Textdaten
<<< >>>
Autor: Friedrich Gerstäcker
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Lügen im Handel und Wandel
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 320
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Blätter und Blüthen
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[320] Lügen im Handel und Wandel. Wenn ich in Deutschland in einen Laden gehe und irgend einen Gegenstand kaufen will, so kann ich mich auch fest darauf verlassen, daß ich nichts finde, was – entweder der aufgedruckten Etikette, dem Stempel oder der Versicherung des Verkäufers nach – in Deutschland selber fabricirt ist. Merkwürdiger Weise kommt Alles von London oder Paris, und darnach sollte es fast scheinen, als ob in Deutschland gar keine oder nur eine ganz untergeordnete Industrie bestände, so daß die Leute wirklich genöthigt wären, ihren Bedarf von auswärts zu beziehen.

Es sind aber lauter Lügen, mit denen alberne Käufer geblendet werden sollen, weil sie nun einmal in echt deutscher Gemüthlichkeit nichts für gut und brauchbar halten, wenn es nicht wirklich importirt ist, oder wenigstens so heißt. Oft steckt allerdings nur hinter der Fälschung fremder Stempel und Adressen der gemeinste Betrug und Pfälzer Cigarren tragen nicht frecher eine Havanna-Etikette an der Stirn und lassen sich in Schilfblatt einrollen oder an der Spitze mit Goldschaum umkleben, wie Magdeburger Rothwein den damit Betrogenen unter dem Namen von Medoc und St. Julien vergiftet.

Weit in den meisten Fällen sind aber unsere deutschen Waaren gut und tüchtig und können sich getrost jedem ausländischen Fabrikat an die Seite stellen, ja übertreffen es nicht selten an sorgfältiger Arbeit und Güte des Materials: so die Solinger Stahl-, die Offenbacher Lederwaaren und unzählige andere. Und weshalb da die falschen Etiketten? Wir fabriciren in Deutschland so gute Seifen und Parfümerien, wie nur je ein Pariser Fabrikant geliefert hat, so feine Hüte, so treffliche Waffen, so gute Tuche und tausend andere Dinge, weshalb da so oft der falsche ausländische Name darauf, nur um der Unwissenheit einzelner Käufer zu schmeicheln? Viele sagen wohl: „Ja, der und der Gegenstand hat einmal einen Ruf unter der und der Firma, und wenn wir den Stempel nicht darauf drücken, setzen wir nichts davon ab.“

Wodurch hat er aber diesen Ruf bekommen? Wodurch ist er so allgemein bekannt geworden? Dadurch, daß der französische oder englische Fabrikant auf jedes seiner Fabrikate nicht allein den eigenen Stempel setzen, nein, sogar in Deutschland Massen von guten Waaren mit demselben anfertigen ließ und seinen eigenen Namen dadurch an alle Handelsplätze, in alle Welttheile trug. So gehen Revolver und andere Waffen mit englischem Stempel von Mehlis nach London und werden dort als englisches Fabrikat theuer bezahlt. So ging ein Auftrag der argentinischen Regierung für eine in Solingen gefertigte und mit englischem Stempel versehene Klinge nach England. So werden deutsche Nähnadeln unter englischer Etikette nach Frankreich und Amerika geschickt und Niemand verlangt nachher dort nach deutschen Nähnadeln, weil die englischen so gut befunden wurden. Die deutschen Fabrikate können mit allen ausländischen concurriren, aber sie werden und müssen diesen so lange nachgesetzt werden, bis deutsche Fabrikanten nicht selber so weit zur Vernunft kommen, auch ihre eigene Firma zu verbreiten, ja, jeden Auftrag zurückweisen, der sie dazu nöthigen soll, auf ihre Kosten den Ruf einer fremden Fabrik zu gründen.

Die Amerikaner verstehen gewiß, wie kaum eine andere Nation, ihr eigenes Interesse, aber keinem von ihnen würde es einfallen eine fremde Firma zu benutzen, und das wahrlich nicht aus Gewissenhaftigkeit. Nein, weil jeder weiß, daß er sich selber Schaden damit thut, denn je bekannter der Name eines guten Fabrikanten wird, auf desto größeren Absatz darf er mit Sicherheit rechnen. Wie aber kann er bekannt werden, wenn er sich immer hinter Anderen versteckt? Aber es ist nicht allein der materielle Schaden, den sich der Deutsche dadurch im Ausland und daheim zufügt; es ist auch der moralische Nachtheil, den es ihm in seinem eigenen Kreise bringt.

Ich spreche hier nicht von den gemeinen Fälschern wirklich guter ausländischer Fabrikate; das sind Diebe und Betrüger wie andere auch, nur daß ihnen die Gerichte nicht so leicht beikommen können; ich spreche hier vorzugsweise von denen, die nur, um ihrem sonst wirklich guten Erzeugniß in den Augen des Käufers – vielleicht auch in ihren eigenen – einen höheren Werth zu verleihen, falsche Etiketten und Stempel gebrauchen. Sie bedenken dabei nicht, daß sie sich vor ihren eigenen Leuten und Arbeitern, denen das doch kein Geheimniß bleiben kann, verächtlich machen, ja sie sanctioniren den Betrug in Kreisen, von denen sie selber Ehrlichkeit und Wahrheit verlangen, und das geht auf den Einzeln-Verkäufer über. Der Commis wie der Lehrling, der recht gut die Quelle kennt, aus welcher das falsch etikettirte Stück stammt, muß wegen jedes einzelnen, wegen des Verkaufs eines Artikels, an dem vielleicht wenige Groschen verdient werden, lügen, und zwar lügen vor dem ganzen Personal, und da ist es nicht zu verwundern, daß eben dieses Lügen und Hintergehen dann weiter reißt.

Besonders im sogenannten Kleinhandel hat es denn auch leider in Deutschland schon fast überhand genommen, und man bekommt bei zahllosen Materialisten z. B. fast keine Waare mehr, die möglicher Weise gefälscht werden kann und nicht gefälscht ist. Die jungen Leute sollen dabei ehrlich sein und ihren Principal um keinen Pfennig betrügen, aber täglich und stündlich im Interesse desselben und unter seinen Augen die Käufer hintergehen. Dadurch verlieren sie aber nicht allein die Achtung vor ihrem Lehrherrn – das wäre das Wenigste, denn er hat sie nicht verdient – nein, sie werden auch leider in nur zu vielen Fällen selber demoralisirt. Gründen sie einmal ihr eigenes Geschäft, so setzen sie das früher Gelernte auch auf eigene Hand fort und haben sich für die Entschuldigung solchen Betrugs schon ein eigenes Wort erfunden: „kleine Vortheile“.

Wir ändern freilich die Welt nicht, und solche eingefressene Schäden sind schwer zu beseitigen; aber es ist doch vielleicht nicht ganz zwecklos, allen denen, welche im Großen oder Kleinen betrügen, einen Spiegel vorzuhalten. Vielleicht schämen sie sich dann doch vor ihren eigenen Leuten, wenn auch nicht vor sich selber, und unterlassen es entweder, oder vergiften wenigstens nicht das Herz ihrer Lehrlinge durch ihr schlechtes Beispiel.

Friedr. Gerstäcker.