Land und Leute/Nr. 30. Dat söte Länneken
Land und Leute.
Nach Fluchten und nach Zügen
Weit über Land und Meer,
Mein trautes Ländchen Rügen,
Wie mahnst du mich so sehr!
O Eiland grüner Küsten,
O bunter Himmelschein!
Wie schlief an deinen Brüsten
Der Knabe selig ein!
Wie locken deine Minnen
Mit längst verklungnem Glück
Den grauen Träumer hinnen
In alter Lust zurück!
Drum grüß’ ich aus der Ferne
Dich, Eiland, lieb und grün:
Sollst unterm besten Sterne
Des Himmels ewig blühn!
So sang aus dem junggebliebenen Herzen des alten Arndt im Paradies des Rheinlandes noch das Heimweh nach seiner Heimathinsel. Und wenn auch nur von den Bewohnern des [214] ärmsten und von der Natur am stiefmütterlichsten behandelten Theils von Rügen, von denen auf Hiddensöe, dem an der Nordwestküste der Insel langhingestreckten sand- und haidereichen Eilande, ihre reizlose Heimath „dat söte Länneken“ – das süße Ländchen – genannt wird, so klingt dieser Ausdruck doch so nach dem Herzen aller Rügen’schen Leute, daß wir ihn für die ganze Insel und mit demselben Recht für jeden andern Theil derselben anwenden dürfen.
Sage und Volksglaube halten an der Ansicht fest, daß Rügen einst mit dem pommerschen Festlande ein Ganzes gebildet habe. Die Naturforschung widerspricht dem nicht, wenn es auch nicht die Cimbrische Fluth allein gewesen sein sollte, welche die Trennung entschied, die vielen Buchten und Meerbusen in das Land hineinriß und dem Meer die Wege bahnte, um die Binnenseen auszufüllen, welche die Gestalt der Insel in das wunderliche Bild verwandelten, das sie uns heute zeigt. Ein Blick auf die Landkarte von Rügen läßt uns einen festen Kern von einer Reihe von Außengliedern unterscheiden, welche mit diesem nur durch schmale Landzungen in Verbindung stehen. Seltsamerweise bieten gerade diese Halbinseln dem naturwunderseligen Wanderer die sehenswürdigsten Reiseziele. Die nördlichste ist Wittow mit dem sagenreichen Felsenwall Arcona, unter welchem das Meer vergeblich im ewigen Kampf gegen das Land tobt. Sie streckt einen Arm nach Südosten aus, und der reicht bis zur Halbinsel Jasmund. Hier geht dem Freund der Wälder das Herz auf. Von den westlichen Ebenen nach Osten hin aufsteigend schmückt der frischeste Buchenkranz noch die Kreidefelsen des kühn aufragenden Strandes und beschattet die Stätten, wo germanische und slavische Götter sich ihrer Heiligthümer freuten, wo die Herthaburg gestanden und wo der Königsstuhl auf Stubbenkammer thront und auf das Meer hinabzeigt, auf welchem vor unseren Augen und nach Jahrhunderten zum ersten Male wieder deutsche Kriegsschiffe mit dem Dänen um den Sieg rangen.[1] Und im Südosten endlich legt, aus den Wäldern der Granitz sich herausdehnend, die Halbinsel Mönchgut ihren Handschuh mit dem Daumen und drei Fingern auf die tückische Ostsee. Hier aber wollen wir bleiben, denn Mönchgut ist es, dem wir heute einen besonderen Besuch abstatten.
Die Männer von Mönchgut behaupten, daß sie vor allen anderen Rügenern Ursache hätten, der Tücke der See zu grollen und sich in deren Dienst schadlos zu halten. Es geht bei ihnen nämlich die Sage, ihr Land sei vor Zeiten von Pommern nur durch ein schmales Wasser getrennt gewesen, über welches man auf hineingeworfenen Pferdeschädeln und Steinen sicher habe gehen können. Da sei die große Sturmfluth von 1309 gekommen, habe den größten Theil ihres Landes abgerissen und durch den Rügener und Greifswalder Bodden den Stralsundern zu einem besseren Fahrwasser verholfen, als ihr Gellen, die Meerenge, welche sie von Rügen scheidet, vorher gewesen. Die Greifswalder Oee und die Insel Ruden sehen sie für Trümmer ihres Gebietes an. Und nicht genug mit dieser Absperrung vom Festland: als sie Eigenthum des Klosters Eldena bei Greifswald geworden waren – woher der Name „Mönchgut“ stammt, denn vorher hieß das Ländchen Reddewitz, wie jetzt nur noch der längste westlichste Finger des Handschuhs genannt wird –, da gebot ihnen der Abt, damit der geistliche vom profanen Boden der Insel für alle Zeit deutlich geschieden sei, am schmalsten Theil der Landzunge, durch welchen dieselbe nördlich mit der Granitz zusammenhängt, einen tiefen Graben zu ziehen, den Mönchsgraben, den die lange protestantische Zeit noch heutzutage nicht ganz geebnet hat. Dieser klösterlichen Abgeschlossenheit verdankt jedoch die Bevölkerung von Mönchgut jene Eigenthümlichkeiten in Sitten und Gebräuchen, welche sie vor allen anderen Rügenern auszeichnen und die so tief gewurzelt sind, daß selbst die nivellirenden Wogen der Gegenwart ihnen noch wenig anhaben konnten.
Der Wunsch, dieses interessante Völkchen von Angesicht zu Angesicht kennen zu lernen, ist mir, allerdings schon vor einem Dutzend Jahren, bei Gelegenheit eines Besuchs in Stralsund in Erfüllung gegangen. Ein wackerer Freund hatte damals hinter meinem Rücken eifrig für möglichst vollständige Erfüllung meines Wunsches gesorgt, indem er bei Befreundeten drüben sich erkundigte, ob nicht eine Hochzeit in naher Aussicht stehe. Ich kenne seine Festigkeit; er würde meine Abreise wochenlang verzögert haben, um seinen Zweck zu erreichen. Nun kam’s Hals über Kopf, meine von ihm angeordnete „Präparation“ nach Grümbke’s bekannten trefflichen Werken über Rügen war noch nicht zur Hälfte beendet, da schob er mir einen offenen Zettel als Empfehlungsbrief in die Hand, die Bücher ins Ränzel und mich zur Thür hinaus. „Nun reise! Fahr’ wohl!“
Seitdem Rügen nicht blos für alle diejenigen Norddeutschen, welche daheim nie der Anblick eines Berges erhebt, sondern auch für die Mitteldeutschen bis nach Thüringen hinauf und in’s Erz- und Riesengebirge hinüber, wenn sie sich nach dem Meere sehnen, zu den jährlich besuchter gewordenen Reisezielen gehört, ist der Weg von Stralsund nach Mönchgut kein Geheimniß mehr. Ich fuhr von Alte Fähre auf Rügen im Postwagen nach Putbus. Unterwegs auf der herrlichen Fahrt durch die Insel (deren Beschreibung, ebenso wie die von Putbus, als nicht zu unserer Aufgabe gehörig, mir erlassen werden muß) fand sich ein Gesellschäftchen zu einer Wasserpartie von Lauterbach, der Badestätte von Putbus, nach Groß-Zicker, einem Kirchdorf auf der mittelsten der drei südlichen Landzungen von Mönchgut, zusammen, dem ich mich natürlich anschloß.
Am anderen Morgen fanden wir uns, verabredetermaßen, in Lauterbach, und nach einem erfrischenden Bad und stärkenden Frühstück bestiegen wir, fast zu einem Dutzend Männlein und Fräulein angewachsen, bei willkommenstem Wind und lachendem Himmel das kleine Segelboot. Nach etwa dreistündiger überaus köstlicher Fahrt lag die dritte Landzunge von Mönchgut mit dem Dorfe Thissow gerade vor uns und links öffnete sich der Zickersee, der uns zu unserem Ziele führen wird.
„Was bedeutet die Flagge bei Thissow?“ fragte eine der liebenswürdigen Damen.
Ah, wie kam mir nun meine Präparation zu Gute! Ohne den Verräther aus dem Ränzel zu ziehen, docirte ich getreu nach Grümbke: „Am Ostufer der Halbinsel dort drüben liegen drei Dorfschaften, welche allein das Recht der Lootserei haben. Diese drei Lootsendörfer heißen: Göhren, Lobbe und Thissow. Da die Passage durch die Meerenge zwischen Pommern und Rügen für die nach Wolgast, Greifswald oder Stralsund segelnden Kauffahrteischiffe wegen vieler seichter Stellen und Sandbänke unsicher ist, so müssen alle diese Schiffe für diesen Weg sich der Führung eines Piloten aus jenen drei Dörfern fügen. Der Ordnung und des Friedens wegen lassen die drei Dörfer das Lootsenrecht Reihe um gehen, und die Flagge dort bedeutet demnach, daß heute Thissow den Lootsen zu stellen hat.“
In Groß-Zicker trennte ich mich von der Gesellschaft, die vor Allem die hinter dem Pfarrhause sich erhebenden Hügel besteigen und dann zu Wagen weiter streben wollte. Mein einziges Augenmerk waren von jetzt an die Mönchguter Leute. Ihretwegen schritt ich in die Schenke und durch die Dorfgassen, blieb vor jeder Hausthür, vor jeder Gruppe, vor jedem Kinde stehen, verglich im Kopf alles Erschaute mit meinem Grümbke im Ränzel und schwenkte endlich zum Orte hinaus, um noch Middelhagen zu guter Zeit zu erreichen.
Das, was von den Eigenthümlichkeiten dieses Völkchens zunächst auffällt, die Tracht, hatte einen eigenen Eindruck auf mich hervorgebracht. Die vorherrschende Dunkelfarbigkeit der Kleidung bei beiden Geschlechtern erinnerte allerdings an etwas Klösterliches.
Die Mannsleute tragen schwarze Jacken mit schwarzen Knöpfen, von einem selbstgemachten Zeuge, welches Dreiling (Drillich, Drell) genannt wird, ferner ein oder auch zwei Paar kurze wollene Kniehosen und darüber sehr weite und etwas längere Pump- oder Fischerhosen, für gewöhnlich von weißer Leinwand, für feierliche Gelegenheiten ebenfalls schwarz. Ihre Kopfbedeckung ist daheim die Zipfel-, außerdem die Seemannsmütze und an Sonn- und Feiertagen ein niedriger schwarzer Filzhut mit breitem, über die Krämpe hängendem Band. Auch die Strümpfe sind von schwarzbrauner Wolle, und die Schuhe werden, statt mit blanken Schnallen, mit Senkeln oder Riemen befestigt.
Von demselben ehrwürdigen Alter und Aussehen sind die weiblichen Trachten. Frauen und Mädchen kleiden sich in schwarze Röcke und vorne zugeschnürte Mieder aus einem ebenfalls selbstgewebten Wollenzeuge, das sie „Warp“ nennen; die Röcke sind kurz und in unzählige Falten gelegt und die Mieder der Jungfrauen mit blanken Flittern benäht. Das wahre Kennzeichen der Mönchguterinnen ist ihr Kopfputz; er besteht aus einer Haube von feiner weißer Leinwand, über welcher eine schwarze, oben kegelförmig zugespitzte [215] Mütze so sitzt, daß nur ein schmaler Streif der Haube hervorsieht. Im Sommer wird über diesem Ungethüm noch der Strohhut getragen. Trotz alledem sagt ein Mönchguter Sprüchwort:
„Twei Ehl Resch un ein Pund Wulle
Gifft eine gaude Paudenhulle.“[2]
Uebrigens wird die Mütze der Verheiratheten mit einem schwarzen Bande über die Nähte besetzt und mit einem schwarzen Seidenbande zugebunden, wogegen das Kinnband der Jungfrauen nur aus Wolle sein darf. Wie die Männer zwei Paar Beinkleider, tragen die Mönchguterinnen zwei Hemden, ein langes ärmelloses und darüber ein kurzes von feinerer Leinwand und mit Aermeln. Als Trauertracht legen sie ein kurzes schwarzes, von der Faltenmenge ganz steifes Mäntelchen um. Trauernde Frauen müssen außerdem noch beim Abendmahl den Kopf in ein großes weißes Trauertuch hüllen. Eine Wittwe darf in ihrem Trauerjahr in der Kirche nicht auf ihrer gewöhnlichen Bank, sondern muß quer gegen dieselbe auf einem kleinen Schemel sitzen. Wahrlich, die Eldenaer Mönche haben hier dauerhafte Arbeit hinterlassen!
Leider fand ich auch den Weg, den ich fürbaß schritt, und später die meisten nicht fürstlich Putbus’schen Wege auf Rügen von gleicher Allerthümlichkeit wie diese Trachten. Ich hatte die sogenannte Straße erreicht, welche von Thissow nach Göhren und Middelhagen heraufführt; sie nahm aber bald die Eigenschaften einer bloßen Radspur an, ein Bild der einfachsten Eindrücke in die liebe Natur. Nach etwa zweistündigem Marsche gelangte ich an Lobbe vorüber, dann auf einer schmalen Erdzunge und schließlich auf einem Steindamme, die beide zwischen dem Lobber See und den Hagen’schen Wiek hinführen, nach Middelhagen.
Es ist sehr freundlich von dem Ort, daß sein erstes Haus rechts das Wirthshaus ist und daß der Reisende hier gleich die hübschen Mönchguterinnen zum Zwecke seiner Dialektstudien in die fröhlichste Unterhaltung ziehen kann. Das hiesige Plattdeutsch klingt aus dem Munde der Männer eben nicht angenehm, weil sie es gar zu arg dehnen; viel lieblicher, kaum wieder zu erkennen, klingt dieselbe Sprache im zungenfertigeren Frauenmund, besonders wenn schöne Augen über ihm zum Unverstandenen den erquickenden Commentar liefern.
Der Mann meines Empfehlungszettelchens war leicht gefunden, und an einem Tische vor dem „Kruge“ sitzend, hatten wir uns bald in unseren Gegenstand, das Leben und die Sitten der Mönchguter, eifrig vertieft.
„Und wie steht’s,“ fragte ich unter Anderem, „mit dem sogenannten ‚Jagen‘ der Mädchen?“
„Auch diese noch bestehende Sitte ist wenigstens falsch gedeutet worden. Allerdings haben Wittwen und Mädchen das Recht, um einen Mann zu werben, aber dies geschieht nur, wenn sie eine Wirthschaft besitzen oder ihnen ein Ackerhof durch Erbschaft zugefallen ist. Eine solche schickt, wenn sie nicht eine besondere Neigung für einen Bestimmten hat, einen befreundeten Mann mit einer Liste ab, auf welcher diejenigen Mannsleute verzeichnet sind, die ihr gefallen. Dann heißt es aber nicht ‚Jagen‘, sondern mit dem richtigen Fischerausdruck: Sie stellt nach Dem und Dem aus. Wenn freilich dieses Ausstellen oft fruchtlos gewesen ist, so mag wohl gesagt werden: Sie jagt das ganze Land durch. Uebrigens gereichen noch so viele derartige ‚Körbe‘ der Ehewerberin keineswegs zum Nachtheil. Aber haben Sie schon von den Eheproben der Mönchguter gehört?“
Ich mußte dies verneinen.
„Das ist der seltsamste aller alten Bräuche, durch welchen mancher unglücklichen Ehe vorgebeugt wurde und der noch jetzt hie und da vorkommt. Wollen sich nämlich zwei junge Leute heirathen, so leben sie erst eine Zeitlang zusammen, um zu prüfen, ob sie auch zu einer zufriedenen Ehe zusammenpassen. Es thut der Ehre keines Theils Eintrag, wenn sie wieder auseinandergehen; schon manches Pärchen hat sogar die Probe wiederholt. Nur wenn die Zusammenlebenden sich folgenreiche Eherechte herausgenommen haben, müssen sie ungesäumt den Bund schließen.“
„Um so seltener,“ fuhr mein Begleiter fort, „waren ehedem Vergehen gegen die Sittlichkeit; die Gefallene sah sich zur entsetzlichsten Strafe nicht blos auf dieser Halbinsel, zur Ausstoßung aus aller Gemeinschaft mit den Einwohnern, verdammt. Noch aus den dreißiger Jahren erzählt man die Geschichte eines von einem Fremden verführten bildschönen Mädchens, das nach kurzer Zeit vor Gram über die öffentliche Schmach gestorben ist. Seitdem jedoch die größtentheils hoch und schlank gewachsenen jungen Mönchguter, trotz ihrer Wasserrattennatur, häufig nach Berlin zur Garde gezogen werden, droht dieser Sittenreinheit manche Gefahr.“
Sehr wohlthätig ist der Anblick der durchschnittlichen Wohlhabenheit. Ackerbau, Fischfang, besonders auf den Häring, und die Lootserei sorgen dafür, daß die etwa fünfzehnhundert Menschen des Mönchguts keine Noth leiden und keine fremde Hülfe brauchen, nicht einmal zum Heirathen, denn sie bleiben auch in dieser Beziehung unter sich. Und lustig ist das Völkchen bei seiner Rastlosigkeit. Das Schäkern der mit Netzestricken oder sonstigen Arbeiten beschäftigten Mädchen mit Alt und Jung erfreute uns fast vor jeder Thür bei unserem späten Abendgang durch den Ort im süßen Ländchen.
Am Morgen holte mein Begleiter, bereits festlich angethan, mich zeitig ab, um mich bei den beiden Familien der Brautleute einzuführen, welche heute ihre Hochzeit feierten. Die Braut war in Middelhagen daheim, der Bräutigam ein Lootse von Lobbe. Wir gingen zuerst in das Brauthaus und nahmen hier die Einladung für das Fest an, dann wanderten wir das halbe Stündchen nach Lobbe hinüber, um auch den Bräutigam und die Seinen zu begrüßen.
Die Sitte schreibt nämlich vor, daß jedes der Brautleute seine Verwandten und Freunde für und zu sich einladet und für sie auch die Kosten des Hochzeitschmauses allein trägt. Beide Theile versammeln sich auch nicht gemeinsam in einem Hause, sondern beginnen das Fest in derselben Geschiedenheit. Ist eines der Brautleute von einer anderen Ortschaft her, so wählt es wohl für sich und seine Gäste das Haus eines Verwandten im Kirchdorf. Die Herrlichkeit selbst beginnt am Nachmittag.
Wir begaben uns in’s Brauthaus. Die herzliche Begrüßung durch die Brauteltern und ein wenig scheues Anstaunen des Fremden von Seiten der Gäste, das war Beides nichts Auffälliges. Erst jetzt sah ich die Braut, ein schönes, stattliches Mädchen, und zwar in ihrem Schmuck. Farbe und Schnitt dieser Kleidung sind wie gewöhnlich, nur kam mir Alles zierlicher vor. Auf dem Haupte trug sie über dem heute nicht unter der dicken Wollmütze versteckten Haar, das vielmehr ganz besonders frisirt, mit Eiweiß geglänzt und aufgesteift war, einen Kranz und darüber eine Krone, beide von Buchsbaum, dessen Blätter stark von Gold- und Silberschaum schimmerten. Eine Guirlande von Buchsbaum und Blumen schmückte ihre schöne Büste wie eine Ehrenkette.
Der Zug setzte sich, ohne Bräutigam, in Bewegung. Als wir auf dem Kirchhofe ankamen, rückte von der anderen Seite der Bräutigamszug herein. Hier erst begrüßten sich die Brautleute, indem der Bräutigam seiner Verlobten die Hand reichte. Und nun nahm die Braut Abschied von ihren Eltern und Freundinnen, und obwohl ihr Schicksal sie nur eine halbe Stunde weit vom Heimathdorf führte, flossen da doch der Thränen so viel, als ging’s direct nach Amerika.
Auch der Bräutigam erschien in der gewöhnlichen Sonntagstracht, nur mit einem Strauß an der Brust und einen großen weißen Halstuch, einem Brautgeschenk, mit dem es eine besondere Bewandtniß hat. Die Zipfel desselben dürfen nur in dem Fall vorne lang herunterhängen, wenn der Bräutigam ein treuer Junggesell geblieben; außerdem müssen sie eingesteckt werden.
Unser Bräutigam ließ sie lang flattern, und es war ein stolzer Blick, den die Braut darauf warf, als sie an seinem Arm in die Kirche und zum Traualtar schritt.
Nach der Trauung führte der junge Ehemann seine junge Gattin, die wir aber noch immer Braut heißen, diesmal die Dorfmusik voran, die Gäste hinterdrein, von denen einige mit bunten Bändern geschmückte Kränze auf hohen Stangen trugen, blumenstreuende Kinder dazwischen und Jubel ringsumher, bis zum sogenannten Warmbierhause, wo er sie entließ, um mit allen männlichen Gästen in’s Bräutigamshaus zurückzukehren, während alle weiblichen hier zurückblieben.
Ob wohl keine Ausnahme mit den Fremden gemacht wird? Ich flüsterte dies meinem Begleiter zu und dieser vermittelte es, daß ich wenigstens die Einleitung dieser weiblichen Separatfeier mit ansehen durfte.
Nachdem man allerseits Platz genommen, überreichte eine [216] Frau der Braut einen Topf mit Warmbier, wozu sie folgenden Vers sprach:
„Gauden Avend, mien’ lewe Jungfer Bruut!
Hier bring ik Dienen warmen Pott.
Darut drink mit dem lewen Gott,
Drink Du mit alle Diene lewe Fründ,
Bet ji ju (ihr euch) im Himmel wedder find’t.“
Und nun begann eine ordentliche Collation von Warmbier, in welchem reichlich große Rosinen schwammen. – Nicht gelüstig nach diesen Süßigkeiten, eilten wir zu der Männergesellschaft im Bräutigamshaus. Hier sprach man dem frischen Wolgaster tapfer zu, denn dieses Bier zieht man für solche Festlichkeiten vor, während den gewöhnlichen Trank der Mönchguter sich selbst braut und sogar den Hopfen dazu selbst baut. Außer dem Bräutigam zeichneten sich hier der Hochzeitbitter und der Schenker (Mundschenk) ebenfalls durch weiße Tücher aus. Ein dritter, der Troß (Truchses), der die Speisen aufzutragen hatte, bekam später seinen Schmuck.
Es ging schon auf den Abend zu, als der Schenker mit einer Kanne Bier und einer Pistole bewaffnet aufbrach. Wir folgten ihm – zum Warmbierhause. Dort schoß er seine Pistole los, schritt dann zur Frauengesellschaft und hielt, die Kanne zum Rundtrunk darbietend, folgende Anrede:
„Na gauden Avend! Hier
Bring ick ene Kanne Bier.
As de Topper (Zapfer) toppt hett,
As de Schenker gaaten (gegossen) hett,
Nich vörm (für den) Hunger,
Nich vörm Kummer,
Gaud vörm Döst (Durst),
Gaud vörm Frost;
Ut schall’t sien! (aus soll es sein.)“
Gewissenhaft ward die Kanne geleert, sämmtliche Frauen folgten nun dem Schenker in das eigentliche Hochzeitshaus, wo man sich endlich zum richtigen Hochzeitsschmaus niedersetzte. Und als nun der Troß das erste Gericht, eine mächtige Kumme Reis auf die Tafel setzte, da band die Braut auch ihm ein großes weißes Tuch um den Arm. Alles andere, Essen, Trinken, Tanzen und Ende, verlief wie bei allen anderen Kindern dieser Welt, so daß ich stillen Abschied nahm, ohne letzteres abzuwarten.
So hatte ich denn an den beiden Tagen nur Licht, nur hellen
Himmel über frohen Gesichtern gesehen. Es wird auch nicht an
Schatten und schwarzen Tagen des Leids fehlen – und sollten
nur die Kreuze auf den Gräbern dafür zeugen. Alles zusammengenommen:
ein glücklicher, guter, kerniger Menschenschlag wohnt
auf Mönchgut, und wer einmal dort war, sehnt sich gewiß dahin
zurück. H. v. C.