Lied der Freundschaft
Lied der Freundschaft.
(1790.)
Frei, wie Götter an dem Mahle,
Singen wir um die Pokale,
Wo der edle Trank erglüht,
In der Abenddämmrung Hülle,
Singen wir der Freundschaft Lied.
Schwebt herab aus kühlen Lüften,
Schwebet aus den Schlummergrüften,
Helden der Vergangenheit!
Staunt und sprecht: Da ist sie wieder,
Unsre deutsche Herzlichkeit!
Ha, der hohen Götterstunden,
Wenn der Edle sich gefunden,
Fest in Freud’ und Leid zu stehen,
Wie im Sturm die Felsenhöhen,
Ist des deutschen Jünglings werth.
Froher schlägt das Herz und freier,
Uns der Freund den Becher dar;
Ohne Freuden, ohne Leben
Erndtet’ er Lyäus Reben,
Als er ohne Freunde war.
Wahrheit, wenn Despoten dräuen,
Seelenkraft im Mißgeschick,
Duldung, wenn die Schwachen sinken,
Liebe, Duldung, Wärme trinken
Sanfter athmen Frühlingslüfte,
Süßer sind der Linde Düfte,
Freundlicher der Eichenhain,
Wenn mit offnem Sinn und Herzen,
Freunde sich des Abends freu’n.
Brüder, laßt die Thoren sinnen,
Wie sie Gunst und Dunst gewinnen,
Wie sie sammeln Gut und Geld;
Sich geliebt, geliebt zu wissen,
Ist sein schönstes Glück der Welt.
Führt auch aus der trauten Halle
Einst die Auserwählten alle
Wandelt er mit Gram beladen
Oft auf freudelosen Pfaden,
Missend das verlorne Glück;
Wankt er, wenn sich Wolken thürmen,
Ohne Leiter, ohne Stab;
Lauscht er schmerzerfüllt und düster
Bangem Mitternachtsgeflüster
Sehnsuchtsvoll am frischen Grab;
In der Freundschaft Arm verschwunden,
Tröstend durch Erinnerung;
Das Gedächtniß vor’ger Freuden
Labt das Herz in bangen Leiden,
Dann gedenkt er ruhig wieder
Mancher frohgesungnen Lieder,
Und der Schwüre, treu und warm;
Und geweckt von stillem Sehnen
Und beschwichtigt ist der Harm.
Rauscht ihm dann des Todes Flügel,
Schläft er ruhig unter’m Hügel,
Wo der Freund den Kranz ihm flicht.
Säuselt noch sein Geist hernieder:
Lebet wohl! Vergeßt mein nicht!
Hölderlin.