Zinzendorf in Dresden Goethe in Dresden (1892) von Woldemar Freiherr von Biedermann
Erschienen in: Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896)
Kurfürst Moritz und die Musik
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Goethe in Dresden.
Vortrag, gehalten am 11. April 1892
von
Dr. Woldemar Freiherrn von Biedermann,
Geh. Rath a. D.


Ein unlängst hier verstorbener bedeutender Mann, Gelehrter von großem Ruf und höchstgestellter Staatsbeamter, hat die Deutschen ermahnt, drei Männer als leuchtende Vorbilder immer vor Augen zu haben: Luther, Goethe, Bismarck – Symbole protestantischen Glaubens, klarsten Erkennens und deutschkräftigen Handelns. Wenn ein ganzes Volk stolz ist auf seine großen Männer, so geziemt es wohl auch den Bewohnern einer Ortschaft, sich an dem Abglanz zu sonnen, der von dem Ruhme solcher Größen auf ihre engere Heimath fällt. Und wo fände die Feier solchen Ruhms geeignetere Stätte, als in einem Ortsgeschichtsverein! Geleitet von diesen Gedanken, will ich Sie von Beziehungen Goethe’s zu Dresden unterhalten. Diese Beziehungen sind aber so zahl- und umfangreich, daß sie Stoff zu einem starken Buche abgeben würden, sodaß also auf deren erschöpfende Behandlung in einem Vortrage innerhalb der üblichermaßen dazu bestimmten Zeit nicht zu denken ist, und wenn mir also eine Zeitgrenze gesetzt ist, muß ich mir eine Inhaltsgrenze ziehen. Deshalb beschränke ich mich auf den Theil dieser Beziehungen, der einem Verein für Ortsgeschichte am meisten oder wenigstens zunächst gemäß sein dürfte: Goethe’s Aufenthalt in Dresden – also seine Beschäftigungen hier während der mehreren Male, daß er in Dresden weilte, und den Verkehr, den er am Orte mit verschiedenen Personen gepflogen hat, wobei ich über diese Personen selbst soviel beizubringen haben werde, als zur Verdeutlichung des Verkehrs mit ihnen nöthig ist. Freilich wird hierdurch mein Vortrag etwas kaleidoskopartig ausfallen oder dem Vorzeigen von Guckkastenbildern ähneln, die nur dadurch in Zusammenhang stehen, daß sie sich alle in demselben Guckkasten befinden; so meine Bilder dadurch, daß sie sich alle auf Goethe beziehen.

Wenn aber gerade heute Veranlassung genommen ist, über Goethe zu sprechen, so geschieht es, weil zwischen dem vorigen und dem heutigen Vereinsabende ein Goethe-Gedenktag fiel: es sind am 22. vorigen Monats gerade 60 Jahre verflossen gewesen, seit Goethe die Augen geschlossen hat, die über 80 Jahre lang so hell die Welt beschauten.

Goethe hatte eben erst das sechzehnte Lebensjahr zurückgelegt, als er zu Michaeli 1765 nach Leipzig kam, um dort die drei üblichen Universitätsjahre hindurch dem Studium der Rechtsgelehrsamkeit obzuliegen. Das war die väterliche Bestimmung, seinerseits nahm er sich aber vor, unbeschadet dieses Hauptzwecks, seinem frühen Drange, sich in der Kunst auszubilden, zu folgen. Schon als Knabe zeichnete er nicht nur mit Geschick und selbständig schaffend, sondern hatte auch Gelegenheit, Maler in Ausübung ihrer Kunst zu beobachten, was er, obgleich erst zehnjährig, doch mit Verständniß that. Diese Gelegenheit kam ihm dadurch, daß während des siebenjährigen Kriegs die Franzosen Frankfurt besetzten und der Befehlshaber der Besatzung – Lieutenant du roi nach seiner amtlichen Bezeichnung – der Hauptmann von Thoranc ein Kunstfreund war, der die Frankfurter Maler Hirt, Schütz, Trautmann, Nothnagel und Junker, sowie den hessischen Hofmaler Seekatz im nahegelegenen [34] Darmstadt mit Aufträgen bedachte und diese in seinem Quartier im Goethe’schen Hause ausführen ließ. In Leipzig nun fanden Goethe’s künstlerische Neigungen mannigfache Nahrung. Zunächst geschah es durch den Unterricht im Zeichnen, den er beim Direktor der dortigen Kunstakademie, Professor Oeser, nahm, und später im Radiren beim Kupferstecher Stock, unter dessen Leitung er z. B. Landschaften des Dresdner Hofmalers Thiele radirte. Oeser, ein in Ungarn geborener Deutscher, war von 1739 bis 1751 in Dresden als Maler thätig und hier Freund Winckelmann’s gewesen, der ihn für seine, die Kunst des klassischen Alterthums zum ewigen Vorbild aller Kunst erhebende Lehre gewann. Diese Schätzung der altgriechischen Kunst prägte nun Oeser wieder seinen Schülern ein, und Goethe, als ihrer einer, blieb dieser Kunstanschauung, vorübergehender Befreundung mit gothischer und altdeutscher Kunst ungeachtet, in der Hauptsache sein Leben hindurch treu, namentlich seit er in Italien Meisterwerke alter Kunst in größerer Zahl kennen gelernt hatte. Durch Oeser ward aber Goethe auch die Füglichkeit geboten, mit bedeutenden Sammlungen Leipziger Kunstfreunde bekannt zu werden; es waren dies die Gemälde- und Kupferstichsammlungen Winkler’s, Richter’s und Kreuchauff’s. Die kostbarste Gemäldesammlung besaß wohl Gottfried Winkler. Sie bestand zu Goethe’s Zeit aus 628 Stücken deutscher, niederländischer, französischer und italienischer Meister. Die werthvollste Kupferstichsammlung wird die Kreuchauff’sche gewesen sein. Von Winkler’s Gemälden befinden sich gegenwärtig mehrere in Dresden im Besitze von Nachkommen Gottfried Winkler’s.

Die in diesen Kunstsammlungen empfangenen Eindrücke und die begeisterten Schilderungen der Dresdner Galerie erweckten in Goethe die Sehnsucht, diese hervorragendste aller deutschen Gemäldesammlungen kennen zu lernen, und er unternahm daher vor Beginn des letzten Semesters seiner Leipziger Studienzeit, im März 1768, eine Reise nach Dresden. Hierzu bedurfte er noch mehrerer Vorbereitungen, als ohnehin eine Reise zu jener Zeit erforderte; denn er hatte durch die abschreckenden Beschreibungen, die sein Vater von dem Leben in Gasthäusern zu machen pflegte, eine solche Abneigung dagegen geschöpft, daß er darauf bedacht war, in Dresden ein Unterkommen außerhalb eines Gasthauses zu finden. Dies wäre ihm auch gar nicht schwer geworden; denn unter seinen Leipziger Freunden waren auch Dresdner Kinder, die ihm manchmal zuredeten, Dresden zu besuchen und ihm Wohnung bei ihren hiesigen Verwandten anboten, so namentlich der damalige Rathsassessor, nachmalige Bürgermeister von Leipzig Hermann, dessen Vater Oberhofprediger war, sowie ferner sein vertrautester Freund Behrisch, dessen Vater, Hofrath Behrisch, hier lebte. Allein solche Erbieten anzunehmen, hinderte Goethe eine andere Eigenheit: er vermied ungewöhnliche Schritte mit seinen Bekannten zu besprechen, liebte vielmehr mit vollzogenen Thatsachen hervorzutreten. Das sprechendste Beispiel hierfür gab er bei seiner Reise nach Italien, deren Ziel er außer seinem Kammerdiener Niemandem, nicht einmal dem Herzog vertraute. Für das Unterkommen in Dresden gerieth er daher auf eine andere Auskunft. Sein Stubennachbar in der Großen Feuerkugel zu Leipzig war ein armer halb blinder Theolog Limprecht, der mit einem Vetter in Dresden, einem Schuhmacher, in Briefwechsel stand. Goethe las dessen Briefe auch und fühlte sich durch die verständigen Ansichten und die heitere Laune des Schreibers angezogen. Den Wunsch, den Mann kennen zu lernen, konnte er nun mit dem Vorhaben, während des bevorstehenden Aufenthalts in Dresden in einer Familie Aufnahme zu suchen, vereinigen, indem er sich von Limprecht empfehlen ließ. Dies geschah.

Wer war nun dieser Vetter? In den Listen der Schuhmacher-Innung kommt zu jener Zeit kein Limprecht vor, und wir müssen ihn daher auf einem Umweg suchen. Limprecht’s Mutter war eine geborene Engelmann und diesen Namen führten damals zwei Schuhmachermeister hier, mit Vornamen Ernst Gottfried und Johann Gottfried. Goethe erzählt, daß Limprecht’s Vetter in einer Vorstadt gewohnt habe; ließe sich also ermitteln, daß ein Schuhmacher Engelmann in einer solchen zu Hause gewesen sei, so dürften wir diesen mit größter Wahrscheinlichkeit als den Mann bezeichnen, den uns Goethe so anziehend in „Dichtung und Wahrheit“ vor Augen führt. Dieser Engelmann – wie wir ihn der Kürze halber nennen wollen – empfing nun Goethe mit höchster Verwunderung, als dieser ihm eröffnete, daß er bei ihm zu wohnen wünsche. Er sowohl als die Frau Meisterin versicherten, daß sie durchaus nicht darauf eingerichtet seien, einen so feinen Herrn zu beherbergen, allein Goethe ließ sich nicht abweisen und stellte der Frau Engelmann seine Börse zur Verfügung, um das Nöthige zu seiner Unterbringung zu beschaffen. Beide Theile setzten sich übrigens von vorn herein auf guten Fuß, ließen Scherze hinüber und herüber gehen und machten sich es so gegenseitig leicht, in die ungewöhnlichen Verhältnisse sich zu schicken. Goethe blieb da während seines achttägigen Dresdner Aufenthalts.

Er besah sich zunächst die Stadt von der Kuppel der Frauenkirche aus und hatte von da einen traurigen Blick über die Trümmer, die seit der Beschießung der Stadt durch die Truppen des Königs Friedrich II. von Preußen noch nicht beseitigt waren; namentlich lagen die Kreuzkirche und die Moritzstraße noch ganz in Schutt.

[35] Am nächsten Morgen begab sich Goethe voll spannender Erwartung in die Galerie, das jetzige Johanneum. Er war ganz Entzücken. Schon das Aeußere machte ihm gewaltigen Eindruck: die weiten, hohen Säle, der Glanz der damals noch frischen Vergoldung der Prachtrahmen berauschten ihn gleich beim Eintritt. Und nun gar der ungeahnte Kunstwerth der Gemälde! Sie waren damals so angeordnet, daß in den an den äußeren Umfassungsmauern gelegenen Sälen vorzugsweise Gemälde der niederländischen Meister aufgehängt waren, in den inneren, nach dem Hofe zu gelegenen Sälen die Gemälde der Italiener. Die Niederländer fesselten aber Goethe gleich so, daß er anfänglich geradezu ablehnte, die innere Galerie zu betreten. Seine Begeisterung sprach er in so unablässig sprudelnder Rede aus, daß der Galerieinspektor Riedel auf ihn aufmerksam wurde und ihm seine Begleitung widmete; zuletzt wurde er auch dem Galeriedirektor von Hagedorn – Bruder des Dichters – vorgestellt. Um den Werth dieses Umstandes zu würdigen, bedenke man, daß Goethe damals nichts war als ein ganz unbekannter Student von achtzehn Jahren, sodaß er also die ihm zutheil gewordene besondere Beachtung nur dem Eindruck verdankte, den seine Persönlichkeit und sein Kunstverständniß hervorrief.

An den folgenden Tagen beschränkte sich Goethe selbstverständlich nicht mehr auf die niederländischen Gemälde. Wunderbarerweise waren es von den Werken italienischer Meister besonders die biblischen Gleichnisse von Domenico Feti, die ihn vorzugsweise anzogen. Sie dürften sich erinnern, daß dieser, der venezianischen Schule angehörige Maler die neutestamentlichen Gleichnisse vom verlorenen Sohn, vom verlorenen Groschen, vom verlorenen Schaf, vom Blinden als Wegweiser, von den Weinbergsarbeitern, vom Gastmahl der Krüppel und Lahmen, sowie vom habgierigen Knecht gemalt hat. Goethe wurde wegen seiner Vorliebe für Domenico Feti zwar von Herder bitter verspottet, als Beide dritthalb Jahre später in Straßburg zusammentrafen, aber unverständlich ist diese Vorliebe doch nicht. Diese Geschmacksrichtung hängt zunächst mit seiner Neigung für niederländische Gemälde zusammen, denn jene biblischen Parabeln sind Genrebilder, ähnlich wie deren zahlreiche Niederländer, als Teniers, Gijsels, Netscher, Ostade, Mieris, Schalcken u. a. gemalt haben. Um aber die Bevorzugung der Niederländer vor den Italienern bei dem jungen Goethe im Allgemeinen begreiflich zu finden, haben wir auf sein Wesen überhaupt seine Eigenschaften in ihrer Gesammtheit zurückzugehen. Sie werden erwarten, daß ich mich hierüber deutlicher erkläre, und ich erkenne auch die Verpflichtung hierzu an; ich gerathe jedoch deshalb in einige Verlegenheit. Eine gründliche Darstellung von Goethe’s Wesen und Eigenschaften hier so nebenbei, wo es sich um einen sachlich und zeitlich begrenzten Vortrag handelt, zu geben, ist unmöglich, und kann ich mich daher nur auf Andeutungen beschränken, freilich auf die Gefahr hin, nicht allseitig verständlich zu erscheinen. Also: Goethe’s Größe beruht darin, daß er alle Eindrücke der Außenwelt rein und tief auf sich wirken ließ, das, was in dem Einwirkenden Natur war, klar erkannte, das durch gesunde Entwickelung Gewordene von willkürlich Gemachten sicher unterschied und trennte, solcherweise aber in sich selbst die Bildung des Menschenthums wiederholte, die ja im Laufe der Zeiten durch allmähliche Ausstoßung des vom Ziele Ablenkenden denselben Gang nimmt. Bevor Goethe eine Bildungsstufe sich fest aneignete, mußte er selbst die Vorstufen innerlich verarbeitet haben; sogenannte Originalität, d. h. Handeln ohne Anschluß an Gegebenes, haßte und verfolgte er. Die reine Hingabe an die Natur befähigte ihn u. a. später, ohne beabsichtigtes Spüren, wie es Sache der Gelehrten ist, nur durch unbestochenes, vorurtheilfreies Sehen wichtige Naturgesetze zu entdecken, und aus der unbefangenen Würdigung naturgemäßer Zustände gingen seine in die Tiefe greifenden Dichtungen hervor. Daher also war er auch mit den niederländischen Malern vermöge ihres Anschlusses an volksthümliches Leben schnell vertraut, nicht so mit italienischen, die aus dem Kulturgebiet katholischer Anschauungen schöpften, das ihm fremd gegenüberstand, in das er sich nur durch unklare Vorstellungen, ohne selbst in dieser Richtung durchgemachte Entwickelung, demnach sprungweise hätte hineinversetzen können. Diese italienischen Maler lernte er vollständig erst würdigen, als er in Italien jenes Kulturgebiet im frischen Leben kennen und verstehen lernte.

Die lebhaften Aeußerungen der Bewunderung der Meisterwerke der Galerie brachten Goethe auch in Gespräch mit einem jungen Manne, der einer hiesigen Gesandtschaft angehörte. Dieser lud Goethe ein, sich abends in einem Gasthof, vielleicht Hôtel de Pologne, einzufinden, wo sich mehrere junge Leute seiner Bekanntschaft zu versammeln pflegten. Goethe folgte der Einladung, traf aber gerade eine recht wilde Unterhaltung, da die jungen Herren einen anderen Gast zur Zielscheibe vielfacher Ausgelassenheiten machten. Dies Gebahren sagte Goethe nicht zu, weshalb er sich bald entfernte und keinem zweiten solchen Abend beiwohnte.

Während seiner Anwesenheit in Dresden suchte Goethe auch die Familie seines früheren Leipziger Freundes Behrisch auf, der aber damals schon in Dessau als Erzieher am fürstlichen Hofe lebte. Seine Stelle als Hofmeister eines Grafen Lindenau hatte er verloren, weil dessen Vater, der Oberstallmeister und Wirkliche [36] Geheime Rath Graf Lindenau in Dresden, erfahren hatte, daß Behrisch zu häufig mit Goethe verkehrte und dabei seine Obliegenheiten als Hofmeister vernachlässigte. Seinem Nachfolger Langer, später Nachfolger Lessing’s als Bibliothekar zu Wolfenbüttel, machte Graf Lindenau deshalb zur Bedingung, nicht mit Goethe umzugehen, eine Bedingung, die Langer jedoch, nachdem er Goethe kennen gelernt, nicht einhielt, aber, vorsichtiger als Behrisch, suchte er Goethe nur nachts auf.

1775 war Goethe nach Weimar gekommen und sehr bald unternahm er von da einen Ausflug nach Leipzig, aber erst 1790 kam er wieder nach Dresden und war dann zweimal da: vom 28. Juli des Morgens bis 30. in der Nacht auf der Reise nach Schlesien, wohin ihn der als preußischer General beim Reichenbacher Congreß anwesende Herzog von Weimar berufen hatte, und auf der Rückreise vom 25. September bis etwa 4. Oktober. Er wohnte damals, wenigstens das eine Mal, im Gasthof „Zum drei goldnen Palmzweigen“, und zwar wegen der Nähe der Wohnung des Hausmarschall Freiherrn zu Racknitz, welche sich in seinem, ans Japanische Palais grenzenden Hause befand. Ihn besuchte Goethe gleich nach seiner Ankunft. Er kannte ihn von Karlsbad her, wo gemeinschaftliche mineralogische Beschäftigungen sie zusammengeführt hatten. Sie waren es aber nicht allein, die Goethe und Racknitz gemeinsam waren; auch künstlerische Bestrebungen theilten beide. Indeß scheint bei Racknitz der Kunstsinn hinter dem Sammlergelüst zurückgestanden zu haben, das sich ja leicht durch Seltenheiten, wohl auch Seltsamkeiten befriedigen läßt. Für diese Richtung Racknitzens ist eine seiner Schriften besonders bezeichnend, die den Titel führt: „Darstellung und Geschichte des Geschmacks der vorzüglichsten Völker in Beziehung auf die innere Auszierung der Zimmer und auf die Baukunst“. Dieses bunte Allerlei war allerdings kein Werk in dem Sinne, in dem Goethe die Kunst pflegte, und wenn er auch die vom Hofbaumeister Schuricht dazu gelieferten Zeichnungen zu loben nicht umhin konnte, so fand er doch die „freiherrliche Leitung“ des Ganzen, wie er sich ausdrückte, sehr schwach und verurtheilte das Werk in dem Xeniengericht, das er und Schiller 1796 über Ausartungen der deutschen Literatur ergehen ließen. Eins der gegen Racknitz gerichteten Xenien lautete:

Kamtschadalisch lehrt man euch schon die Zimmer verzieren,
Und doch ist manches bei euch kamtschadalisch genug.

Ein anderes Xenion treffender:

Ehmals hatte man Einen Geschmack; nun giebt es Geschmäcke,
Aber sagt mir, wo sitzt dieser Geschmäcke Geschmack?

Trotz dieser Verspottung hat die Freundschaft nicht wesentlich gelitten, da Goethe 1810 Racknitz wieder in Dresden aufsuchte. Die Xenien trafen ja alles, was nur irgend in der Literatur von sich reden machte, sodaß von ihnen verschont zu werden als Nichtachtung galt, der man sich weniger aussetzen mochte, als einer Hechelei, die so zahlreiche, im Ganzen achtbare Männer gleichmäßig traf.

Vor der Rückreise aus Schlesien meldete sich Goethe brieflich bei Racknitz an, indem er ihn zugleich im Auftrage seines Herzogs einlud, am 26. September sich mit ihm nach Schandau zu begeben, von wo ab sie dann als Begleiter des Herzogs nach Dresden zurückreisen sollten. Es liegt kein Grund vor, an erfolgter Ausführung dieser Parthie zu zweifeln.

Während Goethe’s erstem kurzen Verweilen in Dresden im Jahre 1790, Ende Juli, suchte der preußische Gesandte, Graf Geßler, den ihm von Karlsbad her bekannten Goethe auf und verfügte sich mit ihm nach Loschwitz zum Appellationsrath Körner, der in der Literatur zwar viel genannt ist, weniger aber wegen eigener schriftstellerischer Leistung denn als thätiger Freund Schiller’s und als Vater Theodor Körner’s. Goethe hatte ihn Jahrs zuvor in Jena persönlich kennen gelernt, als Körner mit seiner Frau und deren in seinem Hause lebender Schwester Dora Stock Schiller in Jena besuchten. Die Schwestern waren Töchter des Stock, bei dem Goethe in Leipzig das Kupferstechen erlernte und in dessen Familie er freundschaftlich verkehrt hatte. Als Goethe 1789 hörte, daß Körners in Jena sich aufhielten, freute er sich sehr, die Freundinnen wiederzusehen, da er aber in Amtsgeschäften von Weimar abwesend war, ließ er sie ersuchen, ihre Abreise bis zu seiner Rückkehr aufzuschieben. Dies geschah; Goethe eilte nach Jena und machte dabei erst die Bekanntschaft des Appellationsrath Körner. Der war ein vielseitig gebildeter, in Literatur und Kunst bewanderter Mann, mit dem Goethe sich bald befreundete und an dessen Urtheilen er sich immer erfreute, besonders an den über Goethe’s eigene Dichtungen, über die Körner in Briefen an Schiller sich ausführlich zu äußern pflegte. Als der Sohn Theodor mit dramatischen Dichtungen hervortrat, nahm sich Goethe als Direktor des Weimarschen Hoftheaters ihrer an und brachte sie größtentheils zur Aufführung. Demzufolge beziehen sich mehrere der zwischen Goethe und Körner gewechselten Briefe auf die bühnendichterische Thätigkeit Theodors; in anderen nahm Goethe Veranlassung, Körner um Vermittelung in Dresden zu besorgender Geschäfte anzugehen, z. B. in Betreff des Theaters oder wegen Unterbringung von Künstlern, wie namentlich des Facius, der bei dem berühmten Tettelbach das Steinschneiden erlernen sollte. Die Freundschaft erlitt eine Störung 1813, als Theodor Körner sich den freiwilligen Kämpfern gegen Napoleon angeschlossen hatte, was Goethe mißbilligte, da er von der Ueberzeugung der überwiegenden Feldherrngröße Napoleons [37] und seines endlichen Sieges ganz durchdrungen war und zu den gegnerischen Führern noch kein Zutrauen zu fassen Ursache gehabt hatte. Er äußerte daher gegen Körner heftig: „Ja, schüttelt nur Eure Ketten! Der Mann ist Euch zu groß.“ Theodor’s Eltern, die sonst gewohnt waren, den Sohn bei allen seinen Unternehmungen nur preisen zu hören, waren von dieser unerwarteten Verurtheilung tief verletzt, sodaß von da ab zunächst jede Verbindung zwischen ihnen und Goethe aufhörte; erst 1821 schrieb Körner von Löbichau aus – also wohl auf Zureden der Herzogin Dorothea von Kurland - wieder an Goethe, der dann auch herzlich antwortete.

Körner’s Schwägerin, Dora Stock, die ältere der Schwestern, war die bekannte Pastellmalerin und Goethen eine liebe Erinnerung aus seiner Studienzeit; nur war es ihm unlieb, wenn sie oder ihre Schwester ihm seine Eigenheiten jener Zeit oder seine kleinen Abenteuer vorrückten. Dann meinte er: sie wären seine enfants terribles mit ihrem verfluchten Gedächtniß. Goethe und Dora Stock neckten sich gern. Als z. B. Dora Stock Goethe um Besorgung von Nudeln in Dresden gebeten hatte, – wie er denn seine in halb Europa verstreuten Bekannten häufig zu Herbeischaffung von Leckerbissen und Trinkgenüssen benutzte, – ließ sie ihm sagen: es freue sie, daß er gelegentlich seiner Küchenbedürfnisse sich ihrer wieder einmal erinnere. Er scherzte galant; als er seine Elegie „Alexis und Dora“ Körnern sandte, gab er den Auftrag an dessen Schwägerin: er wisse nicht, durch welchen Zauber er abermals auf den Namen Dora gekommen sei. – Mit dem „abermals“ kann er wohl nur auf „Hermann und Dorothea“ deuten.

Beim hiesigen Aufenthalt von 1790 vernachlässigte Goethe aber auch wieder keineswegs die Kunst. Er lernte jetzt den Direktor der Kunstakademie Casanova kennen. Dieser war ein geborener Venezianer, aber jung mit seiner bei der italienischen Oper angestellten Mutter nach Dresden gekommen. Er bildete sich hier und später in Italien zum Maler aus, als welcher er jedoch nichts Hervorragendes geleistet hat; indessen waren seine Kreidezeichnungen gesucht. Er betheiligte sich in Italien an Herausgabe von Winckelmann’s Monumenti antichi und kehrte 1764 nach Dresden als Professor an der Kunstakademie zurück, deren Direktion er 1776 übertragen erhielt.

1790 lernte Goethe den damals hier verweilenden Zeichner und Maler Romberg aus Hannover kennen, der ihn durch die Schnelligkeit, mit der er Skizzen entwarf, in Erstaunen setzte. Diese Flüchtigkeit des Arbeitens ist wohl Ursache, daß Romberg seinen Ruf bald überlebt hat. Der Buchhändler Fleischer in Leipzig ließ durch ihn Illustrationen zu Goethe’s Verben, Ausgabe letzter Hand, herstellen; es sind keine Meisterstücke.

Mit der Kunst hatte Goethe’s damaliger Verkehr mit Wilhelm Gottlieb Becker schwerlich etwas zu schaffen; denn obwohl dieser Gelehrte als Alterthumskenner genannt wird und durch Herausgabe des „Augusteums“, des Prachtwerkes über die Dresdner Antikensammlung, als solcher sich eingeführt hat, und obwohl er ferner als Inspektor des Antiken- und Münzkabinets für einen Kunstfreund wie Goethe als werthvoller Umgang erscheint, so trat er doch 1790 weder schriftstellerisch noch amtlich in gedachten Richtungen hervor, sodaß ihn Goethe wohl nur in Fortsetzung der 1776 in Leipzig gemachten und nachher in Karlsbad erneuten Bekanntschaft aufsuchte. 1790 war Becker Professor an der Ritterakademie.

Sprachwissenschaftliches Interesse war es wohl, das Goethen bewog, mit dem Oberbibliothekar Adelung sich zu treffen. Adelung, ein geborener Pommer, hatte sich nach damaligem Stande der Sprachwissenschaft unbestreitbares Verdienst um die deutsche Sprache durch sein großes Wörterbuch der hochdeutschen Sprache erworben, und gerade 1790 war die zweite bereicherte Ausgabe seiner „Vollständigen Anweisung zur Deutschen Orthographie“ herausgekommen. Sein Streben ging dahin, festzustellen, was nach den besten Schriftstellern jener Zeit, soweit sie in der Mundart Kursachsens geschrieben, als sprachrichtig anzusehen sei. Goethe benutzte Adelung’s Wörterbuch häufig, um sich zu vergewissern, ob sein eigener sprachlicher Ausdruck vor diesem zuständigen Richter bestehe.

Endlich war noch ein 1790 von Goethe in Dresden gepflogener Verkehr von Bedeutung, nämlich der mit dem Docenten an der vormaligen hiesigen Medicinisch-chirurgischen Akademie, sowie Inspektor des Naturalien- und Mineralienkabinets Titius. Allerdings treten Wirkungen dieses Verkehres erst nach dem 20 Jahre später wiederholten Besuche der Titius unterstellten Kabinete zu Tage, allein die Fäden waren doch 1790 schon angeknüpft. Goethe hatte sich seit den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts viel mit Anatomie, namentlich mit der Knochenlehre beschäftigt und dabei wichtige Entdeckungen gemacht, die zwar anfänglich von den bestellten Männern der Wissenschaft mit wenigen Ausnahmen als von einem Unberufenen ausgehend abgewiesen, von dem damals berühmtesten Anatomen Camper sogar sehr boshaft verhöhnt wurden, die aber jetzt durchgängig als Ergebnis scharfer und richtiger Beobachtung anerkannt sind. Eben im Frühjahr 1790 war Goethe auf einem Spaziergange nach dem Judenfriedhof zu Venedig bei Betrachtung eines im Wege liegenden Schafschädels wiederum eine wichtige Entdeckung aufgegangen, und darum war es ihm sehr werthvoll, unter der sachkundigen Führung des Vorstandes des hiesigen Naturalienkabinets die Knochengerüste [38] verschiedener Thiere besichtigen und vergleichen zu können. Er schrieb darauf nach wiederholter Besprechung mit Titius im Jahre 1810 in Karlsbad und in Dresden einen „Versuch über die Gestalt der Thiere“, den er zwar nicht gleich veröffentlicht hat, der aber später in die erst nach seinem Tode erschienene Schrift „Erster Entwurf einer allgemeinen Einleitung in die vergleichende Anatomie, ausgehend von der Astrologie“ aufgenommen ist. Darin gedenkt Goethe dankbar der vom Vorsteher des Dresdner Naturalienkabinets erfahrenen Unterstützung.

Im Jahre 1794 kam Goethe in Begleitung seines Herzogs von Dessau nach Dresden. Ueber diesen vom 3. bis 11. August währenden Aufenthalt ist wenig bekannt. Goethe traf hier mit dem Hofrath Heinrich Meyer, dem Direktor der herzoglichen Zeichenschule zu Weimar, einem Schweizer von Geburt, zusammen. Goethe hatte ihn in Rom, wo er sich zum Maler ausbildete, kennen und schätzen gelernt und ihn nach Weimar gezogen. Er war allgemein bekannt als der „Kunscht-Meyer“; man gab ihm Schuld, daß er in seinen Kunsturtheilen zu großes Gewicht auf nüchterne Korrektheit legte und zu fest am Herkömmlichen hielt, auch Goethe in dieser Richtung beeinflußte. Mit ihm brachte Goethe nun im August 1794 in Dresden seine Zeit meistens zu und äußerte nachher, er habe auf der Galerie sich etwas Rechtes zugute gethan.

Auch bei diesem Aufenthalte unterließ Goethe nicht, seine naturwissenschaftlichen Forschungen zu fördern und zwar diesmal botanisch. Kurz zuvor hatte Goethe in der Schrift „Versuch, die Metamorphose der Pflanzen zu erklären“ abermals ein Naturgesetz enthüllt, das auch wiederum von den Gelehrten der Zunft als müssiger Einfall behandelt wurde, aber gegenwärtig als Grundlage der Pflanzenphysiologie feststeht. Es scheint damals eben so schwer geworden zu sein, ein neu aufgefundenes Naturgesetz zu begreifen, als es zu entdecken. In Dresden nun ließ Goethe sich 1794 vom Hofgärtner Seidel im Orangeriegarten einige Pflanzen vorzeigen, die ihm für seine Lehre von der Pflanzenmetamorphose von Bedeutung erschienen, und er war überrascht, als ihm Seidel merken ließ, daß er verstehe, worauf Goethe hinauswolle.

Wie 1790 fügte es sich, daß Goethe 1794 gleichfalls die persönliche Bekanntschaft eines Hannoveraners machte, der ihm nach seinen Schriften nicht fremd war, und zwar die des Oberappellationsrath von Ramdohr. Sein dreibändiges Werk „Ueber Malerei und Bildhauerei in Rom“ erschien, als Goethe sich in Rom aufhielt, wo er es auch las, es aber wegen seiner Oberflächlichkeit verurtheilte.

Nachdem eine 1805 beabsichtigte Reise Goethe’s nach Dresden nicht zur Ausführung gekommen war, fand er sich erst 1810 am 16. September wieder hier ein und blieb bis zum 25. des Monats. Er wohnte damals im „Goldenen Engel“, wo auch Schiller gewohnt hat. Von Goethe’s diesmaligem Aufenthalt sind wir besser unterrichtet.

Gleich am ersten Morgen begab er sich auf die Gemäldegalerie. Hier war gerade Louise Seidler, Tochter des Universitätsstallmeisters zu Jena, die sich in Dresden zur Malerin ausbildete, mit Copiren der heiligen Cäcilie von Carlo Dolce beschäftigt, als der Jenaer Buchhändler Frommann die Nachricht brachte, Goethe sei da. Es war ein Theil der zu jener Zeit in Dresden befindlichen Weimar-Jenaischen Colonie – nach Goethe’s Ausdruck – auf der Galerie versammelt, worunter außer der Seidler und Frommann noch dessen Schwägerin Betty Wesselhöft, eine geborene Hamburgerin und eine Malgenossin der Seidler, dann der Naturforscher Dr. Seebeck und endlich die Hofräthin Schopenhauer zu verstehen waren. Die Letztgenannte, die Mutter des Philosophen Arthur Schopenhauer, hatte sich nach Weimar gewandt und machte dort ein großes Haus; ihre geistig belebten Gesellschaftsabende sind berühmt. Ueberdies lebten 1810 in Dresden der in der sächsischen Armee dienende zweite Sohn des Herzogs Karl August, Prinz Bernhard von Weimar, mit seinem Begleiter Major August Rühle von Lilienstern, dem nachmaligen preußischen General, der auch seine junge Frau, geborene von Frankenberg-Ludwigsdorf, vorher Frau von Schwedhof, mit hier hatte, die anscheinend die Honneurs für den Prinzen machte; ferner gehörte zu den Weimaranern der Hauptmann, spätere Oberst Verlohren, weimarischer Geschäftsträger.

Als Goethe also auf der Galerie den Saal betrat, in dem die Weimar-Jenaischen beisammenstanden, flogen ihm die Damen entgegen; Louise Seidler nur zog sich schüchtern in eine Fenstervertiefung zurück. Goethe erblickte dann aber ihre Copie, frug nach dem Maler dieser allerliebsten Arbeit und sah sich hierauf nach der ihm Genannten um. Er begrüßte sie nun freundlich und äußerte seine Freude über ihr, ihm bisher unbekanntes Talent. Er erkundigte sich dann nach ihrer Wohnung und flüsterte ihr zu, sie möge sich am Nachmittage bereit halten, er werde sie zu einer Spazierfahrt abholen. Das geschah an den folgenden Tagen mehrmals, indem er in Dr. Seebeck’s Gesellschaft Ausflüge in Dresdens Umgebung unternahm. Außerdem verschaffte er der Seidler Gelegenheit, hiesige Privatgemäldesammlungen zu sehen, namentlich die des zweiten Inspektors des Grünen Gewölbes August Pechwell, deren schöne Gemälde Goethe ausdrücklich rühmt; eine dazu gehörige Landschaft von Potter ließ sich Goethe durch Hammer in Aquarell copiren. Der 1757 in Dresden geborene Pechwell war selbst Maler; seine Gemäldesammlung [39] wurde nach seinem 1811 erfolgten Tode einzeln veräußert, da wegen unmündiger Kinder der Nachlaß bald geregelt werden mußte.

Durch Louise Seidler blieb Goethe später noch mehrfach mit Dresden in Verbindung. So unterzog er sich u. a. – wie er ja jede Gelegenheit zum Wohlthun ergriff – des Verkaufs von Bildern des hier in dürftigen Verhältnissen lebenden Genremalers Kersting, sowie von Handarbeiten einer armen Wittwe, von der die Seidler ihm erzählt hatte. Für die Folgezeit wichtig wurde, daß Louise Seidler bei Goethe einer- und dem Vorsitzenden des Sächsischen Kunstvereins hier, Herrn von Quandt, andererseits den Anschluß des Großherzogthums Sachsen an diesen Verein vermittelte. Dies gab später Anlaß zu lebhaftem Schriftenwechsel zwischen Goethe und dem Kunstverein. Merkwürdigerweise blieben diese Briefe von Goethe in den Kunstvereinsakten ganz unbeachtet, noch zu einer Zeit, wo schon allenthalben nach Goethe’s Briefen herumgespäht wurde. Erst ein bei Luzern lebender Schriftsteller, Hermann Uhde, zog sie ans Licht. Zwar war ihm zuerst auf seine Anfrage erklärt worden, daß Briefe von Goethe in den Vereinsakten nicht vorhanden seien, da er aber seiner Sache gewiß war, in dem er bei Bearbeitung des Nachlasses der Louise Seidler zweifellose Beweise für die Correspondenz mit Goethe gewonnen hatte, so erbat er sich die Akten des Kunstvereins zur eigenen Durchsicht; sie wurden ihm bereitwillig zugeschickt und da fand er vierundzwanzig Briefe Goethe’s. Das Uebersehen des Geschäftsführers des Vereins würde unbegreiflich sein, wenn man es sich nicht daraus erklären könnte, daß jener nach Briefen von Goethe’s eigener Hand gesucht hat, während Goethe fast alle Briefe seit etwa 1780 zu diktiren gewohnt war. Uhde hat die gefundenen Briefe an den Kunstverein, deren letzter vier Wochen vor Goethe’s Tod geschrieben ist, in Lützow’s „Zeitschrift für bildende Kunst“ bekannt gemacht; einen fünfundzwanzigsten, den ein früherer Beamter des Kunstvereins für seine Handschriftensammlung an sich genommen hatte, habe ich später in die Hände bekommen und ebenfalls veröffentlicht.

Außer auf der Galerie, bei den Antiken und den Gypsabgüssen, sowie in Privatsammlungen suchte Goethe 1810 die Kunst auch bei Künstlern auf. Er besuchte die Maler Friedrich, Hartmann, Hammer und Kügelgen. Der eigenartige Landschaftsmaler Friedrich, 1774 in Greifswald geboren, seit 1798 in Dresden, war Goethen dadurch näher getreten, daß er 1805 und späterhin die von Goethe eingerichteten und mit Liebe gehegten Weimarischen Kunstausstellungen beschickte, dabei auch einen Preis erhalten hatte. – Hartmann, gleichfalls 1774 geboren, aus Stuttgart, war seit 1807 Professor und wurde 1823 Direktor der hiesigen Kunstakademie. Auch er hatte, schon 1799 und 1800, bei den Weimarischen Kunstausstellungen sich betheiligt und war ebenfalls, wenn auch nicht mit dem ganzen Preise ausgezeichnet worden; denn an seinen Arbeiten war in den veröffentlichten Beurtheilungen der Ausstellungen seitens der Weimarischen Kunstfreunde manches auszusetzen gewesen. Er hatte Goethe 1801 in Weimar besucht, der darauf äußerte: „In Absicht auf Kunstgesinnung ist er auf dem rechten Felde, nur nicht immer auf dem rechten Wege.“ Später sprach sich Hartmann öffentlich geringschätzig über die Goetheschen Kunstausstellungen aus, wobei er nach dem seinerseits dabei erfahrenen Tadel nicht unbefangen gehandelt haben mag. Goethe ließ es ihn aber 1810 nicht entgelten und war freundlich gegen ihn. Die Weimarischen Kunstausstellungen hatten damals schon aufgehört. – Den 1779 in Dresden geborenen Maler Hammer kannte Goethe von Karlsbad her; er führte 1807 Aquarelle für Goethe nach dessen Skizzen aus.

Mit Kügelgen, 1772 in Bacharach geboren, verkehrte Goethe mehrmals. Vom Dezember 1808 bis in den Februar 1809 hielt sich Kügelgen in Weimar auf und malte Ende 1808 Goethe nicht nur – er war damals neben Graff der geschätzteste Bildnißmaler Deutschlands – sondern bossirte auch seine Büste in Wachs; jetzt 1810 ließ Goethe sich wieder von ihm malen für seinen Freund Dr. Fritz Schlosser in Frankfurt a. M.; in dessen Besitzthum Stift Neuburg bei Heidelberg befindet sich dies Bildniß noch gegenwärtig. – Noch ein Dresdner Maler hat Goethe gemalt, aber nicht hier, sondern in Weimar 1809; es war dies der aus Baden stammende Kaaz, mit dem Goethe 1808 in Karlsbad und 1809 in Weimar, wo er sein häufiger Tischgast war, oft zusammen kam. Er starb 1810 kurz vor Goethe’s Hierherkunft. Graff hat Goethe nicht gemalt und das von Barth gestochene Bildniß, das der Unterschrift zufolge nach Graff hergestellt sein soll, beruht auf Fälschung; es ist nach dem Gemälde des bayrischen Hofmalers Stieler gestochen.

Goethe bewegte sich 1810 auch in den höheren gesellschaftlichen Kreisen Dresdens. Er hatte u. a. fast bei allen hiesigen Gesandten, die er wohl sämmtlich schon persönlich kannte, Besuche gemacht: bei dem österreichischen Fürst Paul Esterhazy, den russischen Basil Kanikoff, dem französischen Jean François Baron Bourgoing, dem preußischen Heinrich Ludwig von Buchholz, dem bayerischen Christian Hubert von Pfeffel, dem westfälischen Christian Konrad Wilhelm von Dohm, dem großherzoglichen frankfurtischen Hugo Franz Graf Hatzfeld. Demzufolge war er fast täglich zu Tisch oder zu Abend eingeladen: vom Prinzen Bernhard, wiederholt vom Fürsten Esterhazy, von Kanikoff, vom General von Thielmann, von der Baronin von Grotthuß, von Liliensterns, Kügelgens, Körners. In der Abendgesellschaft bei Körners sah Goethe den Geheimen Finanzrath von [40] Zezschwitz (später Kreishauptmann) nebst Gattin, geborene von Seidlitz, den Oberconsistorialpräsident Freiherrn von Ferber nebst Gattin, geborene von Broizem, den Kreishauptmann Grafen von Einsiedel (später Cabinetsminister), die Generalmajors von Thielmann und von Vieth. Bei Thielmann waren u. a. anwesend: Oberhofprediger Reinhard, Geheimer Assistenzrath Freiherr von Just (später Gesandter in London) und Professor Hartmann. Ueberall nahm er Huldigungen ein, – wie Dr. Volkmann in seiner Selbstbiographie sagt.

Dr. Johann Wilhelm Volkmann, geboren 10. Februar 1772, gest. 1. März 1856, war damals Stadtrichter zu Leipzig, aber in Dresden als landschaftliches Mitglied der zur Aufbringung der Kriegslasten errichteten Königlichen Landescommission amtlich thätig. Mit Goethe war er wahrscheinlich durch die beiderseitige Befreundung mit Professor von Kügelgen näher bekannt worden. Mit Oberhofprediger Reinhard hatte Goethe in Karlsbad Bekanntschaft angeknüpft. Ueber ihn spricht sich Goethe in den „Tag- und Jahresheften“ unterm Jahr 1807 mit höchster Anerkennung aus.

Beim Hofrath Peter Ludwig Heinrich von Block, – geb. 1764, 1798 Inspektor des Grünen Gewölbes, seit 1801 mit dem Titel Hofrath – nahm Goethe dessen kostbare Edelsteinsammlung in Augenschein. Die Mittel dazu hatte sich Block zum Theil auf verbrecherische Weise verschafft, indem er die ihm anvertraute Schatzkammer bestohlen hatte. Er kam 1816 deshalb in Untersuchung und wurde 1818 zu vier Jahren Zuchthaus verurtheilt. Der größte von ihm entwendete Diamant wurde seitens der Krone aus Holland zurückerworben unter Zahlung von 180 000 holländischen Gulden (etwa 310 000 Mark).

Nichts zu ermitteln war über eine Frau von Knox, die Goethe hier besuchte; mit dem Hofgärtner Seidel trat er auch 1810 wieder in Verbindung.

Zum letzten Male kam Goethe 1813 nach Dresden: vom 20. bis 23. oder 26. April und von Anfang August bis 10. dieses Monats. Von diesem zweimaligen Verweilen in Dresden ist vorläufig nicht viel zu berichten, da die von Goethe selbst ausgehenden ergiebigsten Quellen noch nicht veröffentlicht sind, und zwar die Tagebücher erst bis 1812, die Briefe gar nur bis 1795; die von 1813 haben wir gegen Ende dieses Jahrhunderts zu erwarten.

Im April 1813 fand sich der Hof- und Justizrath, nachmalige Geheime Finanzrath von Burgsdorff bewogen, Goethe, wegen Ueberfüllung der Stadt mit Einquartirung, Wohnung bei sich (jetzt Seestraße 6) anzubieten; denn er hoffte, – wie er dem Kabinetsminister Graf Senfft von Pilsach nach Wien meldete, – durch Goethe Näheres über die politische Lage zu erfahren, da das Haus Sachsen-Weimar mit dem russischen Hause verwandt war, also vertrauliche Mittheilungen vom Kaiser Alexander erhalten haben konnte. Goethe war freilich so streng verschwiegen, daß diese Hoffnung getäuscht werden mußte. Ganz besonders vermied damals Goethe politischen Verkehr und besuchte namentlich nicht den anwesenden preußischen Staatsminister Freiherrn von Stein; nur zufällig traf er bei Körners mit dem damals politisch thätigen Professor Arndt zusammen. Er verkehrte viel mit der Baronin Sarah von Grotthuß, geborene Meyer, aus Berlin gebürtig, den dortigen geistig regen Kreisen angehörig, mit der Goethe in langjährigem Briefwechsel stand.

Am 23. April unternahm Goethe einen Ausflug nach Tharandt, um dem Direktor und Gründer der Forstakademie, Cotta, einen Besuch abzustatten. Am 24. erfolgte der Einzug des Kaisers von Rußland und des Königs von Preußen in Dresden, und um diesen anzusehen, begab sich Goethe zu Kügelgen, der in Neustadt in dem als „Gottes Segen“ bekannten Hause auf der Hauptstraße wohnte. Ihn selbst fand er zwar nicht zu Hause, aber Frau von Kügelgen räumte ihm ein Fenster ein, an dem er sich einstweilen mit den Kügelgenschen Knaben unterhielt. Währenddem stürmte eine Dame ins Zimmer mit dem Rufe: „Ist Goethe hier?“ und stürzte auf diesen, als sie ihn erblickte, los, ohne sich um Jemand zu bekümmern. Goethe, von dieser Rücksichtslosigkeit unangenehm berührt, wies hierauf nur auf die Frau vom Hause mit der trockenen Bemerkung: „Hier ist Frau von Kügelgen!“ Wer diese Frau war, ist nicht festgestellt. Ich rieth zuerst auf Frau von Grotthuß, weil er diese Tags vorher hatte besuchen wollen, statt dessen aber nach Tharandt gefahren war und mir das Benehmen der Dame auf leidenschaftliche Erregung zu deuten schien. Der Herausgeber des Goethe-Jahrbuchs (VII.) hat widersprochen, aber aus nicht stichhaltigem Grunde. Der verstorbene Direktor des Hauptstaatsarchivs, Geheimer Rath von Weber, meinte, es sei Frau von Chézy gewesen, die aber meines Wissens 1813 nicht in Dresden war. Der dänische Philosoph Sibbern, der 1812 Goethe’s wegen nach Karlsbad gereist war, suchte ihn wieder im April 1813 in Dresden auf; er war einer der glühendsten Verehrer Goethe’s.

Auf der Galerie widmete Goethe sich damals eingehend den Gemälden Ruisdael’s und nahm von den drei, als „Der Wasserfall“, „Das Kloster“ und „Der Kirchhof“ bezeichneten Landschaften Anlaß, den schönen Aufsatz „Ruisdael als Dichter“ zu schreiben.

Während des Sommeraufenthaltes 1813 war die politische Lage eine höchst gespannte. Oesterreich hatte dem französischen Kaiser angeboten, zwischen ihm und den gegen ihn kriegenden Mächten Rußland und Preußen zu vermitteln, [41] zugleich aber seinen Anschluß an diese Mächte für den Fall erklärt, daß Napoleon diese Vermittelung binnen gestellter Frist nicht annehmen würde. Dessen Lage war eine so gefahrvolle, daß es Unvernunft gewesen wäre, Oesterreichs Vorschlag von der Hand zu weisen, aber der Stolz des Mannes, der bisher nur zu gebieten gewöhnt war, war so groß, daß er sich nicht entschließen konnte, so glattweg darauf einzugehen. Er gab zunächst seine Zustimmung in so formloser Weise, daß die Annahme von Oesterreich verweigert wurde, und als er das Versäumte nachholte, war die Frist abgelaufen und Oesterreich hatte sich dann sofort den gegen Frankreich Krieg führenden Mächten angeschlossen. Unter diesen Umständen war es ganz richtig, daß Goethe bei Beginn der Verhandlungen voraussetzte, Napoleon werde nachgeben, also der Friede erhalten bleiben, und er war daher dem Weimarischen Regierungsrath Peucer gegenüber ganz berechtigt, wenn er ihm die Wette darauf bot; wenn also Peucer mit der gegentheiligen Behauptung die Wette gewann, war dies nur Folge unberechenbarer Zwischenfälle. Allein Goethe hatte nun einmal verloren und zahlte im nächsten Jahre den Wettpreis mit einem rheinischen Dukaten, dem er die Reime beifügte:

Nein frechere Wette verliert man nicht,
Als an der Elbe ich dazumalen!
Jetzt da man über’m Rheine ficht,
Will ich in Rheingold sie bezahlen.

Als der Wiederausbruch des Krieges entschieden war, kehrte Goethe nach Weimar zurück. Dresden, wo er in fünf verschiedenen Jahren sieben Mal Aufenthalt genommen hatte, sah ihn nicht wieder; nur brieflicher Verkehr unterhielt seine Verbindung mit Dresdnern, namentlich, wie schon erwähnt, mit Herrn von Quandt und mit dem Hofrath, nachherigen Geheimen Rath Dr. Carus. Mit diesem wurden naturwissenschaftliche, aber auch die Kunst betreffende Fragen behandelt.

Zum Schluß gedenke ich, daß gegenwärtig noch drei Männer in Dresden wohnen, die mit Goethe in persönliche Berührung gekommen sind: Der Wirkliche Geheime Rath Freiherr von Fritsch[1], der Wirkliche Geheime Rath von Strauß und Torney und der Generalmajor z. D. von Heygendorff, Goethe’s Pathe. Wenn aber auch die letzten persönlichen Zeugen einer großen Zeit des Deutschthums verstummt sein werden, so wird doch die deutsche Kultur ewiges unverdrängbares Zeugniß ablegen für Goethe.


  1. Inzwischen am 24. Oktober 1892 verstorben.