Aus Deutschlands trüber Zeit

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Titel: Aus Deutschlands trüber Zeit
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aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 158
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[158] Aus Deutschlands trüber Zeit. Wenn auch der Bau deutscher Einheit noch lange nicht vollendet ist, so wird doch nie, wir hoffen es, wieder eine Zeit kommen, wie die der deutschen Erniedrigung von 1806 bis 1813 war, die trübste Zeit, die Deutschland je erlebt. Aus dieser wollen wir, wie schon Aehnliches in einem früheren Jahrgange dieser Blätter mitgetheilt ist, den Lesern einen Act rohester Vergewaltigung und Zwingherrschaft, durch den corsischen Eroberer an deutschen Söhnen vollzogen, in nachstehenden Zeilen erzählen. Wir bezwecken, mit dieser unserer Darstellung, im Bewußtsein unseres Volkes lebendig zu erhalten das Gedächtniß derer, die ihre kühnen Wagnisse, das Joch der Fremdherrschaft abzuschütteln, mit Verbannung, ja selbst mit dem Tode büßten, wie der Heldenherzog von Braunschweig-Oels, Oberst Dörrnberg und der tapfere Schill. Ihr und ihrer Mitkämpfer Geschick ist so recht geeignet, sich lebendig zu vergegenwärtigen, wie unter dem härtesten Drucke und dem wachsamsten Auge der Spionage doch noch Männer sich fanden, welche ein Herz hatten für heimische Sitte und für deutsches Recht, die ihren Arm erhoben zum Kampfe für ureignes Wesen und für Selbstständigkeit.

Vor Jahren erzählte die Gartenlaube von dem Morde jener eilf Officiere des Schill’schen Corps in Wesel; diesmal will sie das Niedermetzeln jener vierzehn Braven desselben Corps in Braunschweig am 18., 20. und 22. Juli 1809 darstellen, um das Gedächtniß derselben zu erneuern bei Alt und Jung; denn auch diese, weniger als jene eilf in Wesel Hingeschlachteten bekannt, sind heldenmüthig gestorben als Opfer der Vaterlandsliebe und der Begeisterung für Befreiung des heimathlichen Bodens.

Nach dem unglücklichen Unternehmen des Majors von Schill, bei dem er selbst und viele edle und wackere Kampfgenossen in Stralsund am 31. Mai 1809 den Heldentod gestorben waren, geriethen eilf Officiere und fünfhundertsiebenundfünfzig Gemeine und Unteroffiziere dieses Corps in französische Gefangenschaft, und wenn diese Unglücklichen gewußt haben, wie die corsische Rache glühte, wie sie in Deutschland nach Niederwerfung Oesterreichs und Preußens so manchen wehrlosen Bürger um seiner natürlichen Vaterlandsliebe willen niederschmetterte, so durften sie als Männer, welche die Waffen gegen den Zwingherrn geführt hatten, nur das Schlimmste erwarten. Schon auf dem Kampfplatze hatte man den Ueberwundenen die gegen Wind und Wetter nöthigen Kleider vom Leibe gerissen, ohne sie durch andere zu ersetzen. Sodann schaffte man sie nach Braunschweig fast auf demselben Wege, auf dem sie von Berlin über Halle, durch die Altmark und Mecklenburg bis Stralsund gezogen waren. Am 17. Juni 1809 trafen sie in Braunschweig ein. Nach langem Harren wurden die Unglücklichen im alten Zeughause, in der Moosthausreitbahn und in den leeren Gefängnißräumen des Augustthores untergebracht. Das Schicksal dieser armen Gefangenen war ein hartes und wäre ohne die Milde der guten Braunschweiger ein sehr hartes gewesen.

Am 23. Juni ging auf Anweisung des westphälischen Kriegsministers der Transport der Gefangenen auf der Straße nach Mainz zu, ohne Zweifel, damit sie in irgend einem französischen Bagno den Galeerensclaven beigesellt würden. Nur vierzehn, innerhalb der Grenzen des Königreiches Westphalen geborne Leute, die mit den Waffen in der Hand zu Stralsund gefangen genommen waren, hielt man zurück, um sie als Landesverräther – ja, als Vaterlandsfeinde vor ein Kriegsgericht zu stellen. Der Divisionsgeneral Heldring, die Majore Schmidt, de Roi, Stutzer, der Capitän am Ende, die Lieutenants Gesner und Seidel waren die Männer, denen der traurige Auftrag wurde, diese Unglücklichen zu verurtheilen. Man war darüber keineswegs in Zweifel, daß das Loos der vierzehn Zurückbehaltenen der Tod sein werde, denn die Rache forderte Blut, selbst da, wo kein Schlachtenruf das Morden gebot und privilegirte.

Am 17. Juli, also gerade vier Wochen nach Ankunft der Gefangenen in Braunschweig, traten die obengenannten Officiere zum Kriegsgerichte zusammen, um die endgültige Entscheidung über das Geschick der vierzehn Delinquenten abzugeben. Sicherlich war inzwischen höheren Ortes Information eingegangen, wie man mit den Inhaftirten zu verfahren habe; denn dergleichen Dinge pflegten nicht ohne kaiserliche Instruction abgethan zu werden und im Königreich Westphalen mögen dergleichen Instructionen wohl in dem Sinne ausgefallen sein, wie sie der größere Bruder dem kleineren zu geben pflegt, wenn dieser als Mithelfer an des ersteren Karren schiebt.

Es waren folgende Unterofficiere und Gemeine, über die man zu Gericht saß: 1. August Sommerstange aus Halberstadt, sechsundzwanzig Jahr alt; 2. Gottlieb Krummhaar aus Erxleben, siebenundvierzig Jahre alt; 3. Christian Rüp aus Obernkirchen im Hessischen, achtundzwanzig Jahre alt; 4. Christian Mühlberg aus Niedererxleben, sechsundzwanzig Jahre alt; 5. Wilhelm Weidkamp aus Gellenbeck im Hannöverschen, sechsundzwanzig Jahre alt; 6. Arnold Köhler aus Heden im Hannöverschen, dreißig Jahre alt; 7. Johann Schlosser aus Stade, neunundzwanzig Jahre alt; 8. Heinrich Otto Steinmann aus Herford, fünfundzwanzig Jahre alt; 9. Jacob Grabau aus Lemsdorf bei Magdeburg, dreiundzwanzig Jahre alt; 10. Johann Heinrich Christoph Althof aus Heiligengosseck, sechsundzwanzig Jahre alt; 11. Heinrich Jeneke aus Egeln, sechsundzwanzig Jahre alt; 12. Friedrich Bandau aus Benstedt bei Halle, einundvierzig Jahre alt; 13. Johann Jacob Zöllner aus Halle, dreiundzwanzig Jahre alt; 14. Lenz aus der Elbgegend.

Fünf der Angeklagten erklärten, daß sie schon seit längerer Zeit in der Freischaar des Major v. Schill gegen die Franzosen und ihre Verbündeten gedient hätten; die neun anderen bekannten, daß sie am 5. Mai im ersten westphälischen Linienregimente dienend gefangen genommen und daraus in die Freischaar eingetreten seien. Liebe zum Vaterlande und der Ruf des Majors v. Schill und seiner Braven haben ihren Zutritt bewirkt, und gäbe es für sie keine Gnade, so würden sie auch als Männer und Soldaten zu sterben wissen. Es gab also noch Männerherzen, auch in den unteren Schichten des Volkes, die für Wahlverwandtschaft mit den Vaterlandsfreunden schlugen und die in dem Bewußtsein oder wenigstens doch in dem lebhaften Gefühle, der gerechten Sache mit aufopfernder Liebe und Hingebung gedient zu haben, dem Tode festen Schrittes entgegengingen.

Das Kriegsgericht verurtheilte alle vierzehn Braven als Mitglieder der Schill’schen Bande, die mit den Waffen in der Hand ergriffen wären, zum Tode. Nur der Major Stutzer hatte den Muth, diesem im französisch-westphälischen Sinne ausgesprochenen Todesurtheile seine Zustimmung zu versagen.

Neben den Sandgruben und Erdhügeln bei St. Leonhard, einem nahe der Stadt gelegenen Kammergute, sollten die Verurtheilten durch Pulver und Blei aus dieser Welt befördert werden, und damit das Beispiel durch Wiederholung um so tiefer wirke, war die Vollstreckung des Todesurtheiles auf die drei Tage, den 18., 20. und 22. Juli vertheilt. Am 18. sollten sieben, am 20. vier und am 22. drei sterben. Und so geschah es auch. Unter Vortritt von westphälischem Militär wurden die Schlachtopfer zum Augustthore hinausgeführt. Mannschaft vom ersten westphälischen Linienregimente, bei dem die Mehrzahl der Hinzurichtenden einst gedient hatte, war zur blutigen Execution beordert; theilnehmend und tief ergriffen von dem Geschick der Braven, folgte in dichtem Gedränge die Menge des Volkes. Festen Schrittes gingen die Schill’schen Freischärler, die ja oft schon dem Tode in’s Angesicht geschaut hatten, den sie erwartenden Kugeln entgegen. Einige rauchten auf ihrem letzten Gange noch ihre Pfeife, unter Anderen der stattliche Wachtmeister Bandau, dem man den Dolman des zweiten brandenburgischen Husarenregimentes, dem er einst angehört hatte, gelassen hatte.

„Wir fochten,“ sprach er, „als brave Soldaten; gleich ist es für uns, ob wir hier oder in der Schlacht fallen, ehrenvoll sterben wir immer.“ Solche Worte machten auch die weniger Beherzten muthig und hielten sie aufrecht, bis die bleiernen Würfel knatternd aus den Flintenläufen rollten. Auf jeden Mann waren sechs Kugeln gerechnet, zwei auf den Kopf und vier auf die Brust, dazu die Schützen kaum zehn Schritte weit von den Opfern aufgestellt. Man befahl den Verurtheilten, niederzuknieen und sich die Augen verbinden zu lassen. Die Meisten verschmähten dies, sie waren muthig bis zum letzten Augenblicke. Bandau reichte seine Pfeife einem nahestehenden, lautschluchzenden Mädchen, zwei anderen der Anwesenden ein seidenes Tuch und seine noch nicht völlig geleerte Börse.

Kaum hatte er sich seiner letzten irdischen Habe entäußert und war mit seinen Unglücksgefährten in Reih und Glied getreten, so erfolgte der Mordruf: „Feuer!“ Es blitzte, und im Augenblicke schlugen zweiundvierzig Kugeln auf die sieben Opfer und streckten sie zu Boden. Aber der kräftige Bandau rang noch unter Zuckungen mit dem Tode. Schreckliches Schauspiel! Schreckliche Zeit, die Zeit des Wahnes, daß der Kriegszweck alle noch so verabscheuungswürdigen Mittel zur Befriedigung der Eroberungs-, Ruhm- und Herrschsucht heilige!

Für diese Sieben gab es kein Aufrichten mehr. Die Zweiundvierzig hatten zum zweiten Male geladen, schritten nunmehr dicht bis an die Opfer heran, setzten denen, die noch Spuren des Lebens zeigten, die Gewehrläufe vor die Stirn und vollendeten so den befohlenen Mord, daß das Hirn der Unglücklichen ihnen das Antlitz bespritzte. Derselbe Auftritt wiederholte sich innerhalb fünf Tagen drei Mal, genug, um Allen, die es sahen oder davon hörten und noch ein deutsches Herz in der Brust trugen, unauslöschlichen Abscheu gegen die Urheber solcher Gräuel einzuflößen. Und doch waren diese Tapfern, die dem Würgengel jener Tage erlagen, am Ende noch weniger zu beklagen, als ihre Cameraden, die in irgend einem Bagno als Galeerensclaven schmachteten.

Die Zeit, welche immer kälter an der Schmerzensstätte vergangener Tage vorübergeht, hatte nach und nach auch in St. Leonhard den Boden so verflacht, daß die Zeitgenossen die Stätte französischer Barbarei nicht mehr wiederfanden und die Nachgeborenen darüber hingingen, ohne zu wissen, was einst hier geschehen. Im Jahre 1835 war von dem Richtplatze in St. Leonhard soviel Sand abgetragen, daß die Gebeine der Erschossenen theilweise bloßgelegt waren. Da waren es drei Männer, der Fabrikant Wehl, der Pastor Witling und der Domainenpächter Oppermann, die auf die Ehrenschuld, welche man jenen Braven abzutragen habe, aufmerksam machten. Die Gebeine wurden vorläufig aufgehoben und bewahrt, bis im August 1836, besonders durch die lebhafte Betheiligung der Braunschweiger, ein Denkmal an der Schädelstätte in würdiger Ausstattung zu Stande kam, das die Aufmerksamkeit des Wanderers, der heute noch dort vorüberschreitet, auf sich lenkt. Jetzt, wo die Zahl der Mitkämpfer jener Unglücklichen wohl fast ganz erloschen sein mag, ist es Pflicht, so viel als möglich das Andenken an jene Edlen als hehre Beispiele echter Vaterlandsliebe bei der Nachwelt lebendig zu erhalten.