Kulturhistorische Modebilder

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Autor: Karl Braun-Wiesbaden
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Titel: Kulturhistorische Modebilder
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 30-32, S. 488-492, 506-509, 520-523
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
ad. Fußnote: Lichtenberg’s „Vermischte Schriften“ (Göttingen 1844), Band III, S. 79, SB Berlin; Band IV, S. 111 u. ff., SB Berlin
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Kulturhistorische Modebilder.

1.0 Die Geschichte vom Zopfe.
Von Karl Braun-Wiesbaden.

Es giebt in der Weltgeschichte kein ergreifenderes Trauerspiel, als die Geschichte vom Zopf. Niemals ist Jemand bei seinem ersten Auftreten mit mehr Begeisterung empfangen worden. Niemals hat Jemand über mächtige Gegner glänzendere Triumphe gefeiert. Niemals ist Jemand schmählicher zu Grunde gegangen und mehr unter allgemeinem Spott und Hohn zu Grabe getragen worden. Niemand mehr, als der Zopf. Ich spreche natürlich nur von dem Zopfe der Männer. Denn die Zöpfe der Damen, wenngleich sie bisweilen ein wenig falsch sind, erfreuen sich auch heute noch der allgemeinen Beliebtheit und Achtung.

Der männliche Zopf wurde, als er zum ersten Mal als junger schlanker, unternehmender Gegner der alten umfangreichen, [490] schwerfälligen Perücke auftrat, von dem damaligen „jungen Europa“ mit Jubel empfangen. Denn es hat in jedem Jahrhundert ein „junges Europa“, ein „junges Deutschland“, ein „Italia giovino“ etc. gegeben. Leider ist das junge Institut allemal gar zu schnell gealtert. Doch das ist ein Thema, das eine besondere Bearbeitung (zwar bis jetzt nicht gefunden hat, aber nothwendiger Weise) erfordert.

Heute sprechen wir nur von dem Zopfe.

Wenn ich deutlich machen soll, wie der Zopf gleich dem jungen Herkules in der Wiege schon Schlangen erwürgte, nämlich die Locken-Schlangen der Allongeperückc, und wie diese Heldenthat von Europa mit Beifall aufgenommen wurde, so muß ich ein wenig zurückgreifen auf die vorausgegangenen Jahrhunderte.

Vor dem Dreißigjährigen Krieg trug man kurze Haare und lange Bärte. Im 17. Jahrhundert dagegen wurden die Bärte immer kürzer und schmaler – der Kinnbart fiel ganz weg, und der Schnurrbart wurde durch Rasiren von der oberen und von der unteren Seite her zugleich dergestalt geschmälert, daß er nur noch einen dünnen Strich bildete – und die Kopfhaare wurden immer länger. Oder besser und deutlicher ausgedrückt: „Sollten immer länger werden.“ Da aber die Natur ihre Mitwirkung versagte zu den unsinnigen Plänen der Mode und der Menschen, so mußten bald die künstlichen und die todten Haare die Stelle der natürlichen und der lebendigen Haare vertreten; und das war der Ursprung der Perücken, und zwar jener Allonge-Perücken, welche sich „mit Millionen Locken“ auf dem menschlichen Haupt emporthürmten und außerdem noch die Ohren, den Rücken, die Schultern und einen Theil der Brust bedeckten.

Indessen gab es auch damals schon eine Minorität, welche es vorzog, das eigene Haupthaar zu tragen, und merkwürdiger Weise gehörten zu ihr gerade die zwei Männer, welche zu einander einen unversöhnlichen Gegensatz bildeten, so daß der eine dem andern zum Opfer fallen mußte. Das waren Kaiser Ferdinand II. und Wallenstein, richtiger „Waldstein“ geheißen. Beide haben niemals Perücken getragen.

Allein abgesehen von diesen beiden Häuptern jenes 17. Jahrhunderts, welches die Franzosen heute noch das „große“ (le grand siècle) nennen, wie sie auch ihren Haupt-Perücken-Stock, Ludwig XIV., den großen Herrscher (le grand monarque) tituliren, welches Jahrhundert für uns Deutsche dagegen unzweifelhaft das Jahrhundert des Elends, der Verarmung, des Rückganges, der Auflösung und des Verfalls war – abgesehen von so hohen Häuptern, sage ich, wagte es damals noch Niemand, den Perücken offen den Krieg zu erklären.

Man machte den schüchternen Versuch, an die Stelle der Allonge-Perücke die kurze runde Stutz-Perücke zu setzen. Allein auch das galt schon für ein Zeichen von bedenklicher Gesinnung, oder wie man es in unserer kauderwälschen officiellen Sprache ausdrückt: „von destruktiven Tendenzen“. Lord Mahon erzählt uns, daß die Königin Anna von England einen ihrer besten Minister in Ungnaden entließ, weil er sich erdreistet hatte, vor Höchstihren Augen, statt in einer großen Allonge-Perücke, in einer einfachen Stutz-Perücke zu erscheinen. Leibniz dagegen war klüger. Er war ein großer Gelehrter, aber auch ein großer Staats- und Hofmann. Er erschien nie anders, als in einer großen Perücke, und so sehen wir ihn auch heute noch in seiner vortrefflichen Portrait-Statue auf dem Platze vor der Thomaskirche in Leipzig.

Unter solchen Umständen ist es begreiflich, daß es damals selbst die Jugend noch nicht wagte, direkt gegen jeden Zwang und für die absolute, extreme und unbeschränkte Befreiung des Haupthaares aufzutreten, welche heutzutage die Regel ist und welche man vor hundert Jahren, als sie aufkam und als man in einer Art von römischem Pseudoklassicismus schwärmte, den „Titus-Kopf“ nannte. Sie wußte, daß man darin einen Angriff auf Thron und Altar, oder mindestens eine „subversive Tendenz“ gefunden haben würde. Gleichwohl wollte sie sich nicht mehr fernerhin in eine Wolke fremder Haare hüllen. Sie wollte das eigene Haarwachsthum kultiviren; aber sie wagte noch nicht, es ganz zu emancipiren, weil man darin ein „bedauerliches Zeichen von Sittenlosigkeit“ erblickt haben würde. Auf diesem Wege kam sie zu einem Kompromiß, nämlich: eigene Haare, aber in gebundener Form. Das war der Zopf – der Kompromiß zwischen Natur und Unnatur, zwischen freiem Haar und Perücke. Der Zopf war also der Fortschritt!

Schon in der Mitte des 17. Jahrhunderts hatte Moscherosch, genannt „Philander von Sittenwald“, in seinem „Alamode-Kehraus“ wider die Perücken gedonnert mit den Worten:

– „Bist Du ein Deutscher? Warum denn mußt Du ein falsches Haar tragen? Warum muß dies Haar also lang über die Schultern herabhangen? Warum willst Du das Haar nicht kurz beschneiden nach alter deutscher Sitte? Ist das nicht eine lose Leichtsinnigkeit? Diese langen Haare, also herabhangend, sind rechte Diebshaare und erdacht worden von den Wälschen, welchen um eines Diebsstückes oder einer andern Missethat willen ein Ohr abgeschnitten worden. Den Verlust möchten sie nun also mit den Haaren bedecken. Ihr aber wollt solche lasterhafte Leute in ihrer Untugend nachäffen? Eurer eigenen, ehrlichen, deutschen Haare wollt Ihr Euch schämen? Ihr wollet sie abschneiden und hingegen lieber eines wälschen Diebs- und Galgenvogels Haar Euch auf Euren Kopf setzen lassen? – Aber wer sich seines eigenen Haares schämt, der ist nicht werth, daß er einen Kopf hat.“

Der Ausdruck „Diebshaar“ erläutert sich aus dem Umstände, daß schon zur Zeit des alten Frankenreiches das Abschneiden des Haupthaars eine entehrende Strafe war und daß auch noch im 17. Jahrhundert in Frankreich und in Deutschland die Sitte herrschte, die überführten Diebe à la brebis (wie Schafe) zu scheren und zu stäupen. Das nur beiläufig.

Am deutlichsten läßt uns die preußische Dynastie erkennen, wie der Zopf die Perücke besiegt hat.

Friedrich I., der sich die Königskrone auf das Haupt gesetzt hat, war noch ganz und gar Perücke, und zwar Perücke in des Wortes verwegenster Bedeutung. Er trug Allongeperücken ausgedehntester Gattung.

König Friedrich Wilhelm I., der Vater Friedrich’s des Großen, eröffnete den Krieg wider die großen Perücken zu Gunsten – der kleinen. Anstatt der Allongeperücke führte er die bereits erwähnte kleine runde Stutzperücke ein. Zuerst trug er eine braune, in seinen letzten Lebensjahren eine schneeweiße. Beim Militär führte er den Zopf ein. Mit der Perücke für den gemeinen Mann ging’s ohnedies nicht. Das wäre schon viel zu theuer geworden, und Friedrich Wilhelm I. war, wenngleich er auf den Erwerb langer Rekruten ein großes Stück Geld verwandte, doch vor allen Dingen sehr sparsam. Daneben haßte er den französischen Luxus und folglich auch das „falsche Pathos der Haare“, die „falsche Behauptung“, das ist die Perücke. Die streng geregelte Tracht des eigenen Haares in einer gebundenen, die stramme Mannszucht versinnbildlichenden Form war sein Ideal. Seitdem begann man von dem „preußischen“ Zopfe zu sprechen.

Und Friedrich der Große war es, der diesen preußischen Zopf zu Ehren gebracht hat. Denn Friedrich trug überhaupt keine Perücke. Wie Friedrich I. ganz Perücke war, so Friedrich II. ganz Zopf, wenngleich keineswegs nur Zopf. Und es gelang ihm, dem Zopfe Bahn zu brechen, und zwar nicht nur in der Armee, sondern auch in der bürgerlichen Gesellschaft. Heute lächeln wir unwillkürlich, sobald von der „Zopfzeit“ die Rede. Aber man darf dabei Zweierlei nicht vergessen: Einmal: die Vorzüge des Zopfes vor der Perücke. Vor Allem, daß er weniger Zeit, Schonung und Pflege in Anspruch nahm, und dann, daß er weniger kostete.

Sodann, – daß die größten Männer Zöpfe getragen; ich nenne nur Gotthold Ephraim Lessing, Albrecht von Haller, Klopstock, Wieland, Herder, Kant, Winckelmann, Linné, Buffon, Voltaire etc. Auch Kaiser Wilhelm und seine Brüder haben in der Jugend noch Zöpfe getragen.

Allein obgleich der Zopf von einem großen Könige und von einer Reihe geistiger Heroen getragen und beschützt ward, vermochte er doch nicht ohne schwere Kämpfe zur Herrschaft zu gelangen. Noch im 17. Jahrhundert herrschte unter der Geistlichkeit ein heftiger Streit darüber, ob es dem Priester erlaubt sei, sich der Perücke zu bedienen. Ein französischer Doktor der Theologie Namens Jean Baptiste Thiers hat eine eben so dickleibige, als wüthende Streitschrift wider die geistlichen Perücken geschrieben. Doch die Perücken siegten. Im 18. Jahrhundert sehen wir dagegen das Schauspiel, wie die zur Herrschaft gelangten fanatisirten Perücken den Zopf als einen unberechtigten [491] Eindringling bekämpften, welcher an einem geistlichen Haupte nicht geduldet werden dürfe.

Einen höchst interessanten Beleg hierfür liefert der Proceß wider den Prediger Schulz in Gielsdorf in der Mark, später bekannt unter dem Namen „der Zopf-Schulz“. Er wurde bei dem Konsistorium verklagt unter Anderem auch deßhalb, weil er vor seiner Gemeinde im Zopf predige, anstatt in einer Perücke, oder in sorgfältig gelocktem oder gekräuseltem Haupthaar. In der wider ihn eingeleiteten sehr umfangreichen Untersuchung wurde die Thatsache des Zopfes festgestellt, im Uebrigen aber sein Wandel unsträflich befunden. Das Kammergericht sprach ihn frei. Aber der berüchtigte Minister Wöllner, der ja bekanntlich auch den großen Philosophen Kant mit „unangenehmen Verfügungen“ bedroht hat, veranlaßte König Friedrich Wilhelm II., das Urtheil zu kassiren, die gewissenhaften Richter mit der „allerhöchsten Ungnade“ heimzusuchen und den guten „Zopf-Schulz“ abzusetzen und in die Untersuchungskosten zu verurtheilen.

Noch 1742 wurde in Halle an der Saale der Doktor Franke, der Sohn des hochverdienten und frommen Pastors August Hermann Franke und Nachfolger seines Vaters in der Leitung der berühmten Stiftungen des Waisenhauses etc., mißliebig, weil er statt der Perücke einen Zopf trug, und nur sein hinreichend bekannter gottesfürchtiger Charakter und seine Stellung vermochten ihn vor der Anklage der „Freigeisterei“ zu schützen.

Und dieser Zopf, der 1741 für das Sinnbild der „Freigeisterei“ galt, galt 1841 ebenso unzweifelhaft für das Sinnbild der altfränkischen Abgeschmacktheit und des bornirten Rückschritts – kurz, für das Symbol der „Verzopftheit“. Er war derselbe geblieben, aber die Ansichten der Menschen hatten gewechselt.

Betrachten wir nun noch kurz, wie der Zopf nach und nach gesunken ist und wie er endlich gefallen.

Den ersten Todesstoß erhielt er durch die französische Revolution und dann den zweiten durch Napoleon I. Als der Letztere 1806 in dem Innern Deutschlands erschien, kam er, im Gegensatze zu der bisherigen noch vielfach herrschenden Mode, nicht in kurzen Hosen, seidenen Strümpfen und Schnallenschuhen, sondern in langen Beinkleidern (Pantalons) und Stiefeln. Er ging ohne Zopf, ohne Haarbeutel und ohne Puder – einfach im rund und kurz geschorenen eigenen Haare, was man damals „Titus-Kopf“ nannte. Viele Deutsche folgten seinem Beispiele. Aber erst im zweiten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts ist in Deutschland der Zopf gänzlich verschwunden. Die großen Perücken sieht man auf dem Kontinente schon lange nicht mehr. Man findet sie nur noch jenseit des Kanals bei den englischen Richtern und dem Sprecher des Unterhauses.

Einer der letzten Zopfträger in Deutschland war Friedrich Nicolai, der als unermüdlicher Vorkämpfer der Aufklärung bekannte Schriftsteller und Buchhändler in Berlin (er hat auch eine ganz hübsche „Geschichte der falschen Haare und Perücken“ geschrieben, 1800), und dessen Schwiegersohn Hofrath Parthey. Der Sohn des Letzteren und Enkel des Ersteren, Gustav Parthey, hat in seinen „Jugend-Erinnerungen“, die leider nicht in den Buchhandel gekommen, uns die „Geschichte des letzten Zopfes“ sehr anschaulich und anmuthig beschrieben.

– „Das gepuderte Haar“, so erzählt Gustav Parthey von seinem Vater, dem Hofrathe Parthey, „trug er aus der Stirn zurückgekämmt und hinten in einen Zopf zusammengebunden. Er erzählte uns manchmal, daß am Ende des 18. Jahrhunderts die eleganten Herren mit ihren Zöpfen einen förmlichen Luxus getrieben. Besondere Gestalten von Zöpfen kamen in die Mode und wurden wieder verlassen. Es gab vornehme und gemeine, falsche und halbgefütterte Zöpfe etc. Lichtenberg in Göttingen verspottete Lavater’s Physiognomik in einem witzigen Aufsatze: ,Fragment von Zöpfen’, das mit vielem Beifalle aufgenommen wurde.[1]

Ein recht starker Zopf galt, wie jetzt ein starker Bart, für ein Zeichen der Männlichkeit. Der Zopf meines Vaters war so stark, daß er meist für falsch gehalten ward. In Kurland begegnete es ihm mehr als einmal, daß man seiner Versicherung über die Echtheit nicht eher Glauben schenkte, als bis er das Zopfband löste und eine gewaltige Fülle blonden Haares herabwallen ließ.

Die französische Revolution hatte die Zöpfe abgeschafft, vorzüglich deßhalb, weil sie beim Guillotiniren hinderlich waren. Da nun in jener Zeit fast jeder Franzose in dieser Gefahr schwebte, so schnitt man die Zöpfe lieber vorher ab.

In Deutschland hielten sich die Zöpfe länger. Daß noch im Jahre 1800 Jean Paul den Helden seines ,Titan‘ mit einem falschen Zopfe ausstattete, kommt uns jetzt komisch vor, war es aber damals nicht. Während des französischen Krieges (1806–1807) wurden die meisten Civil-Zöpfe in Berlin abgeschnitten, vielleicht mit aus ökonomischen Gründen, um eine Ersparniß an Puder, Pomade, Zopsband, Haarbeutel und Zeit eintreten zu lassen.

Dem Frisirtwerden meines Vaters habe ich oft, auf dem Fußbänkchen am Fenster sitzend, mit Aufmerksamkeit zugesehen; es dauerte sehr lange. Zuerst trat der Bediente Wilhelm, das Frisirzeug unter dem Arme, ins Zimmer, breitete eine weiße, leinene Decke von wenigstens sechs Fuß im Quadrat auf dem Teppich aus, setzte einen Stuhl darauf und sagte: ,Herr Hofrath, wenn’s gefällig wäre‘. Mein Vater stand vom Schreibtisch auf, fuhr in den aufgehaltenen Pudermantel, nahm die Zeitung zur Hand und setzte sich. Der Zopf des vorigen Tages wurde gelöst und das volle Haar vielfach durchgekämmt. Dann nahm Wilhelm aus einer weißen Porzellanbüchse eine ansehnliche Menge wohlriechender Pomade und salbte den ganzen Kopf. Bei dieser Operation erregten seine fettglänzenden schnalzenden Hände mir immer einen innerlichen Abscheu. Hierauf drehte er mittelst eines hölzernen Cylinders, dessen technischer Name mir entfallen, über jedem Ohre eine lange horizontale Locke, Taubenflügel oder ,Aile de Pigeon‘ genannt, deren Hältniß durch besonders hinzugefügte Pomade gefestigt ward.

Nun folgte das Pudern. Wilhelm öffnete eine große blecherne Büchse voll des feinsten Weizenmehles, tauchte den aus den zartesten Federn bestehenden Puderquast hinein und verbreitete durch Auftupfen um den ganzen Kopf eine dichte weiße Staubwolke, die nicht nur an dem gefetteten Haare hängen blieb, sondern auch in weitem Kreise sich niedersenkte und von dem Zeitungsblatte durch wiederholtes Abklopfen entfernt werden mußte. Dieser trockne Qualm war mir nicht weniger zuwider als die vorher angewendete Schmiere, und ich suchte den Athem so lange anzuhalten, bis der ärgste Dunst sich verzogen.

Darauf wurde der Zopf dicht am Nacken mit einem weißen Bande, dessen eines Ende Wilhelm zwischen den Zähnen hielt, zusammengebunden, dann mit einem feinen schwarzseidenen Bande sorgfältig umwickelt.

Ein elegantes Zopfband gehörte zu den kleinen Luxusgegenständen; es war für junge Männer, wenn es als Geschenk von lieber Hand kam, ein süßes Angedenken. In Blumauer’s travestirter Aeneide erhenkt sich Dido an dem Zopfbande des geliebten Aeneas. Zu Guterletzt reichte Wilhelm meinem Vater das Pudermesser; er trat vor den Spiegel und entfernte vorsichtig mit der stumpfen Klinge den Puder von der Stirn bis an die Haarwurzeln hinauf.

Das so vollendete künstliche Gebäude war eigentlich nur auf einen Chapeaubas berechnet, den man gar nicht aufsetzte, sondern unter dem linken Arme trug. Damals wurden aber allgemein dreieckige und runde Hüte getragen, die bei jedem Aufsetzen und Abnehmen den Bau zerstörten und sehr bald von Fett starrten. Ging daher mein Vater in eine Abendgesellschaft, so wurde entweder der Puder erneuert, oder das ganze langweilige Geschäft des Frisirens bei Lichte wiederholt.

Vor dem Schlafengehn verwahrte Wilhelm die Seitenlocken in Papillotten, vertauschte das feine Zopfband mit einem weniger guten und schob den Zopf mit geschickter Wendung unter die bereitgehaltene weiße baumwollene Zipfelmütze.

Als nun während des Krieges von 1806 die Zöpfe in Berlin immer mehr in Abnahme kamen, da sprach mein Vater auch davon, den seinigen abzuschneiden. Wir waren anfangs alle dagegen: denn des Vaters Zopf gehörte mit zu seiner Person, und wer möchte an einem geliebten Wesen irgend etwas entbehren? Doch bald änderte sich die Stimmung, denn in der Schule, wo bereits die unbezopften Lehrer in der Mehrzahl waren, wurden die wenigen bezopften mit allerlei Ekelnamen belegt; da figurirte der Schreibelehrer als Selleriewurzel, der Singlehrer als Regenwurm etc. [492] Eines Sonntagmorgens wurden wir halb traurig, halb freudig überrascht, als der Vater uns seinen abgeschnittenen Zopf, der auf einem Bogen Papier kaum Platz hatte, vorlegte. Er trug nun sein volles, silberweißes, seidenweiches Haar, das ihm bis zum 77. Jahre geblieben ist, und gefiel uns nur um so besser.“

So endete der letzte Zopf!

Doch nein! Es war nicht der letzte. Als 1814 der alte Kurfürst von Hessen in Cassel wieder eingesetzt ward, da stellte er bei seinen Soldaten den Zopf wieder her. Er wußte nicht, daß der Zopf so lange als Symbol der Aufklärung, der Freigeisterei und des Fortschritts gegolten. Er hielt ihn für das Symbol der Legitimität und der guten alten „kurhäßlichen“ Zeiten.

Allein das Vergnügen dauerte nicht lange. Als sein Sohn ans Regiment kam, befahl er sofort, alle Zöpfe abzuschneiden und in die Fulda zu werfen. Und so sind sie aus der Fulda in die Weser geschwommen und aus der Weser in die Nordsee. Und wiederkommen werden sie schwerlich.

Das war das traurige Ende des vormals so lustigen Zopfes.


[506]
2.0 Die Geschichte vom Frack.
Von Karl Braun-Wiesbaden.


Es ist merkwürdig, wie wirkungslos die Angriffe der Schriftsteller gegen die herrschende Mode, namentlich gegen die Kleidermode, abzuprallen pflegen, mögen diese Angriffe auch noch so geistreich und gelehrt sein. Es sind erst einige Jahre her, daß der schneidige Aesthetiker Friedrich Theodor Vischer in Stuttgart seine Streitschrift „Mode und Cynismus“ losließ. Sie wurde von Allen gelesen, von Vielen bewundert und sogar von Tausenden gebilligt. „Er hat eigentlich Recht,“ sagten sie Alle. Aber trotz der Zustimmung, des Beifalls und der Bewunderung hatte sie nicht die mindeste Wirkung. Die Dinge blieben „uneigentlich“, wie sie waren. Allerdings hat die damalige Damenmode, gegen welche vorzugsweise Vischer sein schweres Geschütz auffuhr, in verschiedenen Stücken seitdem gewechselt, wie es ja gleichsam ihr Beruf ist, ewig zu wechseln; aber gerade diese Aenderungen – wie z. B. die Tournüre und die wieder im Anzug begriffene Krinoline, auf Deutsch „Reifrock“ – werden am allerwenigsten Vischer’s Beifall erringen.

Alles Das fiel mir ein, als ich kürzlich einen heftigen Angriff gegen den Frack las. Ich kann mir die Möglichkeit denken, daß die Mode wechselt, daß z. B. für Damenkleider in Zukunft [507] Wien oder Berlin in derselben Weise tonangebend wird, wie es bisher Paris war. Auch können wir uns der Wahrnehmung nicht verschließen, daß jetzt schon in nmnchen Stücken, wie z. B. in Allem, was auf den Sport Bezug hat, die englischen Herrenmoden auf dem Festlande einen großen Einfluß ausüben. Allein der Frack ist, was seine Grundform anlangt, überhaupt keine Tagesmode, sondern eine stationär gewordene Tracht, eine stehende Gesellschafts- und Kulturform, welche hundert Jahre Geschichte hinter sich hat und gewiß auch noch einige Jahrzehnte Zukunft vor sich. Wie oft schon hat man Sturm gegen denselben gelaufen, namentlich auch in Deutschland! Ja, es ist immer Deutschland gewesen, das über eine „Nationaltracht“ philosophische Betrachtungen angestellt, aber es mit deren praktischer Durchführung nur zu sehr bescheidenen Anfängen gebracht hat. Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts entstand in England und Frankreich eine plötzliche Umwälzung der Tracht, welche man in Deutschland sklavisch mitmachte.

Am 10. Januar schreibt ein Berliner Korrespondent in dem „Journal des Luxus und der Moden“:

„Fast jeder Stand, fast jede Klasse, z. B. das Militär (nämlich außer der Uniform), die Akademien, die junge Kaufmannswelt, der junge Adel der Höfe und Residenzen, hat seine eigenen Uebertreibungen und Karikaturen im Kostüm. England und Frankreich lieferten aber Deutschland immer die ersten Originale dazu und waren stets die Klippen, an denen der Verstand und gute Geschmack unserer jungen Welt so oft scheiterte. Frankreich stellte uns erst seine süßen Petitmaitres und Elegants, hernach seine cynischen Sansculottes und nun seine wildfreien Incroyables, sowie England seine Maccaronis, Fine gentlemen und Bloods auf, und unsere jungen Deutschen französirten und englisirten sich nach Herzenslust und schraubten natürlich die Wirbel noch um etwas höher, um doch auch Etwas von dem ihrigen hinzuzuthun.“

Der Korrespondent liefert in der beigegebenen Zeichnung einige Musterbilder aus Berlin, denen an Haar und Hut, Halstuch und Frack bis auf „lange, weite Matrosenhosen von Nanking im Winter“ nichts von der ganzen revolutionären Stutzerherrlichkeit abgeht. (Siehe Jakob von Falke, „Die deutsche Trachten- und Modenwelt“, Bd. II, Seite 316 und ff.)

Je schlimmer die Wirklichkeit sich gestaltete, desto mehr schwärmte man für Ideale. Ein „teutscher Patriot“ schlug eine Nationaltracht vor. Die Anhänger dieser „Idee“ sollten sich an jedem Orte, sei er groß oder klein, zu Vereinen zusammenthun, sich durch Unterschriften verpflichten, Beiträge zeichnen, und an einem und demselben, von der Centralleitung zu bestimmenden Tage sollten dann alle die zahllosen Mitglieder dieser zahlreichen Vereine auf der Straße in der „Nationaltracht“ erscheinen – mit dieser Thatsache sei die große Reform endgültig festgesetzt und erschienen.

Natürlich ist aus der Sache nichts geworden. Statt der Nationaltracht kamen die Fremdherrschaft, die Franzosenzeit, die französischen Moden.

Als aber das französische Joch abgeworfen war, da waren es die deutschen Studenten. welche auf den Gedanken der Nationaltracht zurückkamen. Sie erfanden „die deutsche Tracht“ und wußten derselben Eingang zu verschaffen, wenigstens unter einem Theile der Studenten, nämlich unter denjenigen, welche zur Burschenschaft gehörten oder sich zu ihr hielten.

Allein Alledem wurde durch die Reaktion, die seit 1819 immer mächtiger und rücksichtsloser auftrat, ein Ende gemacht. Wer einen deutschen Rock mit übergeschlagenem Hemdekragen trug, hatte sicher Anwartschaft auf das Gefängniß. Denn diese Tracht galt für „denmgogisch“. Sie dauerte beinahe vierzig Jahre, diese grausame Verfolgung einer harmlosen Jugend – wie uns solche Fritz Reuter in seiner „Festungstid“ schildert – und erst Friedrich Wilhelm IV. machte derselben ein Ende für Preußen, wo sie am schlimmsten grassirt hat.

An diese „Nationaltracht“ von 1798 und 1820 wurde ich lebhaft erinnert, als ich einen Aufsatz des Professor Bruno Meyer las, welcher Aufsatz vor Kurzem die Runde durch die deutschen Zeitungen gemacht hat. Namentlich druckten die Blätter seine Polemik gegen den Frack ab, welche lautete wie folgt:

„Eins aber ist zur Reform der männlichen Kleidung unbedingt und sofort nothwendig: die Abschaffung des Fracks. Es ist schon im Princip unrichtig, für feierliche Gelegenheiten eine bestimmte Kleiderform zu monopolisiren, und nun gar eine von allen im gewöhnlichen Leben gebräuchlichen Kleiderformen abweichende. Praktisch erreicht man damit gerade das Gegentheil von dem Beabsichtigten: Es werden durchschnittlich schlechtere Kleider in der Gesellschaft getragen, als bei stetem Wechsel geschehen würde, und was gar im formellen amtlichen Verkehr für ‚Hüllen‘ Verwendung finden, weil es ja doch einmal bei bestimmten Gelegenheiten diese und keine andere Form sein muß, das glaubt man nicht, wenn man es nicht gesehen hat. – Man verlangt doch von den Damen nichts dergleichen. Denn auch das ausgeschnittene Kleid ist schon längst nur noch in der Hofgesellschaft unumgänglich und wird doch vor allen Dingen sehr vielfach auch in gewöhnlicher Toilette getragen. Und warum sind denn selbst gegenüber der strengen Hofetikette unter dem Namen von Uniformen, National- und Amtstrachten u. dergl. alle möglichen Formen von Anzügen zulässig? Also fort mit einem einzigen, sonst im Leben nicht getragenen Gesellschaftskleidungsstück! Und vollends zehnmal fort damit, wenn es sich um ein Kleidungsstück von solcher Sinn- und Geschmacklosigkeit handelt, wie der Frack ist. Sollte es in unserer Zeit, in der durch Vereinigungen und Vereine so manches Vernünftige bewirkt und ins Leben gerufen wird, gar nicht möglich sein, in der angedeuteten Richtung einen Fortschritt anzubahnen?“

„Unbedingt und sofort“ – „Vereinigungen und Vereinen“ – so hieß es auch 1798 und 1820. Gewiß ist das Alles gut gemeint und schön gesagt, und ich bin weit entfernt, dem Aesthetiker und Kulturhistoriker in Sachen des Geschmacks zu widersprechen. Aber

„Die Botschaft hör’ ich wohl,
Allein mir fehlt der Glaube,“

namentlich der Glaube an daa „Sofort und Unbedingt“.

Ich möchte mich nicht zum Lobredner, sondern zunächst nur zum Geschichtschreiber des Fracks machen und dann kurz das „Für“ und „Wider“ unparteiisch gegen einander abwägen.

Wir wissen, wie der Zopf die Perücke verdrängt hat, wie der Zopf ursprünglich ein Symbol der Aufklärung, und wie z. B. Friedrich der Große so recht der eigentliche Vertreter des Zopfes war; wie aber dann allmählich der Umschwung eintrat und im Laufe unseres Jahrhunderts der Zopf als Zeichen des Rückschritts und der Geschmacklosigkeit angesehen wurde und dann verschwand, als wenn er nie existirt hätte.

Ungefähr um dieselbe Zeit, wie der Zopf, ist auch der Frack aufgekommen, aber er hat mehr Widerstandsfähigkeit und Lebenskraft bewiesen, als jener. Vielleicht deßhalb, weil er ursprünglich aus militärischen und ritterlichen, insbesondere aus kavalleristischen Kreisen hervorging, was man freilich dem Fracke von heutzutage, namentlich dem Fracke der Kellner und dem sogenannten „Loyalitätsfracke“ nicht mehr ansieht. Und doch ist es so. Denn Folgendes ist die Genesis, die Entstehungsgeschichte des Fracks.

Dem Reiter waren die vorn lang herabhängenden Rockschöße zuweilen im Wege. Gegen Regen und Unwetter waren sie auch nicht sehr dienlich; dazu hatte man ja den Mantel.

So kam man denn auf den Einfall, die Rockschöße nach hinten zurückzuklappen. Auf jeder Seite hinten wurde ein Haken oder ein Knopf angebracht, mittelst dessen man den vorderen Rockzipfel nach hinten und nach oben zurück- und hinaufknöpfte, so daß das Rockfutter nach außen sichtbar wurde. Dadurch, daß nun das Rockfutter, das bis dahin, nach innen gekehrt, dem stillen Veilchen gleich nur im Verborgenen blühte, an das Licht der Oeffentlichkeit trat, wurde man genöthigt, demselben eine besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Man liebte damals eine gewisse Buntheit und Vielfarbigkeit in der Kleidung, auch bei den Männern; – alle Welt trug „zweierlei Tuch“, nicht nur die Soldaten. Beinahe jeder Stand hatte eine, nicht auf dem Wege des Befehls und der Mannszucht, sondern auf dem der Ueberlieferung, der Gewöhnung und der Sitte eingeführte besondere Tracht und Farbe der Kleidung.

Noch zur Zeit unserer Großeltern hatte der Schulmeister einen hechtgrauen, der Müller einen blaugrauen, der Jäger einen hellgrünen, der Gerber einen lohfarbenen, der Schneider und der Maurer einen dunkelblauen, der Leineweber einen hellblauen, der Schäfer einen weißen, der Professor einen kaffeebraunen, der Fleischer einen rothbraunen und der Musikus einen zimmetfarbenen [508] Rock an. Die Farben der vier Fakultäten der heutigen Hochschulen sind noch ein schwacher Rest unserer vormals so mannigfaltigen Farbenschattirung. Schwarz trugen damals nur die Rathsherren, die Priester, die Scholarchen, die Trauernden und die Schornsteinfeger.

Die Welt war eben damals noch bunter, und selbst auf dem Gebiete der militärischen Tracht herrschte noch viel mehr Freiheit. Die eigentliche „Uniform“ datirt von Friedrich dem Großen, der nicht nur den Zopf, sondern auch den Frack generalisirte, letzteren auch für den Fußgänger, das heißt die Infanterie, einführte und so die Armee uniformirte; und da er ein guter Finanzmann und überall, wo es unbeschadet der Sache ging, auf das Sparen bedacht war, so fand er es schließlich besser, statt den Rockzipfel umzuschlagen und aufzuknöpfen, ihn kurzweg abzuschneiden. Das war einfach und billig. Also hat schon an der Wiege des Frackes die Sparsamkeit gestanden. Die doppelten Farben aber behielt man bei, nicht nur für die Schöße, sondern auch für die Brustklappen und für die Kragen, nur suchte man deren Flächen zu beschränken, denn das rothe Tuch war sehr theuer, und man wollte und mußte ja sparen.

Der Frack, der Uniformsfrack, stieg in der Achtung mit den Männern, welche ihn trugen. Seit dem Siebenjährigen Krieg galt die preußische Armee für die beste. Ein Jeder wollte auch in der Kleidung ihr möglichst ähnlich werden. Auch die Leute vom Civil schnitten ihren Rock zu nach dem Muster der Herren Officiere. So ist der bürgerliche Frack entstanden. Allein auch an seiner Wiege hat als Gevatterin die Sparsamkeit gestanden. Sie hat den mehrfarbigen Frack in den einfarbigen und schließlich in den schwarzen verwandelt. Daß dabei die Goldstickereien, die Schnüren, Borten, Litzen und sonstigen Verzierungen, wegfielen, versteht sich von selber. Schon kurz nach dem Siebenjährigen Krieg kam etwas Aehnliches wie der schwarze Frack auf. Ich finde dafür einen Anhaltspunkt in dem interessanten Werke des Herrn von Rohr. Es ist 1765 erschienen und „Anleitung zur Klugheit“ betitelt. Ein Kapitel handelt Kapitel handelt „von der Klugheit, welche man beim Reisen zu beobachten hat.“

Darin finden wir unter Anderem folgende Regel:

„Trage auf Reisen zwar reinliche und propere, aber nicht verchamerirte Kleider (das ist buntfarbige, goldgefaßte oder bordirte Röcke, das sogenannte habit habillé). Denn in einem bordirten Rock wirst Du hin und wider für einen Abenteurer gehalten werden; auch mußt Du überall mehr bezahlen, und die Leute stellen Dir überall nach, weil man Dich für reich hält. Am Besten thust Du, an fremden Orten in einem einfachen schwarzen Kleide zu gehen, namentlich wenn Du Ursache hast zu ökonomisiren. Du kannst ja einen Trauerfall als Ausrede gebrauchen. Auf diese Art kannst Du in einem und demselben Anzuge in alle Gesellschaften gehen, während Du sonst mit Anzügen wechseln müßtest.“ (Damals war es also auch mit den Herren so, wie jetzt mit den Damen, welche während einer jeden Saison drei oder vier verschiedene neue Kleider produciren müssen, wenn es nicht heißen soll „Gott, die kommt immer in demselben,“ das ist: Anzug). „In einem schwarzen Anzuge kannst Du Dich ausgeben für was Du willst. Allerdings mußt Du doch vielleicht neben dem schwarzen Anzug noch einen verchamerirten haben, damit Du, wenn Groß-Galla ist, bei Hofe erscheinen kannst. Denn da kann Dir auch die Ausrede der Trauer nichts helfen.“

Der neue Frack.
Nach dem Oelgemälde von Carl Schlösser.

Wir sehen hier wieder einen Fortschritt. Vor hundert Jahren war der schwarze Frack bei Hof noch verboten. Heute ist er schon längst hoffähig geworden. Damals erschienen gerade die frechsten und verlogensten Abenteurer, wie z. B. der berüchtigte Casanova de Seingalt, in den glänzendsten Anzügen, welche man „Phantasie-Uniformen“ nannte. Durch traurige Erfahrungen belehrt, ist man heutzutage bei Hof nicht nur vorsichtiger, sondern auch toleranter geworden. Die „Phantasie-Uniformen“ sind nicht mehr statthaft. Jeder soll das Kleid tragen, das ihm zukommt, und wer eine Uniform zu tragen weder berechtigt noch verpflichtet ist, der kommt im einfachen, schwarzen, bürgerlichen Frackrock, selbst bei Einladungen der Kaiserin und des Kaisers. Ja, ich habe sogar schon zuweilen bei dem Hof in Berlin den Frack in der Mehrheit gesehen. Es war namentlich so zur Zeit des konstituirenden Reichstages im Jahre 1867.

In der Armee ist der Frack dem Waffenrock, der Dreimaster und der Tschako dem Helme gewichen. Die Fürsten aller Länder haben den kostbaren und umständlichen Kostümen von ehedem die knappe und kleidsame militärische Uniform vorgezogen. Dies ist indeß erst seit dem Zeitalter Friedrich’s des Großen. Früher trug man die spanische Tracht. Der eitele Ludwig XIV. zeigte sich niemals anders. Auch auf den Bildern, welche seine Schlachten und Eroberungen verherrlichen, steckt er stets in jenen umständlichen und verzwickten Kleidern, welche es ihm nicht erlaubten, zu Pferde zu steigen oder seine Soldaten selbst in das Feuer zu führen. Dafür hielt er sich seine Leute. Er fuhr in der großmächtigen Kutsche.

In der bürgerlichen Gesellschaft dagegen hat der schwarze Frack sich immer breitere, tiefere und ausgedehntere Schichten erobert. Ich sage mit Nachdruck: Der schwarze Frack! Denn die farbigen Fräcke sind längst schon verschwunden. Der junge Goethe hatte in Weimar, seinem „jungen Werther“ zu Lieb und zu Ehren, den blauen Frack mit gelben Knöpfen eingeführt. Allein Weimar war doch die Welt nicht. Ich selbst habe noch den alten August Wilhelm von Schlegel in einer jugendlichen Perücke und einem hellbraunen Leibrock zu Bonn auf dem Katheder gesehen, worüber sich die akademische Jugend höchlichst ergötzte. Aber der braune Frack, wie der blaue, sind schon lange verschwunden. Der schwarze allein ist geblieben. In ihm darf man vor dem deutschen [509] Kaiser und vor dem Präsidenten der Vereinigten Staaten erscheinen, und Napoleon III. hat ihn mit Vorliebe getragen.

Gewiß ist, man kann auch von dem Frack mit den Worten des Homer prophezeien:

„Einst wird kommen der Tag, wo verschwindet der schwärzliche Frackrock.“

Einstweilen aber erfreut sich das Kleidungsstück noch einer mächtigen Herrschaft, welche sich über alle fünf Welttheile erstreckt.

Gewiß hat Professor Bruno Meyer Recht: Ein schäbiger Frack ist etwas sehr Schäbiges. Gewiß ist es fast unglaublich, was selbst im amtlichen Verkehr für verwahrloste Fräcke zum Vorschein kommen. Aber die schlimmsten, nämlich die „juristischen Fräcke“ sind ja durch die Talare beseitigt, welche so Vieles „gnädig verhüllen“. Allein, wie ist es denn mit dem Cylinder? Ist etwa ein schäbiger Cylinder weniger schäbig, als ein schäbiger Leibrock?

Ohne Zweifel giebt es auch viel geistreiche Männer, welche den Frack für „sinn- und geschmacklos“ erklären. Allein was beweist das? Seit den Zeiten der alten Griechen und Römer waren die Kleidungsstücke, welche der „gute Ton“ vorschrieb und die in der vornehmen Gesellschaft erfordert wurden, selten sehr sinnreich oder geschmackvoll. Um sich davon zu überzeugen, braucht man nur die großen Kostüme-Werke von J. H. von Hefner-Alteneck, oder von A. von Eye und Jakob von Falke durchzublättern.

Auch Das muß zugegeben werden, daß der Frack einigermaßen „abweicht von den im gewöhnlichen Leben üblichen Kleiderformen“. Allein hat er das nicht gemein mit den Festkleidern aller Zeiten und aller Völker? Und ist das nicht gerade der Beruf und die berechtigte Eigenthümlichkeit des festlichen Gewandes, daß es abweicht von den Arbeits- und Werkeltagskleidern?

Endlich gebe ich bereitwillig zu: der Frack ist vielfach mißliebig, besonders in Deutschland. Dies hat aber seinen Grund weniger in den soeben hervorgehobenen Ausstellungen, als vielmehr darin, daß man bei uns sehr oft in Zweifel geräth, wann man im Frack erscheinen muß und wann nicht. Es hat sich darin eine unzweifelhaft und überall feststehende Lebensgewohnheit noch nicht ausgebildet. Allein daran ist nicht der Frack schuld. Derselbe Mangel zeigt sich auf vielen anderen Gebieten der Sitten und Gepflogenheiten. So ißt bei uns z. B. Jeder zu einer anderen Stunde zu Mittag. Nicht einmal in einer und derselben Stadt und in einer und derselben Gesellschaftsklasse herrscht die nämliche Stunde als Regel. In Berlin muß ich erst Erkundigung einziehen: „wann speist der Mann?“ – wenn ich ihn besuchen will, ohne zu stören. Diese Mannigfaltigkeit erschwert uns das Zusammenleben, während in England das Alles durch einen bei Allen gleichmäßig in Ansehen stehenden, wenngleich ungedruckten Sittenspiegel der Art einheitlich geregelt ist, daß ein Jeder weiß, was er zu thun und zu lassen hat. Jedermann weiß, daß er die Gabel nicht in die Rechte nehmen, daß er den Fisch nicht mit dem Messer traktiren, daß er überhaupt das Messer nicht nach dem Munde führen, und daß er nicht ohne Frack und nicht mit bunter Kravatte in dem Parterre der großen Oper erscheinen darf, ohne zu riskiren, daß er nicht mehr als Gentleman gelte. Vielleicht könnte man durch Vereine für einheitliche Regelung unserer Gesellschaftsgewohnheiten wirken. Aber auch Tausende deutscher Vereine vermögen nicht die Stellung des Fracks zu erschüttern. Denn diese Stellung ist nicht deutsch, sondern international, ja europäisch oder vielleicht gar tellurisch. Pflegt doch selbst King Bell in Kamerun bei großen Feierlichkeiten ausschließlich im Frack zu erscheinen!

Jedenfalls hat der Frack, wie er jetzt ist, zwei große Vorzüge vor allen seinen Vorgängern: es kostet wenig Geld ihn anzuschaffen, und wenig Zeit, ihn anzuziehen.

In England sagt man: Das Parlament kann Alles, nur nicht aus einer Frau einen Mann machen.

In Deutschland könnte man sagen: Der Reichskanzler kann Alles; aber den Frack abschaffen, das kann auch Er nicht.


[520]
3.0 Die Geschichte vom Schlapphut und vom Cylinder.
Von Karl Braun-Wiesbaden.

Wer kennt nicht das schöne Gedicht von unserm alten braven und liebenswürdigen Fabeldichter Gellert?

Es fängt an:

„Der Erste, der mit kluger Hand
Der Männer Schmuck, den Hut, erfand,
0 Trug seinen Hut unaufgeschlagen.
Die Krempen hingen flach herab,
0 Und dennoch wußt’ er ihn zu tragen,
Daß ihm der Hut ein Ansehn gab.

0 Er starb und ließ bei seinem Sterben
0 Den runden Hut dem nächsten Erben.“

Diese zwei letzten Zeilen bilden einen Refrain, der sich bei jedem Erbübergang wiederholt und den Hut durch sechs verschiedene Hände gehen läßt.

Der Erste also trug ihn unaufgeschlagen. Der Zweite steifte zwei Krempen auf. Der Dritte errichtete noch eine dritte Krempe, machte also einen Dreimaster. Der Vierte ließ den Hut, der bis dahin seine helle Naturfarbe hatte, schwarz färben. Der Fünfte ließ ihn wenden und mit Schnüren einfassen. Der Sechste reißt die Schnüre herunter und verziert den Hut mit einem Knopfe und mit goldenen Tressen. Und so geht es weiter.

0 „Und jedesmal ward die erfundne Tracht
0 Im ganzen Lande nachgemacht.“

Und was ist die Moral der Geschichte?

„Daß ich es kurz zusammen zieh’:
Es ging dem Hute fast, wie der – Philosophie!“

Doch wir wollen die Philosophie ihrem Schicksal überlassen und nur von dem Hute sprechen.

Seit Gellert’s Zeiten hat derselbe wieder eine ganze Reihe von Wandelungen durchgemacht.

Damals war der Dreimaster Mode. Heute ist es der Cylinder. Beide für die „gute Gesellschaft“. Damals hatte der niedrige Hut breite Krempen, dieselben waren jedoch dreieckig aufgeschlagen. Heute bedient man sich, wenn man in Gesellschaft geht, des hohen walzenförmigen runden Hutes mit ganz schmalen, horizontal stehenden Krempen.

Und nun erst, wie interessant ist die Geschichte dieses Cylinders! Oder vielmehr die Geschichte seiner symbolischen Bedeutung! Denn seine Form – mag er das eine Mal hoch, das andere Mal niedrig getragen werden, mag er einmal oben sich mehr verengen oder mehr in die Breite auslaufen – seine Form ist immer so ziemlich dieselbe geblieben von 1785 bis 1885.

Aber die Bedeutung, wie hat die gewechselt!

Ursprünglich Symbol der Revolution, ist der Cylinder heute zum Symbol loyaler ordnungsmäßiger Gesinnung geworden.

Und wie Wenige giebt es, die das wissen! Nicht einmal Die, welche es zunächst angeht, die Hutmacher, haben davon Kenntniß.

Unser heutiger Cylinder stammt nicht aus Frankreich, sondern aus Nordamerika. Dort trugen ihn die Quäker, welche ihren Stolz darein setzten, sich durch eine edle Einfachheit auszuzeichnen. Der berühmte Benjamin Franklin trug einen solchen Hut, als er, direkt von Philadelphia kommend, am 7. December 1776 in Nantes an das Land stieg, um Frankreich „im Namen der Freiheit zum Beistand gegen das despotische England aufzurufen“. Dieser runde einfache Quäkerhut war der bewußte Gegensatz gegen den dreieckigen Kavalierhut, der mit goldenen Knöpfen, Tressen und Troddeln und mit bunten Federn aufgeputzt war.

Franklin hat damals acht Jahre in Paris zugebracht und seinem Vaterlande die nützlichsten Dienste geleistet. Ganz Frankreich schwärmte für ihn. Man ahmte ihn in Allem nach. Sogar sein einfacher schwarzer walzenförmiger Quäkerhut ward Mode in Frankreich. Er galt für ein Zeichen der aufgeklärten, der liberalen, ja am Ende sogar der republikanischen Gesinnung. So ergriff der Cylinder damals Besitz bei den Franzosen, und von da aus verbreitete er sich über ganz Europa, ja schließlich sogar über alle [521] fünf Welttheile, und heute, wenn ein schwarzer afrikanischer König sich ganz fein machen will, schmückt er sein krauses wolliges Haupt mit dem Cylinder.

Damals aber, im vorigen Jahrhundert, war das Vordringen für den jetzt herrschend gewordenen Cylinder so leicht nicht. Er galt in den monarchisch regierten Ländern Europas, wo man von der anfänglichen Bewunderung der französischen Revolution zu Furcht und Entsetzen übergegangen war, für revolutionär, wenigstens für verdächtig. Er wurde Gegenstand polizeilicher Ueberwachnng oder Verfolgung. Hin und wieder erfolgten sogar auch Verbote, so z. B. durch einen Ukas des Kaisers Paul von Rußland, der den runden Cylinder als die Tracht der Jakobiner bezeichnete. Allein der Cylinder, obgleich er sich weder durch Zweckmäßigkeit noch durch Schönheit zu empfehlen wußte, war stärker, als die Verfolgungen und die Verbote. Er verstand es, sich Bahn zu brechen, allerdings nur dadurch, daß er immer mehr darauf aus war, seinen republikanischen Ursprung zu verleugnen, Der gelehrte und geschmackvolle Kulturhistoriker Jakob von Falke erzählt uns höchst merkwürdige Geschichten über die revolutionäre Anrüchigkeit des Cylinders am Ende des vorigen Jahrhunderts, von welchen ich hier nur zwei mittheilen will.

Im Jahre 1798 schreibt ein „kuriöser“ Reisender:

„Der runde Hut gewinnt alle Tage mehr Platz im Anzuge der Männer, selbst in den obersten Klassen. Bald wird der dreieckige aus seinem sonst so wohl begründeten Besitzthum fast ganz verdrängt und nur noch der Gefährte des Amtsrockes, des Staatskleides und der militärischen Uniform sein.“

In diesem Sinne hatte damals unter Anderm auch ein Engländer den sonderbaren Einfall, eine politische Karte von Deutschland zu entwerfen, auf welcher er den vorherrschenden Stand der revolutionären und monarchischen Gesinnungen der deutschen Städte durch einen beigesetzten runden oder dreieckigen Hut bezeichnete. Er sei auf die Hüte gereist, sagte er. In Hambnrg sei ein Huttriangel eine wahre Seltenheit, in Berlin wollte der runde Hut, vermuthlich weil das Militär dort herrschender sei, schon weit weniger gedeihen, und in Dresden getraue sich der Beamte und schon in reiferen Jahren stehende Mann, den respektswidrigen runden Hut höchstens bei einer Landpartie aufzusetzen.

Nun, dieser respektswidrige Cylinder von 1798, heute, 1885, gehört er zu den unerläßlichen Bestandtheilen eines salonfähigen Anzugs. Bei Hof, bei Feierlichkeiten, bei Festlichkeiten, in der guten Gesellschaft – überall ist der Cylinder unentbehrlich.

Ja, er gilt für loyal und konservativ, für ein Zeichen „guter Gesinnung“.

Bis zum Jahre 1848 trugen wir Alle entweder Cylinder oder „Kappen“, das ist Mützen. Die unteren Klassen und die Jugend trugen Mützen, zuweilen Zipfelmützen. Die mittleren und höheren Klassen trugen Cylinder, und zwar die Wohlhabenden neue und feine, die Aermeren alte oder solche, die der neuesten Façon nicht mehr entsprachen. Wenn’s nur ein Cylinder war! Das genügte.

Das Alles wurde über Nacht anders. Seit den Märztagen von 1848 galt der unschuldige Cylinder für frivol, für reaktionär und Wer weiß was, und dieweil damals ein Jeglicher für möglichst freisinnig gelten wollte, so verschwand die „Angströhre“ von den Häuptern der Menschen. „Angströhre“ – so nannte man nämlich damals diese Hüte, obgleich im Gegentheil schon ein gewisser Muth dazu gehörte zu jener Zeit, den von der öffentlichen Meinung verpönten Cylinder zu tragen.

An seine Stelle traten Hüte von allerlei Arten, insbesondere alle möglichen und unmöglichen Arten von Schlapphüten; und der boshafte und witzige, dabei aber von Statur kleine und bucklige Abg. Detmold von Hannover, der in dem Frankfurter Parlament saß und dort (wie denn ein Jeder der verehrlichen Mitglieder irgend einen Spitznamen führte) „das kleine Laster“ genannt ward, hat uns eine schnurrige Geschichte hinterlassen, in welcher der Hut – sowohl der Cylinder, wie auch der Schlapphut – eine beinahe welthistorische Rolle spielt. Das Buch heißt „der Piepmeier“ und ist von dem Düsseldorfer Maler Schrödter, dem wir unter Anderem auch die schönen Bilder von dem sinnreichen Junker und fahrenden Ritter Don Quixote von der Mancha und von Sir John Falstaff, dem witzreichen Fettklumpen und unermeßlichen Sekt-Vertilger, verdanken, vortrefflich illustrirt. Der „Held“, Piepmeier, ist ein erst spät durch eine Nachwahl in die Paulskirche gelangtes „verehrliches Mitglied“, das zu schönen Hoffnungen berechtigt, aber leider nicht weiß, ob es konservativ oder liberal, ob es konstitutionell oder radikal ist, und, um es mit Niemand zu verderben, sich nach der wechselnden Stimmung des Tages einzurichten bestrebt ist. Hier interessirt uns vor Allem sein Hut, welchen er als Thermometer des Tages, oder als den Laubfrosch des wechselnden politischen Wetters behandelte. Der Mann war als ein „Notabler“ des Ackerstädtchens, wo er wohnte und wo er gewählt wurde, angelangt mit einem Cylinder. Allein als praktischer Mann sah er bald ein: dieser Standpunkt ließ sich in Frankfurt nicht behaupten. Er kaufte sich daher bei einem Frankfurter Hutfabrikanten einen großen mächtigen, breitrandigen Schlapphut, indem er bei Abschluß des Kaufes den Verkäufer verpflichtete, auf sein Verlangen an dem Hut diejenigen Veränderungen vorzunehmen, welche „nach Maßgabe des jeweils herrschenden Zeitgeistes nothwendig oder nützlich erschienen“. So setzte sich der Abgeordnete Piepmeier in vollständige Uebereinstimmung mit seinem Hute.

Dieses Kleidungsstück, welches sein erleuchtetes Haupt zierte, war biegsam und schmiegsam gleich seinem Charakter. Wie sein Herz von jedem Windhauche des Tages bewegt wurde, das heißt entweder mehr rechts-, oder mehr linkswärts getrieben, so nahm auch sein Schlapphut, je nachdem die Stimmung sich mehr in konservativer oder in revolutionärer Richtung bewegte, entweder eine mehr unbiegsame steife oder eine mehr nachgiebige oder verbogene Form an. Sein Hut und sein Herz wetteiferten in Nachgiebigkeit gegen jeden wirklichen oder vermeintlichen Umschlag der öffentlichen Meinung. Als von Paris die Nachricht einlief, es sei dort die rothe Revolution ausgerufen und der Prinz-Präsident fortgejagt oder verhaftet, wirft Piepmeier in seinem Schlafkämmerlein seinen Hut, der vorher zu einer etwas steiferen Form ausgebügelt und aufgerichtet worden war, auf die Erde und bringt ihm durch unbarmherzige Fußtritte eine „zeitgemäßere“ proletarische Form bei. Als aber am andern Tage die Nachricht widerrufen und von allen Ländern – von Frankreich, von Spanien, von Ungarn, von Italien – ein Rückgang der Bewegung gemeldet wird, da geht der ehrenwerthe Piepmeier zu seinem Hutmacher, welcher den Hut wieder frei macht von den Spuren der nächtlicher Weile erlittenen Fußtritte und ihn wieder in eine solide reputirliche Form bringt. Endlich aber, als Piepmeier die Ueberzeugung gewinnt, daß „der Sieg der Reaktion leider nicht mehr zu bezweifeln“, zeigt er der Nationalversammlung seinen Austritt an, indem er zugleich bei seinem Frankfurter Geschäftsfreund und Hutfabrikanten den schmiegsamen Schlapphut umtauscht gegen einen hartgesottenen unbeugsamen Cylinder.

Damals, 1849, wies man in der Paulskirche auf diesen oder jenen Abgeordneten mit dem Finger: „Der ist es, der dem boshaften Detmold zu seinem Piepmeier Modell gesessen.“ Namentlich waren die Herren, deren Name eine Zusammensetzung mit „Meier“ als den beiden letzten Silben bildete, vor böswilliger Mißdeutung nicht sicher.

Indessen kann ich mich hier, wo ich einen Beitrag zur Philosophie der sich in Kleidnngsstücken offenbarenden Geschichte der Menschheit schreibe, auf solchen untergeordneten persönlichen Anekdoten-Kram nicht weiter einlassen, sondern gehe über zur Erzählung zweier, von mir selbst erlebter Ereignisse von diametral entgegengesetzter Richtung, wovon das eine 1850 in Heidelberg und das andere 1856 in der ungarischen Hauptstadt Budapest spielte.

Es war im Frühjahr 1850. Wir passirten Heidelberg, mein Freund E. und ich, und wollten dort einen Tag lang unsern Studenten-Erinnerungen nachgehen. Kaum hatten wir die Eisenbahn verlassen, so stürzte sich ein Polizeidiener auf meinen Freund und riß ihm seinen Schlapphut vom Kopfe. Mich ließ er in Ruhe, denn ich trug einen Cylinder. Mein Freund war sprachlos; der Polizeidiener war in einer Aufregung, als wenn er eben einen Mörder auf frischer That betroffen hätte. Ich intervenirte und fragte den Vertreter einer hohen Obrigkeit nach den Gründen seines Verfahrens. „Diese Hüte,“ sagte er, „sind strengstens verboten, sie sind das Abzeichen der Revolution.“ (Man erinnere sich, daß das Jahr zuvor im Großherzogthum Baden eine Militär-Emente stattgefunden hatte.) Ich sagte ihm, wir seien Fremde und des Verbotes unkundig. „Ja, aber Sie tragen doch einen [523] Cylinder,“ antwortete er. Seine Aufregung schien sich etwas zu legen. Als mein Freund das gewahrte, sagte er: „Wenn Sie den Hut konfisciren, dann lassen Sie mir doch das Band und die Schnalle, sie sind ein Andenken.“ Da gerieth der Polizeidiener von Neuem in Zorn. „Ja gerade die Schnalle! Das ist es, das ist das geheime Abzeichen!“; und er warf den Hut sammt Schnalle auf die Erde und trampelte darauf herum, wie wüthend. Ich sah, daß da nichts zu machen war, nahm meinen Freund am Arm und führte ihn in den nächsten Hutladen. Da kauften wir für ihn einen Cylinder. Mit dem ersten Zug fuhren wir weiter. Wir verzichteten darauf, unsere akademischen Erinnerungen aufzufrischen.

Während in Heidelberg mein Freund E. das Opfer seines Schlapphuts wurde, wäre ich sechs Jahre später in Pest beinahe das Opfer meines Cylinders geworden. Damals regierte in Wien Alexander Bach als allmächtiger Minister des Innern, und der Cylinder galt (was ich freilich nicht wußte) in Ungarn für das Symbol antinationaler, centralistischer, Bach’scher, oder wie man damals sagte „schwarzgelber“ Gesinnung. Die nationalgesinnten Männer trugen statt dessen das niedrige runde ungarische Hütchen.

Als ich nun meinen ersten Rundgang durch das schöne Pest antrat, hörte ich hinter mir allerlei Töne, sowohl in magyarischer als auch in deutscher Zunge, welche mit Flüchen und Verwünschungen eine gewisse Aehnlichkeit hatten; und als mir ein dortiger Freund auf Befragen erklärte, das gelte nicht mir, sondern meinem Cylinder, da vertauschte ich die Angströhre mit einem Schlapphut, wie sechs Jahr früher mein Freund den Schlapphut mit dem Cylinder vertauschen mußte.

Zwanzig Jahr später, im Sommer 1876, war ich wieder in Budapest als Mitglied des internationalen Kongresses für Statistik. Der Erzherzog Joseph gab uns ein Fest auf der ihm gehörenden Margarethen-Insel. Der ungarische Minister Bela Wenkheim lud uns auf die Ofener Burg ein. Natürlich sah man da Cylinder aller Nationen. Sie wurden nicht mehr beanstandet. Denn der freie Ungar hatte zwischenzeitig Frieden geschlossen mit seinem „König“ und suchte deßhalb das Bach’sche Regiment thunlichst zu vergessen. Was kümmerte ihn da noch der Cylinder? War es ja doch nicht mehr der Bach’sche Cylinder, sondern der europäische Cylinder — der Cylinder aller Welt und aller Nationen!

Und um dieselbe Zeit, wo der Cylinder seinen reaktionären Geruch verlor, verlor auch der Schlapphut seinen revolutionären. Niemand fühlt sich mehr demokratisch, wenn er einen Schlapphut, Niemand mehr legitimistisch, wenn er einen Cylinder trug.

Selbst der deutsche Reichskanzler, welcher im Dienst die gelbumstreifte Mütze oder den blinkenden Helm trägt, führt während seines Bade- und Landaufenthalts einen mächtigen, breitrandigen schwarzen Schlapphut.

Man sieht also, die vormals so feindlichen Brüder Cylinder und Schlapphut sind ausgesöhnt miteinander, und sie würden sich gerührt in die Arme sinken, wenn sie welche hätten.

Zum Schluß aber muß ich wieder auf eine ungarische Geschichte zurückkommen:

Auf einem ungarischen Jahrmarkt hatte ein Zigeuner eine goldgestickte rothe Mütze gestohlen. Erst als er sie in seiner halb unterirdischen Lehmhütte in Sicherheit gebracht hatte, kam ihm ein Bedenken: er hatte die Mütze zum Zwecke der Befriedigung seiner Eitelkeit gestohlen, aber nun fiel ihm der Gedanke schwer aufs Herz, er könne doch, ohne sich der Gefahr der sofortigen Entdeckung und Züchtigung auszusetzen, die Mütze nicht öffentlich tragen und somit den Zweck, der ihn zum Diebstahl verleitet hatte, nicht erreichen. Aber schlau, wie er ist, fand er einen Ausweg. In der Nacht verließ er das eheliche Lager, setzte die kostbare Mütze auf sein blauschwarzes Haar und stolzirte so auf und ab in dem engbemessenen Raum seiner Hütte. Seine Ehehälfte erwachte darüber und fragte:

„Jaschku, hast Du den Verstand verloren, was marschirst Du da zur Nachtzeit herum in der dunkelen Hütte?“

„Weib dummes“, erwiderte der beleidigte Jaschku, „weißt Du denn nicht, daß man nicht tragen kann bei Tag helles draußen in Welt weites Mütze gestohlenes rothes?“

Diese Anekdote beweist uns, daß Professor von Ihering Recht hat, wenn er in dem zweiten Bande seines geist- und umfangreichen Buches „Der Zweck im Recht“ behauptet:

„Das Kleid ist nicht bloß äußerlich Stimmungsträger, sondern auch innerlich Stimmungswecker.“

Die gestohlene goldgestickte Mütze konnte der Zigeuner nicht dazu verwenden, seine Stimmung nach außen zu tragen und zu bekunden — wohl aber dazu, sich selbst in eine gehobene Stimmung zu versetzen, wenn auch nur im engen unnd dunkelen Raume. So ist es jetzt noch.

Ich hoffe aber, in Zukunft wird es anders sein. Das Kleid wird die Stimmung nicht mehr machen. Das Geschick von Schlapphut und Cylinder läßt uns dies hoffen; und dann wird auch Jaschku keine rothe Mütze mehr stehlen.


  1. Dies ist ein Irrthum. Allerdings hat der witzige Göttinger Lichtenberg die Physiognomik Lavater’s verspottet, aber nicht mit „Zöpfen“, sondern mit „Schwänzen“, namentlich von Schweinen, aus welchen er schließt, wie die Mettwurst wird, die man aus dem Fleisch jedes dieser Thiere bereitet. Siehe Lichtenberg’s „Vermischte Schriften“ (Göttingen 1844), Band III, S. 79; Band IV, S. 111 u. ff.