Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Kronstadt und Petersburg
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 199-201
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Von den Ufern der Ostsee.
Nr. 3. Kronstadt und Petersburg.

Die englische Flotte in der Ostsee ist mit ihren beinahe 3000 Kanonen, darunter manche Vier- und Sechsundachtzig-Pfünder, die furchtbarste, welche die Welt je beisammen sah. Sie ist dreimal stärker, als die Nelson’ s, der 1801 in der Ostsee über dreimal stärkere, vereinte Feinde siegte, indem er Dänemark zwang, von der nordischen Aliance zurückzutreten. Wohl Mancher traut ihr deshalb, besonders unter Napier, zu, daß sie sich als einen guten Hafen Aland nehmen und dann den finnischen Meerbusen hinaufsegeln und dampfen könne, um sich Petersburg zu kaufen. Das Geschäft würde indessen nicht so leicht sein. Viele halten’s auf dem offenen Wege des Kampfes für unmöglich. Die Flotte müßte nämlich Kronstadt passiren, das etwa vier deutsche Meilen vor Petersburg den Seeweg mit 600 großen und unzähligen kleineren Kanonen-Augen bewacht, die im Falle der Noth ein solches Kreuzfeuer und einen solchen dichten, schweren eisernen Kugelregen auf die allein gangbar gelassenen Wasserstraßen unterhalten könnten, daß kaum eine Katze lebendig hindurchkommen würde. Unsere Zeichnung giebt ein sehr genaues natur- und kriegswissenschaftlich

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[201] ausgeführtes Bild dieser Kanonenstrahlen. Die Linien stellen zugleich die Tragweite der verschiedenen Kanonen und Mörser figürlich dar. Wo diese Strahlen – ein ganz respektabler Heiligenschein Kronstadt’s – dünner erscheinen, sind sie entweder gar nicht oder wenigstens nicht dichter nöthig, da in diesem Falle die Vertheidigung unter dem Wasser liegt, entweder von Natur oder von der Kunst besorgt. Zu ersterem Falle ist das Meer so seicht, sandbankig und gefährlich, daß kein respektables Schiff daran denken kann, mit heiler Haut nur in das Bereich des „Heiligenscheines“ zu kommen. In letzterem Falle sind es Pfähle und Granitblöcke, die unter dem Wasser wie eine Festungsmauer hinlaufen. Auf diese Weise ist z. B. die ganze Breite des Meeres zwischen Kronstadt und Lisi Noß (siehe die Zeichnung im verkleinerten Maßstabe) für jedes größere Fahrzeug geschlossen. Auf der andern Seite, wo die eigentlichen Seestraßen nach Petersburg laufen, ist Alles seicht und gefährlich oder ganz unpassirbar, was nicht doppelt, drei- und vierfach im Bereich der Kanonen liegt. Die „große“ und die „kleine Straße“ zwischen dem Alexander- und Peter-Fort und dem großen mit Kanonen bedeckten Damm, der die Höhen und die Pulvermagazine einschließt, auf der einen Seite und Cronslott und Risbank auf der andern, auf welcher allein Kriegs- und Handelsschiffe Petersburg erreichen können, sind so furchtbar und vielseitig gegen nicht willkommene Gäste geschützt, daß jeder 2 – 300 kalte und glühende Kugeln und Paixhänse in den Leib bekäme, ehe er aus der großen in die kleine einlaufen könnte. Aus der kleinen allein könnten ihm die 44 Kanonen des Menzikoff-Forts acht bis zehn Ladungen in die Brust geben, wenn es sich inzwischen die zehnfachen Grüße der 70 Kanonen und 12 Mörser, die ihm von links von den Hafen-Dämmen her entgegen jauchzen, nicht zu sehr zu Herzen genommen haben sollte. Inzwischen ist schon dafür gesorgt worden, daß die englische Flotte auf dem ganzen Wege im finnischen Meerbusen den tödtlichsten Steinschmerzen ausgesetzt würde. Er war nämlich noch im April größtentheils zugefroren. Auf das Eis würden nun da, wo die tiefen Fahrstraßen liegen, ungeheuere Felsblöcke gewälzt, deren Spitzen den Schiffen in den Bauch fahren würden, wenn sie sich über sie hinwegzuwagen den Muth hätten.

Im Uebrigen bedarf es hier um so weniger weiterer Worte, als die Zeichnung in ihrer Anschaulichkeit selbstredend genug wird. Wir bemerken nur noch, daß die langgestreckte flache Insel, auf deren breitestem Endpunkte sich Kronstadt von Granit, Eisen und Holz in lauter straffen militärischen Linien erhebt – strenger Lapidarschrift autokratischer Regierungsform und eines Staates, dessen ganzes Leben und Streben auf Eroberung auf dem Wasser gerichtet ist – daß die Kronstadt-Insel in den Seiten und besonders an ihrer Spitze durch eine unzählige Menge kleine Inselchen, Felsstücke und Sandbänke natürlich geschützt ist, wo die Kunst und die Politik nicht mit Kanonenaugen wachen. Unter den Inselchen an der Spitze derselben erhebt sich eine imposante Granitmasse, die an hellen Nächten wie Alpen im Abendroth glüht, da sie von einem 95 Fuß hohen Leuchtthurme, der 1/2 Meile vor ihr die Wasserrücken spielend beleuchtet, illuminirt wird.

Kronstadt selbst bietet im Innern für den Laien wenig Anziehendes, da Architektur, Häuser, Straßen, Magazine, Leben und Gesellschaft von einem streng militärischen Geiste durchhaucht sind. In das Observatorium ist noch kein Reisender gekommen, der es hätte schildern können. Wahrhaftig großartig soll die Dampfmaschinen-Anstalt der Festung sein, worin außer Maschinen besonders Kanonen und Kugeln, Anker und sonstige metallene Schiffsutensilien gegossen und geschmiedet werden. Die Bewohner Kronstadt’s sind außer der bedeutenden Militärmasse, Arbeiter und Beamte in den verschiedenen Officinen der Regierung und Lieferanten, Handelsleute und Ladenbesitzer, die für den Bedarf und die Bequemlichkrit der Bewohner die nöthigen Materialien von Petersburg importiren. Die Verbindung mit der Hauptstadt wird durch regelmäßige Dampfschifflinien unterhalten, welche blos an dem einzigen Hafendamme an der nordöstlichen Spitze landen dürfen. Er ist durch 16 Kanonen und eine Ziehbrücke, außerdem durch eine strenge Controle der Kommenden und Gehenden gesichert. Die Wasserthore, welche in die vier Docks und Häfen im Süden führen, sind ebenfalls nur nach strenger Controle und mit besondern Erlaubnißscheinen, die beiden Kriegshäfen aber in der Regel gar nicht zugänglich.

Was Petersburg selbst betrifft, so lassen die Mündungen der Newa mit ihren vielen Untiefen und Sandbänken nur sehr enge Straßen für größere Fahrzeuge. Jene großen Leuchtschiffe bezeichnen und erhellen die beiden Hauptzugänge, durch welche nur der kundigste Pilot die richtige Fährte finden kann. Von der Stadt selbst wollen wir hier weiter nichts sagen und nur auf die zum Theil prächtige beinahe 10 deutsche Meilen am südlichen Gestade sich ausstreckende Vorstadt aufmerksam machen. Sie besteht aus kaiserlichen Palästen, Katharinhof, dem Peterhof-Palast, Oranienbaum u. s. w.. Gruppen von Privatpalästen, kleineren Städten, Parken, Festungswerken, Exercierplätzen, Gärtnereien, Treibhäusern u. s. w. und dürfte im Sommer in Natur und Kunst mit manchen stolzen und berühmten Dekorationen von Hauptstädten wetteifern. In der Kunstgärtnerei hat man’s hier weiter gebracht, als selbst in den weltberühmten Gärten in Kew (Kju) bei London. Bei 30 Grad Kälte läßt sich der Fürst oder große Kaufmann frische Erdbeeren oder Kirschen oder Weintrauben vom Baume abschneiden, um den Gaumen zum Nachtisch damit zu erfrischen. Eine berühmte Künstlerin erfuhr zufällig, daß man bei einem Mahle, welches man ihr zu Ehren gab, beiläufig für 6000 Rubel Erdbeeren und Kirschen verzehrt habe. Da es in der vornehmen Welt aller Länder Sitte ist, Früchte und Gemüse nur dann zu essen, wenn sie gar nicht da sind (der englische Gesandte in Berlin ließ sich einmal um Weihnachten ein Gerichtchen frische Schoten für etwa zwei Louisd’or kochen), läßt sich leicht erklären, daß die Treib- und Gewächshäuser von Petersburg für ihre Kunst-Industrie, bei 30 Grad Kälte Erdbeeren zu reifen und Kirschen zu röthen, gute Kunden und Einnahmen erzielen. Im Uebrigen hängen uns alle diese Trauben zu hoch, und wir nehmen mit dem Bewußtsein von diesen Blumen und Früchten einer von Grund aus künstlichen, durch die Macht und Willenskraft absoluter Herrscher hervorgerufenen Welt Abschied, daß wir’s in den Armen der Natur, die auch in der strengsten Polizei ihren Kopf für sich behält, bequemer und gemüthlicher haben.