Literarische Stoßvögel
[840] „Literarische Stoßvögel. Neue Randglossen zu Zeit- und Streitfragen“ – unter diesem eigenthümlichen Titel ist vor Kurzem ein höchst
beachtenswerthes Büchlein von Richard Treitschke erschienen. Im Gegensatz zu den vielen aus gesammelten Zeitungsartikeln bestehenden
Büchern, welche mehr durch die prickelnde Mannigfaltigkeit des Inhalts als durch die geistreiche Erschließung neuer Gesichtspunkte zu fesseln suchen, haben wir es hier einmal mit einem Buche zu thun, dessen eigentlicher Reiz trotz des reichen Inhalts nicht in der pikanten Leichtigkeit des Leeren, sondern in der ungekünstelten Leichtigkeit des Gefälligen in durchaus wissenschaftlicher Form besteht. Vor Allem zu loben ist an diesem Werkchen der darin waltende deutsche Gehalt. Nicht als ob der Inhalt lediglich Deutschthum und die Deutschen beträfe; im Gegentheil erstreckt er sich mit gleicher Liebe auf englische, französische, italienische und antike Cultur und Literatur, und eben darum erscheint uns alles aus deutsch-kosmopolitischem Geist und aus deutscher Gemüthsart geflossen. Mag immerhin mancher Leser einen oder den andern Aufsatz weniger skizzenhaft wünschen, Alles in diesem Buche wird vermöge seines absonderlichen Gegenstandes und seiner ungewöhnlichen Beleuchtung gefallen, zumal der Charakter des Gediegenen überall streng gewahrt ist. Eine frische Anregung zu weiterem Denken ist der Hauptgewinn, auf welchen der ernstere Leser bei jedem dieser Aufsätze sicher rechnen darf, und so bleibt nur zu wünschen, daß dem Fluge dieser „literarischen Stoßvögel“ die allgemeine
Aufmerksamkeit zu Theil werden möge. W. B.