Letzte Anwendung der Folter in Deutschland

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Titel: Letzte Anwendung der Folter in Deutschland
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aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 216–218
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Justizbild aus dem 19. Jahrhundert
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Letzte Anwendung der Folter in Deutschland.

Justizbild aus dem neunzehnten Jahrhundert.

Unmöglich könnte man heute eine Hexe gerichtlich anklagen und verurtheilen, unmöglich einen Menschen durch Anwendung körperlicher Schmerzen zu einem gerichtlichen Geständniß zwingen wollen; käme dergleichen noch vereinzelt vor, so würde es einfach unter die Kategorien der Verbrechen oder der Verrücktheiten fallen und als reine, abnorme Zufälligkeit ganz außerhalb des jetzigen, als berechtigt und sittlich anerkannten Geisteslebens stehen! Dieser Satz ist richtig, aber wie langsam im Allgemeinen der Fortschritt der sittlichen Ideen ist, bis sie die Hindernisse gegen die bessere Erkenntniß mit bewältigender Kraft darniederdrücken und die Vernunft zu ihrem vollen Rechte gelangt, dafür spricht wohl nichts mehr, als eben die Geschichte des Rechts selber. Es ist nicht unsere Absicht, dies hier weiter auszuführen, wir wollen nur einige Belege von jener Barbarei geben, welche unser heutiges Rechts- und ästhetisches Gefühl gleich stark beleidigt, die aber früher so natürlich der allgemeinen und speciell der juristischen Anschauung entsprach, daß sie eine kaum zu übersehende Literatur hervorrief. Giebt doch das 1745 erschienene Zedtler’sche Lexikon in dem vierundfünfzig Folioseiten umfassenden Artikel „Tortur“ schon eine ganze Bibliothek der auf diesen Gegenstand bezüglichen Schriften, und ist nicht einmal vollständig! Und selbst noch nach ihm, bis in unser Jahrhundert hinein, ist die Literatur mit immer wiederholten Ausführungen darüber fortwährend vermehrt worden, bis endlich die siegende Humanität erst vor wenigen Decennien dem Unwesen ein völliges Ende machte.

Wir finden die Tortur schon bei den Griechen und Römern, auch schon in den alten deutschen Volksrechten der Salier, Westgothen, Baiern und Burgunder. Im deutschen Mittelalter läßt sich der Gebrauch der Folter schon im vierzehnten Jahrhundert verfolgen und einzelne Spuren weisen selbst noch in eine frühere Zeit zurück. Allmählich bildete sich ein normales Verfahren mit Folter und Todesmarter zu voller Entsetzlichkeit aus. Später erhielt die spanische Inquisition in des Großinquisitors Valdez Statuten die Quintessenz des auf Kosten des menschlichen Gefühls gesteigerten Raffinements, Menschen zu quälen; dieselbe ließ in Neapel den unglücklichen Campanella vierzig Stunden lang die Folter leiden. Die Folterwerkzeuge, welche die spanische Armada mit sich führte und welche noch im Londoner Tower gezeigt werden, sind grausenerregende Denkmale der Tigernatur im Menschen, und doch bot das gerichtliche Verfahren unter der englischen Elisabeth ganz ähnliche Entsetzlichkeiten dar. In Frankreich war schauderhaftes Verbrennen der Ketzer, die an Ketten über den Flammen des Scheiterhaufens hangend bald in diese versenkt, bald ihnen entrückt wurden, um die Qual zu verlängern, Viertheilen und gräßliche Folterpein bis zur gänzlichen Körperzerrüttung an der Ordnung, und Deutschland gewann sich namentlich in der Unzahl von Hexenprocessen das gleich unauslöschliche Gepräge gerichtlicher Barbarei. Sein Benedict Carpzov (1595–1666), Professor der Rechte in Leipzig und sächsischer Geheimer Rath fürchterlichen Andenkens, war ein mit fanatischem Rigorismus gegen die Menschlichkeit wüthender Knecht des gesetzlichen Buchstabens: derselbe soll an zwanzigtausend Todesurtheile gefällt haben! Dabei ging er, ein frommgläubiger Christ, jeden Monat zum heiligen Abendmahl und las dreiundfünfzigmal die heilige Schrift durch!

Ueberhaupt war die Zahl der Personen, welche namentlich im fünfzehnten, sechzehnten und siebenzehnten Jahrhundert in den verschiedenen deutschen Gerichten schuldig oder unschuldig der Folter unterworfen und nach Befinden hingerichtet wurden, unglaublich groß. Man folterte, zwickte, schleifte, räderte, viertheilte und briet im Wetteifer; geringe Vergehen wurden mit den härtesten Strafen belegt, bei unerwiesener Schuld Todesurtheile gesprochen, und einfacher Tod war Gnade. Die Reformation änderte hierin wenig; freilich waren die Katholiken den Evangelischen voraus in Verbrennung der Ketzer, aber die Barbarei der Hexenprocesse war gemeinschaftlich. Im Braunschweig’schen wurden von 1590–1600 an zehn bis zwölf Hexen an Einem Tage verbrannt; die Brandstätte vor dem Lechelnholze bei Wolfenbüttel war von den Brandpfählen anzusehen wie ein kleiner Wald. Ebenso wurde im Henneberg’schen gewüthet. Entsetzlich war das Verfahren im Bisthum Bamberg: hier wurden von 1624–1630 nicht weniger als dreihundertsieben Personen, meistens um der Hexerei willen, zum Tode verurtheilt, und in dem kurzen Zeitraum von neunundzwanzig Jahren wurden allein in dem kleinen nur hunderttausend Seelen umfassenden Ansbacher Bezirk mehr als vierzehnhundertvierzig Menschen gefoltert, dreihundertneun mit Pranger und Staupbesen belegt und vierhundertvierundsiebenzig hingerichtet.

Doch genug davon; nur noch ein kurzes Wort über die Folter selbst. Wie viele Grade der Folter sind, sagt ein alter Criminalist, kann so gewiß nicht beschrieben werden, weil sie sowohl nach der Zahl als den Instrumenten in keiner Weise an allen Orten übereinkommen. Einige fingiren neun Species, Andere glauben, daß sieben genug seien, und Andere machen fünf Grade der Tortur, nämlich 1. die Drohung, zu torquiren, 2. die Führung an den Ort zur Folterung, 3. die Entblößung und Bindung, 4. das Aufheben zur Folterbank und 5. die Erschütterung, wann der Aufgehenkte aufgehalten und mit Schlägen gepeinigt wird. Andere wiederum – die verbreitetste Annahme – zählen zu dem ersten Grad die Daumenstöcke mit den Schnüren; zum andern das Aufziehen auf der Leiter, ingleichen die spanischen Stiefel und [217] den gespickten Hasen; zum dritten die Ausdehnung der Glieder mit dem Kolben und die Brennung des Leibes mit brennenden Lichtern. Zur Erklärung der Instrumente bemerken wir Folgendes:

Die Daumenstöcke sind, wie uns ein früherer Artikel in der Gartenlaube 1864, Nr. 34 bereits gelehrt hat, kleine eiserne Schrauben mit innen gekerbten Flächen; zwischen diese ward das obere (nach Anderen das zweite) Glied des Daumens gelegt und dann hart zugeschraubt. Die Schnüre bestandeu aus hänfenen, federkiel- (neun Fäden) dicken Bindfaden, an den Enden mit hölzernen Quergriffen. Sie werden „solchergestalt appliciret, daß der Scharfrichter und dessen Knechte dieselbe nicht nur über die zusammengebundenen Arme, und zwar über dem Handgelenk nach dem Ellenbogen zu, einmal über’s andere herumschlingen und damit kneipen, sondern auch gegeneinander stehend stark hin und wieder ziehen, als wenn sie sägeten. Welches Schnüren denn (das häufig bis auf den Knochen ging) den Inquisiten grausame Schmerzen macht, so daß sie gar jämmerlich thun und überlaut schreien“. Auf der besonders dazu construirten Leiter ward der Delinquent an den auf den Rücken gebundenen Händen in die Höhe gezogen und seine Füße mit Gewichtstücken beschwert, deren größere oder geringere Schwere den Foltergrad verminderte oder verstärkte. Die spanischen Stiefeln waren größere Pressen von Holz mit Schrauben, deren gekerbte Innenseiten auf das Schienbein gelegt und dann mit den eisernen Schraubenschlüsseln bis zum unerträglichsten Schmerze angezogen wurden. Auf der Leiter diente zur Verschärfung der sogenannte gespickte Hase, eine Stachelwalze, die beim Aufzug unter den Rücken des Gefolterten geschoben und an der Leiter befestigt wurde. Im Uebrigen war die Zahl und die Form der Instrumente, überhaupt die Art der Folterung nach den verschiedenen Gegenden und Zeiten verschieden. Jetzt noch zahlreich erhaltene Geräthe (in Nürnberg, Hannover, Regensburg etc.) geben davon eine Anschauung.

Einzelne der Instrumente erhielten von den Gegenden, wo sie erfunden oder besonders gebraucht wurden, auch ihren Namen, so die Braunschweig’schen Stiefeln, der Lüneburg’sche Stuhl (mit Stachelsitz), der Mannheimer Bock, das Bamberg’sche Instrument, der dänische Mantel, die spanische Kappe, das doppelte spanische Fußband – welche im Einzelnen näher zu beschreiben wir gern unterlassen; es genüge, über die schreckliche Wirkung dieser Geräthe nur zu bemerken, daß viele Delinquenten unter dem Druck der unsäglichen Qualen ihr Leben aufgaben, wiewohl die alten Criminalgesetzbücher ausdrücklich erinnern, daß die Folter „nicht härter sein müsse, als die Strafe, welche auf die Wahrheit der Missethat erfolget, und daß Alles mit solcher Moderation und Maße geschehe, damit nicht der Inquisit darüber crepire“. Als Probe Folgendes:

„Bedürfenden Falles wird ferner auch zum Feuer gegriffen, da man dann entweder Federkiele in zergangenen Schwefel eintunket und dem Inquisiten, indem er auf der Leiter lieget, solche angezündet auf den bloßen Leib wirft, oder davon gemachte Pflaster anzündet und auf den Leib klebet; item einen gewissen Knaul von einer halben Elle lang Holz, mit Hanf umwunden, in zerlassen Pech eintunket, bis daß es ungefähr ein Knaul von einer Faust groß geworden, den man hernach anzündet und dem Inquisiten auf den bloßen Leib wirft, doch so, daß das Bewerfen mit brennendem Schwefel oder Pech nicht auf die Brüste, sondern auf die Schultern geschehe, oder auch spitzige Zwecken von Kienholz unter die Nägel schläget und anzündet, jedoch muß auch hiermit behutsam umgegangen werden, weil von dem Gebrauche der Kienstöcke allerhand schädliche Wirkungen zu besorgen.“ Das Buch, dem wir diese Stelle entnehmen, ist: Der Klugen Beamten auserlesener Criminal-Proceß vom Jahre 1760.

Seitdem ist die Folterung noch sehr häufig vorgekommen, wenn auch in der letzten Zeit wohl mehr nur in der Form der sogenannten Territion, wobei dem Inquisiten die Instrumente nur angelegt wurden, um ihn zu schrecken, ohne die Folter selbst zu vollziehen. Die letzten Fälle sind uns bis jetzt aus dem Hannover’schen bekannt. Die Territion wurde hier noch im April 1799 bei dem Amte Uslar, in der Nacht vom 4. zum 5. März 1805 in der Stadt Hannover und in der Nacht vom 12. auf den 13. März 1818 bei dem Amte Meinersen angewendet. Um einen Begriff von der Barbarei zu geben, welcher noch in unserm vorgeschrittenen Jahrhundert ein möglicher Weise vollkommen Unschuldiger ausgesetzt war, geben wir von diesem in Deutschland wahrscheinlich allerletzten Falle im Nachstehenden das ausführliche Protokoll.

Der Köthner Fr. Wiegmann aus Ottbergen ward im Jahre 1816 beim Amte Meinersen verhaftet und zur Untersuchung gezogen, weil er verdächtig war, zwei Pferde, zum taxirten Gesammtwerthe von achtzig Thalern Gold, des Nachts von der Weide gestohlen zu haben. Bei dem beharrlichen Leugnen des Inquisiten wurde gegen ihn die Realterrition erkannt und zu diesem Behufe von der königlichen Justiz-Canzlei in Celle unterm 4. März 1818 eine ausführliche Instruction an das Amt erlassen, worin es unter Anderm heißt: daß der Nachrichter, wenn der Inquisit in das Torturgemach eingeführt und ihm zur Vollstreckung des Erkenntnisses übergeben sein würde, demselben die zur Peinlichkeit dienlichen Instrumente vorzeige, ihn zur Vermeidung der Marter zu einem ungezwungenen (!) Bekenntnisse ermahne, bei beharrlichem Leugnen den Inquisiten durch seine herzutretenden Leute wirklich angreifen, entkleiden und auf die Folterbank setzen lasse, die Daumschrauben anlege und mit deren Zuschraubung einen gelinden Anfang machen lasse. Diese genaue Vorschrift wurde von dem Amte laut eingesandten Protokolls folgendermaßen ausgeführt.

In dem Gewölbe unter dem alten Amthause fand man jetzt den Scharfrichter Funke so wie dessen Bruder und neun bis zehn Henkersknechte bereits versammelt. Das ohnehin grauenhafte Gewölbe hatte in dieser Nacht (12. bis 13. März) ein schauderhaftes, furchtbares Ansehen von innen, welches die Todtenstille, weil kein einziger Zuschauer zugelassen worden, und die absichtlich angebrachte matte Erleuchtung in den grausenvollen Winkeln noch besonders vermehrte.

Inquisit Wiegmann wurde vorgeführt, von Ketten losgeschlossen, die Uhr zeigte auf zwölf Uhr fünfzig Minuten. Der Inquisit blieb ganz ruhig und schien entschlossen zu sein, Alles mit sich machen zu lassen, was man wolle. Amtsseitig ermahnte man ihn nochmals, jetzt, da er Ernst sehe, es nicht auf das Aeußerste ankommen zu lassen. Derselbe blickte gar nicht um sich und erklärte mit Fassung, daß er unschuldig sei. Hierauf trat der Scharfrichter Funke vor, forderte den Inquisiten Wiegmann nochmals zum Bekenntniß auf und führte ihn etwas zur Seite an den Tisch, auf welchem die Peinigungsinstrumente zur Hand lagen. Hier stellte ihm Funke auf eine grausame Weise, jedoch in aller Kürze vor, was man mit ihm und seinen Knochen jetzt sogleich vornehmen werde, und sodann mußte er vor den Tisch der Beamten treten, welche nochmals ihn zu einem gütlichen Geständniß aufforderten.

Der Gang der Realterrition war folgender: Zwölf Uhr dreiundfünfzig Minuten gab man dem Scharfrichter den Wink zum Angriff. Neun Knechte fielen mit Drohungen und Geschrei über den Inquisiten her und rissen ihm unter Hin- und Herraufen die sämmtlichen Kleidungsstücke vom Leibe, banden ihm eine weiße Schürze vor und zogen ihn nach der Folterbank. Das Zeug war stark und ging das Abreißen desselben langsamer, als gewöhnlich, obgleich man bei dem Losschließen gleich einen starken Kittel dem Inquisiten ausgezogen hatte. Inquisit erklärte, er habe nichts gethan und könne nichts bekennen. Von den Beamten ward er aufgefordert, sich die Marter zu ersparen. Inquisit schien die Schmerzen zu verachten, der furchtbare Angriff imponirte gar nicht, er sagte ganz ruhig: „Wie kann ich was bekennen, was ich nicht gethan?“ Zwölf Uhr sechsundfünfzig Minuten befand sich Inquisit auf dem Marterstuhl, auf den er vor einigen Augenblicken unsanft niedergesetzt war; der Stuhl ward etwas zurückgelehnt, damit Inquisit das Marterkissen (mit den Stacheln) desto mehr fühlen möchte. Derselbe behielt seine ganze Fassung, antwortete ohne Seufzer und Miene zu verzucken: „ Ich bin unschuldig“. Zwölf Uhr siebenundfünfzig Minuten waren dem Inquisiten die Hände an die Stuhllehne gebunden, die Augen waren ihm gleichfalls verbunden. Derselbe ließ Alles geduldig mit sich machen, antwortete jedem Beamten bei seinem Charakter mit Höflichkeit und langsam, „daß er nichts gethan habe“.

Zwölf Uhr achtundfünfzig Minuten waren ihm die Hände wieder losgebunden, er ward aufgerichtet, ermahnt zur Wahrheit, indem er jetzt Ernst sehe und sich überzeugen müsse, daß dies kein Blendwerk sei. Inquisit in ruhiger Gelassenheit sagte: „Wenn man mich todt martert, ich habe nichts gethan, machen Sie, was Sie wollen.“ Vor zwölf Uhr neunundfünfzig Minuten war er bereits wieder auf dem Marterkissen. Nach zwölf Uhr neunundfünfzig Minuten wurde der Stuhl zurückgelehnt, einige Secunden darauf waren die Daumstöcke angelegt. Inquisit sagte nichts, hielt [218] geduldig die Hände her. Amtsermahnungen halfen nichts. Vor ein Uhr schrob man etwas, ein Uhr waren solche zugeschroben, jedoch angeblich gelinde. Inquisit schwieg; Ermahnungen fruchtlos. Scharfrichter Funke ließ ihm einen Peitschenhieb geben. Inquisit zuckte, weil solcher bei verbundenen Augen unvermuthet kam. Kein Laut, kein Seufzer, Ermahnungen vergeblich. Ein Uhr und eine halbe Minute zweiter Peitschenhieb. (Funke versicherte, daß vor dem festen Zuschrauben einige Hiebe in dies Verfahren gehörten.) Inquisit schien diesen zweiten Hieb nicht zu achten. Es war ein Uhr eine Minute. Der Marteract war vorbei, ein Uhr ein und eine drittel Minute wurde Inquisit vor den Tisch geführt, gestand aber nichts, er antwortete, als wenn er Jemanden heftig etwas versicherte: „Wie kann ich etwas bekennen, was ich nicht gethan!“

Der Inquisit wurde unter dem Vorwande, daß ihm die weiteren Instrumente nochmals sollten umständlich gezeigt werden, an den Tisch des Scharfrichters geführt, hier wurde er mit Salben bestrichen. Derselbe zeigte an: „Ich friere und kann es nicht besehen.“ Er achtete auch nicht auf die Drohungen und ward ein Uhr zwölf Minuten geschlossen wieder in das Gefängniß abgeführt.

Am folgenden Tage zeigte der Gefangenwärter an, der Inquisit sei heute Morgen außerordentlich traurig, lese in einem Gebetbuche und glaube, daß diesen Abend die Sache von Neuem wieder losgehen werde. Er, Comparent, habe es für seine Pflicht gehalten, den Inquisiten hierbei zu lassen. Bald darauf habe ihm Wiegmann entdeckt, daß er lieber sterben wolle, als diesen Abend die ihm gestern Nacht gezeigten Martern aushalten könne. Amtsseitig hielt man für zweckmäßig, die Wachen zu verdoppeln, um desto mehr Geräusch zu machen, und wies den Gefangenwärter an, den Inquisiten in seinem Glauben, daß die Sache wiederholt werden würde, zu bestärken. Der Scharfrichter Funke zeigte an, er habe den Wiegmann heute mit Salben versehen, finde solchen gesund und habe ihn ermahnt, heute Abend zu bekennen, weil er sonst wider seinen Wunsch das an ihm wirklich verrichten werde, was er vergangene Nacht ihm nur gezeigt habe. Später berichtete der Gefangenwärter weiter, daß Wiegmann, wie ihm deuchte, mit sich selbst kämpfe, ob er gestehen wolle oder nicht; er höre genau auf die Wachen, ob diese von demjenigen sprächen, was heute Nacht vor sich gehen würde. Er habe demselben mehrmalen gesagt, daß er bis diesen Abend noch Zeit habe, sich zu bedenken, daß er aber vor Abend bekennen müsse. Den neuen Wachen habe er gesagt, daß sie sich als eine Heimlichkeit untereinander, doch so, daß es zu Wiegmann’s Ohren komme, gegen Abend erzählen möchten, daß noch mehr Leute zu des Scharfrichters Truppe gekommen wären. Amtsseitig bedeutete man, daß man vor Abend den Inquisiten nicht ängstigen möge.

Abends sieben Uhr zeigte der Gefangenwärter an: Wie es dunkel zu werden angefangen, habe der Inquisit Wiegmann große Angst verrathen, und die Wachen hätten sich einander erzählt, daß ein neuer Wagen voll Schinderknechte eben angefahren sei, auch daß alle Leute vor dem Amte schon hin und her liefen. Jetzt habe er den Inquisiten mit Hinweis auf die bevorstehenden Martern nochmals eindringlich zur Wahrheit ermahnt. Wiegmann habe ihm jetzt erklärt, daß er sich vor Angst nicht zu retten wisse, lieber bekennen als sich von Neuem martern lassen wolle und daß er daher um ein Verhör bitte. Der Gefangenwärter kehrte sofort zurück, mittlerweile dann der Beamte es übernahm, in aller Eile mündlich vom Inquisiten das freie (!) Geständniß zu erhalten, worauf man denselben in einem Tempo auf die Amtsstube führen lassen wolle. Um Widerruf zu vermeiden, ließ man vieles Licht auf die von spät beendigten Terminen noch ganz warme Amtsstube bringen, ließ ferner eine Menge Leute auf den Amthof zusammentreiben und Geräusch so viel wie möglich darauf verbreiten, wobei denn Leute mit Leuchten nach dem Torturgewölbe hin und her laufen mußten. – –

So war denn das Ziel erreicht! Die königliche Justiz-Canzlei zu Celle aber rescribirte auf den Amtsbericht: „Wir haben aus den über die Vollstreckung der Euch demandirten Realterrition eingesandten Protokollen ersehen, daß Ihr nicht nur bei der Vollstreckung derselben mit einer eigenmächtig geschärften Strenge verfahren, durch welche der Inquisit weit mehr gelitten hat, als es die allgemeinen Regeln des Criminalprocesses und der Praxis und das von uns ertheilte specielle Instructorium vom 4. März dieses Jahres beabsichtigten und erlaubten, sondern auch außerdem noch eine überall nicht autorisirte, fast einen ganzen Tag fortgesetzte Verbalterrition hinzugefügt habt, wodurch Ihr die Angst des Inquisiten bedeutend vergrößert und vielleicht bleibende Nachtheile für dessen Gesundheit verursacht habt. Wir sind vom königlichen Cabinets- Ministerio beauftragt, Euch wegen dieser Procedur das Mißfallen desselben zur Belehrung für künftige Fälle (!) zu erkennen zu geben.“ –

Gottlob kam es nicht zu „ künftigen Fällen“! Eine Verordnung vom 17. April 1822 hob endlich die Tortur in dem Königreiche Hannover auf. Im Jahre 1840 wurde auch Karl’s des Fünften peinliche Halsgerichtsordnung zu Grabe getragen, wie in einem Bilde mit den Porträts aller Celler Richter (als Leidtragender) solches der Nachwelt erhalten worden ist. Und der Inquisit Wiegmann? Nachdem derselbe zwar die Folter, ohne zu bekennen, überstanden hatte, jedoch alsdann durch die Angst vor ferneren Qualen zur Ablegung eines vollkommenen Geständnisses gedrängt war, ist er zu einer vierjährigen Zuchthausstrafe verurtheilt worden und noch vor deren Ablauf im Zuchthause gestorben.