitig auch den Italienern zu gute kommen sollten. Am 28. Aug. 1889 wurden Gesandte Meneliks vom König von Italien mit großen Ehren empfangen und ein Zusatzvertrag 1. Okt. in Neapel unterzeichnet, welcher den frühern Vertrag bestätigt und erweitert. Italien erkennt Menelik als Kaiser von A. an; Menelik bestätigt Italien im Besitz seiner Kolonien am Roten Meere, deren Grenzen genauer festgesetzt werden; A. kann in Italien eigne Münzen schlagen lassen, und es wird ihm unter Garantie der italienischen Regierung eine Anleihe von 4 Mill. Lire bewilligt. Indes scheint es an der Grenze im N. doch zu Reibereien mit Ras Mangascha und Ras Meschascha von Tigre gekommen zu sein, aber in einem Briefe, welchen der italienische Gouverneur von Massaua 23. Dez. 1890 erhielt, spricht Menelik die Hoffnung aus, daß die Freundschaft zwischen Italien und A. von Bestand sein möge. A. ist demnach italienisches Schutzgebiet, aber die Dauer dieses Verhältnisses hängt ganz und gar von Umständen ab.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Diese Tafel ist nicht vorhanden. Siehe dafür Tafel „Afrikanische Völker“, Fig. 19 und 20.