Die Markthallen in den amerikanischen Städten

Textdaten
<<< >>>
Autor: G. L. Lindner
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Markthallen in den amerikanischen Städten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 198-199
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[198]
Die Markthallen in den amerikanischen Städten.
Von G. L. Lindner.

Wenn Obst- oder Butterhändlerinnen, Wildprethändler, wohl auch Fleischer und andere Verkäufer auf unsern Marktplätzen bald von Sonnenbrand, bald von Sturm, bald von Regen oder Schnee zu leiden haben oder durch eine lockere Bude nur dürftig dagegen geschützt sind, so haben sie wohl Ursache, ihre Standesgenossen in Nordamerika, wenigstens in den bedeutenderen Städten des Landes, zu beneiden. Dort sitzen sie unter den Säulengängen und an den Pfeilern der Markthäuser oder Markthallen, die gewöhnlich längliche Vierecke bilden und bald mitten in einer langen und besonders breiten Hauptstraße, bald zwischen mehreren Stadttheilen oder nach einem Flusse zu angebracht sind. Wir haben viele derselben in mittleren und größeren Städten, welche letztere meist mehrere haben, betreten und die Einrichtung in Gegenden, die so weit auseinander liegen, daß man in Europa auf bedeutende Unterschiede in Sprache, Tracht und Sitte der Bewohner stoßen würde, ziemlich gleichartig gefunden.

An den Hauptpfeilern haben die Fleischer ihre Stände, die für jeden derselben täglich einen halben Dollar zu zahlen haben. Meistentheils sieht man bei ihnen nur Rinder und Schweine hängen, die im Leben hier frei in Wäldern und auf Lehden herumlaufen und darum weit leichter, als bei uns, zu ziehen sind, freilich aber auch minder fett werden. Letzteres gilt zumal von den Rindern des Südens, denen das struppige, saftlose Waldgras nicht die beste Weide bietet. Die Schafzucht, für Australiens dürre, baumlose Gegenden ganz geeignet, ist in Nordamerika, wo das Wollvieh in Wäldern wenig geeignete Nahrung finden würde, nicht bedeutend. Neben zahmem Vieh haben wir in den Markthäusern größerer Städte auch Hirsche und Wasservögel gesehen; zweimal ist uns sogar ein ausgeschlachteter Bär mit dem schwarzen Felle daneben vorgekommen. Der Geruch des Fleisches und der weggeworfene Abgang lockt im Süden – wenigstens fiel uns dies in Charleston in Südcarolina auf, sobald wir den Fuß an’s Land gesetzt hatten – zahlreiche Aasgeier oder Truthahnfalken an, große schwarze, den Raben ähnliche, doch mit einer rothen Haut um die Wurzel des Schnabels versehene Vögel, die in den wärmeren Theilen Nord- und Südamerika’s durch Aufzehrung des Aases, das ihr scharfer Geruch bald wittert, die durch sumpfige Dünste ohnedies gefährliche Luft reinigen. Da sie hierdurch eine große Wohlthat der Bevölkerung sind, so ist die Tödtung jedes solchen Vogels bei fünf Dollars Strafe verboten; die hieraus entstandene Schonung aber hat die schwarzen Gesellen so dreist gemacht, daß sie in der Nähe der Fleischerstände, deren Abfälle ihnen gleich dem Aase behagen, zwischen den zahlreich hin und her eilenden Menschen, deren jeder sie fast mit Händen greifen könnte, keck daherschreiten. Daß Sonntags kein Markt gehalten wird, ist ihnen durch Erfahrung ebenfalls begreiflich geworden; sie bleiben weg.

Neben dem Fleische werden in jenen Hallen Fische aus Flüssen, wie aus dem Meere Krebse und im Süden verschiedenartige Schildkröten feilgeboten. Die größten der letzteren, im Meere durch Netze, die man von Böten aus unter ihnen hinweggezogen, oft im Schlafe gefangen, sind auf den Rücken gelegt und würden sich, zumal da die Natur sie mit flossenartigen Gliedern versehen hat, selbst auf dem Bauche hier wenig bewegen können; doch hüte man sich, mit der Hand zwischen ihre messerscharfen, nach Luft schnappenden Kinnladen zu kommen, – man könnte die Finger einbüßen. Auch an Früchten und Gemüsen ist kein Mangel, obschon die Mannigfaltigkeit gerade nicht bedeutend ist. Der Norden liefert dem Süden Aepfel, der Süden dem Norden Apfelsinen; in New-Orleans fanden wir beide neben einander zu Pyramiden aufgethürmt und zu ziemlich gleichen, nach unseren Begriffen für die einen etwas hohem, für die andern niedrigem Preise. Auch ganze Trauben gelber Bananen, die man auf Cuba noch vor völliger Reife gebrochen und über den Golf gebracht hat, hängen oft dazwischen, und von Ananas, hier der Gestalt wegen Fichtenzapfen genannt, kam uns einmal ein ganzer Wagen voll vor. Am meisten fallen die großen dunkelgrünen Wassermelonen in’s Auge, gegen welche zahlreiche, weingelbe, hier zu Lande jedoch minder saftige Pfirsichen abstechen. Daneben finden noch Hickorynüsse und in einer kurzen Zeit des Jahres kleine, den Kirchen gleichende Pflaumen Platz, die an kleinen Bäumen mit schlehenartigen Blättern [199] wachsen und oft zu Kuchen verwandt werden. Andere Früchte sind selten, oft weit hergebracht und ziemlich theuer; die ganze amerikanische Landwirthschaft, die theils noch zu sehr mit dem Fällen der Waldbäume beschäftigt, theils, wie das übrige Leben, zu sehr auf schnellen Gewinn berechnet ist und sich daher lieber mit Mais, Taback, Baumwolle u. a. einjährigen Gewächsen abgiebt, ist dem Anbaue und der Pflege von Obstbäumen um so weniger günstig, als der, welcher sie pflanzt, selten wissen würde, wem seine Mühe zu Gute käme und ob dieselbe ihm überhaupt vergütet würde. Bei der allgemeinen Wanderlust und dem fortwährenden großartigen Zuge gegen Westen sieht kein Grundbesitzer voraus, wie viele hundert Meilen weiter dorthin einst seine Kinder ihr Brot essen werden, ist vielleicht mancher selbst noch nicht fest entschlossen, auch nur im Alter in der Jahrzehnte lang bewohnten Gegend zu bleiben. Doch wir kehren in die Markthallen zurück, wo wir Kartoffeln in Tonnen verpackt, an deren Seite man kleine Luftlöcher gehackt hat. Kohlköpfe, die die englische Küche meist nur in zwei Stücke schneidet, die rothen Blasen des spanischen Pfeffers, hier mit Essig versetzt als häufiges Gewürz gebraucht, süße Rüben, große dunkelviolette Eierfrüchte, unsern in Scherben gezogenen weißen verwandt, und eine den Knollen des Kohlrabi ähnliche Frucht, Squash genannt, erblicken. Salatköpfe und Radieschen gedeihen auf Louisiana’s fruchtwarmem Boden, der selten von einem leichten Froste heimgesucht wird, den ganzen Winter hindurch; neben ihnen sind in den Hallen der mittleren und südlichen Staaten die süßen Bataten, die länglichen Wurzelknollen einer windenartigen, aber Seitenranken treibenden Pflanze, ein stehender Handelsartikel, der dort, gekocht, oder leicht geröstet, fast täglich zu unserm Frühstück gehörte und den wir bei seinem kastanienartigen Geschmacke später sehr vermißt haben.

In der Nähe dieser Markthäuser halten sich Obst- und Kuchenhändlerinnen, Schleifer u. a. Leute auf, die sich, ohne ein Standgeld zahlen zu können, dem Publikum anbieten; eine noch bescheidenere Rolle nehmen in New-Orleans und mitunter in Mobile u. a. Städten des Westens die hereingekommenen Indianer ein, die, freilich nur die Äermsten ihres fast ziemlich cultivirten Stammes, mit erlegten Eichhörnchen oder wilden Kaninchen und mit mancherlei ihnen durch langen Umgang mit der Natur bekannt gewordenen Theekräutern Handel treiben. Auch wagt es wohl manche arme deutsche Frau, die jenseit des Oceans den Wohlstand nicht sogleich gefunden hat, den sie suchte, ihre im Walde rasch gesammelten Brombeeren oder Lorbeerblätter auszubieten.

Sehen wir uns nun aber auch nach den Einkäufern in diesen Hallen um. Wo sind die Köchinnen und Dienstmädchen, wo die ehrsamen Bürgersfrauen, die wir auf unsern Märkten feilschen und ihre Körbe vollpacken sehen? Eine deutsche Landsmännin, die die gewohnte Sitte auch im neuen Vaterlande nicht aufgeben kann, begegnet uns hie und da in dem Gewühle unter weißen und farbigen Gesichtern; die Amerikanerin aber, durch die bis zur Uebertreibung gestiegene Achtung vor dem weiblichen Geschlechte stolz und durch den Stolz, zumal in den Sklavenstaaten, träg gemacht, hat mit Putz und Besuchen mehr zu thun. Namentlich scheut sich die weiße Frau vor allen solchen Arbeiten, die im Geringsten zu erniedrigen scheinen, und wie im Norden, wo es keine Sklaverei giebt, die Mägde auf dem Lande das Melken, diese bei uns so entschieden weibliche Arbeit, verschmähen und meist den Knechten, wo nicht gar dem Herrn, überlassen, wie ferner nicht leicht eine Mutter ihr Kind trägt, sondern der Gatte, will er nicht für höchst ungalant gelten, diese Bürde als sein Vorrecht betrachten muß; so würden die meisten Frauen, selbst wenn sie keine Sklaven auszuschicken haben, auch Einkäufe auf dem Markte unter ihrer Würde halten. Und so erblickt man denn die Handkörbe mit dem eingekauften Fleische und Gemüse am Arme flinker Kellner oder ihrer Gastwirthe selbst oder wohlhabender, oft zierlich gekleideter Hausväter aller Stände, selbst Lehrer und Prediger nicht ganz ausgenommen. Zugleich aber werden die Markthäuser größerer Städte am frühen Morgen bei günstigem Wetter die Sammelplätze der vornehmen Welt. Für diese aber oder sonstige hungrige und durstige Seelen, die während des Tages vorübergehen und sich für ein Geringes erquicken wollen, sind an einigen der äußersten Randpfeiler große blecherne, fortwährend warmgehaltene Kessel mit einer Abtheilung für Kaffee und einer andern für Milch, bisweilen auch einer dritten für Chocolade aufgestellt, welche Getränke denn der Verkäufer dem Begehrenden aus eben so viel Hähnen strömen läßt, während er ihm auf einem kleinen Teller dazu ein Stück, Blättergebackenes reicht. Die Unternehmer dieses Geschäftes sind meist Deutsche, nicht selten Frauen, wie denn überhaupt gewisse Erwerbszweige vorzugsweise in die Hände gewisser Nationen gekommen sind. Denn blicken wir von dem Marktgebäude ein wenig hinweg – wir sprechen hier nur von New-Orleans – den Mississippidamm auf- oder abwärts, so fallen uns verschiedene Breterbuden mit ganzen Hügeln großer Muschelschalen daneben in’s Auge. Hier haben die Austerhändler ihren Sitz, die für fünf Cents dem Besucher vier Stück ihrer bereits den Schalen entnommenen Seethiere mit Essig, Oel, Pfeffer, Salz und Schiffszwieback oder anderem harten Gebäck anbieten. Diese Händler aber sind fast ohne Ausnahme Spanier.

Ein ganz anderes Schauspiel bieten uns diese Hallen des Sonntags. Der Lärm und das geschäftige Treiben der Wochentage schweigt; höchstens in dem weniger religiösen äußersten Süden halten ganz früh die Fleischer feil, wie wir dies in Mobile gesehen haben. Nachmittags aber kann man hier nicht selten die Bußreden wandernder Methodistenprediger vernehmen. Wir sahen in Baltimore einen englischen und in einem daneben stehenden Markthause zwei deutsche Prediger nacheinander auftreten, die die Gemüther der Zuhörer durch Schilderung der Sünde erschütterten und durch Verweisung auf die Gnade, der das Dasein der Sünde angenehm sei, weil sie sich an ihr zeigen könne, wieder erquickten, um nachher den deutschen Anwesenden – ihre Wohnung anzudeuten und ihren Unterricht im Englischen anzuempfehlen.

Nichtsdestoweniger wollen wir gern zugeben, daß manche wochenlang nur von Gewinnsucht erfüllte Seele sich bei diesen nach apostolischer Weise recht eigentlich „auf dem Markte“ gehaltenen Reden Erbauung geholt hat. Dem gedrückten Neger besondern sind sie oft die einzige Quelle, aus der Gottvertrauen, Trost und edleres Gefühl in sein unter harter Arbeit und vielfachen Mißhandlungen verkümmerndes Dasein flieht. Leider erinnert uns dies noch an eine traurige Bestimmung mancher Hallen. Auf einem Markthause in Charleston erblickten wir ein dem Anscheine nach geräumiges und sogar mit einem Thurme geziertes oberes Stockwerk und fragten einen deutschen Landsmann nach dem Zwecke dieses Saales, der uns an unsere Tuchböden erinnerte. „Nun, hier werden manchmal die Schwarzen ausgestellt und verkauft.“ „Also ein Sklavenmarkt?“ „Nun ja, man darf es aber nicht so nennen; sie hören es nicht gern.“