Ein unwiderstehlicher Dichter

Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein unwiderstehlicher Dichter
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 223–224
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[223] Ein unwiderstehlicher Dichter. Lamartine ist zwar als ein trefflicher Dichter, als ein liebenswürdiger Mensch und geistreicher Mann bekannt, aber durchaus nicht als ein guter, sparsamer Wirth, den seine Finanzen befinden sich stets in einem höchst zerrütteten Zustande. Dabei vergeudet er nicht etwa das Geld nach Art gewisse Genies in thörichter Weise, er lebt einfach und zurückgezogen, aber er giebt Anderen mehr, als er vor sich selbst verantworten kann. Diese Gutmüthigkeit wird vielfach gemißbraucht, und so befindet er sich selbst in steter Geld Verlegenheit.

Als er sich deshalb vor einigen Jahren an die französische Nation gewendet hatte und im Wege der öffentlichen Sammlung bedeutende Summen erhielt, wurden dieselben von einem aus Lamartine’s Freunden gebildeten Comité übernommen und verwaltet. Der Dichter wünschte nun eines Tages eine Summe von vierzigtausend Franken zur Deckung eines Wechsels, aber das Comité verweigerte ihm rundweg die Ausfolgung einer so beträchtlichen Summe; Louis Ulbach, der Secretär des Comité’s, hatte die wenig beneidenswerthe Aufgabe, in Lamartine's Auftrag das Verlangen zu [224] stellen und ihm dann die abschlägige Antwort zu überbringen, die ökonomischen Bedenklichkeiten der Freunde und die Klagen des Abgewiesenen mit anzuhören.

Lamartine gab indessen die Hoffnung noch nicht auf, sondern lud die sämmtlichen Mitglieder des Comités zu einer Besprechung in seiner Wohnung ein, und so erschienen denn richtig auch Alle, und zwar Varin, Emile Péreire, Beaumont, Hachette, Chambomer, Eb. Texier und Louis Ulbach, in dem Salon des Dichters in der Rue de la Ville-l’Evêque.

Die Haltung sämmtlicher Herren war ziemlich kühl und steif, sie hatten sich sichtlich gegen alle Einwirkungen der alten Freundschaft gepanzert, namentlich der Buchhändler Hachette hatte sich innerlich gelobt, entschieden unerbittlich zu sein, da ihm die steten Geldklemmen des Dichters ein wahrer Gräuel waren. Er ergriff denn auch zuerst das Wort, und zwar in ziemlich scharfen, energischen Ausdrücken, indem er den armen Lamartine etwa wie ein strenger, unzufriedener Vormund behandelte, der dem Mündel eine Zurechtweisung angedeihen läßt; er redete die Sprache der unbarmherzigen Vernunft, der bittersten Klugheit und sprach lange. Als er endlich geendet, wollte Beaumont, der nicht durch seine Rednergabe glänzte, auch sein Theil dazu geben und sagte herablassend:

„Lieber Freund, wir können Ihnen nicht helfen, Sie haben nun einmal den schlimmen Ruf eines durchlöcherten Korbes, in den man nichts legen darf.“

Auch die Andern ergingen sich in mehr oder weniger geistvollen und schonungslosen Bemerkungen, aber der so gegeißelte Dichter hörte das Alles mit unvergleichlicher Sanftmuth und Würde an, ohne nur ein Zeichen von Ungeduld von sich zu geben; er saß rittlings auf seinem Stuhle mit gefalteten Händen und wartete lächelnd, bis seine Freunde mit ihren Vorstellungen zu Ende sein würden. Dann bat er, ihnen antworten zu dürfen, und begann zu sprechen – einfach, ohne Pathos oder Gesticulationen, aber wunderbar ergreifend und zum Herzen dringend – er sprach mit majestätischer Ruhe von sich selbst, von seinen Freunden, seinen Gläubigern, wie er in seine jetzige Lage gekommen etc. Er sprach fast eine halbe Stunde, und Alle lauschten ihm voll Entzücken. Hachette erröthete vor Verlegenheit, Péreire hatte Thränen in den Augen, Alle waren tief ergriffen. Es war einer der schönsten Triumphe, den die wahre Beredsamkeit jemals gefeiert; als Lamartine geendet hatte, herrschte anfangs ein tiefes Schweigen, dann frug Hachette:

„Wie viel Geld wünschen Sie?“

„Ich habe zuerst vierzigtausend Franken gefordert, aber ich glaube, die Sache wird sich mit dreißigtausend abthun lassen.“

„Wenn wir Ihnen jetzt fünfzigtausend geben,“ meinte Péreire, „würden Sie uns dann eine Weile Ruhe vergönnen können?“

„Gewiß.“

Lamartine erhielt die Vollmacht, sich fünfzigtausend Franken auszahlen zu lassen, und die Herren verabschiedeten sich, indem sie es verschworen, sich je wieder einer solchen Erfahrung auszusetzen.

„Nun,“ sagte Ulbach unten im Hofe zu den Andern, „wo bleiben denn Ihre Schwüre? Das lohnte sich wohl der Mühe, mir erst die Sache so rund abzuschlagen!“

„Ja, was hilft das Alles ?“ entgegnete Péreire, „man kann ihm einmal nicht widerstehen, wenn man ihn reden hört.“