Liebe, Haß und Eifersucht der Fische

Textdaten
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Autor: Dr. A. von Clausen
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Titel: Liebe, Haß und Eifersucht der Fische
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 494–496
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Liebe, Haß und Eifersucht der Fische.

Wer hätte nicht schon oft die Behauptung gehört, daß die Fische keinerlei zartere Zuneigung zu einander fühlen, weder zu ihrem Laich noch zu ihren Jungen, wer nicht die stereotypen Redensarten: kalt wie ein Fisch, herz- und lieblos wie die Fische und derartige unzählige andere Meinungsäußerungen. Daß diese Anschauungen, welche leider fast überall gehegt werden, theils auf grober Unwissenheit, theils auf sinn- und gedankenlosem Nachplappern beruhen, wird sich für jeden Unbefangenen sonnenklar aus dem Folgenden ergeben.

Die zuverlässigsten Beobachtungen in dieser Angelegenheit lassen sich in einer geschlossenen Forellen-Laich-Anstalt machen, welche als ein Theil einer mittelmäßigen Brut- und Zuchtanstalt einen Wasserbehälter von etwa zehn bis fünfzehn Fuß Breite, fünfzehn bis fünfundzwanzig Fuß Länge und zwei bis drei Fuß Tiefe erfordert. Rings an den Wänden dieses mit stets fließendem Quellwasser versehenen und meist überdachten Behälters befinden sich die hölzernen, steinernen oder thönernen Laichkästen, ähnlich unsern Staarkästen in der Größe von anderthalb bis zwei Quadratfuß. Diese Laichapparate haben an der Vorderseite unten eine ovale Oeffnung und einen doppelten Boden. Der obere, aus grobem Drahtnetze bestehende befindet sich ein bis anderthalb Fuß unter Wasser, ist mit Kieselsteinen von Hasel- bis Wallnußgröße anderthalb bis zwei Zoll hoch bedeckt und zum eigentlichen Laichen sowohl, wie auch zum Durchpassiren des Laichs bestimmt. Der untere Boden, welcher aus einem feinen Drahtnetze besteht, ist bestimmt, den durch den oberen hindurchgefallenen Laich aufzunehmen, und kann mit demselben wie mittels einer Schieblade aus dem Kasten herausgezogen werden. In einer solchen oder ähnlichen Laichanstalt kann jeder einigermaßen aufmerksame Beobachter von October bis Ende Januar zu jeder Tageszeit auf das Unzweideutigste wahrnehmen, wie gerade die Forellen mit äußerster Leidenschaftlichkeit lieben und hassen und mit welch’ aufopfernder Anstrengung und Sorgfalt sie ihren Laich zu beschützen und zu verbergen verstehen.

Das Weibchen umschwimmt mit eleganten Wendungen und Schwingungen, welche man zu keiner andern, als zur Laichzeit beobachten kann, bald auf dem Bauche, bald auf der Seite, oft genug sogar auf dem Rücken liegend und seine um diese Zeit ganz auffallend brillanten Farben zeigend, ein aus Hunderten erkorenes Männchen. In ganz ähnlicher Weise schießt letzteres in zierlich sich schlängelnden Linien unter und über seinem Weibchen her, indem es dasselbe auf das Behutsamste berührt [495] und streift. Ein solches Forellenpaar führt die wunderlichsten, interessantesten Schwimmkunststücke aus, je weiter es sich von dem Schwarme entfernt, um einen Laichplatz oder Laichkasten zu beziehen.

Dieses reizende Spiel wird jedoch oft und jedesmal dann unterbrochen, wenn ein dritter Fisch einem solchen Paare zu nahe kommt. Wie ein zuckender Blitz schießt bald das Weibchen, bald das Männchen, nachdem sie einen Moment plötzlich wie bewegungslos „standen“, auf den Unberufenen los und jagt ihn mit einem heftigen Anpralle oder mit dem furchtbaren Gebisse in die Flucht. Meistens nimmt jedoch das Männchen diesen Kampf auf, während das Weibchen auf der Stelle „stehend“, ohne Bewegung zuschaut.

Ist endlich nach vorsichtiger Auswahl entweder ein leerer Laichkasten gefunden oder durch oft blutigen Kampf ein solcher erobert, so beginnt das Weibchen nach allseitiger Inspection ohne Zögern mit der Aushöhlung des Laichbettes, und zwar durch ruckweise seitwärts ausgeführte Bewegungen, welche man z. B. bei einem Schiffe „Rollen“ zu nennen pflegt. Bei diesen Bewegungen wirft sich das Weibchen in schnellem Tempo von der einen auf die andere Seite, indem es mit dem Bauche die kleinen Steine so lange nach beiden Seiten hin wirft, bis die Aushöhlung etwa anderthalb bis zwei Zoll tief, zwei bis drei Zoll breit und bis zu zwölf Fuß lang ist.

Während so das Weibchen mit aller Anstrengung ein Laichbett bereitet, welches in diesem Falle immer bis auf das obere Drahtnetz reicht, dieses auf zwei bis vier Zoll hin bloßlegt, und in gewissen Pausen seine Eier hineinfallen läßt, „steht“ das Männchen, das ihm vorgeworfene Lieblingsfutter nie beachtend, schräg an der Innenseite der ovalen Oeffnung des Laichapparats still und fest, sodaß es mit ununterbrochener Wachsamkeit ein Auge stets auf das emsig thätige Weibchen, das andere auf Alles gerichtet hält, was außerhalb der von ihm in Anspruch genommenen Behausung vor sich geht.

Wehe dem Unbedachtsamen und Frechen, der sich von außen her zu nahe an den Eingang wagt! Mit unglaublicher Gewalt schießt ein solch wachthabendes Männchen auf den Frevler los und verfolgt ihn auf die heftigste Weise bis mitten in den Schwarm der Unparteiischen; selten endet die Verfolgung ohne eine blutige Wunde. Nicht selten wird auch die augenblickliche Abwesenheit des sein Weib, Haus und Bett vertheidigenden legitimen Männchens von einem andern schleunigst benutzt, indem es sich zu dem einsamen Weibchen in den Laichkasten schleicht und sich nunmehr gegen das zurückkehrende, mehr oder weniger ermüdete Männchen zu behaupten sucht. Jetzt verbündet sich aber das Weibchen ohne jedwedes Säumen mit dem Heimkehrenden, und beide vereint bereiten dem Eindringlinge eine solche schwere Noth, daß er, fast ohne alle Ausnahme, arg zerzaust und verwundet hinausgetrieben wird.

Solch ein erbitterter Kampf zwischen drei Forellen ist selbst für den praktischen Fischzüchter, obgleich er ihn zur Laichzeit fast jeden Tag zu beobachten Gelegenheit hat, ein aufregender Sport. Mann beobachtet dabei sehr oft, daß die Forelle ihr äußerst scharfes Gebiß tief und fest (der Engländer nennt das „lock jaws“) in das zarte Fleisch des Nebenbuhlers einschlägt und denselben für eine geraume Zeit unter sich festhält, genau so, wie dies kämpfende Bulldoggen, Gänse, Schwäne etc. unter einander zu thun pflegen.

Wer sich von der äußerst wilden, urwüchsigen Leidenschaftlichkeit der Forellen einen annähernd richtigen Begriff machen, Liebe, Eifersucht und Haß derselben würdigen lernen will, der besuche eine geschlossene Laichanstalt gegen das Ende der Laichzeit; selten sieht man dann Männchen unverletzt, sehr häufig findet man sogar Weibchen verwundet. Einen viertel bis einen halben Zoll lange, offene, bluthig rothe Wunden am Rücken und in der Kiemengegend beweisen ohne weitere Erklärung die heiße Liebe dieses Edelfisches, für welche ich hiermit in Ehren eine Lanze gebrochen haben will.

Offen und ehrlich erkläre ich, daß ich Liebe, Haß und Eifersucht bei allen Thieren, sogar bei den höheren und höchsten Wirbelthieren, über einen Kamm scheere. Man komme mir nicht mit Unterschieden von Gefühlsäußerungen höherer Thiere mit quantitativ mehr Gehirn etc. etc.! Ich behaupte, es ist noch nicht in letzter Instanz entschieden, ob die sogenannten verschiedenen Grade von Liebe etc. bei den Thieren in der Wirklichkeit oder blos in unserer mangelhaften Erkenntniß und in unserm befangenen Urtheile existiren. Beobachten und urtheilen wir also vorsichtig und gerecht!

Jede Pause, welche nun das Weibchen im Laichen macht und in welcher es, vom Männchen zart und behutsam zur Seite gedrückt und geschoben, das Laichbett verläßt, wird von dem letzteren benutzt, um ebenfalls zu laichen, das heißt, es legt sich genau an dieselbe Stelle, die das Weibchen soeben verließ, und spritzt, während jetzt das letztere auf dieselbe Weise Posto faßt, mit zuckenden, seitlichen Vor- und Rückwärtsbewegungen, sich stets dicht am Grunde haltend und reibend, seinen Laich (Milch) über und zwischen die weiblichen Eier (Rogen).

Nach diesen ebenso aufregenden wie anstrengenden Befruchtungsacten folgt nun nicht, wie bei fast allen anderen Thieren, Ruhe und Erholung, sondern jetzt fängt bei den Forellen eine alle Kraft und Energie erheischende Thätigkeit erst an, welche in dem „Decken des Laichbettes“ besteht.

Mit schnellen, kraftvollen, ruckweise ausgeführten Seitwärtsbewegungen werden abwechselnd vom Weibchen oder Männchen, auch wohl von beiden zugleich, Kieselsteinchen massenweise in und auf das Laichbett geschleudert und zwar so energisch, daß dieselben oft bis zu zwei Fuß weit darüber hinfliegen; hierbei hört man die Steine dermaßen gegen die Wände des Laichkastens anprallen, als ob Einer dicht hinter uns mit den Fingern auf einem Brett trommele. Das bloße Ausfüllen und Zudecken des Laichbettes genügt aber der vorsichtigen und vorsorglichen Forelle bei Weitem nicht. Sie deckt und deckt, baut und baut, bis ein ganz ansehnlicher Hügel länglich rund ihr Laichbett überwölbt.

Manche Vogelarten rupfen sich Federn aus, Kaninchen reißen sich büschelweise Haare aus, um ihre Jungen möglichst weich und warm zu betten; wenn wir berechtigt sind, hierin mehr als Instinct zu sehen, und glauben müssen, daß ein gewisser Grad von Liebe und Fürsorge für ihre Jungen diese Thiere veranlaßt, sich selbst solche Qualen zu bereiten, dann sind wir gezwungen, diese edlen Züge in ebenso hohem Maße den Forellen zuzuerkennen.

Wahrhaft rührend ist es, zuzusehen, mit welch ausdauerndem Eifer diese Edelfische ihre feinen, zarten Leiber, welche doch aller deckenden und schützenden Schuppen entbehren, preisgeben, um den scharf schneidenden und grobkörnigen Sand und die diamantharten, äußerst scharfkantigen, nie ganz glatten Kiesel erstlich zu einem Laichbett zu bearbeiten und dann aus demselben ihre sammetweiche Haut fortwährend verwundenden Material einen Hügel über demselben zu wölben.

Wohl fände die Forelle in Bächen und Teichen hinreichend Schlammerde und weiche, zersetzte Vegetabilien, um jenes ihr stets unbarmherzige Qualen bereitenden Materials entbehren zu können; da sie aber genau weiß, daß nur in dem von ihr gereinigten, d. h. durcheinander geriebenen, gerüttelten und geschüttelten Sand und Kies ihre Eier wohl aufgehoben sind und ihre so tausendfach bedrohten Jungen in der ersten hülflosen Zeit nur in diesem Material den so sehr nöthigen Schutz finden, so achtet sie unter den aufopfernden Anstrengungen für das Beschaffen einer gedeihlichen Zukunft ihrer Nachkommenschaft der Wunden und Schmerzen, selbst des Hungers nicht.

Meilen und Meilen weit wandert sie, höchstens zu Zweien, ihre geschützten, bequemen Verhältnisse verlassend, unter den denkbar größten Mühseligkeiten, die noch bedeutend durch ihren Zustand (das Beschwertsein mit Laich) vermehrt werden, überspringt alle Hindernisse, wühlt sich über seichte Stellen hinweg, setzt sich den größten Gefahren, und zwar mit offenbarem Bewußtsein derselben, aus; alles nur, um ihre Nachkommenschaft unter möglichst günstige Bedingungen für ihre Fortentwickelung zu bringen.

Bei genauerer Betrachtung einer Forelle, ganz besonders eines Forellenweibchens in der Laichanstalt am Ende der Laichthätigkeit, wird wohl Niemand den edleren Eigenschaften dieses Fisches sein Mitgefühl und seine Anerkennung versagen können, denn die oben erwähnten tiefen Wunden, welche Liebe, Haß und Eifersucht schlugen, abgerechnet, sehen wir den ganzen mittleren Theil des Körpers zu beiden Seiten über und über mit Hautrissen und Einschnitten bedeckt, deren Grund und [496] Ursache nach Obigem sich von selbst erklärt und über alle Zweifel hinaus beweist, daß gerade diese Fische mit bewunderungswürdiger Vorsicht und aufopfernder Sorgfalt für das Gedeihen ihrer Gattung sich bemühen.

Um nun andern Fischarten kein Unrecht zuzufügen, muß erwähnt werden, daß gar viele derselben ganz ähnliche Gewohnheiten und Eigenthümlichkeiten haben, wie die Forellen, ja, daß sogar bei manchen die Geschlechtsliebe sowohl, wie die Liebe und Sorge für ihren Laich, besonders aber für ihre Jungen, noch viel lebhafter und unzweideutiger entwickelt ist.

Diese kurze Darstellung, welche auf langjähriger, sorgsamer Beobachtung im Umgange mit Forellen, in wildem Zustande sowohl, wie in gezähmtem, in deutschen und nordamerikanischen Forellenzüchtereien beruht, mag für den Beweis genügen, daß gerade diese Edelfische sehr viel Liebe, Eifersucht und Haß und viel mehr schützende Sorgfalt für ihre Nachkommenschaft entwickeln, als viele andere Thiere. Ich brauche hierbei nur an gewisse Schlangen, Schildkröten, den Kukuk und den Strauß etc. zu erinnern. Leider genießt dieses Gezücht bis jetzt trotz alledem eines besseren Rufes als die herrlichen Forellen. Das Factum, daß diese zuweilen, jedoch nur unter gewissen Verhältnissen, den eigenen Laich und die eigenen Jungen verzehren, ist gewiß einem Charles Darwin ebenso schwierig zu erklären, wie die Thatsache, daß Hauskatzen, Kaninchen und Schweine, sogar unsere vielgepriesenen Hunde und viele andere Thiere, ebenfalls oft ihre lebendigen Jungen verzehren. Keinenfalls erlaubt diese Thatsache, daß man sie benutze, um die Lieb- und Gefühllosigkeit der Fische zu beweisen. Wer solche bis jetzt unverstandene, scheinbar grausame Vorkommnisse bei den Thieren benutzen wollte, um denselben alle besseren und milderen Charakterzüge abzusprechen, wie das thatsächlich den Fischen gegenüber geschieht, der würde ihnen sehr unrecht thun.

Hiermit will ich ebenso wenig den Naturforscher, wie den wissenschaftlich gebildeten Fischzüchter herausgefordert haben, da sie ja mit den angeführten Thatsachen bekannt sein müssen –, nur kann ich mir die Genugthuung nicht versagen, die Priorität obiger Veröffentlichungen zu beanspruchen, indem ich wiederhole, daß ich die erste Lanze für die Rechtfertigung der Fische in Betreff ihrer hier besprochenen Charakterzüge gebrochen habe.

Mögen also der kurzsichtige Dilettant in der Fischzüchterei und der pedantische Sonntagsfischer, vor allen jedoch das Heer der gedankenlosen Nachbeter in sich gehen und sich von ihrem falschen, hartherzigen Urtheile über das kalte Fischblut baldigst bekehren, denn wahrlich keiner Classe von Wirbelthieren, selbst bis zur Nachkommenschaft von Adam und Eva hinauf, ist in dieser Beziehung je so viel Unrecht gethan worden, als den Forellen.

     Holyoke in Massachusetts.Dr. A. von Clausen.