Ludwig Walesrode (Die Gartenlaube 1889/18)

Textdaten
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Autor: Rudolf von Gottschall
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Titel: Ludwig Walesrode
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aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 307
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[307] Ludwig Walesrode. Am 20. März ist wieder ein alter Mitarbeiter der „Gartenlaube“, ein vormärzlicher Veteran gestorben, der mit seltener Zähigkeit an seinen vormärzlichen Erinnerungen und Ueberzeugungen festhielt und deshalb einsiedlerisch in einer späteren Epoche leben mußte, deren Bestrebungen ihm großenteils „wider den Strich“ gingen; doch er kämpfte nicht gegen diese anders geartete Zeit an; er lebte für sich in schweigendem Widerspruch gegen die Meinungen und Helden des Tags, und mit wehmüthiger Selbsterkenntniß mußte er sich sagen, daß er zu den verschollenen Größen gehörte.

Als ich im Anfang der vierziger Jahre als junger Student nach Königsberg kam, da stand Ludwig Walesrode in der vollen Blüthe seines Ruhms; es war die Glanzepoche seines Lebens. Er wurde so recht von dem Beifall der Menge getragen und wandelte stolz erhobenen Hauptes durch die „Stadt der reinen Vernunft“. Er war eine in mancher Hinsicht auffallende Erscheinung; er liebte es, soviele bunte Farben wie möglich in seiner Kleidung anzubringen und seinen faltenreichen Mantel wie eine Toga umzuschlagen. Sein Gesicht war damals voll und blühend, seine Züge hatten etwas Sympathisches, die munteren Augen blitzten durch die Brille.

Er war von Hamburg und Altona herübergekommen als Sprachlehrer; doch er hatte diese Thätigkeit bald an den Nagel gehängt, als er in den Mittelpunkt der Bewegung trat, welche damals in den baltischen Provinzen eine in ganz Deutschland sichtbare Leuchte angezündet hatte. Befreundet mit Johann Jacoby, trat er neben den kaltblütigen Vierfragenmann, der die politischen Exempel mit dem ruhigen Gleichmuth eines Mathematikers zu lösen suchte und alle phantasievollen Abschweifungen von ihnen fernhielt, als ein gleichstrebender Genosse, der mit den Waffen der Satire, des Humors, des Witzes und einer bilderreichen Beredsamkeit kämpfte. Es war nur in jener Zeit möglich, mit humoristischen Vorlesungen eine tonangebende Rolle in der politischen Bewegung zu spielen. Walesrode trat als Vorleser auf; das ganze gebildete Publikum Königsbergs versammelte sich an diesen Abenden, er hatte fast so großen Erfolg wie Franz Liszt, der gleichzeitig in demselben Salon des Junkerhofs sein unübertroffenes Virtuosenthum auf dem Klavier mit seinem damaligen jugendlichen Feuer bewährte, und selbst ein so viel gefeierter Dichter wie Georg Herwegh, der damals mit seinem König in schwunghaften Versen grollte, ein Held der politischen Mode, dem ebenfalls im Junkerhof die politische Opposition ein Festmahl gab, konnte bei seinem flüchtigen Besuche in der baltischen Hauptstadt den Ruhm des bewunderten Humoristen nicht verdunkeln.

Die Vorlesungen, die Walesrode damals hielt, erschienen im Druck unter dem Titel: „Glossen und Randzeichnungen zu Texten aus unserer Zeit“, und später schlossen sich ihnen „Unterthänige Reden“ an. Es war ein eigenartiger Humor, der sich in ihnen aussprach, sehr weit entfernt von dem Saphirschen Wortwitz, aber auch von dem leichtgeflügelten Pfeilwurf der scharf zugespitzte Heineschen Epigramme. Mehr Verwandtschaft hatte Walesrode mit Boerne, was die Wärme der politischen Gesinnung betrifft; aber auch auf Jean Paul wies er zurück, denn sein Humor hatte etwas Breites, Bilderprunkendes, wir möchten sagen Faltenreiches; es war eine üppige Gewandung, in die er sich hüllte. Natürlich verwerthete er alle Stichwörter der damaligen politischen Bewegung; es waren Augenblicksbilder, die er vorführte, und gerade das beeinträchtigte den Anspruch dieser Skizzen auf längere Dauer, den die gemüthvolle Eigenart dieses helläugigen, freundlich blickenden Humors sonst wohl hätte erheben können. Die Vorlesungen Walesrodes wurden trotz ihrer mißliebigen Feuerwerkerei, trotz der keck in die Höhe geschleuderten Raketen und Leuchtkugeln ihres der Regierung feindseligen Witzes nicht verboten; aber als er sie auch vor der Studentenschaft halten wollte, erfolgte ein Verbot des Prorektors, und dies hatte wiederum eine Kundgebung der gesammten mit dem Albertus geschmückten akademischen Jüngerschaft, eine Katzenmusik vor dem Hause des akademischen Würdenträgers, zur Folge. Ich selbst hatte den Anschlag des Zettels, der die Vorlesungen anzeigte, ans schwarze Brett besorgt und wurde so, da man doch einzelne besonders Schuldige aus der großen Gesammtheit herausfinden mußte, mit dem consilium abeundi bestraft, das auch einigen anderen zutheil wurde.

Walesrodes Art zu schaffen hatte etwas Schwerflüssiges, und so nur ist es zu erklären, daß, als die äußeren Anregungen bei der Mißgunst der Zeit ausblieben, auch seine publizistische und humoristische Muse fast ganz verstummte. Seine „Politische Todtenschau“, seine „Demokratische Studie“, seine humoristischen „Losen Blätter“ waren nicht danach angethan, Aufsehen zu erregen; aber sein reizendes Idyll aus Masuren „Der Storch von Nordenthal“ (1857) zeigte sein Talent im schönsten Lichte, und es mußte um so mehr mit tiefem Bedauern erfüllen, daß an diese Perle seines Humors sich Jahrzehnte hindurch keine mehr anreihte.

Von dem Pregel siedelte Walesrode an den Neckar über; in Stuttgart wohnte er im Verkehr mit einigen Gleichgesinnten, unter denen Ferdinand Freiligrath, so lang er lebte, die erste Stelle einnahm. Bedürfnißlos, in den einfachsten Verhältnissen lebend, an jede Art der Entsagung gewöhnt, erreichte er ein hohes Alter, gegen achtzig Jahre. Er war ein liebenswürdiger Mann, im Grunde von harmloser Kindlichkeit, und wenn jene Bewegung der vierziger Jahre ihn nicht in ihre Strudel gezogen und seinem Schaffen ein für allemal ihr Gepräge aufgedrückt hätte – Deutschland würde vielleicht in ihm einen seiner gemüthvollsten Humoristen begrüßt haben. Rudolf von Gottschall.