Textdaten
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Autor: Otto Beneke
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Titel: Die Meer-Jungfer
Untertitel:
aus: Hamburgische Geschichten und Sagen, S. 267–269
Herausgeber:
Auflage: 2. unveränderte Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Perthes-Besser & Mauke
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Erscheinungsort: Hamburg
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Originalherkunft:
Quelle: Google, Commons
Kurzbeschreibung:
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[267]
88. Die Meer-Jungfer.
(1610.)

Als Ao. 1610 der Hamburgische Schiffer Jan Smidt und seine Leute unfern des Französischen Hafens St. Jean de Luz bei Bayonne längs der Küste fuhren, da haben sie ein seltsames Meerwunder gesehen. Es war eben beim anbrechenden Morgenlicht, und die ganze Mannschaft noch nüchtern und geruhig. Da sahen sie es aufs allerschnellste [268] zu sich heranschwimmen, desselbigen Gestalt war sehr ansehnlich, die Aeuglein, Nase, Ohren, Wangen, Mund, Stirn, Hals, Alles mit einander war ausnehmend fein und nett, und einer sehr schönen Jungfrauen völlig gleich. Und die Haare, so Türkisch-Blau von Farbe, schlangen sich über die Schultern hinab und spielten in den Wellen. Dies Meerwunder hat sich immer näher dem Schiffe herzu gemachet, da dann die Mannschaft am Bord gestanden und Alles wohl wahrgenommen.

Jan Smidt aber, der Capitain, ein alter vielerfahrner Mann, hat wohl gewußt, daß solche Meerweiber, wenn sie an einen Mann kommen können, denselbigen strax in ihre Arme nehmen und ihn aus eitel Liebe so hart drücken, daß er darüber versticken muß. Maaßen nun solcher Liebkosung Niemand an Bord begehrete, hat er seine Order darnach gegeben; und dieweil die Seejungfer Anstalt gemachet, mit Gewalt ins Schiff zu steigen, haben die Leute sie mit Bootshaken und Stangen immer wieder ab- und ins Wasser treiben müssen, darüber sie endlich abgelassen hat; worauf sie ihr lieblich Angesichte in die blauen Haare gehüllet, ganz bitterlich geweinet, die weißen Arme nach ihnen ausgebreitet, die Hände gerungen und darnach vor ihren Augen in die Tiefe hinabgefahren ist, also, daß es die jungen unter den Schiffsleuten gar sehr erbarmet hat und fast weinerlich ihnen zu Muthe geworden ist. Jan Smidt aber hat Segel beisetzen lassen und ist so geschwind als möglich in die hohe See gefahren.

Etliche meinen zwar, Jan Smidt sei zu fürwitzig zu Werke gegangen, und da er und seine Leute gar nicht wahrgenommen, daß die schöne Jungfer einen schuppigen Fischleib und Flossen statt der Beine gehabt, so sei’s am Ende gar kein Meerwunder, sondern ein wirklich Menschenkind gewesen, welches etwa unversehens ins Wasser gefallen und nun herzugeschwommen, [269] um Leib und Leben zu salviren. Und wenn Jan Smidt nur besser zugesehen und weniger eilig abgewehrt hätte, so würde das arme schöne Weibsbild nicht so jämmerlich vertrunken sein, und er selber eine Sünde weniger auf dem Gewissen haben.

Anmerkungen

[385] Hesselii Elbestrom S. 62.