Textdaten
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Autor: Otto Beneke
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Titel: Lewerenz sin Kind
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aus: Hamburgische Geschichten und Sagen, S. 269–271
Herausgeber:
Auflage: 2. unveränderte Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Perthes-Besser & Mauke
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Erscheinungsort: Hamburg
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Originalherkunft:
Quelle: Google, Commons
Kurzbeschreibung:
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[269]
89. „Lewerenz sin Kind.“
(1611.)

Zu Anfang des siebenzehnten Jahrhunderts lebte in Hamburg ein schlichter Bürger, der hieß Damm, mit Vornamen Laurentius oder wie man damals sagte Lawrenz oder Lewerenz, und so nannten ihn auch die Nachbarn. Dieser Mann, der an sich nichts Ausgezeichnetes besaß, ist dennoch auf die Nachwelt gekommen und lebt in einem Spruchwort noch jetzt unter uns fort. Was ihn aber so bekannt machte, das war sein Sohn, der auch als „Lewerenz sin Kind“ in Aller Munde lebt, obschon Wenige wissen, daß er eigentlich Jacob Damm geheißen hat. Als dies Wunderkind noch in die ABC-Schule ging, blieben die Leute verwundert über des Jungen ungewöhnliche Länge stehen, und fragten, wer er wäre. Da hieß es: „Lewerenz sin Kind.“ Unter dieser Benennung wurde er im ganzen Stadtviertel, und in immer weiteren Kreisen bekannt, je unaufhaltsamer sein Wachsthum zunahm. Bei der Confirmation überragte er schon die ganze Gemeinde; und als Lewerenz sin Kind um 1611 völlig ausgewachsen und dergestalt in die Höhe geschossen war, daß er nur zwei Finger breit weniger als 5 Ellen, also beinahe 10 Fuß lang war, da hieß es einstimmig: die größte Rarität Hamburgs und der längste Kerl, der jemals hier gelebt habe, sei Lewerenz sin Kind. So war’s natürlich, daß er von seinen Zeitgenossen als Maaßstab [270] verwendet wurde, und daß man sehr bald spruchwörtlich von langen, großen und hohen Dingen sagte: „so groß, so lang, oder beinahe so lang, wie Lewerenz sin Kind.“

Dieser arme Thurm-Mensch oder Menschen-Thurm hatte indessen von seiner erstaunlichen Größe äußerst wenig Vergnügen und sehr viel Unbequemlichkeit. Die Angehörigen belästigte seine Länge; wer mit ihm sprach, verrenkte sich den Hals beim Emporschauen; er gebrauchte das doppelte Menschenmaaß zu seiner Kleidung und das Dreifache zur Ernährung seines gewaltigen Körpers; in keinem fremden Bette konnte er schlafen und in den wenigsten Stuben seines Verkehrs grade und aufrecht stehen; vielleicht von den unzähligen Malen, daß er mit dem Kopf irgendwo angestoßen, rührte es her, daß er etwas dumm blieb, denn Lewerenz sin Kind war einzig an Körper so groß gerathen, wenn schon sonst an Gemüth ein sehr harmloser gutmüthiger Gesell. Wie so oft in sehr hohen Häusern die obersten Geschosse nur Bodenräume sind, so sah’s auch in seinem höchsten Stock, im Kopfe, reichlich leer und schlecht meublirt aus. Wenn nur damals König Friedrich Wilhelm I. von Preußen gelebt hätte, so hätte man ihn gut versorgen können; denn den schönen Ruheposten eines Flügelmanns der Potsdamer Riesengarde hätte sicher kein Anderer bekommen als Lewerenz sin Kind. Nun aber seeltagte der gute lange Kerl so dahin; ungeschickt, unbeholfen, wie er war, brachte er’s zu Nichts; auf die Ehre, ein lebendiges Spruchwort zu sein, gab er wenig; wenn er sich blicken ließ, starrte und staunte man ihn an, die Gassenbuben lachten ihn aus, darüber wurde er immer einhäusiger; und so verscholl und so starb er endlich, man weiß nicht wie, wann und wo?

Aber eigentlich ist nur der körperliche Jacob Damm gestorben, denn „Lewerenz sin Kind“ ist nicht verschollen, nicht [271] verhallt. Diese schöne Vergleichungsweise erbte fort und drang aus Hamburgs Mauern in alle Länder der Plattdeutschen Zunge, und überall hört man: „so groot – so lang: aß Lewerenz sin Kind.“

Anmerkungen

[385] Den Stoff gab eine handschriftliche Chronik, die von dem zehn Fuß langen Jacob Damm erzählt. Ueber das Sprichwort: „Lewerenz sin Kind,“ berichtet Richey. Idiot. Hamb. p. 151; auch Schütz, im Holst. Idiot., und das Bremisch-Niedersächsische Wörterbuch. – Um 1750 ließ sich hier der lange Cajetanus sehen, dessen colossales Portrait noch 1711 im Baumhause gehangen hat; von Heß, Topographie II. 389.