Kurfürst Moritz und die Musik

Goethe in Dresden Kurfürst Moritz und die Musik (1892) von Reinhard Rade
Erschienen in: Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896)
Zeitgenössische Aufzeichnungen über die Einführung der Reformation in Dresden
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Kurfürst Moritz und die Musik.
von
Gymnasialoberlehrer Dr. Reinhard Rade.


Eine so bedeutende Persönlichkeit wie diejenige des Kurfürsten Moritz mußte auf die Künste einen nachhaltigen Einfluß ausüben. Die Musik insbesondere verdankt ihm viel und hat hinwieder durch ihre besten Vertreter ihm dafür den Dank erstattet.

Moritz selbst war freilich unmusikalisch. Er hielt zwar viel auf gutes Orgelspiel und versah den geschickten Organisten bei St. Thomä in Leipzig mit manchen Aufträgen. Der Amtmann zu Leipzig sollte ein Positiv aus der Pforta (Schulpforta) durch jenen Meister wieder einrichten lassen. (Befehl von 1542.) Aber Künstler war Moritz nicht. Gleichwohl muß er ein feines Verständniß für Musik gehabt haben und gutem Gesange insbesondere sehr gewogen gewesen sein; denn unter ihm ward bekanntlich die sächsische Kantorei ins Leben gerufen. Am 22. September 1548, am Tage des heiligen Mauricius, schrieb Moritz die denkwürdigen Worte: „Vonn Gottes Gnaden, Wir Moritz, Hertzogk zu Sachsen, des heil. Röm. Reichs Erzmarschall und Churfürst, bekennen und thun kundt hiermit öffentlich, daß wir künftigk an unserm Hofe eine Kantorei zu halten gedacht, und aber diejenigen, So wir dazu brauchen werden, wissen mögten, wie wir dieselben mit Besoldunge und anderem halten wolleten und wie sie sich hinwieder verhalten sollen, So haben wir solches alles in eine schrift stellen lassen und wollen ernstlich, daß solcher unserer Ordnunge an allen denjenigen, so sie angehet, unverwegerlich nachgesatzt werde.“ (Vgl. M. Fürstenau: Beiträge zur Geschichte der Sächs. Kapelle. 1849. S. 9, wo übrigens die Urkunden durch häßliche Lesefehler entstellt sind.)

Mit diesem Erlaß trat Dresden in eine Reihe mit Städten wie Rom, München, Prag, rückte Moritz in eine Linie mit seinem großen politischen Gegner Karl, der auch in seiner nächsten Umgebung der Kunst huldigte und eine auserlesene Schaar bester Sänger in steter Begleitung mit sich führte. Somit wurde Dresden zu einem Brennpunkte musikgeschichtlicher Entwickelung erhoben, dessen Strahlen bis in die neueste Zeit hin leuchten. Denn was für Leute standen auch gleich von Anbeginn an der Spitze des anfangs nur kleinen Häufleins von 20 Sängern. Einen Johann Walther, den edlen „componista musicae“ zu Torgau, Luthers viellieben Freund, berief der feine Blick des Fürsten zum ersten Sängermeister. Treulich wirkte er in langem Dienste, schenkte dem Sachsenlande, ja dem gebildeten Deutschland, das erste vierstimmige Gesangbüchlein (wovon zwei Stimmen im Stadtmuseum) und brachte die [42] Kantorei – wie eine alte Urkunde meldet – in flotten Schwung.

Gleich von Anfang an ist die Gründungsurkunde so trefflich abgefaßt, daß sie über 100 Jahre als Grundlage gelten durfte. „Erst wollen wir in unserer kantorei, das unter eilff großen personen zum Baß, Alt und Tenor und den neun knaben zum Diskant nicht sein sollen und soll allezeit einer unter den großen personen, der von den andern sunderlich gelahret und geschigkt sein werde, vor einen praeceptor der knaben gebraucht werden.“ – Als erste Pflicht legte Moritz dem Cantor auf, die Knaben gut im Zaume zu halten, daß sie sich mit dem Gesange fleißig nach dem Takte richteten, keiner zu langsam oder zu „risch“ wegsinge und alle vor dem einen Pulte und einem Notenbuche des Singens aufwarteten. Damit ferner die Kantorei durch ihre kunstreichen und lieblichen Motetten und Gesänge berühmt werde und die Knaben nicht immer dasselbe Lied (eandem cantilenam) absängen, mußte sie der Kapellmeister in seine Wohnung auf der Kundigergasse zur Uebung fordern und neue Lieder probiren. Confusion in der Kapelle oder in der Aufwartung bei Tafel sei unliebsam. Wenn dann die Zeit kam, zum Chor zu gehen, so mußte der Meister alle Cantores in der Hofstube versammeln und eine Viertelstunde vor der angeordneten Stunde in ehrbarer, züchtiger Weise mit ihnen in die Kirche wandeln, allda warten, bis die Herrschaften hinein kamen, und darauf in christlicher Andacht den Dienst versehen. Es ist sicher, daß durch die geforderte Sorgfalt auch eine schöne Klangwirkung erzielt wurde. Wir glauben es daher, wenn ein zeitgenössischer Dichter, Georg Pezold, ausruft:

Der Discantisten Stimmlein zart
Man höret nach engelischer art;
Coloraturen in dem Alt
Werden gemachet mannigfalt;
Anmuthig da auch der Tenor
Den andern Stimmen gehet vor;
Der Baß, des Gesanges Fundament,
Bald auf, bald sich herniederwend’t,
Kein Bär so tief mit seinem Brummen
Diesen Bassisten gleich kann kummen. –

Der Kapellmeister Walther überlebte seinen Fürsten, der ihn berufen hatte. In Betracht seines hohen Alters und seiner langen Dienste suchte er um Entlassung nach und erhielt sie durch Rescript vom 7. August 1554 unter Ertheilung von 60 fl. jährlicher Pension. Es ist merkwürdig, daß weder er noch sein Amtsnachfolger Matheus le Maistre die Gelegenheit benutzte, Moritz durch die Kunst zu verherrlichen. Das geschah erst von Seiten des berühmten Antonius Scandellus aus Brescia (geb. 1517), und zwar als dieser Künstler in der Kapelle sogenannter „welscher Instrumentist“ war. Denn erst unterm 12. Februar 1568 wurde er an le Maistre’s Stelle zum Kapellmeister berufen und stand diesem Amte bis zum Jahre 1580 vor, wo er starb. Scandellus war schon 1553 durch manche Kompositionen bekannt. Wir besitzen aus dieser Zeit allein 7 Motetten, deren Manuscripte zum Theil in Dresden, zum Theil in Pirna oder in Zwickau sich befinden. Auch wissen wir, daß er schon damals (also vor 1553) ein Officium de sancta Trinitate komponirt hatte, das zwar in dem Inventarium der kurfürstlichen Kapelle von Joh. Walther namentlich aufgeführt wird, das aber bis jetzt noch nicht wieder aufgefunden ist. Nachmals ist Scandellus durch viele Tonschöpfungen geistlichen, wie weltlichen Inhalts berühmt geworden; wir erinnern nur an die schönen „Nawen teutschen Liedlein, 4–5 vocum Nürnberg 1568“ (1578), mit dem entzückenden Wein- und Trinklied: „Der Wein, der schmeckt mir also wohl“ (vgl. Ambros-Kade: Geschichte der Musik. V. Nr. 52).

Von ihm nun rührt die Missa zu Ehren Moritzens her, die folgenden Titel trägt:

„Missa sex vocum super Epitaphium Illustrissimi
Principis ac Domini, Domini Mauricii
Ducis et Electoris Saxoniae etc., cujus
initium: Mauricius cecidit, bellax Germania
plange etc. ab Anthonio Scandello Italo composita.“

Sie besteht aus Sanctus, Pleni, Osanna, Agnus I, Benedictus, Agnus II. Sie findet sich in einem handschriftlichen Kodex im größten Landkartenformat in der Stadtkirche zu Pirna. Auf der Rückseite des Titelblattes stehen folgende lateinische Disticha von Georg Fabricius aus Chemnitz, die sich auf Moritzens Tod beziehen:

„Mauricius cecidit, bellax Germania plange
A missa imperii quanta columna tui.
In tua Mars armis cur impie viscera saevis?
Ecce tuum cecidit saeva per arma decus.
Mauricii tumulum cernens Germania plange
Pectore magnanimo non habitura parem.“

Dieser Prachtkodex ist von dem Pirnaer Stadtkinde Moritz Bauerbach (laut Verzeichnisses vom Jahre 1553 Kapellmitglied) zu Torgau im Jahre 1562 angefertigt worden, wie die auf der Rückseite des letzten Blattes befindliche Inschrift: „Torgae scribebat Mauricius Bauerbachius Pirnensis Anno 1562" ausdrücklich besagt. Die Messe war zwar schon im Jahre 1533 gedruckt erschienen, wie das Verzeichniß der Musikalien besonders angiebt, welches der pensionirte Kapellmeister Johann Walther 1553 aufsetzte, wo es unter andern heißt: „VI kleine gedruckte Partes (Stimmbücher) in grün pergament, darinnen das Epitaphium Electoris Mauricii Antonii Scandelli.“ Es hat bis jetzt aber nicht gelingen wollen, dieses Druckwerk irgendwo aufzufinden, weshalb das Pirnaer Manuskript von 1562 als Unikum zu betrachten ist. Mein Vater, Professor O. Kade-Schwerin, fand dasselbe im Jahre 1856. (Vgl. ehemalige „Constitutionelle Zeitung“, 10. Dezember [43] 1856.) Was die Messe selbst betrifft, so liegt ihr ein scharf ausgeprägtes kurzes, aber höchst ergiebiges Motiv von nur 2 Takten zu Grunde, das durch dreimalige Wiederholung in verschiedener Tonlage zu einem Ganzen verbunden ist. Dasselbe kehrt bei allen Sätzen theils in allen Stimmen harmonisch und thematisch verarbeitet, theils nur in einer Stimme ausgeführt unausgesetzt wieder, wie das ja früher üblich war. Von dieser Anordnung ist nur das Crucifixus ausgenommen, das ganz frei erfunden ist. Das vorliegende Werk ist die erste größere Arbeit dieses außerordentlich talentvollen Meisters. (Bruchstücke daraus sind veröffentlicht nach der Partitur meines Vaters in dessen Musikbeilagen zu Ambros’ Musikgeschichte. Nr. 50.)

Erst 55 Jahre später nimmt ein anderer Musiker Gelegenheit, Moritz im Liede zu ehren. Es geschah dies durch Thomas Mancinus. Dieser Künstler ward 1550 in Schwerin in Mecklenburg geboren, war 1572-1580 Kantor an der Domschule daselbst, 1584 Kapellmusikus in der Hofkapelle zu Wolfenbüttel, 1587 Hofkapellmeister daselbst und daneben bis 1600 Bibliothekar der Herzogl. Bibliothek zu Wolfenbüttel, wo er 1612 starb. Daher kommt es auch, daß das betreffende Werk in der Wolfenbüttler Bibliothek liegt, aus der es jedoch trotz freundlicher Bitte nicht ausgeliehen wird, „wegen der großen Seltenheit der in dem Bande vorhandenen verschiedenen Stücke.“ Die Komposition ist betitelt:

Die Schlacht für Siuerßhausen:

Zu Ehren dem ... Herrn Henrico Julio, Postulirten Bischoff zu Halberstadt und Herzogen zu Braunschweig und Lüneburg etc. nach art der Schlacht für Pavia[1] mit 4 Stimmen Musice componiret Durch ... Jhrer F. G. unterthenigen Diener und alten[2] Capellmeister. Helmstadt, gedruckt durch Jacobum Lucium. 1608.

(Vgl. Die Handschriften nebst den älteren Druckwerken der Musikabtheilung der Herzogl. Bibliothek zu Wolfenbüttel. Beschrieben von E. Vogel. 1890. Heinemanns Katalog, Abtheilung VIII. Nr. 628. Nur im Alt vorhanden.)

Die Komposition ist freilich schon einige Jahre vor 1608 entstanden, vielleicht 1603 zur 50sten Wiederkehr des Todestages. Wenigstens deutet eine Stelle der Dedikation darauf hin: „Weil ich in editione Musicae divinae alle meine in E. F. G. diensten verfertigte Cantilenas harmonicas zu publiciren promittiret, als übersende ich E. F. G. hiermit .... auff diesmal die Schlacht für Sivershausen, welche auf E. F. G. gnedigs befehl ich für etzlichen Jahren mit 4 Stimmen auff die Art wie sie E. F. G. haben gerne hören wollen, componiret und neben der alten Schlacht für Pavia, auch andere von allerley arth diversorum Musicorum herrlichen Cantionibus an Lateinischer, Teutscher, Italianischer und frantzösischer Sprache für E. F. G. fürstlichen Tafel optimis cantoribus et instrumentis vielmalen musiciret ...

Das Stück besteht aus drei Theilen, doch kann ich selbst bislang nichts Genaueres angeben.


  1. Sog. Frundsbergslied.
  2. d. h. pensionirten