Lichtstrahlen aus „Deutschlands trüber Zeit“

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Titel: Lichtstrahlen aus „Deutschlands trüber Zeit“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 224
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[224] Lichtstrahlen aus „Deutschlands trüber Zeit“.[1] Von einem Augenzeugen des „kriegsrechtlichen“ Mords, welcher im Juli 1809 in Braunschweig an vierzehn gefangenen Kampfgenossen Schill’s verübt worden ist, erhalten wir berichtigende und ergänzende Mittheilungen, die wir der Schilderung jener Unthat des Tyrannenübermuths sogleich nachfolgen lassen müssen. Unser Gewährsmann schreibt uns: Ich selbst, damals ein Knabe von dreizehn Jahren, habe die zur Hinrichtung bestimmten Krieger des Schill’schen Corps hier in Braunschweig einbringen sehen. Es waren jedoch deren sechszehn, nicht vierzehn: zwei retteten sich durch Flucht.

In den Gefängnissen, und namentlich in der Mosthaus-Reitbahn und auf dem damaligen Proviantboden neben der Brüderkirche, hatte man nämlich den Gefangenen gestattet, innerhalb der durch Mauern wohlverwahrten Höfe oder Gänge sich am Tage und unter militärischer Bewachung in freier Lust zu ergehen, und dies war wenigstens von jenen Zweien dazu benutzt wurden, die Oertlichkeit nach einer Gelegenheit zum Entfliehen zu durchspähen.

Ein Gefangener der Mosthaus-Reitbahn hatte eine Thür entdeckt, welche zu einem in die Bohlwegsstraße mundenden Seitengäßchen führte. In der Mitternacht vor dem Hinrichtungsmorgen gelingt es ihm, dieses Gäßchen und den Bohlweg zu erreichen. Er eilt in voller Todesangst die Straße entlang, noch ohne jeden Hoffnungsstrahl, auf welche Weise er in seiner Kleidung aus der wohlgehüteten Stadt entkommen soll. Da dringt ihm ein schwacher Lichtschimmer durch ein Fensterchen über einer Thür entgegen. Er wagt’s, er klopft an die Hausthür, er klopft wiederholt, bis der Hausbesitzer öffnet. Es war ein Kaufmann, Namens Engelbert Bartels. Niemand darf ihm verargen, daß sein Schrecken beim Anblick und dem offenen Geständnis; und Hülfeflehen des Flüchtlings ebenso groß war wie die Angst des auf den Knieen vor ihm liegenden Mannes. Er stellte sich und diesem all’ die Gefahr vor, der er sich aussetzte, wenn er der furchtbaren Rache und Gewalt Napoleon’s ein Opfer entziehe; – aber endlich siegte das gute deutsche Herz über die augenblickliche Schwäche. Bartels stärkte den Entflohenen mit Speise und Trank, versah ihn mit unverdächtiger Kleidung und zeigte ihm einen Ausschlupf aus der Stadt. Glücklich muß er entkommen sein, denn hätte man ihn irgendwo erwischt, so wäre dies, bei den großen Anstrengungen, welche die Behörden zu seiner Habhaftwerdung aufgewendet, der Öffentlichkeit gewiß laut genug zugegangen.

Das Gelingen der zweiten Flucht ist durch den Geretteten später selbst bestätigt worden. Er saß auf dem Proviantboden. Derselbe war mit Bodenöffnungen (wahrscheinlich zur Auf- und Abbeförderung von Lasten etc.) versehen, über welchen Drahtgitter oder Eisenstäbe befestigt lagen. Ein solches Gitter erbrach unser Mann und ließ sich, es auf Tod und Leben wagend, hinabfallen. Es schlug zu seinem Glück aus, mit ganzen Gliedern kam er zur Erde. Hier mußte er am Tage eine Thür gesehen haben, denn in tiefster Finsterniß fand er sie und weckte durch sein Pochen die Magd eines hier wohnenden Schreibmeisters Müller. Das kluge Mädchen ward seine Retterin, und der Gerettete war dankbar. Nach den Befreiungskriegen erschien „ein vornehmer junger Herr“ in Braunschweig, fragte nach jener Magd und suchte sie auf dem Dorfe auf, wo sie jetzt wohnte. Auf dem befreiten Boden des Vaterlandes konnte er nun im Lichte der Sonne seinen Dank aussprechen für jene kühne Rettungsthat in der Nacht der Angst, und er soll sich der That würdig gezeigt haben.

Sollten von beiden damals Geretteten noch Angehörige vorhanden sein, so wird es sie freuen, das Andenken an ihre Väter noch heute erhalten und geehrt zu sehen.

Wenn wir aber am Schlusse unseres Artikels bedauerten, daß die Zahl der Mitkämpfer jener Unglücklichen wohl fast ganz erloschen sein möge, so können wir heute einen der Alten noch als rüstig Lebenden nennen: Karl Bogislav Kasischke, am 16. October 1780 geboren, 1806 als einer der Blücherhusaren bei Lübeck gefangen und wieder entflohen, schloß, Einer der Ersten, in Naugard sich Schill an und machte als Husar alle kühnen Züge des Corps mit, schlug sich in Stralsund durch und entkam nach Berlin. Jetzt lebt der alte Held bei seinem Sohn, Postexpedienten in Baerwalde. Ihm einen Ehrengruß!



  1. Vgl. Gartenl. Nr. 10, S. 158, dieses Jahrgangs.