Mädchen aus dem Wippthale
[819] Mädchen aus dem Wippthale. (Zu dem Bilde S. 809.) Sonntag Morgen! Die Glocken läuten fern, fern im tief eingesenkten Thale zur Kirche, deren schlanker Thurm aus dem Grunde emporragt. Da ist sie herabgestiegen, die liebliche Tochter der Alm, angethan mit ihrem besten sonntäglichen Staate, um ihrem frommen Bedürfniß Genüge zu thun und wohl auch – um einmal wieder unter Menschen zu kommen! Denn in dem dünn bevölkerten Hochgebirge, wo Hof oft stundenweit von Hof liegt, hat man es nicht so bequem, mit den Nachbarn zu einem Schwatzstündchen sich zu treffen, wie drunten im Thale, in den Dörfern und Städten. Unsre Wandrerin trägt die landesübliche Pelzmütze, welche sich die Mädchen und Frauen dort selbst aus schwarzer böhmischer Schafwolle herstellen, Gebetbuch und Rosenkranz in der Linken, den hand- und wetterfesten Regenschirm in der Rechten. So schreitet sie munter den Fußpfad fürder und ihre hellen scharfen Kinderaugen schauen fröhlich in den schönen Morgen hinein.
Leider ist die charakteristische Volkstracht, welche uns an der hübschen Gestalt auf unserem Bilde so kleidsam anmuthet, immer mehr im Zurückgehen begriffen. Der mächtige Strom des internationalen Völkerverkehrs übt auf die Bewohner des Wippthals seine ernüchternde, gleichmachende Wirkung. Denn seit bald einem Vierteljahrhundert laufen drunten pfeifend, pustend, rauchend und rasselnd die Züge der Brennerbahn vorüber.