Märtyrerlieder auf die Hinrichtung von sieben Wiedertäufern in Gmünd 1529
Nr. 78.[369] „Ein schön geistlich lied zuo Gminden gemacht in großer triebsal.“ „Im ton: Ich stuond an einem morgen.“
1 Kürzlich hab ich mich bsunnenin meines herzens grund, 2 Got tet auß gnaden sechenauf aller menschen kind; 3 Das wort teten bekenenvil leit in deutschem land, 4 Darnach tet es sich siegen,da es Gott daucht rechte zeit, 5 last nit zu schanden werden,die herzlich trauen drauf, 6 Die doch von herzen begeren,was Gott geboten hat, 7 Willig tun sie verzeichenvon herzen iederman, 8 Kürzlich ist es geschechen,daß man sie bewäret hat, 9 Einen knaben teten sie fachen,der was umb sechzechen jar, 10 Noch blib er unbeweget,als oft man zuo im kam. 11 Als es nun zeit ist gwesen,auß diser welt zuo gan, 12 [371] Frölich teten sie jechenzuo iren feinden gschwind: 13 Es kam auch her gerittenzuom knaben in den ring 14 „Solt ich mein leben lieben,und Gott darumb verlan, 15 „In meines vaters reiche,der mich erwelet hat, 16 „Zuo dem wir sollen schreienauß unsers herzens grund, 17 In dem wart angefangenvon trumen ein groß getön. 18 Das alles ist ergangen,das sag ich euch fir war,
Nr. 79.[371] „Ein tröstlich lied von unsern lieben und getreuen bruoder Martin Maler, welcher selb sübender zuo Gminden im Schwabenland umb der göttlichen warheit wilen mit dem schwert hingericht worden im 1531 jar.“ „Im ton: Ich stuond an einem morgen etc.“
1 Auß herzlichen muot und euferkan ich nit underlon, 2 [372] nachdem nun Gott der herresein macht bewisen hat, 3 von anfang dieser welte,von alen zeiten her, 4 wirt aber nit angenomen,wie guot es maint der herr; 5 Wie solches auch geschehen,als man gezelet hat 6 Ein getreuer lerer grechte,diener des worts Gottes schon, 7 Vil tet man in handierenmit betrug und argen list, 8 Aber die christlichen heltenwaren steif und herzhaft, 9 Dargegen ir glaub und lebengottlos und heidnisch ist, 10 Aber die gottlos rottehielten streng und häftig an: 11 „Das wel Gott nimermere!“antworten sie wol getröst, 12 Als sie nun bständig warenin iren steifen muot, 13 Dan hieltens nit lange stille,stelten es ins werk gar bald, 14 da vil volk versamlet waren,zuo sehen, was werden wolt; 15 Ser manlich antwort gaben,ganz unerschrockner gstalt, 16 Weil aber die unschuld zwaregilt bei den wolfen nicht, 17 Also ist’s auch ergangen,fierten die brueder balt 18 Der diener dazuomalered zuo sein bruedern schon 19 Der diener red noch mereim außfieren zuomal; 20 „Ir fiert uns über d’bruckenzuom tod umb unschuld wil; 21 Das gschah auch balt, un lange,daß es geschehen ist: 22 Auf die richtstatt ist man komen,do stuond das volk herumb 23 [374] mit lauter stim on zagenzuom volk und meiniglich: 24 Ein edler herr, wie ich sage,rit in den ring hinein, 25 „Ein pfriend wil ich dir geben,solt al zeit bei mir sein, 26 Der knab antwortet mereund redt gar inüglich: 27 „Meinen Gott zuo verlaßen,das stuend mir übel an, 28 „Darumb will ich lieber sterben,steif bleiben biß ans end; 29 Der knab war jung an jaren,aber im glauben alt; 30 Also haben sie alle sübendie warhait steif bekent 31 Ir bluot habens vergoßenmit unserm herren Jesum Christ 32 Noch mer wirt hie erzelet,was sich begeben hat, 33 Do keret das volk umbeund gieng iederman haim 34 [375] Als er nun dahin kamevon der richtstat nit weit, 35 Stuond also gleich da stille,sinnet dem wunder nach 36 Tet auch mit augen sehensüben helle liechtlein klar; 37 Das kund er nit verschweigen,was er gehert und gsehen hat, 38 Weil es nun verdächtig ware,ganz einer mordat gleich, 39 Also tuot der gottlos haufen;wo ein liecht wolt aufgan, 40 Nun aber Gott der herrewirt es machen offenbar, 41 Wie es zuom tail schon gschehen,wie angezeiget ist, 42 Vorlengest und iezundererzaigt sich Gott der herr 43 Christus troet gar schwere,die seine boten verachtet han 44 Das hab ich welen berichtendie lieben brueder mein 45 Ir alerliebsten meine,merkent zuo tausentmal, 46 Sein sieben guldene leichterund süben klare stern; 47 Wir büten Gott den herrenumb sein hilf und beistand, |
Anmerkungen (Wikisource)
Am 7. Dezember 1529 wurden in Schwäbisch Gmünd sieben Wiedertäufer hingerichtet. Bis heute singen die abgeschieden von der Außenwelt lebenden Amischen in den USA, eine Abspaltung der Mennoniten, Lieder über diese Märtyrer ihres Glaubens (zur Singpraxis siehe die Wikipedia). Die Lieder sind enthalten in der täuferischen Liedersammlung Ausbund (Ausgabe 1747 auf Commons).
Die Lieder der Gmünder Wiedertäufer
Die meisten Texte finden sich als Faksimile im Commons-Artikel Täufergericht Schwäbisch Gmünd. Dort ist auch das Corpus von fünf Liedern aus: Die Lieder der Hutterischen Brüder, Scottdale, Pa. 1914, S. 48-59 (LdHB) einsehbar. Eine spätere Ausgabe dieses Gesangbuchs ist in Kanada digitalisiert.
Anführer der Gmünder Täufer war der Maler Martin Zehentmaier (Martin Maler im zweiten Lied). Zu ihm heisst es LdHB S. 48: 1531. Martin Maler, mit sechs Mitgefangenen, in Schwäbisch-Gmünd, wurden enthauptet, darunter ein Müllersknab. Er hinterließ zwei Lieder, und drei wurden von andern Brüdern über sie gemacht.
Mit Freuden will ich singen (22 Strophen) ist das erste der ihm zugeschriebenen Lieder. Es nimmt nicht explizit auf Schwäbisch Gmünd oder die Gefangenschaft Bezug. Überlieferung:
- Mit Freiden will ich singen aus einer Budapester Handschrift ediert von Rudolf Wolkan (S. 18 auch zur weiteren Überlieferung). Bei Google-USA* und auf Commons (S. 18-20). Es hat die Überschrift: Diß Volgendt Lied hat der Brueder Marthan Maller gemacht, ist demnach im 1531. Jar zu schwäbischen gmindt selb sibender vmb der warhait willen enthaupt worden.
- LdHB S. 48-51 (auf Commons)
Aus tiefer Not schrei ich zu dir (7 Strophen). Nur im Anhang (S. 1077) erwähnten Steiff/Mehring das "besonderer Beziehungen auf das Ereignis" entbehrende Lied, das Martin Maler und die anderen sechs hingerichteten Wiedertäufer gemeinsam im Gefängnis verfasst haben sollen (jeder eine Strophe). Überlieferung:
- Es findet sich in der Liedsammlung: Ausbund, das ist: Etliche schöne christliche Lieder, wie sie in dem Gefängnüs zu Bassau in dem Schloss von den Schweitzer-Brüdern, und von anderen rechtgläubigen Christen hin und her gedichtet worden [...], Germantown 1742, S. 329-331 Nr. 61 (diese und weitere Ausgaben zugänglich in Early American Imprints, kostenpflichtig; die Ausgabe von 1742 auch auf Commons frei einsehbar, siehe oben). Text in Wikisource nach der Ausgabe von 1742: Sieben Brüder.
- Abdruck bei Philipp Wackernagel, Das deutsche Kirchenlied Bd. 3, 1870, S. 489 Nr. 541 (Google hat Textverlust links]).
- LdHB S. 51f. (auf Commons)
- Zu Handschriften siehe Wolkan S. 20 und Josef Beck, der 1883 eine abweichende handschriftliche Überlieferung im Cod. Lev. (Abbkürzung wird nicht aufgelöst) erwähnt. Es erscheint auch in der von Th. Unger bekanntgemachten Handschrift (Jahrbuch für die Geschichte des Protestantismus in Österreich 13, 1892, S. 44 Bl. 55v).
Kürzlich hab ich mich besonnen (18 Strophen) bzw. Kürzlich hab ich vorgnommen (Ausbund-Fassungen). Josef Beck (siehe unten) schreibt das Lied Steiff/Mehring Nr. 78 (Text oben) dem bekannten hutterischen Liederdichter Peter Riedemann zu. Überlieferung:
- Die Wiedergabe von Nr. 78 bei Steiff/Mehring folgt der von ihnen Handschrift A genannten Handschrift der Metropolitanbibliothek zu Gran GJ VI. 32 Bl. 85b ff. (aus dem 17. Jahrhundert).
- Das Lied wurde bereits im 16. Jahrhundert (1570: Ein schon Gesangbüchlein, Bl. 169b ff. und 1583: Außbund etlicher schöner Christlicher geseng, S. 118 ff.) gedruckt. Nach der Ausgabe von 1583 wieder bei Wackernagel (siehe oben) Bd. 3, 1870, S. 490-491. Gekürzt abgedruckt von Emil Wagner, in: Württembergische Vierteljahreshefte für Landesgeschichte 4 (1881), S. 184.
- Eine Fassung aus der täuferischen Liedersammlung Ausbund (nach der Ausgabe Germantown 1742 Nr. 20) auf Commons.
- Dort ist auch die etwas modernere Fassung in der 13. Auflage 1977 des Ausbund (Verlag von den Amischen Gemeinden in Lancester County, Pa.) abrufbar.
- Eine englische Übersetzung (nach dem Ausbund) findet sich im Internet
- LdHB S. 53-55 (auf Commons)
Aus herzlichem Mut und Eifer (47 Strophen). Überlieferung:
- Nr. 79 druckten Steiff/Mehring nach der Handschrift des mährischen Landesarchivs in Brünn Nr. 312 Bl. 73 ff. Text siehe oben.
- LdHB S. 55-59 (auf Commons) mit dem Vermerk "Andreas Ehrenpreis, aus Quelle Nr. 3".
Wer Christo hier will folgen nach (14 Strophen). Überlieferung:
- Das der älteren Literatur unbekannt gebliebene Lied wurde erstmals gedruckt in LdHB (auf Commons) S. 52-53. Text in Wikisource: Ein andres Lied von den sieben Brüdern.
Weitere Hinweise
Das Gmünder Täufergericht wurde vor allem von Hermann Ehmer erforscht:
- Hermann Ehmer: Das Gmünder Täufergericht, in: Gmünder Studien 1 (1976), S. 131-161
- Derselbe: Schwäbisch Gmünd im Zeitalter der Reformation und der Gegenreformation, in: Geschichte der Stadt Schwäbisch Gmünd, Stuttgart 1984, S. 185-231, hier S. 209-218
- Derselbe: Die Lieder der Täufer, in: Martin Walser: Das Sauspiel. Szenen aus dem 16. Jahrhundert. Mit Materialien hrsg. von Werner Brändle, Frankfurt a. M. 1978, S. 346-365
Joachim Wahl, Bernd Trautmann: Auf den Spuren der ‚Wiedertäufer‘ aus dem Jahr 1529 – Anthropologische Untersuchung der Skelettreste vom ‚Remswasen‘ in Schwäbisch Gmünd. In: Fundberichte aus Baden-Württemberg 33 (2013), S. 957-1001 UB Heidelberg konnten zeigen, dass die 2008 gefundenen Skelettreste am "Remswasen" nicht den 1529 hingerichteten Wiedertäufern angehören konnten.
Zu den Quellen
Eine kurze Gmünder Chroniknotiz findet sich bei K. Graf, Gmünder Chroniken im 16. Jahrhundert, 1984, S. 273.
Erwähnt wurde die Hinrichtung auch in der Weißenhorner Chronik von Nikolaus Thoman (Google).
Am 25. Oktober 1530 schrieb Johann Mensing an Fürst Johann von Anhalt aus Augsburg: „Zu Gemund, wie ich bericht, hat man kurtzlich xl menschen, besunden widertuffer, yrer sieben gericht, die ander sonst gestrafft. vnter yhn soll ein kyndt gewesen seyn vngefehrlich von sex oder vij Jarn, ist uber die massen fredich zum todt gewesen vnd hat keins weges von den anderen lassen, sondern mitsterben wollen“, Otto Clemen: Briefe von Hieronymus Emser, Johann Cochläus, Johann Mensing und Petrus Rauch an die Fürstin Margarete und die Fürsten Johann und Georg von Anhalt, Münster 1907, S. 28 Google.
Eine englische Übersetzung aus Tieleman Jansz van Braghts Märtyrerspiegel (Erstausgabe 1660), in der über die Hinrichtung aus täuferischer Sicht berichtet wird, liegt online vor. Die Illustration von Jan Luiken aus der Ausgabe 1685 ist eine Phantasiedarstellung (siehe Textbox).
Eine Darstellung in Täuferchroniken des 17. Jahrhunderts (überwiegend aus Mähren), ediert von Josef Beck, ist in Wikisource verfügbar unter: Wiedertäufer 1529 in Gmünd hingerichtet.
Der mährische Hutterer Kaspar Braitmichel berichtete in der ältesten Chronik der Hutterischen Brüder (wohl 1565/73) ausführlich über das Ereignis: Hinrichtung der Wiedertäufer in Schwäbisch Gmünd 1529 (Chronik der Hutterischen Brüder).