Lettische Volkslieder und Mythen/Liebeslust und Leid
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Um der Mädchen willen wuchsen
Roter Mohn und rote Rosen;
Um der Burschen willen wuchsen
Nicht mal Nesseln hinterm Zaun.
Liebe Strauch- und Waldesmutter,
Hilf mir meine Schäfchen hüten!
Wenn ich erst mal Hochzeit halte,
Will ich alle reich beschenken.
Geb’ der Lind’ ein blaues Wolltuch,
Geb’ der Eich’ ein goldnes Handtuch,
Geb’ dem kleinen Birkenbäumchen
Schöne Diamantenblätter.
Frag nach einem klugen Manne,
Frag nach keiner Roggenkleete!
Denn so manche Roggenkleete
Steckt in klugen Mannes Kopfe.[1]
Vor der Thüre auf die Erde
Legte ich ein Birkenreis.
Kam ein Mädchen – schritt herüber,
Kam ein zweites – schritt herum,
Kam ein drittes – hob das Reis auf, –
Dieses dritte wird mein Schatz!
Find’ ich mir kein Birkenzweiglein,
Nehm’ ich doch kein Ellernreis;
Find’ ich keinen jungen Freier,
Nehm’ ich doch den Witwer nicht.
Schwer von vielen, vielen Thränen
Ist ja eines Witwers Hand.
Nimmermehr wird die mein Liebchen,
Die vor mir sich eitel spreizt;
Jene, jene will ich nehmen,
Welche mich so ängstlich flieht!
Weiße Rose, grünes, schlankes
Schilfrohr blühn im Mühlenteiche:
Weiße Ros’ ist meine Schwester,
Grünes Schilfrohr ist mein Liebchen
Wählte mir ein feines Liebchen,
Aber denk’ noch nicht an Hochzeit!
Bring’ die Maid drum ins Gerede,
Daß kein andrer sie mir nehm’.
Selber helf’ ich brav sie schmähen,
Rede dies und rede das, –
Und verborgen bleibt den Leuten,
Daß sie mein Feinsliebchen ist.
Neigt euch, beugt euch, schlanke Birken,
Zu der Sonne, mit der Sonne!
Also neigen sich die Freier
Vor der Töchter Mütterlein.
Liebes Mädchen, sonnenlock’ges,
Still mein Sehnen und Verlangen!
Ach, in deinen goldnen Locken
Hat sich Kopf und Herz verfangen!
Schau die volle, hohe Birke
Dort am grünen Straßenrande!
Kannst du ihre Blätter zählen,
Sollst du um mich werben dürfen.
Blüh, liebes Röslein,
Wohl hinterm Dornbusch,
Daß dich nicht breche
Eisiger Nordwind!
Blüh, liebe Schwester,
Hinter den Brüdern,
Daß dich der harte
Freier nicht greife!
Auf dem Berge weiße Rosen,
Hinterm Berge roter Mohn.
Kommen Freier zu den Rosen,
Duck’ ich schnell mich in den Mohn
Und verberg’ mein glühend Antlitz
Unter seinen roten Blüten.
Als die Bursche mich erblickten,
Sperrten Mund sie auf und Augen;
Wär ’ne Semmel ich gewesen,
Hätten sie mich gar verschlungen!
Hat man Feuer angezündet?
Steht der Weidenbusch in Flammen?
Nein, der Freier Augen brennen,
Da sie meine Schönheit sehen!
Eh’ ich durch das Bächlein wate,
Muß ich erst mein Röcklein schürzen;
Eh’ ich in die Fremde gehe,
Muß ich mich erst recht bedenken.
Schwanenmutter, schütz die Kindlein,
Sturmflut kam mit großer Welle!
Mädchenmutter, schütz die Töchter,
Schlechte, thör’chte Freier kamen!
Weil ich stets zum Handschuhstricken
Etwas gelbes Garn genommen,
Hat mein künft’ger Brotversorger
Einen gelben Lockenkopf.
Wo erwuchsest, schmucker Bursch, du,
Daß ich niemals dich gesehen?
„Ei, ich wuchs auf einem Steine,
Tief im tiefsten Meeresgrunde!
Doch wo wuchsest, schmucke Maid, du,
Daß ich niemals dich gesehen?"
Ei, beim Mütterlein ich aufwuchs
In dem weißen Rosengärtchen! –
Tragt mit Vorsicht meine Truhe,
Denn drei Thränenbecher liegen
Ganz zu unterst! Einen füllt’ ich,
Während ich erwuchs, mit Thränen,
Und den dritten, als die Truhe
Ich mit meiner Mitgift füllte.
Um mein Kränzchen muß ich weinen,
Weinen wie um Vater, Mutter;
Ach, im Kranz sind leicht die Schritte,
Ach, im Kranz ist leicht das Leben!
Drei Maß Lieder nahm ich mit mir,
Als ich mit dem Freier fortzog.
Ist die Schwiegermutter gütig,
Will ich singend sie erfreuen;
Aber ist sie bös’ und heftig,
Bleib’ ich stumm und spar’ die Lieder.
Wolfesmutter, Sohnesmutter,
Gehen beide eines Weges;
Wolfesmutter sucht ein Lamm sich,
Sohnesmutter eine Web’rin.[2]
Stolz bist du, o Schwiegermutter,
Aber ich bin noch viel stolzer;
Du berühmst dich deines Sohnes,
Ich berühm’ mich meiner Tugend!
Weit ließ mich die Mutter ziehen
Und versprach mir, nicht zu weinen;
Als ich meine Schuhe anzog,
Weinte sie schon bitterlich;
Als ich mich ins Wolltuch hüllte,
Weinten alle lieben Brüder;
Als ich auf des Freiers Pferd stieg,
Brüllten alle Küh’ im Stalle;
Als zur Pforte ich hinausritt,
Wieherten die braunen Pferde.
Ich erkannte meine Liebste
Schon auf eine halbe Meile:
Schneeweiß ihre wollne Decke
Und ihr Kranz wie Silber glänzend.
Ei, verwöhnte Muttertochter,
Jetzt, da wir dich endlich haben,
Sollst du jeden frühen Morgen
Auf das Feld hinaus – zur Arbeit!
Warte, Freier, noch ein Weilchen!
Bald kommt die so lang’ Ersehnte,
Bald kommt die so lang’ Erharrte,
Wie ihm Lenz der Faulbaum blühend,
Wie ihm Lenz die Birke grünend,
Wie die Morgensonne glänzend!
Ach, was soll ich machen?
Spring’ ich in den See?
Die ich so ersehnte,
Wurde fortgeführt!
Dort auf trübem Wasserspiegel
Weint nach reiner Flut ein Schwan,
Und ich wein’ am Ufersrande
Nach der Herzgeliebten mein …
Lebe wohl, leb wohl, Herzliebste!
Such dir einen andern Burschen,
Such dir einen andern Freier,
Denn mich deckt der Hügel ja!
Komm, besuch mich, Liebchen, dort,
Schau, wie ich so friedlich ruh’!
Komm zu meinem Grab und bring mir
Eine Hand voll Mohnenblüten! –
Anmerkungen
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ in der Vorlage: ‚52‘.