Textdaten
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Autor: Carus Sterne
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Titel: Ludwig Lorenz Oken
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aus: Die Gartenlaube, Heft 31, S. 518–520
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Das Leben und Wirken des Naturforschers
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[518]
Ludwig Lorenz Oken.
Zum hundertjährigen Geburtstage eines Vielgeschmäheten.


Unsere Zeit, deren wissenschaftliches Gepräge die einheitliche Auffassung des Kosmos als eines harmonischen Ganzen, der Lebewelt als einer großen Familie ist, dürfte dazu angethan sein, auch einem deutschen Naturforscher Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, welcher Decennien hindurch der jüngeren Generation geradezu als abschreckendes Beispiel, wie man die Natur nicht erforschen soll, dargestellt worden ist. Und doch hat sein ganzes Verbrechen darin bestanden, daß er vorzeitig und mit nicht ausreichenden Mitteln den Versuch gemacht hat, die sogenannten „beschreibenden“ Naturwissenschaften, welche ihr letztes Ziel in’s Sammeln, Beschreiben, Unterscheiden und Ordnen der Naturdinge setzten, dieser unwürdigen Stellung zu entheben und sie, wie Astronomie, Physik und Chemie, zu dem Range von Experimental- und Denkwissenschaften zu erheben.

Immer wieder nach langem geduldigem Sammeln, Beobachten und Verzagen hat sich das Streben des Menschengeistes aufgerafft, in der bunten Mannigfaltigkeit der Erscheinungen die Einheit zu suchen; jedesmal warf darauf die Kritik das religiöse oder philosophische System nieder, welches man ersonnen, um die Räthsel der Welt auf ihren Urgrund zurückzuführen. Doch unentmuthigt und immer von Neuem umringen Forscher und Denker das verschleierte Bild von Saïs. Um es mit einem Worte zu sagen: was Darwin mit beispiellosem Erfolge in unseren Tagen geleistet hat, das versuchte fünfzig Jahre vor ihm mit minderem Glück, aber nicht ohne Ahnung des richtigen Weges, Oken.

Hoffentlich wird uns sein Jubiläum auch eine zuverlässige, ausführliche Biographie von ihm bescheeren, die bisher fehlte. Wie wünschenswerth eine solche ist, mag der Umstand erläutern, daß von drei mir für diese kurze Schilderung vorliegenden Quellen: Günther’s „Lebensskizzen Jenenser Professoren“; Ph. von [519] Martius’ „Akademische Denkreden“ und Ratzeburg’s „Forstwissenschaftliches Schriftstellerlexicon“ jede nicht nur einen andern Geburtstag, sondern auch einen andern Geburtsort nennt, nämlich den 1., 2. und 3. August 1779 und die badischen Orte Bohlsbach, Offenburg und Freiburg. Die erstere Quelle dürfte die vertrauenswürdigste sein, da sie wahrscheinlich aus amtlichen Acten schöpfte; sie sagt uns ferner, daß die Eltern bürgerliche Eheleute katholischer Confession waren. Von der Mutter, Maria Anna Fröhle, weiß man – eine Ausnahme bei berühmten Leuten! – nichts zu berichten; dagegen meldete die Ortsüberlieferung von dem Vater Johann Adam Ockenfuß (erst der Sohn verkürzte den ihm häßlich dünkenden Namen zu Oken), daß er ein Mann von mehr als gewöhnlicher Einsicht gewesen sei, der in den politischen und kirchlichen Wirren seiner Zeit einen weiten Blick bekundete und oft künftige Ausgänge vorausgesagt haben soll, so z. B. auch die Neubildung des deutschen Kaiserreiches. Seine Mitbürger sprachen noch nach seinem Tode von ihm, wie von einem Orakel, und oft hörte man beim Eintritte bedeutender politischer oder kirchlicher Wendungen in der Gegend sagen: „Das hat schon Hans Adam vorausgesagt,“ und umgekehrt, wenn etwas Unerwartetes geschah: „Davon hat Hans Adam nichts geahnt.“

Der früh verwaiste, geistesfrische Knabe empfing durch den gelehrten Rector Meyer zu Baden eine sorgsame Erziehung und widmete sich dann in Würzburg und Göttingen dem Studium der Medicin, an welchem letzteren Orte wahrscheinlich der geistreiche Blumenbach stark auf ihn einwirkte. Da er sich gleichzeitig den Naturwissenschaften, der Sprachforschung und Philosophie mit Eifer zuwandte, so wurde das anfangs von ihm erwählte, seinem Geiste aber nicht Nahrung genug bietende, weil begrenzte Fachstudium bald durch den Trieb zur Universalforschung erstickt. Es war die Zeit eines mächtigen Ringens der Geister; der gesunde Menschenverstand strebte, sich von dem allverbreiteten naturphilosophischen Dogma zu befreien: die lebendige Welt sei, wie wir sie heute sehen, in Form in einander geschachtelter Keime erschaffen worden, die sich immerfort aus einander entwickelten; nichts in der Welt sei deshalb neu, sondern Alles nur eine ewige Wiederholung des Alten. Leibniz und von Haller, die Beherrscher der Geister jener Zeiten, hatten das naturphilosophische Dogma: „Es giebt kein Werden“ auf ihren Schild geschrieben, und selbst Buffon und Linné hatten sich demselben nur vorübergehend oder spät entwunden. Zwar war schon 1759 in Caspar Friedrich Wolff, dem Berliner Schneidersohn, ein Vorläufer der neueren Weltanschauung erschienen, der nachgewiesen hatte, daß sogar jedes einzelne Lebewesen eine vollständige Neubildung sei, aber seine Stimme verhallte in dem Lärm der herrschenden Schule.

Blumenbach und später auch Oken, der sich in Göttingen als Privatdocent niedergelassen hatte, folgten diesem erlösenden Fingerzeige aus dem Bann der allgemeinen Naturerstarrung, aber Allen voran trugen damals zwei Dichter das Banner der Werdelehre: Goethe in Deutschland und Erasmus Darwin in England. Seit dem Jahre 1780 hatte Goethe das Werden des Erdballs und der auf ihm lebenden Wesen verfolgt, mit bitterem Spott die Haller’sche Beharrungstheorie abgewiesen und die leise Ahnung einer Entwickelung vom Niedern zum Höhern auch in der Gesammtnatur gewonnen. Mit unbegreiflicher Halsstarrigkeit hat man Goethe in neuerer Zeit dieses Verdienst absprechen wollen, der doch Wolff selbst seinen „trefflichen Vorarbeiter“ nannte und den es 1785 so glücklich gemacht hatte, den Zwischenkiefer beim Menschen zu entdecken, dessen vermeintliches Fehlen zur Aufstellung eines trennenden Unterschiedes zwischen ihm und der übrigen Thierwelt benutzt worden war. Goethe’s Entdeckung der Pflanzenmetamorphose gehört in denselben Ideenkreis der Werdelehre; es wird darin gezeigt, wie sich die Glieder des Pflanzenorganismus fortwährend zu höheren Stufen umbilden und durch diese Wandlungsfähigkeit das geheime Gesetz der Pflanzenmannigfaltigkeit erklären.

Oken hatte bereits in seinen Jugendschriften, dem „Grundrisse der Naturphilosophie“ und der „Classification des Thierreichs“, ähnliche Ideen ausgesprochen; so lag es nahe, daß er sich dem Dichter geistig anschloß, und wahrscheinlich geschah es nicht ohne Goethe’s Billigung, der damals Curator der Jenaer Universität war, daß Oken im Jahre 1807 als Professor der Naturgeschichte und Naturphilosophie nach Jena berufen wurde. Er hatte zu dieser Zeit bereits durch seine naturphilosophischen Speculationen ein solches Aufsehen erregt, daß man in ihm einen gewissen Ersatz für Schelling und Hegel zu finden hoffte, die einige Jahre vorher die dortige Universität verlassen hatten. In jenen Tagen hatte er noch bei Goethe einen längeren Besuch gemacht, aber ein leidiger Prioritätsstreit führte Beide für immer aus einander. Goethe war früh zu einer seiner Idee der Pflanzenmetamorphose ähnlichen Deutung des Thierkörpers gelangt; wie sich die Blätter der Pflanze mit fortschreitender Entwickelung zu Kelch-, Blumenstaub- und Fruchtblättern umbilden, so glaubte er in den Knochen des Schädels umgebildete Wirbel zu erkennen, eine Ansicht, die, nach langem Streite, von der neueren Forschung in ihrem Grundgedanken als richtig anerkannt worden ist. Goethe hat später erzählt, daß ein weißgebleichter Schöpsenschädel, den sein Diener 1790 auf dem Judenkirchhof von Venedig aufhob, diese seine Ansicht zur Reife gebracht habe, und neuerdings herangezogene Briefe aus jenem Jahre sprechen bereits von dem Lichte, welches ihm bei Betrachtung dieses Fundes aufgegangen sei. Als Oken 1807 als Antrittsprogramm seiner neuen Stellung eine Schrift drucken ließ, in welcher er ähnliche, selbstständig gewonnene Ansichten aussprach, nannten ihn Dritte, die von Goethe’s unveröffentlichter Entdeckung wußten, einen Plagiator und reizten ihn, wie das bei Vertheidigung von Prioritätsansprüchen zu geschehen pltegt, zu einer Umkehrung des Vorwurfes, die das Unrecht desselben überbot. Auf diese Weise wurde Goethe äußerlich von der deutschen naturphilosophischen Schule, als deren geistigen Urheber man ihn vielleicht betrachten muß, durch persönliche Fehden getrennt; zu seinem größten Vortheile trat er an Oken mit dem geringen Ruhme auch alle üble Nachrede der Führerschaft ab.

Den Ausgangspunkt der damaligen Naturphilosophie, wie er später namentlich durch Schelling entwickelt wurde, bildete die sich selbst in der Natur verkörpernde göttliche Schöpferkraft des Spinoza. Vom Mineral zum einfachsten Organismus und endlich zum Menschen aufsteigend, offenbart sie sich dem Seherblicke des Forschers in der Stufenreihe der Naturdinge immer vollkommener. In seinem titanischen Drange, die Natur als ein einheitliches, zusammenhängendes Werk der schaffenden Kräfte darzustellen, warf sich Oken in Ermangelung genügender Fundamente für einen so großartigen Bau einer kühnen Speculation in die Arme. Gottfried Reinhold Treviranus aus Bremen und manche andere gleichstrebende Geister waren schon vorausgegangen, indem sie die gesammte Lebewelt von wenigen niederen Urformen ableiteten, aber während sie sich auf allgemeine, heute lebhaft in den Vordergrund getretene Anschauungen beschränkten, führte Oken Pfeiler auf Pfeiler, Bogen auf Bogen auf, um das ganze Naturreich in einem gewaltigen Gedankenbau unterzubringen. Die von Goethe nach allen Richtungen verfolgte Idee der Metamorphose war dabei sein Leitmotiv; wie in der Pflanze sich aus der Wurzel, mit ihren niederen Ernährungsfunctionen, der aufstrebende Stengel, das athmende Blatt, Blüthe, Samen und Frucht entwickeln, so meinte Oken, das Pflanzenreich habe mit niederen Gewächsen begonnen, bei denen Wurzel, Stengel und Blatt als solche noch nicht getrennt gebildet waren (Markpflanzen); darauf seien dann „Stockpflanzen“ gefolgt, in denen sich der Stengel als solcher unterschied und vollendete, bei denen aber als Unterclassen wiederum „Wurzler“, „Stengler“ und „Lauber“ unterschieden werden könnten. Darauf folgten „Blüthenpflanzen“ mit ähnlichen Unterclassen und endlich „Fruchtpflanzen“. Abgesehen von einzelnen Mißgriffen, ist die leitende Idee im Allgemeinen nicht falsch zu nennen; auch die neuere Botanik unterscheidet noch blatt- und stengellose, blüthenlose und blühende, samenlose und samentragende Pflanzen, und stellt sie in ein ähnliches entwickelungsgeschichtliches Stufenverhältniß wie Oken, aber der philosophische Schematismus, mit dem er dann weiter nach bestimmten Zahlenverhältnissen Classen und Unterclassen machte, läßt das System heute als eine mystische Spielerei erscheinen.

In ähnlicher Weise verfuhr er mit dem Thierreich. Auch da wurden z. B. unter den Insecten Wurzelinsecten (Würmer), Laubinsecten (Wanzen), Sameninsecten (Zweiflügler), Kapselinsecten (Bienen), Blumeninsecten (Schmetterlinge) und Fruchtinsecten (Käfer) unterschieden, wobei offenbar ganz oberflächliche Analogien leitend gewesen waren. Andererseits offenbarte sich das Genialische seiner Natur in der Schöpfung höchst origineller Classen- und Ordnungsnamen bei Thieren und Pflanzen, die oft wirklich der [520] Natur abgelauscht erscheinen und vielfach in Gebrauch geblieben sind, wie z. B. das Wort Lurche für die Salamander, Molche und Tritonen.

Auch finden sich unter den allgemeinen Bemerkungen durchaus geistvolle Vorahnungen des später Erforschten, so z. B. Oken’s Urschleimtheorie, die er mit den Worten vortrug: „Alles Organische ist aus Schleim hervorgegangen, ist nichts als verschieden gestalteter Schleim. Dieser Urschleim ist im Meere im Verfolge der Planetenentwickelung aus anorganischer Materie entstanden.“ Lassen wir den letzten, noch heute von einer großen Anzahl von Naturforschern vertheidigten Satz auf sich beruhen, so haben wir in dem ersten eine Umschreibung der heute allgemein angenommenen Protoplasmatheorie, die als die eigentliche lebende Materie des Thier- und Pflanzenkörpers, gleichsam als dessen „Seele“, jenen eiweißartigen Schleim betrachtet, der oftmals (auch vorübergehend bei höheren Wesen) den gesammten Organismus vorstellt und dessen verschiedene Hüllen und Kleider erst seine innerliche Mannigfaltigkeit dem Blicke offenbaren. Aus diesem Urschleim ließ er Bläschen sich bilden, die er Mile nannte und aus deren Zusammenhäufung er alle zusammengesetzten Lebewesen hervorgegangen betrachtete, wiederum eine geistreiche Vorahnung des wahren Sachverhalts, den Schleiden und Schwann erst mehrere Jahrzehnte später in ihrer Zellentheorie darlegten.

Auch verdankt das Studium der Entwickelungsgeschichte, von der ja die moderne Morphologie (Gestaltenlehre) ihren Ursprung nahm, seit den Tagen Wolff’s ihren Hauptanstoß einer Arbeit Oken’s über die Entwickelungsgeschichte des Darmcanals (1806), an welche sich später die epochemachenden Arbeiten Pander’s und Bär’s lehnten. Und sieht man endlich von der phantastischen Einrahmung der Oken’schen naturgeschichtlichen Werke ab, so findet man einen Kern von umfassendem, gediegenem Wissen in ihnen, und seine „Naturgeschichte für alle Stände“ ist noch heute eine Schatzkammer, in welcher mancher weidlich auf Oken schimpfende Tagesschriftsteller seine Taschen gefüllt hat.

Es besteht heute keine Meinungsverschiedenheit darüber, daß die „philosophische Behandlung“ der Naturgeschichte in dem Umfange, wie man sie damals für angemessen hielt, eine Ueberschätzung des menschlichen Scharfsinnes war, die mit einer Niederlage endigen mußte, aber der Beifall und die bedeutende Nachfolge, die Oken bei vielen angesehenen Forschern seiner Zeit fand, läßt viele seiner Extravaganzen in einem milderen Lichte erscheinen. Diejenigen Naturforscher unserer Zeit aber, welche das Wort „Naturphilosoph“ nur noch als Schimpfwort in den Mund nehmen und, auf jene Niederlage der Naturforschung hinweisend, vor jeder Verallgemeinerung und Hypothesenanleihe auf naturwissenschaftlichem Gebiete warnen, sie vergessen eben, daß auf keinem andern Wege ein Fortschritt überhaupt möglich ist, und daß ein Lamarck, Blainville, Geoffroy Saint-Hilaire, von Bär, Schleiden, Alexander Braun, Darwin und Häckel auf derselben Straße, nur etwas vorsichtiger vorwärts gehend, der Naturwissenschaft zu der weltbewegenden Stellung verholfen haben, auf der wir sie heute erblicken.

Oken selbst hat durch seine im Jahre 1816 gegründete und bis zum Jahre 1849 fortgeführte Zeitschrift „Isis“ nicht unerheblich dazu beigetragen, diese hervorragende Stellung vorzubereiten. Die bedeutendsten Naturforscher betheiligten sich durch Beiträge, und sogar Cuvier, das Ideal der gegnerischen Partei, finden wir unter den Bewunderern ihres Leiters. Andererseits machte die „Isis“ durch ihre freimüthige Kritik der Universitäten und ihrer verrotteten Zustände, des Schulunterrichts und anderer öffentlicher Angelegenheiten bald ihren Herausgeber mißliebig; die Zeit der Demagogenriecherei kam, und die sonst ihrer Liberalität wegen mit Recht berühmte weimarische Regierung mußte Oken – wie es heißt, „auf fremdstaatliches Drängen“ – seiner Professur entsetzen. Er wurde das erste Opfer der „freien Wissenschaft und Lehre“ jener Zeit. Seine Bemühungen, in Berlin oder an anderen Universitäten eine Lehrstelle zu erhalten, scheiterten am Einspruche einzelner Vertreter der „strengen“ Wissenschaft, wie wir ja ähnliche Dinge oft erlebt haben. Sich nun ganz der Förderung seiner Zeitschrift hingebend, lebte er noch mehrere Jahre in Jena und gründete von da aus das Institut der jährlichen Wanderversammlungen deutscher Naturforscher und Aerzte, das in allen Culturländern Nachahmung gefunden und sich segensreich in dem Sinne ihres Stifters bewährt hat, um allgemeine Fragen hier zum Austrag zu bringen und der Naturforschung eine Art Selbstvertretung zu geben. Wie ein Hohn auf den freisinnigen Geist des Stifters mußte es freilich erscheinen, daß gerade auf dem fünfzigjährigen Stiftungstage dieser Versammlung ein Angriff auf die Freiheit der Lehre improvisirt wurde.

Oken war und blieb ein Märtyrer der freien Lehre und Meinungsäußerung. Im Jahre 1827 als Lehrer der Physiologie und Entwickelungsgeschichte nach München berufen, wurde er auch hier – diesmal, wie man sagt, von den Jesuiten – vertrieben und fand erst Ruhe in der freien Schweiz, wohin er 1832 als Lehrer an der neueröffneten Universität Zürich berufen wurde und woselbst er nach langer segensreicher Wirksamkeit am 11. August 1851 verstorben ist.

Oken war wohl in seiner Jugend etwas kraftgenialisch und hochfahrend gewesen; in seinen späteren Jahren hatte sich der wildgährende Most zu einem milden Geiste abgeklärt, und die jüngere Generation der deutschen Naturforscher blickte zu ihm wie zu einem Vater empor. Diese allgemeine Verehrung seiner unmittelbaren und mittelbaren Schüler bewährte sich trotz der Mißbilligung der „Strengen“ glänzend, als gleich nach seinem Tode die Aufstellung eines Ehrendenkmals in Anregung gebracht wurde. Im Handumdrehen war noch in demselben Herbste die zur Herstellung einer Kolossalbüste von Drake’s Meisterhand erforderliche Summe gezeichnet, sodaß die Naturforscherversammlung von 1857 auf dem Fürstengrabe in Jena die Enthüllung vornehmen konnte. Man darf annehmen, daß auch die diesjährige Naturforscherversammlung dem Andenken ihres Meisters eine bedeutsame Feier widmen wird, denn seine Irrthümer sind vergessen, sein Geist aber ist heute lebendiger als je.

Carus Sterne.