Land und Leute/Nr. 16. Aus der Sommerfrische im bairischen Hochland

Textdaten
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Autor: Ludwig Steub
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Titel: Aus der Sommerfrische im bairischen Hochland
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 644–647
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Reisebericht aus der Artikelserie Land und Leute, Nr. 16
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Land und Leute.
Nr. 16. Aus der Sommerfrische im bairischen Hochlande.
Von Ludwig Steub.

Vom mächtigen Inn, von der Thierseer Ache, von der friedlichen Leitzach eingefangen, dehnt sich im südlichen Baiern ein Alpenstock aus, den ein behaglicher Wanderer in vier Tagen kaum umgehen möchte. Dieser Alpenstock ist reich an Waldungen und an offenen Triften. Die Sennhütten sind kaum abzuzählen und die Zahl der Rinder ist Legion. Wo du gehst und stehst, begleitet dich das Geläute der Almenglocken, die melodisch hinschallen über Berg und Thal. Die Pfade ziehen entweder in leichter Steigung am rauschenden Bache empor und sind dann meist steinig, von Felswänden überragt, von Ahorn und Buchen beschattet, oder sie gehen über sonnige Weiden, die sich oft ganz sanft und glatt dahinlegen, reich geschmückt mit schönster Alpenflora und umgeben von dunklem Hochwalde – mitunter so still und einsam, so feierlich, als wehte noch der Geist der alten germanischen Waldheiligthümer über sie hin. Dieses Zusammenspiel aller Elemente schöner Gebirgslandschaft bringt oft wundervolle Wirkungen hervor, zumal da sich mitunter gar herrliche Blicke in andre Bergketten hinüber oder in die Ebene hinaus aufthun. Obgleich diese Alpenlandschaft meistentheils mild ist, die Wege selten beschwerlich, die Schauer der Gletscherwelt gar nicht vorhanden sind, so zeigen sich doch einige Ungethüme, die daselbst auffahren und welche, obwohl rauh und wild, doch sich zu großer Beliebtheit emporgeschwungen haben. Es sind dies z. B. der vielbesungene Wendelstein, der die Gegend von Aibling und von Rosenheim beherrscht und sehr oft bestiegen wird; der Brinnstein in der Audorfer Gegend, der allmählich mehr und mehr Besuch erhält und von Vielen, was den Glanz der Aussicht betrifft, dem Wendelsteine vorgezogen wird, so wie noch andere minder erhebliche Häupter.

In diesem Hochlande liegt weder Flecken noch Dorf, auch kaum eine Kirche, sondern nur hin und wieder eine kleine Bergkapelle, aber an seinem Rande finden sich viele schöne und wohlhabende Ortschaften. An der Abendseite z. B. liegt das idyllische Baierisch-Zell, wo in alten Zeiten ein kleines Kloster, das die Wildniß zu bezwingen gegründet, später aber nach Scheiern verlegt wurde; Fischbachau in dem stillen Thal der Leitzach, gleichfalls eine Stelle alter Andacht, mit der weitbekannten Wallfahrt am Biebenstein, ein kleiner, aber schön gelegener Ort, wo viele Jahre lang der gute alte Förster eine fröhliche Gastfreundschaft übte und das Einerl seine wunderschönen Almenlieder sang.

Viel lebendiger, als diese geräuschlosen Thäler, sind im Sommer die Dörfer, welche am Fuße des besagten Bergstocks, dem Inn entlang liegen. Die Eisenbahn, die an ihnen vorüber nach Innsbruck zieht, trägt zu dem regeren Verkehre mächtig bei. Ueberdies winken verschiedene Reize, die nicht gerade ganz von der Landschaft abhängen. Gern fliegt der Baier, der etwa zu Rosenheim oder Aibling Haus hält, auf einen Nachmittag in’s Tirol hinein, um sich zu Kufstein oder in der nahegelegenen Klause einmal eine gute Stunde beim tiroler Wein zu spendiren – gern schließt sich der Sommerfrischgast, der von München gekommen, dem heitern Unternehmen an. Auch die Verpflegung in den tirolischen Grenzorten wird sehr gerühmt, und man trifft Manchen an, der die schönen Forellen, die leckern Spielhähne und den edlen Gemsenbraten, so er dort genossen, nicht mehr vergessen kann. Für Andere liegt eine mächtige Anziehung in den Bauertheatern, welche hier am Grenzsaume Baierns und Tirols von beiden Nationen mit gleicher Vorliebe betrieben werden. Nicht mit Unrecht giebt man jenem von Kiefersfelden in Baiern den Vorzug, sowohl was Talent der Spielenden als Glanz der Ausstattung betrifft. Aber auch die tirolischen Dörfer Niederndorf und Erl wetteiferten heuer rühmlich mit ihren stammverwandten Nebenbuhlern. Es ist bekannt, daß die Stücke alle in den Ritterzeiten spielen müssen und daß sie von den Bauern selbst verfertigt werden. Einen großen Namen als Theaterdichter hatte der Kohlenbrenner Joseph Schmalz, der vor dreißig Jahren gestorben ist und viele dramatische Arbeiten hinterlassen hat. Seine Schule scheint noch immer fortzublühen, obgleich es uns schwer fiele, einen seiner Nachfolger namhaft zu machen. Gewöhnlich wird nur im Sommer gespielt und nur an Sonn- oder Feiertagen. Man giebt dann ein und dasselbe Stück vom Mai an bis Johannis und läßt hierauf ein zweites folgen, welches wiederholt wird bis zum Ende der Saison. So gab man während des letzten Sommers im tirolischen Niederndorf anfangs: „Die Grafen von Hohenstein, oder: Die Sclaven in Aegypten“; nach diesem aber: „Graf Ubald von Treuenstein, oder: Der Rächer am Todtensarge“, jedes ein „Ritterschauspiel in fünf Acten mit

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Die Fronleichnamsprocession in Brannenburg.
Nach der Natur gezeichnet von Theodor Pixis.

[646] Gesang und Musik“. Die Theaterzettel der Bühne zu Niederndorf sind noch in alter Weise geschrieben und zwar mit all den orthographischen Kennzeichen einer ländlichen Feder; die strebsamen Histrionen von Erl dagegen ließen sich die ihrigen auf gelbes Papier nicht unzierlich drucken. Darauf ist zu lesen, daß sich die Theatergesellschaft entschlossen habe, heuer aufzuführen: „Mangolf von Rottenburg, oder: Der Kampf um Mitternacht. Ein großes Ritterschauspiel mit Geister- und Schlachtenvorstellungen, auch Musik und Gesang in fünf Aufzügen.“ Der Anfang war auf zwei Uhr Nachmittag festgesetzt; die Dauer auf vierthalb Stunden.

Auch historische Merkwürdigkeiten sind hier viele zu finden, aus der Römerzeit und aus dem Mittelalter. Ein gar wunderbares Oertlein ist das alte Neubeuern, ein räthselhafter Flecken. Es liegt auf der rechten Seite des Inns, fast außerhalb des Verkehrs der Menschenwelt, denn die Landstraße nach Tirol zieht sich auf der linken Seite dem Strom entlang und die junge Eisenbahn befolgt dieselbe Richtung. Früherhin gingen oft Jahre vorüber, ehe den einsamen Bewohnern ein fremdes Menschengesicht entgegentrat, wenn es nicht etwa ein wandernder Scheerenschleifer oder ein versprengter Handwerksbursche gewesen. Jetzt treibt der mächtige Trieb der Sommerfrischler, sich gegenseitig auszuweichen, wohl auch hin und wieder einen Culturmenschen in das öde Nest.

Der alten Veste Neubeuern gegenüber, am linken lebendigen Ufer des Stroms, erhebt sich das alte Schloß von Brannenburg und das gleichnamige Dorf. Ersteres, das schon mancherlei Herren gesehen, ging vor etwa zwanzig Jahren durch Kauf an den italienische Marchese Pallavicini über, der sich hier so sehr gefiel, daß er eine glänzende Erneuerung der alten Burg zu unternehmen beschloß und diese auch fast zum Ziele führte, bis allerlei Verdrießlichkeiten mit den Eingeborenen ihm den Besitz verleideten, so daß er ihn jüngst an eine württembergische Gesellschaft veräußerte, welche eine wissenschaftliche Ausbeutung der schönen dazu gehörigen Wälder vorhaben soll – eine Absicht, die nicht Jedermann zu Gefallen ist, am wenigsten den Malern, denen jetzt oft der Gegenstand ihrer Baumstudien fast unter dem Pinsel weggehauen wird.

Dieses Brannenburg genießt schon seit Jahrzehnten den Ruf einer besonderen Annehmlichkeit. Die sanfte Erhebung, auf welcher es erbaut ist, gewährt den meisten der zierlichen Häuser eine malerische Lage, die schönen dichtbelaubten Baumgruppen verleihen dem Orte im Sommer lieblichen Schatten, und die mancherlei Ausflüge, die sich von hier aus unternehmen lassen, erheitern das Leben der Sommerfrischler. Auch ein Wirthshaus steht in dem Dorfe, das von langen Jahren her als gut und wohlfeil bekannt ist und deshalb schon viele berühmte und unberühmte Leute unter seinem Dache gesehen hat. Vor allen haben die Münchner Maler daselbst, wie früher auf Frauenchiemsee, gleichsam eine Gerechtigkeit, das gastliche Haus als ihr eigenes zu betrachten und darin ihr fröhliches Wesen zu treiben nach Herzenslust. Davon werden wir erst am Schlusse noch Einiges erzählen dürfen.

In diesem Dorfe ging nun eine gar lebhafte und malerische Scene vor, gerad’ als wir heuer dort einrückten, dieselbe Scene, welche die kunstreiche Hand des Herrn Theodor Pixis für die Gartenlaube gezeichnet hat. Es war eben Fronleichnamstag und wir kamen just recht, die große Procession an uns vorübergehen zu sehen, bekanntlich die höchst gefeierte der katholischen Christenheit. Sie fällt immer auf den Donnerstag nach dem Dreifaltigkeitssonntag, entweder in die letzte Hälfte des Mai oder in die erste des Juni, also in die Zeit, wo das Jahr am schönsten ist. Am Vorabend schon eilt die Jugend des Dorfes in die üppigen Fluren hinaus und pflückt die Blumen des Frühlings, um sie auf den Pfad zu streuen, den das „hochwürdige Gut“ in der Hand des frommen Kirchenhirten dahinwandeln wird. Auch der Birkenwald muß seine jungen Sprossen hergeben, um das hohe Fest zu schmücken. Mit den laubigen, wehenden Bäumen werden die Wände der Pfarrkirche und die Häuser verziert, an welchen der Zug vorübergeht. Auf dem Lande ziehen diese Processionen durch Feld und Wald, über Berg und Thal auf längst bestimmten Steigen, über welche schon die Processionen der Urväter geschritten. Von Alters her sind denn auch in jeder Gemeinde vier Orte ausgezeichnet, wo die wandernde Andacht sich zur Ruhe setzt und etwas auspustet. Solche Orte nennt man Evangelien, und es werden dieselben an diesem Tage mit tragbaren Feldaltären zum Gottesdienste zierlich zugerichtet. Meist ist es eine alte Linde oder ein anderer ehrwürdiger Baum, in dessen Schatten das Evangelium celebrirt wird. Das Gewicht der Sache liegt aber darin, daß der Herr Pfarrer, in seinem schönsten Ornate, nachdem sich der Zug gestellt hat und das Volk auf den Knieen liegt, vom Feldaltare herab ein Stück aus dem Evangelium, z. B. den Stammbaum Jesu Christi, singend vorträgt. Alles lauscht den feierlichen lateinischen Klängen, und wenn sie zu Ende, ertönen die Böller, die Blechmusik fällt ein, die Rauchfässer hauchen ihre wohlriechenden Dämpfe aus. Der Gebirgsschützenhauptmann, dessen Compagnie heute in höchster Gala ausgerückt, läßt sein kriegerisches Commando erschallen, und so wallt der lange Zug dahin bis zum nächsten Evangelium und zwar immer mit lautem, wenn auch gedankenlosem Gebete und mit hellem Gesange der Schuljugend und der ländlichen Bassisten, die der Lehrer im Hymnenvortrag eingeübt.

Hoch darüber wehen im Winde die Kirchenfahnen, kleine, meist rothe Wimpel an himmelhohen bemalten Stangen, welche zu tragen, wenn die Luft nur etwas bewegt, eine wahre Herculesarbeit für die rüstigsten Leute der Gemeinde ist. In vielen Dörfern besteht auch unter dem Vorsitz des Kaplans ein Jungfernbund, dessen Gelübde aber für die Genossinnen nicht sehr drückend sind. Es versteht sich von selbst, daß an solchen Tagen auch der Jungfernbund in die Erscheinung tritt und zwar in seiner ganzen Lieblichkeit. Die Mädchen tragen dann im blonden Haare duftende Blumenkränze und sind sämmtlich in die Farbe der Unschuld gekleidet. Sie gehen paarweise mit gesenkten Augen, etwa einen Lilienstengel in der Hand, vor dem hochwürdigen Gute einher. Den kräftigsten unter diesen Jungfrauen wird auch die Ehre zu Theil, die Heiligenbilder zu tragen.

Auf jedem Altar in der Kirche – es sind deren gewöhnlich drei – steht nämlich Jahr aus Jahr ein ein hölzernes Bild, welches an solchen Tagen herabgenommen, auf eine Tragbahre gesetzt und so den zarten Schultern der weiblichen Jugend überantwortet wird. Am herrlichsten prangen die Bilder der Gottesmutter, welche in ihrer prächtigsten Feiertagstoilette, mit Seidendamast in Goldbrocat geputzt, über den Häuptern der tragenden Mädchen majestätisch einherschwebt.

Alles dieses aber, was wir bisher beschrieben, zusammengefaßt, ergiebt eine Augenweide, deren Reiz sich selbst der eingefleischteste Ketzer nicht entziehen kann; viel eher wird er zugestehen, daß eine solche Procession für eine Alpenlandschaft die farbigste Staffage ist, die sich erdenken läßt.

Es war ein prächtiges Bild, das sich uns bot. Vor uns zunächst der Kirchthurm und die Vorhalle des Gotteshauses, diesen gegenüber aber die Fenster und die hohen Mauern des Schlosses. In der Ferne glänzt der Inn und über diesem erhebt sich als eine Veste aus dem Mittelalter das Schloß von Neubeuern und der weithin gesehene Römerthurm. Aus der Dorfkirche tritt soeben unter dem Baldachin der ehrenwerthe Herr Pfarrer, im goldenen Rauchmantel, der das hochwürdige Gut, eine goldene Monstranz mit der heiligen Hostie, weihevoll in beiden Händen hält. Vor ihm geht ein andrer Diener der Kirche, der ein Crucifix trägt. Um ihn herum reihen sich die sittsamsten Knaben des Dorfes, heute im weißen Chorhemde, wohl geübt, das Rauchfaß zu schwingen, die Klingel zu schellen und lateinisch zu ministriren. Das Publicum ist, mit einer später zu besprechenden Ausnahme, nur ein andächtiges. Doch sind die Männlein und die Weiblein, die hier betend umherstehen und auf die Kniee gesunken, meist herzugewandertes, mitunter auch fremdes Volk; denn die Eingebornen erscheinen an solchen Tagen möglichst vollzählig unter den Bittgängern, um dadurch die Länge und die Pracht des Aufzugs zu vermehren. Der würdige Landmann, der dort oben mit gebeugtem Haupte seiner Andacht pflegt, ist also sicherlich ein Bergbauer, der seinen entlegenen Hof in der Höhe am dämmernden Morgen verlassen hat und voll hausväterlichen Pflichtgefühls bald wieder zu seinen Kleinen zurückkehren will, obgleich es sich öfter ereignet, daß er vor der offenen Thür des Wirthshauses seine guten Vorsätze wieder vergißt und der harrenden Gattin erst am späten Abend in rosigster Sonntagslaune in die Arme sinkt. Der erwachsene Sohn, der zu seiner Seite steht, bleibt vielleicht noch etwas länger an jenem freudenreichen Orte, dem er der großen Entfernung halber nur so selten seine Aufmerksamkeit bezeigen kann; leicht möglich, daß er nicht [647] mehr ganz unbehelligt herauskommt, denn da sich die Gegensätze bekanntlich gern berühren, so hat man schon oft die Erfahrung gemacht, daß die Jugend am Abend desto rauflustiger ist, je andächtiger sie am Morgen gewesen. Von der jungfräulichen Tochter, die in seidenem Kopftuche hinter Beiden steht, wollen wir nur das Beste denken. Wenn sie diesem Gedanken entspricht, so trinkt sie vielleicht nur ein frisches Seidel und geht dann rüstig voraus, um die Mutter bei Zeiten zu verständigen, daß ihre Lieben noch im Wirthshaus sitzen.

Die andern schönen Beterinnen sind ebenfalls von der Alm herabgekommen, verrichten ihr Gebet für sich und mischen sich nicht unter die Gemeinde. Wahrscheinlich sind auch etliche Tirolerinnen darunter, die dem bessern Verdienste nach in das menschenarme, aber sattsam nährende Baierland gezogen, um da als christliche Dienstboten ihre Laufbahn zu eröffnen, die sich mitunter durch eine fröhliche Hochzeit abschließt. Die zierliche Gestalt, welche zur Seite kniet, mit dem Spitzhut, der mit goldenen Schnüren umzogen ist, und dem reichen Haargeflechte, ist, wir kennen sie wohl, das liebliche Walperl, des früheren Wirthes Töchterlein, welches von Manchen, außer den Reizen der Landschaft, auch für einen kleinen Magnet der Brannenburger Gegend angesehen wird. Sie ist zwar nicht von der Alm gekommen, hat sich aber wohl sonst ein wenig verspätet und giebt sich jetzt keine Mühe mehr, sich in die Procession zu drängen. Die beiden Mädchen auf der andern Seite scheinen dagegen wieder Sennerinnen zu sein, ein derber, gutmüthiger, mitunter etwas leichtfertiger Schlag, der zu Gesang und Tanz und Liebe fast noch mehr aufgelegt ist, als zum Beten, Fasten und Almosengeben.

Nicht fern von dieser, doch geschieden durch eine trennende Wand von blühenden Büschen und dadurch gleichsam als ein Wesen aus anderen Sphären charakterisirt, lauert Freund Maler, in seinem leichten Reise-Costum ein sehr glücklicher Gegensatz zu dem Bäuerlein, das in seinem zopfigen Feiertagsrock auf der anderen Seite steht. Des Malers Ausdruck hat etwas Herrschendes und Imponirendes, womit wir nicht sagen wollen, daß er für sanftere Gefühle ganz unempfänglich wäre. Seine Augen sind dem schönen Walperl zugewendet, ob auch sein Herz es ist, das müssen wir im Zweifel lassen. Seinen Bleistift führt er mit nerviger Hand, der, wie es scheint, nur kräftige Gestalten entquellen können. Wir würden gern einen Blick in sein Album werfen, wenn es erlaubt wäre, ihn jetzt zu stören. Wir würden gewiß nur Schönes darin finden. Hut, Gesicht und der Bart dazu bezeichnen deutlich eine unabhängige, geniale Richtung auf politischem, wie auf artistischein Felde. Sicherlich noch Großes dürfen wir von ihm erwarten. (Um allen Mißverständnissen vorzubeugen, müssen wir gleichwohl urkundlich machen, daß der hier dargestellte Kunstjünger mit dem Zeichner des Bildes nicht zusammenfällt.)

Brannenburgs städtische Insassen, die in schönen Sommern sehr zahlreich sind, theilt man nach dortigem Schema in Maler und Luftschnapper. Letztere sind solche, welche, etwa der Kanzlei oder dem Comptoir entflohen, sich lediglich in den gesunden Lüften des Hochlands gütlich thun und an dem lustigen Leben der Maler freundlich Theil nehmen wollen. Misanthropischen Leuten ist der Aufenthalt im hiesigen Orte mit nichten zu empfehlen, denn die Landschafter und die Historiker treiben hier gar arge Narretheien und führen mitunter einen so absonderlichen Lärm auf, daß der traurige Griesgram in seinem einsamen Bettlein vor Mitternacht oft kein Auge zudrücken kann. Besser also, wenn er mit oder ohne Entsagung seinen Weltschmerz vergißt und bei ihren heiteren Spielen selber eine entsprechende Rolle übernimmt. Hier giebt’s gesellige Scherze, Mummereien, Maskeraden aller Art. Nicht leicht kommt ein einigermaßen bedeutendes Licht aus der Künstler- oder sonstigen Welt in’s Dorf, es würde denn in allegorischer Weise und mit Gedichten, Gesang und Trinksprüchen empfangen. Kommt es aus Berlin, so tritt eine schöne Frau als Borussia angethan vor ihn hin und übergiebt ihn weinend, aber mit Segenssprüchen ihrer entlegenen Schwester Bavaria. Zieht die Berühmtheit wieder ab, so tritt Frau Bavaria auf und händigt sie mit bittern Abschiedsthränen ihrer Schwester Borussia aus oder, wenn sie nach Rom abreist, ihrer geliebten Freundin Italia, welche sie wohl Acht auf ihn zu haben bittet. Bei schlechtem Wetter und wenn die Abende länger werden, bietet der Tanzplatz im Wirthshause Raum zu allerlei Lustbarkeiten. Heute ist maskirtes Caroussel, morgen Circus, wobei die gewandtesten Reitkünstler, als Monsieur Renz oder Monsieur Carré verkleidet, auf einem hölzernen Pegasus die halsbrechendsten Wagstücke vollziehen. Zum Lohne für die Wackeren fängt dann der Wirth auf seiner Geige zu spielen an – „bis knisternd strömt Feuer um Saiten und Hand“ – und sofort fällt auch ein benachbartes Clavier ein, und der entzückte Hörer fühlt sich plötzlich von den Schwingungen einer ländlichen Tanzmusik getragen und gehoben, welche bald Alles ihrem Zauber unterthänig macht.

Es versteht sich, daß an schönen Tagen namentlich die Luftschnapper aus dem Dorfe ziehen, um in der herrlichen Umgebung Ausflüge zu unternehmen oder die winkenden Berghäupter zu erklimmen. Wohin diese Züge gehen, das wollen wir nicht weiter ausführen. Einige Orte haben wir schon berührt – alle können wir nicht erwähnen. Nur damit er nicht geflissentlich vergessen scheine, wollen wir noch des nahen Petersbergs gedenken, einer waldigen Felsenspitze, auf welcher ein uraltes Münsterlein und ein Priesterhaus stehen, wo man gut erquickt wird und viele Meilen weit in’s Land hinausschaut. Auch zum „Tatzebauern“ am Audorfer Berg sind’s nur dritthalb Stunden, und es führt ein sehr angenehmer Pfad dahin, bald sanft ansteigend im Waldschatten, bald über die friedliche Einsamkeit der grünen Triften. Unter dem Schild des Tatzebauern haust der alte Schweinsteiger, ein demüthiger Freund der deutschen Wissenschaft und ihrer Pfleger, sonst licenzirter Bierschenk und Hofbesitzer, dessen seltsame Schicksale schon Manchen, der nicht an alle Möglichkeiten gewöhnt ist, überrascht haben sollen. Ihm zuerst in der ganzen Nation kam einst der Gedanke, ob man sich nicht ein Verdienst erwerben könnte, wenn man müde Wanderer und Pilger auf einem vielbetretenen Bergwege mit Speise und Trank ergötzte. Dieser Gedanke, der in der Schweiz schon etliche tausend Mal durchgeführt ist, kam aber unsern Leuten so in die Quere, daß sie dem kühnen Denker einen Schabernack nach dem andern spielten und ihm allmählich fast das Leben verleideten. Indessen haben sich jetzt die Gebildeten durch ganz Deutschland im Geiste um den wackern Dulder geschaart, und sein herrlich gelegenes Häuslein ist stets besetzt von wandernden Gelehrten, Dichtern und andern Edlen, die sehr gern an seinem Rheinwein nippen und seinen Amsbacher Schinken anerkennend zusprechen. Das Fremdenbuch, das er aufgelegt, weist schon manchen namhaften Pilger auf und darf vielleicht in kurzer Zeit selbst kulturhistorische Wichtigkeit in Anspruch nehmen.

Wenn sich nun früh am Tage die guten Gesellen zu Brannenburg nisten, und mit den Frauen und Jungfrauen, mit dem Alpenstock in der Hand und dem reichgefüllten Proviantranzen auf dem Rücken, sich vor der Herberge sammeln, dann ist ein schwerer Moment für den jungen Maler gekommen, der voll der besten Vorsätze so eben aufgestanden ist und mit seinem Malkasten und seinem ungeheuren Parapluie z. B. auf die Schwarzlack emporsteigen will, um dort die interessanten Waldstudien abzuschließen, die während der letzten Regentage so schmerzlich liegen geblieben. Wenn nämlich der Maler im Vorbeigehen stehen bleibt und die fröhlichen Luftschnapper betrachtet und die heiteren Frauen und die lachenden, schäkernden Fräulein, und wie sie sich alle auf die hohen Astenhöfe freuen oder auf den Riesenkopf mit seiner unermeßlichen Aussicht, dann wird ihm wind und weh um’s Herz und es beginnt ein Seelenkampf, zwar von der peinlichsten Art, der aber doch gewöhnlich einen guten Ausgang nimmt. „Ach ja,“ pflegt dann der Jüngling mit seinen guten Vorsätzen zu lispeln, „die schönen Tage sind so selten hier zu Lande, und Wälder finden sich wohl immer wieder“ – und wenn er dieses einige Male leise gelispelt, überreicht er Malkasten und Parapluie der Kellnerin zum Aufheben, bis er wieder komme, und dann giebt er der Gesellschaft erröthend zu erkennen, daß er sich auch ein bischen anschließen werde, worauf ihn dann diese Beifall klatschend als ihren Genossen aufnimmt. Und so lassen wir sie denn ziehen im Frieden und freuen uns, wenn sie am Abend jubelnd über den wonnigen Tag vom Berg herunter wieder heimkehren.