Textdaten
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Autor: Wilhelm Hauff
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Titel: Kontrovers-Predigt über H. Clauren und den Mann im Monde
Untertitel: gehalten vor dem deutschen Publikum in der Herbstmesse 1827
aus: W. Hauffs Werke, Bd. III, S. 221–256
Herausgeber: Max Mendheim
Auflage:
Entstehungsdatum: 1826
Erscheinungsdatum: 1891–1909
Verlag: Bibliographisches Institut
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Erscheinungsort: Leipzig und Wien
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Quelle: Scans auf commons
Kurzbeschreibung:
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[221]



Kontrovers-Predigt
über
H. Clauren und den Mann im Monde,
gehalten
vor dem deutschen Publikum
in der Herbstmesse 1827
von
Wilhelm Hauff.




Text: Ev. Matth. VIII, 31–32.


[222] [223]



Allen Verehrern
der
Claurenschen Muse
widmet diese Blätter
in bekannter Hochachtung


der Verfasser.


[224] [225]


Ehrwürdige Versammlung, andächtige Zuhörer!

Die Apostel, besonders der heilige Paulus, als er zu Rom predigte, verschmäheten es nicht, auch häusliche, bürgerliche Angelegenheiten der Gemeinde zu Gegenständen ihrer Betrachtungen zu machen. Es läßt sich zwar mit vieler Wahrscheinlichkeit annehmen, daß sie belletristische Gegenstände nicht berührt haben, daß sie litterarische Streitigkeiten nicht, wie man zu sagen pflegt, auf die Kanzel brachten; denn sie hatten Wichtigeres zu thun; nichtsdestoweniger aber geschah dies einige Jahrhunderte später, und man trifft in den Kirchenvätern nicht undeutliche Spuren, daß sie über allerhand litterarische Subtilitäten, sogar über die Tendenz und den Stil ihrer Gegner auf dem kirchlichen Rednerstuhl gesprochen haben.

Berühmte Kanzelredner neuerer Zeit haben oft und viel, zum Beispiel über das Theater, gepredigt, oder über das Tanzen am Sonntag, oder über das Singen unzüchtiger Lieder, andere wieder über das Spielen, namentlich das Kartenspielen, und einen habe ich gehört, der in einer Vesperpredigt das Schachspiel in Schutz nahm und nur bedauerte, daß es ein Heide erfunden.

Und wenn es die Pflicht des Redners ist, meine Freunde, der Gemeinde darzuthun, welchen Irrtümern sie sich hingebe, welche böse Gewohnheiten unter ihr herrschen, wenn es die Natur der Sache erfordert, bei einer solchen Aufdeckung von Irrtümern und böslichen Gewohnheiten bis ins Einzelne und Kleinste zu gehen, weil oft gerade dort, recht ins Auge fallend, der Teufel nachgewiesen werden kann, der darin sein Spiel treibt, so kann es niemand befremden, wenn wir nach Anleitung der Textesworte miteinander eine Betrachtung anstellen über:

[226]
Den Mann im Monde von H. Clauren.

und zwar betrachten wir

I. Wer und was ist dieser Mann im Mond, oder – was ist sein Zweck auf dieser Welt?
II. Wie hat er diesen Zweck verfolgt, und wie erging es ihm auf dieser Welt?



I.

Andächtige Zuhörer! Kontrovers-Predigern, namentlich solchen, die vor einer so großen Versammlung reden, kommt es zu, den Gegenstand ihrer Betrachtung so klar und deutlich als möglich vor das Auge zu stellen, damit jeder, wenn ihn auch der Herr nicht mit besonderer Einsicht gesegnet hat, die Sache, wie sie ist, sogleich begreife und einsehe. Es hat in unserer Litteratur nie an sogenannten Volksmännern gefehlt, d. h. an solchen, die für ein großes Publikum schrieben, das, je allgemeiner es war, desto weniger auf wahre Bildung Anspruch machen konnte und wollte. Solche Volksmänner waren jene, die sich in den Grad der Bildung ihres Publikums schmiegten, die eingingen in den Ideenkreis ihrer Zuhörer und Leser und sich, wie der Prediger Abraham a Sancta Clara[1], wohl hüteten, jemal sich höher zu versteigen, weil sie sonst ihr Publikum verloren hätten. Diese Leute handelten bei den großen Geistern der Nation, welche dem Volke zu hoch waren, Gedanken und Wendungen ein, machten sie nach ihrem Geschmack zurecht und gaben sie wiederum ihren Leuten preis, die solche mit Jubel und Herzenslust verschlangen. Diese Volksmänner sind die Zwischenhändler geworden und sind anzusehen wie die Unternehmer von Gassenwirtshäusern und Winkelschenken. Sie nehmen ihren Wein von den großen Handlungen, wo er ihnen echt und lauter gegeben wird; sie mischen ihn, weil er dem Volke anders nicht munden will, mit einigem gebrannten Wasser und Zucker, färben ihn mit roten Beeren, daß [227] er lieblich anzuschauen ist, und verzapfen ihn ihren Kunden unter irgend einem bedeutungsvollen Namen.

Diese Gassenwirte oder Volksmänner treiben aber eine schändliche und schädliche Wirtschaft. Sie fühlen selbst, daß ihr Gebräu sich nicht halten würde, daß es den Ruf von Wein auf die Dauer nicht behalten könnte, wenn er nicht auch berausche. Daher nehmen sie Tollkirschen und allerlei dergleichen, was den Leuten die Sinne schwindelnd macht. Oder, um die Sache anders auszudrücken: sie bauen ihre Dichtungen auf eine gewisse Sinnlichkeit, die sie, wie es unter einem gewissen Teil von Frauenspersonen Sitte ist, künstlich verhüllen, um durch den Schleier, den sie darüber gezogen haben, das lüsterne Auge desto mehr zu reizen. Sie kleiden ihr Gewerbe in einen angenehmen Stil, der die Einbildungskraft leicht anregt, ohne den Kopf mit überflüssigen Gedanken zu beschweren, sie geben sich das Ansehen von heiterem, sorglosem Wesen, von einer gewissen gutmütigen Natürlichkeit, die lebt und leben läßt, sie sind arglose Leute, die ja nichts wollen, als ihrem Nebenmenschen seine „oft trüben Stunden erheitern“ und ihn auf eine natürliche, unschuldige Weise ergötzen. Aber gerade dies sind die Wölfe in Schafskleidern, das ist der Teufel in der Kutte, und die Krallen kommen frühe genug ans Tageslicht.

Wem unter euch, meine Andächtigen, sollte bei dieser Schilderung nicht vor allem jener beifallen, der alljährlich im Gewande eines unschuldigen Blumenmädchens auf die Messe zieht und „Vergißmeinnicht“[2] feilbietet. Ich weiß wohl, daß dort drüben auf der Emporkirche, daß da unten in den Kirchstühlen manche Seele sitzt, die ihm zugethan ist, ich weiß wohl, daß er bei euch der Morgen- und Abendsegen geworden ist, ihr Nähermädchen, ihr Putzjungfern, selbst auch ihr sonst so züchtigen Bürgerstöchterlein, ich weiß, daß ihr ihn heimlich im Herzen traget, ihr, die ihr auf etwas Höheres von Bildung und Geschmack Anspruch machen wollet, ihr Fräulein mit und ohne Von, Ihr gnädigen Frauen und andere Mesdames. Ich weiß, daß er das A und das [228] O eurer Litteratur geworden ist, ihr Schreiber und Ladendiener, daß ihr ihn beständig bei euch führt, und wenn der Prinzipal ein wenig beiseite geht, ihn schnell aus der Tasche holt, um eure magere Phantasie durch einige Ballgeschichten, Champagnertreffen und Austernschmäuse anzufeuchten; ich weiß, daß er bei euch allen der Mann des Tages geworden ist, aber nichtsdestoweniger, ja, gerade darum und eben deswegen will ich seinen Namen aussprechen, er nennt sich Clauren. Anathema sit![WS 1]

Vor zwölf Jahren laset ihr, was eurem Geschmack gerade keine Ehre machte, Spies und Cramer[3], mitunter die köstlichen Schriften über Erziehung von Lafontaine[4]; wenn ihr von Meißner[5] etwas anders gelesen, als einige Kriminalgeschichten etc., so habt ihr euch wohl gehütet, es in guter Gesellschaft wiederzusagen; einige aber von euch waren auf gutem Wege, denn Schiller fing an, ein großes Publikum zu bekommen. Gewinn für ihn und für sein Jahrhundert, wenn er, wie ihr zu sagen pflegt, in die Mode gekommen wäre; dazu war er aber auch zu groß, zu stark. Ihr wolltet euch die Mühe nicht geben, seinen erhabenen Gedanken ganz zu folgen. Er wollte euch losreißen aus eurer Spießbürgerlichkeit, er wollte euch aufrütteln aus eurem Hinbrüten, mit jener ehernen Stimme, die er mit den Silberklängen seiner Saiten mischte, er sprach von Freiheit, von Menschenwürde, von jeder erhabenen Empfindung, die in der menschlichen Brust geweckt werden kann, – gemeine Seelen! Euch langweilten seine herrlichsten Tragödien, er war euch nicht allgemein genug. Was soll ich von Goethe reden? Kaum, daß ihr es über euch vermögen konntet, seine Wahlverwandtschaften zu lesen, weil man euch sagte, es finden sich dort einige sogenannte pikante Stellen – ihr konntet ihm keinen Geschmack abgewinnen, er war euch zu vornehm.

Da war eines Tages in den Buchladen ausgehängt: „Mimili, [229] eine Schweizergeschichte.“[6] Man las, man staunte. Siehe da, eine neue Manier zu erzählen, so angenehm, so natürlich, so rührend und so reizend! Und in diesen vier Worten habt ihr in der That die Vorzüge und den Gehalt jenes Buches ausgesprochen. Man würde lügen, wollte man nicht auf den ersten Anblick diese Manier angenehm finden. Es ist ein ländliches Gemälde, dem die Anmut nicht fehlt; es ist eine wohltönende, leichte Sprache, die Sprache der Gesellschaft, die sich zum Gesetz macht, keine Saite zu stark anzuschlagen, nie zu tief einzugehen, den Gedankenflug nie höher zu nehmen als bis an den Plafond[WS 2] des Theezimmers. Es ist wirklich angenehm zu lesen, wie eine Musik angenehm zu hören ist, die dem Ohr durch sanfte Töne schmeichelt, welche in einzelne wohllautende Akkorde gesammelt sind. Sie darf keinen Charakter haben, diese Musik, sie darf keinen eigentlichen Gedanken, keine tiefere Empfindung ausdrücken, sonst würde die arme Seele unverständlich werden oder die Gedanken zu sehr affizieren[WS 3]. Eine angenehme Musik, so zwischen Schlafen und Wachen, die uns einwiegt und in süße Träume hinüberlullt. Siehe, so die Sprache, so die Form jener neuen Manier, die euch entzückte.

Das zweite, was euch gefiel, hängt mit diesem ersteren sehr genau zusammen, diese Manier war so natürlich. Es ist etwas Schönes, Erhabenes um die Natur, besonders um die Natur in den Alpen. Schiller ist auch einmal dort eingekehrt, ich meine mit Wilhelm Tell. Sein Drama ist so erhaben, als die Natur der Schweizerlande, es bietet Aussichten, so köstlich und groß, wie die von der Tellskapelle[WS 4] über den See hin, aber nicht wahr, ihr lieben Seelen, der ist euch doch nicht natürlich genug? Zu was auch die Seele anfüllen mit unnützen Erinnerungen an die Thaten einer großen Vorzeit? Zu was Weiber schildern wie eine Gertrude Stauffacher oder eine Bertha, oder Männer wie einen Tell oder einen Melchthal? Da weiß es Clauren viel besser, viel natürlicher zu machen! Statt großartige Charaktere zu malen, für welche er freilich in seinem Kasten keine Farben finden mag, malt [230] er euch einen Hintergrund von Schneebergen, grünen Waldwiesen mit allerlei Vieh; das ist pro primo[WS 5] die Schweiz. Dann einen Krieger neuerer Zeit, mit schlanker Taille von 8 Zollen, etwas bleich (er hat den Freiheitskrieg mitgemacht), das Eiserne Kreuz im Knopfloch etc. Das ist der Held des Stückes. Eine interessante Figur! nämlich Figur als wirklicher Körper genommen, mit Armen, Taille, Beinen etc. und interessant, nicht wegen des Charakters, sondern weil er etwas bleich ist, ein Eisernes Kreuz trägt und so ein Ding von einem preußischen Husaren war. Neben diesen Helden kommt ein frisches, rundes „Dingelchen“ zu stehen, mit kurzem Röckchen, schönen Zwickelstrümpfen etc. Kurz, das Inventarium ihres Körpers und ihres Anzuges könnt ihr selbst nachlesen oder habt es leider im Kopfe. Das Schweizerkind, die Mimili, ist nun so natürlich als möglich, d. h. sie geniert sich nicht, in Gegenwart des Kriegers das Busentuch zu lüften und ihn den Schnee und dergleichen sehen zu lassen, daß ihm „angst und bange“ wird, einiger Schweizerdialekt ist auch eingemischt, der nun freilich im Munde Claurens etwas unnatürlich klingt; kurz, es ist nichts vergessen, die Natur ist nicht nur nachgeahmt, sondern förmlich kopiert und getreulich abgeschrieben. Aber leider ist es nur die Natur, so wie man sie mittelst einer Camera obscura abzeichnen kann. Der warme Odem Gottes, der Geist, der in der Natur lebt, ist weggeblieben, weil man nur das Kostüm der Natur kopierte. Zeichnet die nächste beste Schweizer-Milchmagd ab, so habt ihr eine Mimili, und freilich alles so natürlich als möglich.

Das dritte, was euch so gut mundete an dieser Geschichte, war – das Rührende. Wann und wo war der Kummer der Liebe nicht rührend? Es ist ein Motiv, das jedem Roman als Würze beigegeben wird wie bittere Mandeln einem süßen Kuchen, um das Süße durch die Vorkost des Bitteren desto angenehmer und erfreulicher zu machen. Ihr selbst, meine jungen Zuhörerinnen, und ich habe dies zu öfteren Malen an euch gerügt, versetzt euch gar zu gerne in ein solches Liebesverhältnis, wenn nicht dem Körper, doch dem Geiste nach. Wenn ihr so dasitzet und nähet oder stricket und über eure Nachbarn gehörig geklatscht habt, [231] kommt gar leicht in eurer Phantasie das Kapitel der Liebe an die Reihe, und ihr träumet und träumet und vergesset die Welt und die Maschen an eurem Strickstrumpf. Wenn man nachts durch den Wald geht, so denkt man gerne an arge Schauergeschichten von Mord und Totschlag; gerade so machet ihr es. Je greulicher der Schmerz eines Liebespaares ist, von welchem ihr leset, desto angenehmer fühlet ihr euch angeregt. Da wollet ihr keine Natürlichkeit, da soll es recht arg und türkisch zugehen, und wie den spanischen Inquisitoren, so ist auch ein solches Autodafee[WS 6] ein Freudenfest. Je länger die Liebenden am langsamen Feuer des Kummers braten, je mehr man ihnen mit der Zange des Schicksals die Glieder verrenkt, desto rührender kömmt es euch vor, und doch habt ihr dabei immer noch den Trost in petto, daß der Autor, der diesen Jammer arrangiert, zugleich Chirurg ist und die verrenkten Glieder wieder einrichtet, zugleich Notar, um den Heiratskontrakt schnell zu fertigen, zugleich auch Pfarrer, um die guten Leutchen zusammenzugeben. Ihr habt recht, ihr guten Seelen! Ihr wollet nicht gerührt sein durch tiefere Empfindungen, man darf bei euch nicht jene Moll-Akkorde anschlagen, die durch die Seele zittern, wer wollte auch mit einer Äolsharfe[WS 7] auf einer Kirchweihe aufspielen! Da ist der schnarrende Contrebaß Meister, und je „gräßlicher“ es zugeht, desto rührender ist es.

Ich komme aber auf den vierten Punkt der Mimilismanier, nämlich auf – – das Reizende. Die drei andern Punkte waren das Schafskleid, das ist aber die Kralle, an der ihr den Wolf erkennet, der im Kleide steckt, jenes war die Kutte, unter welcher er unschuldig wie der heilige Franziskus sich bei euch einführt, aber siehe da, das ist der Pferdefuß, und an seinen Spuren wirst du ihn erkennen. Und was ist dieses Reizende? Das ist die Sinnlichkeit, die er aufregt, das sind jene reizenden, verführerischen, lockenden Bilder, die eurem Auge angenehm erscheinen. Es freut mich, zu sehen, daß ihr da unten die Augen nicht aufschlagen könnet; es freut mich, zu sehen, daß hin und wieder auf mancher Wange die Röte der Beschämung aufsteigt; es freut mich, daß Sie nicht zu lachen wagen, meine Herren, wenn ich diesen Punkt berühre. Ich sehe, ihr alle verstehet nur allzuwohl, was ich meine.

[232] Ein Lessing, ein Klopstock, ein Schiller und Jean Paul, ein Novalis[7], ein Herder waren doch wahrhaftig große Dichter, und habt ihr je gesehen, daß sie in diese schmutzigen Winkel der Sinnlichkeit herabsteigen mußten, um sich ein Publikum zu machen? Oder wie? Sollte es wirklich wahr sein, daß jene edleren Geister nur für wenige Menschen ihre hehren Worte aussprachen, daß die große Menge nur immer dem Marktschreier folgt, weil er köstliche Zoten spricht und sein Bajazzo possierliche Sprünge macht? Armseliges Männervolk, das du keinen höheren geistigen Genuß kennst, als die körperlichen Reize eines Weibes gedruckt zu lesen, zu lesen von einem Marmorbusen, von hüpfenden Schneehügeln, von schönen Hüften, von weißen Knieen, von wohlgeformten Waden und von dergleichen Schönheiten einer Venus Vulgivaga[WS 8]. Armseliges Geschlecht der Weiber, die ihr aus Clauren Bildung schöpfen wollet. Errötet ihr nicht vor Unmut, wenn ihr leset, daß man nur eurem Körper huldigt, daß man die Reize bewundert, die ihr in der raschen Bewegung eines Walzers entfaltet, daß der Wind, der mit euren Gewändern spielt, das lüsterne Auge eures Geliebten mehr entzückt als die heilige Flamme reiner Liebe, die in eurem Auge glüht, als die Götterfunken des Witzes, der Laune, welche die Liebe eurem Geiste entlockt? Verlorene Wesen, wenn es euch nicht kränkt, euer Geschlecht so tief, so unendlich tief erniedrigt zu sehen; geputzte Puppen, die ihr euren jungfräulichen Sinn schon mit den Kinderschuhen zertreten habt, leset immer von andern geputzten Puppen, bepflanzet immer eure Phantasie mit jenen Vergißmeinnichtblümchen, die am Sumpfe wachsen, ihr verdienet keine andere als sinnliche Liebe, die mit den Flitterwochen dahin ist.

Siehe da die Anmut, die Natürlichkeit, das Rührende und den hohen Reiz der Mimilismanier. Lasset uns weiter die Fortschritte betrachten, die ihr Erfinder machte. Wie das Unkraut üppig sich ausbreitet, so ging es auch mit dieser Giftpflanze in der deutschen Litteratur. Die Mimili-Manier wurde zur Mimili-Manie, wurde zur Mode; was war natürlicher, als daß Clauren [233] eine Fabrik dieses köstlichen Zeuges anlegte, und zwar nach den vier Grundgesetzen, nach jenen vier Kardinaltugenden, die wir in seiner Mimili fanden. Bei jener Klasse von Menschen, für welche er schreibt, liegt gewöhnlich an der Feinheit des Stoffes wenig; wenn nur die Farben recht grell und schreiend sind. Mochte er nun selbst diese Bemerkung gemacht haben, oder konnte er vielleicht selbst keine feineren Fäden spinnen, keine zarteren Nüancen der Farben geben, sein Stoff ist gewöhnlich so unkünstlerisch und grob als möglich angelegt; ein fadengerades Heiratsgeschichtchen, so breit und lange als möglich ausgedehnt, von tieferer Charakterzeichnung ist natürlich keine Rede; Kommerzienräte, Husarenmajors, alte Tanten, Ladenjünglinge comme il faut[WS 9] etc. Die Dame des Stückes ist und bleibt immer dasselbe Holz- und Gliederpüppchen, die nach Verhältnissen kostümiert wird, heiße sie nun Mimili oder Vally, Magdalis oder Doralice, spreche sie schweizerisch oder hochdeutsch, habe sie Geld oder keines, es bleibt dieselbe. Ist nun die Historie nach diesem geringen Maßstabe angelegt, so kommen die Ingredienzien.

Bei den Ingredienzien wird, wie billig, zuerst Rücksicht genommen auf das Frauenvolk, das die Geschichte lesen wird. Erstens, einige artige Kupfer mit schönen „Engelsköpfchen“, angethan nach der „allernagelfunkelneuesten“ Mode. Diese werden natürlich in der Fabrik immer zuvor entworfen, gemalt und gestochen und nachher der resp. Namen unten hingeschrieben. Sündigerweise benützt der gute Mann auch die Porträts schöner fürstlicher Damen, die er als Quasi-Aushängeschild vor den Titel pappt. So hat es uns in der Seele wehe gethan, daß die Großfürstin Helena von Rußland[8], eine durch hohe Geistesgaben, natürliche Anmut und Körperschönheit ausgezeichnete Dame, bei dem Tornisterlieschen (im Vergißmeinnicht 1826) gleichsam zu Gevatter stehen mußte.

Zweitens, ein noch bei weitem lockenderes Ingredienz ist die Toilette, die er trotz den ersten Modehändlerinnen zu machen versteht. [234] Wer wollte es Virgil übelnehmen, wenn er den Schild seines Helden beschreibt; wer lauscht nicht gerne auf die kriegerischen Worte eines Tasso, wenn er die glänzenden Waffen seines Rinaldo oder Tancred singt. Es sind Männer, die von Männern, es sind edle Sänger, die von Helden singen. Überwiegt aber nicht der Ekel noch das Lächerliche, wenn man einen preußischen Geheimen Hofrat hört, wie er den Putz einer Dame vom Kopf bis zu den Zehenspitzen beschreibt; es kömmt freilich sehr viel darauf an, ob auf dem hohlen Schädel seiner Mimilis ein italienischer Strohhut oder eine Toque[WS 10] von Seide sitzt, ob die Federn, die solche schmücken, Marabu- oder Straußfedern oder gar Paradiesvögel sind; und dann die niedlichen „Sächelchen“ von Ohrgeschmeide, Halsbändern, Brasseletts etc., daß „einem das Herz puppert“, und dann die Brüßler Kanten um die wogende Schwanenbrust, und das gestickte Ballkleid, und die durchbrochenen Strümpfe, und die seidenen Pariser Ballschuhe, oder ein Negligee wie aus dem leichtesten Schnee gewoben, und dieses Überröckchen, und jenes Mäntelchen, und dieses Spitzenhäubchen, aus dem sich die goldenen Ringellöckchen hervorstehlen. O sancta simplicitas![WS 11] Und ihr kneipt, um mich seiner Sprache zu bedienen, ihr kneipt die Knie nicht zusammen, meine Damen, und wollet euch nicht halb zu Tode lachen über den köstlichen Spaß, daß ein preußischer Geheimer Hofrat eurer Zofe ins Handwerk greift und euch vorrechnet, was man im Putzladen der Madame Prellini haben kann? Leider, ihr lachet nicht! Ihr leset den allerliebsten Modebericht mit großer Andacht, ihr sprechet, das ist doch einmal eine Lektüre von Geschmack; nichts Überirdisches, Romantisches, tout comme chez nous[WS 12], bis aufs Hemde hat er uns beschrieben, der deliziöse Mann, der Clauren!

Ein drittes Ingredienz für Mädchen sind die magnifiken Bälle, die er alljährlich gibt. Hu! wie da getanzt wird, daß das Herzchen „im Vierundsechzigstel-Takt pulsiert!“ Wie schön! Vornehme Damen, die bei Präsidents A., bei Geheimrats B., bei dem Bankier C. oder gar bei Hofe Zutritt haben, finden alles „haarklein“ beschrieben, von der Polonäse bis zum Kotillon. Arme Landfräulein, die nur in das nächste Städtchen auf den Kasinoball [235] kommen können, lesen ihren Clauren nach, ihre Phantasie trägt sie auf den herrlichen Ball bei Hof und „der Himmel hängt ihnen voll Geigen“. Putzjungfern, welche Ballkleider verfertigen, ohne sich selbst darin zeigen zu können, Kammermädchen, die ihre Dame zu dem Ball „aufgedonnert“ haben, nehmen beim Schein der Lampe ihren Clauren zur Hand, treten unter dem Tische mit den tanzlustigen Füßen den Takt eines Schnellwalzers und träumen sich in die glänzenden Reihen eines Fastnachtballes! Treffliches Surrogat für tanzlustige Seelen, köstliche Stallfütterung für Schafe, die nicht auf der Weide hüpfen können!

Als ein viertes treffliches Hauptingredienz für liebevolle, weibliche Seelen ist das vollendete Bild eines Mannes, wie er sein soll, zu rechnen, das Clauren zu geben versteht. In der Regel zeichnen sich diese Leute nicht sehr durch hohe Verstandesgaben aus, doch wir wollen diesen Fehler an Clauren nicht rügen; wo nichts ist, sagt ein altes Sprüchwort, da hat der Kaiser das Recht verloren. Statt des Verstandes haben die Vergißmeinnicht-Männer herrliche Rabenlocken, einen etwas schwindsüchtigen Teint, der sie aber schmachtend und interessant macht, unter 5 Fuß 6 Zoll darf keiner messen; kräftige, männliche Formen, sprechende Augen, die Hände und Füße aber wie andere Menschen. Sie sind gerade so eingerichtet, daß man sich ohne weiteres auf den ersten Augenblick in sie verlieben muß. Dabei sind sie meistens arm, aber edel, stolz, großmütig und heiraten gewöhnlich im fünften Akt. Auf welche edle weibliche Seele sollte ein solcher Held neuerer Zeit nicht den wohlthuendsten Eindruck machen, wenn sie von ihm liest? Sie schnitzelt das Bild des Obergesellen oder Jagdschreibers oder Apothekergehülfen, das sie im Herzen trägt, so lange zurecht, bis er ohngefähr gerade so aussieht wie der Allerschönste im allerneuesten Jahrgang des allerliebsten Vergißmeinnicht.

Fünftens: Von schimmernden Lüsters, von deckenhohen Trümeaus, von herrlichen Sofas, von feengleicher Einrichtung, von Sepiamalerei und dergleichen wäre hier noch viel zu reden, wenn es die Mühe lohnte.

Gehen wir, andächtige Versammlung, über zu den Ingredienzien und Zuthaten für Männer, so können wir hier leicht [236] zwei Klassen machen: 1) Zuthaten, die das Auge reizen, 2) Zuthaten, die den Gaumen kitzeln.

Unter Nummer 1) ist vor allem zu rechnen die Art, wie Clauren seine Mädchen beschreibt. Um zuerst von ihrem geistigen Wert zu sprechen, so gilt hier dasselbe, was von den Männern gesagt wurde, eine tiefe, edle, jungfräuliche Seele weiß kein Clauren zu schildern, und wenn er es wüßte, so hat er ganz recht, daß er nie eine Thekla[9], eine Klotilde[10], oder ein Wesen, das etwa ein Titan[11] oder Horion[12] lieben könnte, unter seiner Affenfamilie mittanzen läßt. Was das Äußere betrifft, so macht er es wie jener griechische Künstler, der aus sieben schönen Mädchen sich eine Venus bilden wollte. Aber er vergißt den hohen Sinn, der in der Sage von dem Künstler liegt. Sechs zogen vorüber und zeigten dem entzückten Auge stolz die entfesselten Reize ihrer Jugend. Die siebente, als die Gewänder fallen sollten, errötete und verhüllte sich, und der Künstler ließ jene sechs vorübergehen und bildete nach diesem Vorbild jungfräulicher Hoheit seine Göttin. Nicht also Clauren; die sechs hat er wohl aufgenommen, der siebenten, als sie verschämt, verhüllt, errötend nahte, hat er die Thüre verschlossen.

Und jetzt, meine Herren, setzet euch her, macht es euch bequem, der große Meister gibt ja das Panorama aller weiblichen Reize. Siehe die entfesselten Locken, die auf den Alabaster der Schultern niederfallen, siehe – doch wie? Soll ich alle jene erhabenen, ausgesuchten Epitheta[WS 13] wiedergeben, die sich mit Schnee, mit Elfenbein, mit Rosen gatten? Ich bin ein Mann und erröte, erröte darüber, daß ein Mann aus der sogenannten guten Gesellschaft die sittenlose Frechheit hat, alljährlich ein ausführliches Verzeichnis von den Reizen drucken zu lassen, die er bei seinem Weibe fand!

Als Tasso jene Strophen dichtete, worin die Gesandten Gottfrieds am Palast der neuen Circe die Nymphen im See sich baden [237] sehen[13], glaubet ihr, seine reiche, glühende Phantasie hätte ihm nicht noch lockendere Bilder, reizendere Wendungen einhauchen können als einem Clauren? Doch, er dachte an sich, er dachte an die hohe, reine Jungfrau, für die er seine Gesänge dichtete, er dachte an seinen unbefleckten Ruhm bei Mit- und Nachwelt, und siehe, die reichen Locken fallen herab und strömen um die Nymphen und rollen in das Wasser, und der See verhüllt ihre Glieder. Aber, si parva licet componere magnis[14], was soll man zu jener skandalösen Geschichte sagen, die H. Clauren in einem früheren Jahrgang des Freimütigen[15], eines Blattes, das in so manchem häuslichen Zirkel einheimisch ist, erzählt?

Rechne man es nicht uns zur Schuld, wenn wir Schändlichkeiten aufdecken, die jahrelang gedruckt zu lesen sind. Eine junge Dame kömmt eines Tages auf Claurens Zimmer. Sie klagt ihm nach einigen Vorreden, daß sie zwar seit 14 Tagen verheiratet und glücklich verheiratet, aber durch einen kleinen Ehebruch von einer Krankheit angesteckt worden sei, die ihr Mann nicht ahnen dürfe. H. Clauren erzählt uns, daß er der engelschönen Dame gesagt, sie sei nicht zu heilen, wenn sie ihm nicht den Grad der Krankheit et cetera zeige. Die Dame entschließt sich zu der Prozedur. Ich dächte, das Bisherige ist so ziemlich der höchste Grad der Schändlichkeit, zum mindesten ein hoher Grad von Frechheit, dergleichen in einem belletristischen Blatt zur Sprache zu bringen. Eine Dame, glücklich verheiratet, seit 14 Tagen ein glückliches Weib und Ehebrecherin! Aber nein! Der Faun hat hieran nicht genug; er ladet uns zu der Prozedur selbst ein; er rückt den Sessel ans Fenster, er setzt die Dame in Positur, er beschreibt uns von der Zehenspitze aufwärts seine Beobachtungen!!!

Ich wiederhole es, man kann von einem solchen Frevel nur zu sprechen wagen, wenn er offenkundig geworden ist, wenn man die Absicht hat, ihn zu rügen. Warum in einem öffentlichen Blatte etwas erzählen, was man in guter Gesellschaft nicht [238] erwähnen darf? Aber das ist H. Clauren, der geliebte, verehrte, geachtete Schriftsteller, der Mann des Volkes. Schande genug für ein Publikum, das sich Schändlichkeiten dieser Art ungestraft erzählen läßt!

In die eben erwähnte Kategorie von berechnetem Augenreiz für Männer gehören auch die Situationen, in welchen wir oft die Heldinnen finden. Bald wird uns ausführlich beschrieben, wie Magdalis aussah, als sie zu Bette gebracht wurde, bald weidet man sich mit Herrn Stern an Doralicens Angst, zu zwei schlafen zu müssen, bald hört man Vally im Bade plätschern und möchte ihrer naiven Einladung dahin folgen, bald sieht man ein Kammermädchen im Hemde, das kichernd um Pardon bittet, der glühenden, durch alle Nerven zitternden Küsse, der Blicke beim Tanze abwärts auf die Wellenlinien der Tänzerinnen und dergleichen nicht zu gedenken; Honigworte für Leute, die nichts Höheres kennen als Sinnlichkeit, köstlich kandierte Zoten für einen verwöhnten Gaumen, treffliches Hausmittel für junge Wüstlinge und alte Gecken, die mit ihrer moralischen und physischen Kraft zu Rande sind, um dem Restchen Leben durch diese Reizmittel aufzuhelfen!!

Ein zweites Reizmittel für Männer sind jene Zuthaten, die den Gaumen kitzeln. „Heda, Kellner, hieher sechs Flaschen des brüsselnden Schaumweins; ha, wie der Kork knallend an die Decke fährt! Eingeschenkt, laßt ihn nicht verrauchen; jetzt für jeden zwei, drei Dutzend Austern draufgesetzt.“ Ist diese Sprache nicht herrlich? Wird man nicht an Homer erinnert, der immer so redlich angibt, was seine Helden verspeisten; freilich gab er ihnen nur gewöhnliches „Schweinefleisch“, und die Weinsorten rühmt er auch nicht besonders; aber ein Clauren ist denn doch auch etwas anderes als Homer; wer wollte es übelnehmen, wenn er die Körke fliegen läßt und Austern schmaust, 500 Stück zum ersten Anfang?

Ich kannte einen jener bedauernswürdigen Menschen, die man in glänzendem Gewand, mit zufriedener Miene auf den Promenaden umherschlendern sieht. Ihr haltet sie für das glücklichste Geschlecht der Menschen, diese Pflastertreter; sie haben nichts zu thun und vollauf zu leben. Ihr täuschet euch; oft hat [239] ein solcher Herr nicht so viel kleine Münze, um eine einfache Mittagskost zu bezahlen, und was er an großem Gelde bei sich trägt, kann man nicht wohl wechseln. Einen solchen nun fragte ich eines Tages: „Freund, wo speiset Ihr zu Mittag? Ich sehe Euch immer nach der Tafelzeit mit zufriedener Miene die Straße herabkommen, mit der Zunge schnalzend oder in den Zähnen stochernd, bei welchem berühmten Restaurant speiset Ihr?“

„Bei Clauren“, gab er mir zur Antwort.

„Bei Clauren?“ rief ich verwundert, „erinnere ich mich doch nicht, einen Straßenwirt oder Garkoch dieses Namens in hiesiger Stadt gesehen zu haben.“

„Da habt Ihr recht“, entgegnete er, „es ist aber auch kein hiesiger, sondern der Berliner, H. Clauren –“

„Wie, und dieser schickt Euch kalte Küche bis hieher?“

„Kalte und warme Küche nebst etzlichem Getränke. Doch ich will Euch das Rätsel lösen“, fuhr er fort, „ich bin arm, und was ich habe, nimmt jährlich gerade der Schneiderkonto und die Rechnung für Zuckerwasser im Kaffeehause weg; nun bin ich aber gewöhnt, gute Tafel zu halten, was fange ich in diesen Zeiten an, wo niemand borgt und vorstreckt? Ich kaufe mir alle Jahre von ersparten Groschen das herrliche Vergißmeinnicht von H. Clauren, und ich versichere Euch, das ist mir Speisekammer, Keller, Fischmarkt, Konditorei, Weinhandlung, alles in allem. Ihr müßt wissen, daß in solchem Büchlein auf zwanzig Seiten immer eine oder zwei, wie ich sie nenne, Tafelseiten kommen. Ich setze mich mittags mit einem Stück Brot, zu welchem an Festtagen Butter kömmt, nebst einem Glase Wasser oder dünnem Biere an den Tisch, speise vornehm und langsam, und während ich kaue, lese ich im „Vergißmeinnicht“ oder in „Scherz und Ernst“[16]. Seine Tafelseiten werden mir nun zu delikaten Suppentafeln, denn mein Teller ist nicht mehr mit schlechtem Brot besetzt, meine Zähne malmen nicht mehr dieses magere Gebäck, nein, ich esse mit Clauren, und der Mann versteht, was gute Küche ist. Was da an Fasanen, Gänseleberpasteten, Trüffeln, an seltenen Fischen, an –“

[240] „Genug“, fiel ich ihm ein, „und Eure Phantasie läßt Euch satt werden; aber könntet Ihr hiezu nicht das nächste beste Kochbuch nehmen? Ihr hättet zum mindesten mehr Abwechslung.“

„Ei, da ist noch ein großer Unterschied! Sehet, das verstehet Ihr nicht recht; in den Kochbüchern wird nur beschrieben, wie etwas gekocht wird, aber ganz anders im Vergißmeinnicht; da kann man lesen, wie es schmeckt, Clauren ist nicht nur Mundkoch und Vorschneider, sondern er kaut auch jede Schüssel vor und erzählt, so schmeckte es; und wie natürlich ist es, wenn er oft beschreibt, wie diesem die Sauce über den Bart herab geträufelt sei, oder wie jener vor Vergnügen über die Trüffelpastete die Augen geschlossen. Überdies hat man dabei den herrlichsten Flaschenkeller gleich bei der Hand, und wenn ich das Glas mit Dünnbier zum Munde führe, schiebt er mir immer im Geiste Trimadera, Bordeaux oder Champagner unter.“

So sprach der junge Mann und ging weiter, um auf sein großes Claurensches Traktement[WS 14], der Verdauung wegen, zu promenieren.

„Was ist Rumford[17] gegen einen solchen Mann“, sprach ich zu mir; „jener bereitet aus alten Knochen kräftige Suppen für Arme und Kranke; ist aber hier nicht mehr als Rumford und andere? Speist und tränkt er nicht durch eine einzige Auflage des Vergißmeinnicht fünftausend Mann? Wenn nur die Phantasie des gemeinen Mannes etwas höher ginge, wie wohlfeil könnte man Spitäler, ja sogar Armeen verproviantieren? Der Spitalvater oder der resp. Lieutenant nähme das Vergißmeinnicht zur Hand, ließe seine Kompanie Hungernder antreten, ließe sie trockenes Kommißbrot speisen und würde ihnen einige Tafelseiten aus Clauren vorlesen.

Doch von solchen Thorheiten sollte man nicht im Scherz sprechen, sie verdienen es nicht, denn wahrer bitterer Ernst ist es, daß solche Niederträchtigkeit, solche Wirtshauspoesie, solche Dichtungen [241] à la carte, wenn sie ungerügt jede Messe wiederkehren dürfen, wenn man den gebildeten Pöbel in seinem Wahn läßt, als wäre dies das Manna, so in der Wüste vom Himmel fällt, die Würde unserer Litteratur vor uns selbst und dem Auslande, vor Mit- und Nachwelt schänden!

Doch ich komme, meine verehrten Zuhörer, noch auf einen andern Punkt, den man weniger Ingredienz oder Zuthat, sondern Sauce piquante nennen könnte: das ist die Sprache. Man wirft nicht mit Unrecht den Schwaben und Schweizern vor, daß sie nicht sprechen, wie sie schreiben, aber wahrhaftig, es gereicht H. Clauren zu noch größerem Vorwurf, daß er so gemein schreibt, wie er gemein und unedel zu sprechen und zu denken scheint. Man hat in neuerer Zeit manches verschrobene und verschränkte Deutsch lesen müssen, waren es Wendungen aus dem 15. Jahrhundert, waren es Sätze aus einer spanischen Novelle, es wollte sich in unserer reichen, herrlichen Sprache nicht recht schicken. Ohrzerreißend waren auch die Kompositionen, die Voß[WS 15] nach Analogie Homers vornahm; aber man kann Männer dieser Art höchstens wegen ihres schlechten Geschmacks bedauern, anklagen niemals; denn es lag dennoch ein schöner Zweck ihrem wunderlichen Handhaben der Sprache zu Grunde. Was soll man aber von der geflissentlichen Gemeinheit sagen, womit der Erfinder der Mimilis-Manier seine Produkte einkleidet? König Salomo, wenn er noch lebte, würde diesen Menschen mit einem Freudenmädchen vergleichen. Sie geht einher im Halbdunkel, angethan mit köstlichen Kleidern, mit allerlei Flimmer und Federputz auf dem Haupte. Du redest sie an mit Ehrfurcht, denn du verehrst in ihr eine wohlerzogene Frau aus gutem Hause, aber sie antwortet dir mit wieherndem Gelächter, sie gesteht, sie müsse lachen, daß „sie der Bock stößt“; sie spricht in Worten, wie man sie nur in Schenken und auf Blauen Montags-Tänzen hören konnte, sie enthüllt sich, ohne zu erröten, vor deinen Augen und spricht Zoten und Zötchen dazu. Wehe deinem Geschmack, wehe dir selbst und deinem sittlichen Wert, wenn dir nicht klar wird, daß die, welche du für eine anständige Frau gehalten, eine feile Dirne ist, bestimmt zum niedrigsten Vergnügen einer verworfenen Klasse.

[242] Wozu ein langes Verzeichnis dieser Sprachsünden hieher setzen, da ja das Buch, über welches wir sprechen, „Der Mann im Monde“, ein lebendiges Verzeichnis, ein vollständiger Katalog seiner Worte, Wendungen, Farben und Bilder ist? Es ist die Sauce, womit er seine widerlichen Frikasseen anfeuchtet, und je mehr er ihr jenen echten Wildbretgeschmack zu geben weiß, der schon auf einer Art von Fäulnis und Moder beruht, desto mehr sagt sie dem verwöhnten Gaumen seines Publikums zu.

Noch ist endlich ein Zuthätchen und Ingredienzchen anzuführen, das er aber selten anwendet, vielleicht weil er weiß, wie lächerlich er sich dabei ausnimmt; ich meine jene rührenden, erbaulichen Redensarten, die als auf ein frommes Gemüt, auf christlichen Trost und Hoffnung gebaut erscheinen sollen. Als uns der Fastnachtsball und das erbauliche Ende der Dame Magdalis unter die Augen kam, da gedachten wir jenes Sprüchworts: „Junge H…n, alte Betschwestern“; wir glaubten, der gute Mann habe sich in der braunen Stube selbst bekehrt, sehe seine Sünden mit Zerknirschung ein und werde mit Pater Willibald selig entschlafen. Das Tornisterlieschen, Vielliebchen und dergleichen überzeugten uns freilich eines andern, und wir sahen, daß er nur per anachronismum den Aschermittwoch vor der Fastnacht gefeiert hatte. Wie aber im Munde des Unheiligen selbst das Gebet zur Sünde wird, so geht es auch hier: er schändet die Religion nicht weniger, als er sonst die Sittlichkeit schändet, und diese heiligen, rührenden Szenen sind nichts anders als ein wohlüberlegter Kunstgriff, durch Rührung zu wirken, etwa wie jene Bettelweiber in den Straßen von London, die alle Vierteljahre kleine Kinder kaufen oder stehlen und mit den unglücklichen Zwillingen seit zehn Jahren weinend an der Ecke sitzen.

Zum Schlusse dieses Abschnittes will ich euch noch eine kleine Geschichte erzählen. Es kam einst ein fremder Mensch in eine Stadt, der sich Zutritt in die gute Gesellschaft zu verschaffen wußte. Dieser Mensch betrug sich von Anfang etwas linkisch, doch so, daß man manche seiner Manieren übersehen und zurechtlegen konnte. Er hielt sich gewöhnlich zu den Frauen und Mädchen, weil ihm das Gespräch der Männer zu ernst war, und jene lauschten [243] gerne auf seine Rede, weil er ihnen Angenehmes sagte. Nach und nach aber fand es sich, daß dieser Mensch seiner gemeineren Natur in dieser Gesellschaft wohl nur Zwang angethan hatte; er sprach freier, er schwatzte den Ohren unschuldiger Mädchen Dinge vor, worüber selbst die älteren hätten erröten müssen. Wie es aber zu gehen pflegt: das Lüsterne reizt bei weitem mehr als das Ernste, Sittliche; zwar mit niedergeschlagenen Augen, aber offnem Ohr lauschten sie auf seine Rede, und selbst manche Zote, die für eine Bierschenke derb genug gewesen wäre, bewahrten sie in feinem Herzen. Der fremde Mann wurde der Liebling dieses Zirkels. Es fiel aber den Männern nach und nach auf, daß ihre Frauen über manche Verhältnisse freier dachten als zuvor, daß selbst ihre Mädchen über Dinge sprachen, die sonst einem unbescholtenen Kind von 15–16 Jahren fremd sein müssen.

Sie staunten, sie forschten nach dem Ursprung dieser schlechten Sitten, und siehe, die Frauen gestanden ihnen unumwunden: „Es ist der liebenswürdige, angenehme Herr, der uns dieses gesagt hat.“ Viele der Männer versuchten es mit Ernst und Warnung, ihn zum Schweigen zu bringen; umsonst, er schüttelte die Pfeile ab und plauderte fort. Die Männer wußten nicht, was sie thun sollten, denn es ist ja gegen die Sitte der guten Gesellschaft, selbst einen verworfenen Menschen die Treppe hinabzuwerfen. Da versuchte einer einen andern Weg. Er setzte sich unter die Frauen und lauschte mit ihnen auf die Rede des Mannes und merkte sich alle seine Worte, Wendungen, selbst seine Stimme. Und eines Abends kam er, angethan wie jener Verderber, setzte sich an seine Seite, ließ ihn nicht zum Worte kommen, sondern erzählte den Frauen nach derselben Manier, mit nachgeahmter Stimme, wie es jener Mann zu thun pflegte. Da fanden die Vernünftigeren wenigstens, wie lächerlich und unsittlich dies alles sei. Sie schämten sich, und als jener Mensch dennoch in seinem alten Ton fortfahren wollte, wandten sie sich von ihm ab, er aber stand beinahe allein und zog beschämt von dannen.

„Wo Ernst nicht hilft, da nimm den Spott zur Hülfe“, dachte jener, und wohl ihm, wenn es ihm gelang, den Wolf im Schafskleide zu verjagen.

[244] Meine Freunde! Dasselbe, was in dieser Geschichte erzählt ist, dasselbe wollte auch der Mann im Monde, und das war ja unsere erste Frage: er wollte den Erfinder der Mimili-Manier zu Nutz und Frommen der Litteratur und des Publikums, zur Ehre der Vernunft und Sitte lächerlich machen.

Wie er diesen Zweck verfolgte, ob es ihm gelingen konnte, ist der Gegenstand der folgenden Fragen.



II.

Haben wir bisher nachgewiesen und darüber gesprochen, welchen Zweck der Mann im Monde zu verfolgen hatte, indem wir den Gegenstand, gegen welchen er gerichtet war, nach allen Teilen auseinandersetzten, so kommt es uns zu, andächtig miteinander zu betrachten, wie er diesen Zweck verfolgte.

Es gibt verschiedene Wege, wie schon in der Parabel vom angenehmen Mann angedeutet ist, verschiedene Wege, um ein Laster, eine böse Gewohnheit oder unsittliche Ansichten aus der sittlichen Gesellschaft zu verbannen. Das Erste und Natürlichste bleibt immer, einen solchen Gegenstand mit Ernst, mit Gründen anzugreifen, seine Anhänger von ihrem Irrtum zu überführen, seine Blöße offen vor das Auge zu bringen. Diesen Weg hat man auch mit dem Claurenschen Unfug zu wiederholten Malen eingeschlagen. Ihr alle, meine Zuhörer, kennet hinlänglich jene öffentlichen Gerichte der Litteratur, wo die Richter zwar, wie bei der heiligen Feme, verhüllt und ohne Namen zu Gericht sitzen, aber unverhüllt und unumwunden Recht sprechen; ich meine die Journale, die sich mit der Litteratur beschäftigen. Wie es in aller Welt bestechliche Richter gibt, so auch hier. Es gab einige, freilich an Obskurantismus[WS 16] laborierende Blätter, welche jedes Jahr eine Fanfare bliesen zu gunsten und Ehren Claurens und seines Neugeborenen. Dem Vater wie dem Kindlein wurde gebührendes Lob gespendet und das Publikum eingeladen, einige Thaler als Patengeschenk zu spendieren. Doch zur Ehre der deutschen Litteratur sei es gesagt, es waren und sind dies nur einige Winkelblätter, die nur mit Modeartikeln zu thun haben.

Bessere Blätter, bessere Männer als jene, die um Geld lobten, [245] scheuten sich nicht, so oft Claurens Muse in die Wochen kam, das Produkt nach allen Seiten zu untersuchen und der Welt zu sagen, was davon zu halten sei. Sie steigerten ihre Stimme, sie erhöhten ihren Tadel, je mehr die Lust an jenen Produkten unter euch überhandnahm; sie bewiesen mit triftigen Gründen, wie schändlich eine solche Lektüre, wie entwürdigend ein solcher Geschmack sei, wie entnervend er schon zu wirken anfange. Manch herrliches Wort wurde da über die Würde der Litteratur, über wahren Adel der Poesie und über euch gesprochen, die ihr nicht errötet, ihm zu huldigen, die ihr so verstockt seid, das Häßliche schön, das Unsaubere rein, das Kleinliche erhaben, das Lächerliche rührend zu finden. Woran lag es aber, daß jene Worte wie in den Wind gesprochen scheinen, daß, so oft sich auch Männer von wahrem Wert dagegen erklärten, die Menge immer mehr Partei dafür nahm? Man müßte glauben, der Herr habe ihre Herzen verstockt, wenn sich nicht noch ein anderer Grund fände.

Jene Institute für Litteratur, die kein Volk der Erde so allgemein, so gründlich aufzuweisen hat wie wir, jene Journale, wo auch das Kleinste zur Sprache kömmt und nach Gesetzen beurteilt wird, die sich auf Vernunft und wahren Wert der Kunst und Wissenschaft gründen, sie sind leider nur für wenige geschrieben. Wer liest sie? Der Gelehrte, der Bürger von wahrer Bildung, hin und wieder eine Frau, die sich über das Gebiet der Leihbibliothek erhoben hat. Ob aber Clauren für diese schreibt? Ob seine Manier diesen schädlich wird? Ob sie ihn nur lesen? Und wenn sie ihn lesen, wird ihnen die Stufe von Bildung, auf welcher sie stehen, nicht von selbst den Takt verleihen, um das Verwerfliche einzusehen? Und wenn unter hundert Menschen, welche lesen, sogar zehn wären, die sich aus jenen Instituten unterrichten, verhallt nicht eine solche Stimme bei neunzig andern?

So kam es, daß Clauren zu wiederholten Malen angegriffen, getadelt, gescholten, verhöhnt, bis in den Staub erniedrigt wurde; er – schüttelte den Staub ab, antwortete nicht, ging singend und wohlgemut seine Straße. Wußte er doch, daß ihm ein großes, ansehnliches Publikum geblieben, zu dessen Ohren jene Stimmen nie drangen, wußte er doch, daß, wenn ihn der ernste Vater mit [246] Verachtung vor die Thüre geworfen wie einen räudigen Hund, der seine Schwelle nicht verunreinigen soll, das Töchterlein oder die Hausfrau eine Hinterthüre willig öffnen werde, um auf die Honigworte des angenehmen Mannes zu lauschen, der Ernst und Scherz so lieblich zu verbinden weiß, und ihm von den ersparten Milchpfennigen ein Sträußchen Vergißmeinnicht abzukaufen.

Man könnte sich dies gefallen lassen, wenn es sich um eine gewöhnliche Erscheinung der Litteratur handelte, die in Blättern öffentlich getadelt wird, weil sie von den gewöhnlichen Formen abweicht oder unreif ist oder nach Form und Inhalt den ästhetischen Gesetzen nicht entspricht. Hier kann höchstens die Zeit, die man der Lektüre einer Gespenstergeschichte oder eines ehrlichen Ritterromans widmete, übel angewendet scheinen, oder der Geschmack kann darunter leiden. Solange für die jugendliche Phantasie, für Sittlichkeit keine Gefahr sich zeigt, mögen immer die Richter der Litteratur den Verfasser zurechtweisen, wie er es verdient; das allgemeine Publikum wird freilich wenig Notiz davon nehmen. Wenn aber nachgewiesen werden kann, daß eine Art von Lektüre die größtmögliche Verbreitung gewinnt, wenn sie diese gewinnt durch Unsittlichkeit, durch Lüsternheit, die das Auge reizt und dem Ohr schmeichelt, durch Gemeinheit und unreines Wesen, so ist sie ein Gift, das um so gefährlicher wirkt, als es nicht schnell und offen zu wirken pflegt, sondern allmählich die Phantasie erhitzt, die Kraft der Seele entnervt, den Glauben an das wahrhaft Schöne und Edle, Reine und Erhabene schwächt und ein Verderben bereitet, das bedauerungswürdiger ist als eine körperliche Seuche, welche die Blüte der Länder wegrafft.

Ich habe euch vorhin ein Bild entworfen von dem Wesen und der Tendenz dieses Clauren; nach allen Teilen habe ich ihn enthüllt, und wer unter euch kann leugnen, daß er ein solches Gift verbreite? Wer es kann, der trete auf und beschuldige mich einer Lüge! Männer meines Volkes, die ihr den wahren Wert einer schönen, kräftigen Nation nicht verkennt, Männer, die ihr die Phantasie eurer Jünglinge mit erhabenen Bildern schmücken wollt, Männer, die ihr den keuschen Sinn einer Jungfrau für ein hohes Gut erachtet, ihr, ich weiß es, fühlet mit mir. Aber [247] ihr müßt auch gefühlt, gesehen haben, daß jene öffentlichen Stimmen, die den Marktschreier rügten, der den Verblendeten Gift verkauft, nicht selten in eure Häuser gedrungen sind. Ich habe gefühlt wie ihr, und der Ausspruch jenes alten Arztes fiel mir bei: „Gegen Gift hilft nur wieder Gift.“ Ich dachte nach über Ursache und Wirkung jener Mimili-Manier, ich betrachtete genau die Symptome, die sie hervorbrachte, und ich erfand ein Mittel, worauf ich Hoffnung setzte. „Aus denselben Stoffen“, sprach ich zu mir, „mußt du einen Teig kneten, mußt ihn würzen mit derselben Würze, nur reichlicher überall, nur noch pikanter; an diesem Backwerk sollen sie mir kauen, und wenn es ihnen auch dann nicht widersteht, wenn es ihnen auch dann nicht wehe macht, wenn sie an dieser ‚Trüffelpastete‘, an diesem ‚Austernschmaus‘ keinen Ekel fassen, so sind sie nicht mehr zu kurieren, oder – es war nichts an ihnen verloren.“

Zu diesem Zweck scheute ich nicht die Mühe, die reiche Bibliothek von „Scherz und Ernst“, die üppig wuchernde Sumpfpflanze „Vergißmeinnicht“ nach allen ihren Teilen zu studieren. Je weiter ich las, desto mehr wuchs mein Grimm über diese nichtige Erbärmlichkeit. Es war eine schreckliche Arbeit; alle seine Kunstworte (termini technici), alle seine Wendungen, alle seine Schnörkel und Arabesken, jene Kostüms, worein er seine Püppchen hüllt, alle Nüancen der Sinnlichkeit und Lüsternheit, jenen feinen, durchsichtigen Schleier, womit er dem Auge mehr zeigt als verhüllt, alle Schattierungen seines Stils, jenes kokettierende Abbrechen, jenes Hindeuten auf Gegenstände, die man verschweigen will, dies alles und so vieles andere mußte ich suchen, mir zu eigen zu machen. Ich mußte einkehren auf seinen Bällen, bei seinen Schmäusen, ich mußte einkehren in seiner Garküche und die rauchenden Pasteten, den dampfenden Braten, den schmorenden Fisch beriechen, alle Sorten seiner Weine mußt’ ich kosten, mußte den Kork zur Decke springen lassen, mußte die „brüsselnden Bläschen im Lilien-Kelchglas auf und nieder tanzen“ sehen – und dann erst konnte ich sagen, ich habe den Clauren studiert.

Dann erfand ich eine Art von Novelle, in der Manier, wie Clauren sie gewöhnlich gibt, etwas mager, nicht sehr gehaltvoll, [248] und dennoch zu zwei Teilen lang genug. Notwendiges Requisit war nach den oben angedeuteten Gesetzen: 1) Ein junger, schmächtiger, etwas bleicher, rabengelockter Mann, unglücklich, aber steinreich. 2) Die Heldin des Stücks, ein tanzendes, plauderndes, naives, schönes, lüsternes, mitleidiges „Dingelchen“, dem das Herzchen alsbald vor Liebe „puppert“, dem die Liebe alles Blut aus dem Herzen in die Wangen „pumpt“. (Welch gemeines Bild, von einem Weinfaß entlehnt, eines Küfers würdig!) 3) Ein Spiritus familiaris, wie wir ihn beinahe in allen Claurenschen Geschichten treffen, ein altes, freundliches „Kerlchen“, das den Liebenden mit Rat und That beisteht. 4) Ein neutraler Vater, der zum wenigsten Präsident sein muß. 5) Ein paar Furien von Weibern, die das böse, eingreifende Schicksal vorstellen. 6) Einige Husarenlieutenants und Dragoneroffiziere, nach seinen Modellen abkonterfeit. 7) Ein alter Onkel, der mit Geld alles ausgleicht. 8) Bediente, Wirte et cetera. So waren die Personen arrangiert, das Stück zu Faden geschlagen, und jetzt mußte gewoben werden. Hier mußte nun hauptsächlich Rücksicht darauf genommen werden, daß man sein Dessin immer im Auge behielt, daß man immer daran dachte, wie würde er, der große Meister, dies weben? Das Gewebe mußte locker und leicht sein, keiner der Charaktere zu sehr herausgehoben und schattiert. Es wäre z. B. ein Leichtes gewesen, aus Ida eine ganz honette[WS 17], würdige Figur zu machen; der Charakter des Hofrat Berner hätte mit wenigen Strichen mehr hervorgehoben werden können; man hätte aus der ganzen Novelle ein mehr gerundetes, würdiges Ganze machen können; aber dann – war der Zweck verfehlt. So flach als möglich mußten die verschiedenen Charaktere auf der Leinwand stehen, steif in ihren Bewegungen, übertrieben in ihrem Herzeleid, grell in ihren Leidenschaften, sinnlich, sinnlich in der Liebe. Jene Novelle an sich hat keinen Wert, und dennoch hat es mich oft in der Seele geschmerzt, wenn ich eines oder das andere der gesammelten „Zuthätchen“ einstreuen, wenn ich von keuschem Marmorbusen, stolzer Schwanenbrust, jungfräulichen Schneehügeln, Alabasterformen et cetera sprechen mußte, wenn ich nach seinem Vorgange von schönen „Wäd–“, von süßen „Kü–“ (was nicht Küche bedeutet), [249] von wollüstigen Träumen schreiben sollte; wenn die Liebesglut zur Sprache kam, die dem „jungfräulichen Kind“ wie glühendes Eisen durch alle Adern rinnt, daß sie alle andere Tücher wegwirft und die leichte Bettdecke herabschieben muß! Ich habe gelacht, wenn ich nach Anleitung seines Gradus ad parnassum[18] als Beiwort zu den Haaren „kohlrabenschwarz“ oder „Flachsperücke“ setzen mußte, wenn man statt der Augen „Feuerräder“ oder „Liebessterne“ hat, Korallenlippen, „Perlenschnüre“ statt der Zähne, Schwanenhälse samt dito Brust, Knie, die man zusammen „kneipt“, weil man vor Lachen „bersten“ möchte; Wäd- und Füßchen zum Kü– und dergleichen lächerlich gemeine Worte. Nachdem gehörig getollt, gejodelt, getanzt, geweint, abgehärmt war, nachdem, wie natürlich, das Laster besiegt und die Tugend in einem herrlichen Schleppkleide mit Brüsseler Kanten, Blumen im Haar auf die Bühne geführt war, wurden als Morgengabe mehrere Millionen Thaler, einige Schlösser, Parks, Gründe et cetera aufnotiert und Hochzeit gehalten. Da gab es nun ein „erschreckliches Hallo, daß man nicht wußte, wo einem der Kopf stand“, es wurde trefflich gespeist und getrunken und das selige Liebespaar beinahe bis in die Brautkammer befördert.

Das ist der Ur- und Grundstoff, wie zu jedem Claurenschen Roman, so auch zum Mann im Monde; auf diese Art suchte er seinen Zweck zu erreichen, durch Übersättigung Ekel an dieser Manier hervorzubringen, die Satire sollte ihm Gang und Stimme nachahmen, um ihn vor seinen andächtigen Zuhörern lächerlich zu machen. Mit Vergnügen haben wir da und dort bemerkt, daß „Der Mann im Monde“ diesen Zweck erreichte. Jeder vernünftige, unparteiische Leser erkannte sein Absicht und, Gott sei es gedankt, es gab noch Männer, es gab noch edle Frauen, die diese öffentliche Rüge der Mimili-Manier gerecht und in der Ordnung fanden.

Öffentliche Blätter, deren ernster, würdiger Charakter seit einer Reihe von Jahren sich gleich blieb, haben sich darüber ausgesprochen, haben gefunden, daß es an der Zeit sei, dieses geschmacklose, unsittliche, verderbliche Wesen an den Pranger zu [250] stellen. Tadle mich keiner, ehrwürdige Versammlung, daß ich, ein junger Mann, ohne Verdienste, ohne Ansprüche auf Sitz und Stimme in der Litteratur, es wagte, den Hochberühmten anzugreifen. Steht doch jedem Leser das Recht zu, seine Meinung über das Gelesene, auf welche Art es sei, öffentlich zu machen, steht doch jedem Mann in der bürgerlichen Gesellschaft das Recht zu, über Erscheinungen, die auf die Bildung seiner Zeitgenossen von einigem Einfluß sind, zu sprechen.

Ich bin weit entfernt, mich mit dem großen jüdischen König und Harfenisten David vergleichen zu wollen, aber hat nicht der Sohn Isais, obgleich er jung und ohne Namen im Lager war, dem Riesen Goliath ein steinernes Vergißmeinnicht an die freche Stirne geworfen, ihm in Scherz und Ernst den Kopf abgehauen und solchen als Lustspiel vor sich hertragen lassen? Mir freilich haben die Jungfrauen nicht gesungen: „Er hat Zehentausend geschlagen“ (worunter man die Zahl seiner Anhänger verstehen könnte), denn die Jungfrauen sind heutzutage auf der Seite des Philisters; natürlich, er hat ja, wie Asmus[19] sagt:

„– Federn auf dem Hut
Und einen Klunker dran.“

Selbst die jüdischen Rezensenten haben sich undankbarerweise gegen mich erklärt. Leider hat ihre Stimme wenig zu bedeuten in Israel.

Gehen wir aber, in Betrachtung, wie es dem Mondmanne auf der Erde erging, weiter, so stoßen wir auf einen ganz sonderbaren Vorfall. Als dieses Buch, dem neben der Weise und Sprache des Erfinders der Mimili-Manier auch sein angenommener Name nicht fehlen durfte, in alle vier Himmelsgegenden des Landes ausgegeben wurde, erwarteten wir nicht anders, als Clauren werde „geharnischt bis an die Zähne“ auf dem Kampfplatz der Kritik erscheinen, uns mit Schwert und Lanze anfallen, seine Knappen und dienenden Reisigen[WS 18] zur Seite. Wir freuten [251] uns auf diesen Kampf, wir hatten ja für eine gute Sache den Handschuh ausgeworfen. Vergebens warteten wir. Zwar erklärte er, was schon auf den ersten Anblick jeder wußte, dieser Mann im Monde sei nicht sein Kind, aber statt, wie es einem berühmten Litterator, einem namhaften Belletristen geziemt hätte, wie es sogar seine Ehre gegenüber von seinen Anbetern und Freunden verlangte, öffentlich vor dem Richterstuhl litterarischer Kritik nach ästhetischen Gesetzen sich zu verteidigen, begnügte er sich, als Gegengewicht das „Tornister-Lieschen“ auf die Wagschale zu legen, und ging hin, vor den bürgerlichen Gerichten zu klagen, man habe seinen Namen mißbraucht. Hatte man denn die paar Buchstaben H. Clauren angegriffen? War es nicht vielmehr seine heillose Manier, seine sittenlosen Geschichten, sein ganzes unreines Wesen, was man anfocht? Konnten Schöppen und Beisitzer eines bürgerlichen Gerichts ihn rein machen von den litterarischen Sünden, die er begangen? Konnten sie mit der Flut von Tinte, die bei diesem Vorfall verschwendet wurde, ihn rein waschen von jedem Fleck, der an ihm klebte? Konnten sie ihm, indem sie ihm ihr bürgerliches Recht zusprachen, eine Achtung vor der Nation verschaffen, die er längst in den Augen der Gutgesinnten verloren? Konnten sie, indem sie genugsam Sand auf das Geschriebene streuten, das, was er geschrieben, weniger schlüpfrig machen?

Wenn aber, andächtige Versammlung, der Gerichtshof H. Clauren als wirklich vorhanden angenommen hat, so hat er damit nur erklärt, daß man Claurens Namen nicht führen dürfe, daß es unrechtmäßigerweise geschehen sei, daß man die acht Buchstaben, die das non-ens bezeichneten, H. C. l. a. u. r. e. n. in derselben Reihenfolge auch auf ein anderes Werk gesetzt habe. In einer andern Reihenfolge wäre es also durchaus nicht unrecht gewesen, und wie viele Anagramme sind nicht aus jenen mystischen acht Buchstaben zu bilden, z. B. Hurenlac, oder Harnceul. Der Geheime Hofrat Karl Heun bezeigt eine außerordentliche Freude über diesen Spruch und glaubt, somit sei die ganze Sache abgethan, und er habe recht. Wie täuscht sich dieser gute Mann! War denn jene Satire „Der Mann im Monde“ gegen seinen angenommenen [252] Namen gerichtet? Namen, Herr, thun nichts zur Sache; der Geist ist’s, auf den es abgesehen war. Und die Richter vom Eßlinger Gerichtshof, konnten und wollten diese entscheiden, ob die Tendenz, die Sprache, das ganze Wesen von Seiner Wohlgeboren Schriften sittlich oder unsittlich sei, ob sie Probe halten vor dem Auge, das nach kritischen Gesetzen urteilt und nach den Vorschriften der Ästhetik, in welches Gebiet doch die Schriften eines Clauren gehören? Der Name, nicht die Sache, konnte nach bürgerlichen Gesetzen unrecht sein; aber versuche er einmal, nachdem er mit Glück seinen Namen verfochten, auch seine Sache, den Geist und die Sprache seiner Schriften zu verteidigen! – –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – –
– – – – – Bedenke:

Auch das Schöne muß sterben, das Menschen und Götter entzückte,
Doch das Gemeine steigt lautlos zum Orkus hinab.[20]

Wohl dem Namen Clauren, wenn er dann trotz so manchem Vergißmeinnicht vergessen sein wird, denn nach wenigen Jahrzehnten verschwindet der Scherz, und ernst richtet die Nachwelt. Da wird man fragen: Von welchem Einfluß war dieser Name auf seine Mitwelt? Was hat er für die Würde seiner Nation, für den Geist seines Volkes gethan? Und – man wird nach Werken, nicht nach Worten richten.

Bei den alten Ägyptiern war es Sitte, wenn man die Könige der Erde wiedergab, Gericht zu halten über ihre Thaten. Man hat in unseren Tagen diese schöne Sitte erneuert, so oft einer unter den Dichtern, den Königen der Phantasie, hinübergegangen war. Über Jean Paul vernahmen wir das schöne merkwürdige Wort: „Gute Bücher sind gute Thaten!“ Wird man von Clauren dasselbe sagen?

Doch genug davon; noch hat weder Clauren, noch ein Gerichtshof [253] der Erde den Mann im Monde nach seinem innern Wesen widerlegt; wir sind begierig, ob und wie es geschehen werde.

Und nun zum Schlusse noch ein Wort an euch, verehrte Zuhörer. Habt ihr bis hieher mir aufmerksam zugehört, so danke ich euch herzlich, denn ihr wisset jetzt, was ich gewollt habe. Schmerzen würde es mich übrigens, wenn ihr mich dennoch nicht verständet, nicht recht verständet. Es möchte vielleicht mancher mit unzufriedener Miene von mir gehen und denken: der Thor predigt in der Wüste; sollen wir denn jeglichem heiteren Geistesgenuß entsagen, sollen wir so ganz asketisch leben, daß unsere Taschenlektüre Klopstocks „Messias“ werden soll?

Mitnichten! und es wäre Thorheit, es zu verlangen; als der Schöpfer dem Sterblichen Witz und Laune, Humor und Empfänglichkeit für Freude in die Seele goß, da wollte er nicht, daß seine Menschen traurend und stumm über seine schöne Erde wandelten. Es hat zu allen Zeiten große Geister gegeben, die es nicht für zu gering hielten, durch die Gaben, die ihnen die Natur verlieh, die Welt um sich her aufzuheitern. Nein, gerade weil sie den tiefen Ernst des Lebens und seine hohe Bedeutung kannten, gerade deswegen suchten sie von diesem Ernste – trüben Sinn und jene Traurigkeit zu verbannen, die alles, auch das Unschuldigste, mit Bitterkeit mustert. Wirkliche Tiefe mit Humor, Wahrheit mit Scherz, das Edle und Große mit dem heiteren Gewand der Laune zu verbinden, möchte auf den ersten Anblick schwer erscheinen; aber England und Deutschland haben uns seit Jahrhunderten so glänzende Resultate gegeben, daß wir glauben dürfen, wenn nur der Geschmack der Menge besser wäre, der Geister, die sie würdig und angenehm zu unterhalten wüßten, würden immer mehrere auftauchen. Welchen Mann, der nicht allen Sinn für Scherz und muntere Laune hinter sich geworfen hat, welchen Mann ergötzt nicht die Schilderung eines sonderbaren, verschrobenen Charakters? Wer erfreut sich nicht an heiteren Szenen, wo nicht der Verfasser lacht, sondern die Figuren, die er uns gezeichnet; wem, wenn er auch jahrelang nicht gelächelt hätte, müßten nicht Jean Pauls Prügelszenen ein Lächeln abgewinnen? Auf der Stufenleiter seines Humors steigt er herab bis in das unterste, gemeinste [254] Leben; aber sehet ihr ihn jemals gemein werden, wie Clauren auf jeder Seite ist? Walter Scott, der Mann des Tages, der aus manchem Herzen selbst die Wurzeln des Vergißmeinnicht gerissen hat, Walter Scott treibt sich in den gemeinsten Schenken des Landes, in den schmutzigsten Höhlen von Alsatia umher, aber sehet ihr ihn jemals gemein werden? Weiß er nicht wie jene niederländischen Künstler sogar das Unsauberste zu malen, ohne dennoch selbst unreinlich und schlüpferig zu sein? Könnet ihr nicht seine Schilderungen, selbst an das Gefährliche streifende Situationen jedem Mädchen von Zucht und Sitte vorlesen, ohne sie dennoch erröten zu machen?

Solche Männer kommen mir vor wie anständige Leute, die durch eine schmutzige Straße in gute Gesellschaft gehen sollen. Sie treten leise auf, sie wissen mit sicherem Fuße die breiten Steine herauszufinden und treten reinlich in die Hausflur, während Menschen wie Clauren wilden Jungen oder Schweinen gleich durch dick und dünne laufen und, nicht zufrieden, sich selbst beschmutzt zu haben, die Vorübergehenden besudeln und mit Kot bespritzen.

Noch gibt es, Gott sei es gedankt, solcher reinlichen Leute genug in unserer Litteratur, gibt der Männer viele, die mit Wahrheit und Würde jene Anmut, jene Laune verbinden, die euch in trüben Stunden freundlich zu Hilfe kommt. Oder solltet ihr vergessen haben, daß uns ein Goethe, ein Jean Paul, ein Tieck, ein Hoffmann Erzählungen gaben, die sich mit jeder Dichtung des Auslandes messen können? Hat euch der Vergißmeinnicht-Mann so gänzlich gefesselt, daß ihr die schönen Blüten zahlreicher anderer Erzähler nicht einmal vom Hörensagen kennt? Freilich, diese Männer verschmähten es, ihre Blumen am Sumpf zu brechen oder ihre Farben mit dem Wasser einer Pfütze zu mischen; sie fühlten, daß der Entwurf ihrer Gemälde anziehend und interessant, daß die Stellung der Gruppen nach natürlichen Gesetzen zu ordnen sei, daß selbst das Neue, Überraschende angenehm für das Auge sein müsse. Zeichnung der Landschaft, nicht der Spiegel und Sofas, Schilderung der Charaktere, nicht der Hüte und Gewänder, der Geist einer Jungfrau, nicht der üppige Bau ihrer Glieder, war ihnen die Hauptsache, und darum können wir auch [255] ihre Bilder, wie jedes gute Buch, alle Jahre mit erneuertem Vergnügen lesen, während uns der Berühmte schon nach der ersten Viertelstunde anekelt.

Man hat in neuerer Zeit in Frankreich und England angefangen, unsere Litteratur hochzuschätzen. Die Engländer fanden einen Ernst, eine Tiefe, die ihnen bewunderungswürdig schien. Die Franzosen fanden eine Anmut, eine Natürlichkeit in gewissen Schilderungen und Gemälden, die sie selbst bei ihren ersten Geistern selten fanden. Faust, Götz und so manche herrliche Dichtung Goethes sind ins Englische übertragen worden, seine Memoiren entzücken die Pariser; Tiecks und Hoffmanns Novellen fanden hohe Achtung über dem Kanal, und Talma[21] rüstet sich, Schillers tragische Helden seiner Nation vor das Auge zu führen. Wir Deutschen handelten bisher von jenen Ländern ein, ohne unsere Produkte dagegen ausführen zu können; mit Stolz dürfen wir sagen, daß die Zeit dieses einseitigen Handels vorüber ist.

Aber müssen wir nicht erröten, wenn es endlich einem ihrer Übersetzer, aufmerksam gemacht durch den Ruhm des Mannes, einfällt, ein Vergißmeinnichtchen über ein Bändchen von „Scherz und Ernst“ zu übertragen? Mit Recht könnt’ er in einer pompösen Anzeige sagen: „Das ist jetzt der Mann des Tages in Deutschland, er macht Furor, den müßt ihr lesen!“ Meinet ihr etwa, man sei dort auch so nachsichtig gegen Lächerlichkeit und Gemeinheit, um diese Geschichtchen nur erträglich zu finden? Welchen Begriff werden gebildete Nationen von unserem soliden Geschmack bekommen, wenn sie den ganzen Apparat einer Tafel oder ein Mädchen mit eigentümlichen Kunstausdrücken anatomisch beschrieben finden? Oder wenn der Übersetzer in unserem Namen errötet, wenn er alle jene obscönen Beiworte, alle jene kleinlichen Schnörkel streicht und nur die interessante Novelle gibt, wie Herr N. die Demoiselle N. N. heiratet, was wird dann übrig sein?

Schneidet einmal dieser Puppe ihre kohlrabenschwarze Ringellöckchen ab, preßt ihr die funkelnden Liebessterne aus dem Kopfe, reißt ihr die Perlenzähne aus, schnallet den Schwanenhals nebst [256] Marmorbusen ab, leget Shawls, Hüte, Federn, Unter- und Oberröckchen, Korsettchen et cetera in den Kasten, so habt ihr dem lieben, herrlichen Kind die Seele genommen, und es bleibt euch nichts als ein hölzernes Kadaver: das Knochengerippe von Freund Heun!

Und wenn ihr euch nicht vor fremden Nationen schämet, wenn ihr über das deutsche Publikum nicht erröten könnet, so errötet vor euch selbst. Schämet euch, ihr Männer, wenn ihr eure Langweile nicht anders töten könnet als mit Hülfe dieses Clauren; schämet euch, ihr Frauen, wenn ihr Gefallen finden könnet an dieser niedrigsten Darstellung eures Geschlechtes; schämet euch, ihr Jünglinge, wenn ihr wahre Liebe in diesem Handbuche der Sinnlichkeit wiederfinden wollet; errötet, wenn ihr es in seiner Schule nicht verlernt habt, errötet vor euch selbst, ihr Jungfrauen, eure Phantasie mit diesen lüsternen Bildern zu schmücken; es gibt eine moralische Keuschheit, eine holde, erhabene Jungfräulichkeit der Seele; man darf darauf rechnen, daß ein Mädchen sie verloren hat, wenn sie Claurens Erzählungen gelesen.

Überlasset seine Schilderung Dirnen, an welchen nichts mehr zu verlieren ist. Man wird es ihnen so wenig übelnehmen, wenn sie ihn lesen, als den Handwerksburschen, wenn sie auf der Straße unzüchtige Lieder singen.

Meine Zuhörer! Ich habe also vor euch gesprochen, weil ich nicht anders konnte. Ich habe nicht auf Dank, nicht auf Lob gerechnet; die Menge ist vielleicht so tief gesunken, daß sie nicht mehr an solche Worte glaubt; meine Stimme verhallt vielleicht in dem tausendstimmigen Hurra, womit man in diesem Augenblick einen frischen Strauß Vergißmeinnicht empfängt.

Doch wenn meine Worte auch nur auf Einem Antlitz jene Röte der Scham aufjagten, die wie die Morgenröte der Bote eines schöneren Lichtes ist, wenn auch nur zwei, drei Herzen entrüstet sich von ihm abwenden, so habe ich für mein Bewußtsein genug gethan! Weiß ich doch, daß es in diesen Landen noch Männer gibt, die mir im Geiste danken, die mir die Hand drücken und sagen: „Du hast gedacht wie wir!“ Amen.





  1. Abraham a Sancta Clara, mit seinem Laiennamen Ulrich Megerle geheißen (1644–1709), Hofprediger in Wien, bekannt durch seine mit derben Volkswitzen, Possen und Schnurren gewürzten Predigten und Schriften
  2. Titel eines von Clauren jährlich herausgegebenen Almanachs.
  3. Über Spieß und Cramer vgl. Anmerk. Bd. II, S. 319.
  4. Aug. Heinr. Jul. Lafontaine (1759–1831), deutscher Romanschriftsteller, Verfasser sehr matter und empfindsamer Familienromane.
  5. Aug. Gottl. Meißner (1753–1807), Großvater des Dichters Alfred Meißner, seiner Zeit beliebter Schriftsteller, doch ohne große Bedeutung, Verfasser von Romanen und Erzählungen.
  6. Eine der bekanntesten Erzählungen von H. Clauren, oft über Gebühr geschmäht.
  7. Dichtername des Romantikers Friedr. von Hardenberg (1772–1801).
  8. Die Großfürstin Helene (Paulowna Charlotte Maria) von Rußland (1807–73) war eine Tochter des Herzogs Paul von Württemberg und seit 1824 mit dem Großfürsten Michael von Rußland vermählt.
  9. Vgl. Schillers „Wallenstein“.
  10. Vgl. Jean Pauls „Hesperus“.
  11. Vgl. Jean Pauls „Titan“.
  12. Vgl. Jean Pauls „Hesperus“.
  13. Vgl. Tassos „Befreites Jerusalem“, 15. Gesang, Strophe 58 ff.
  14. Latein, d. h: „Wenn man Kleines mit Großem vergleichen darf“.
  15. „Der Freimütige oder Unterhaltungsblatt für gebildete Leser“, herausgegeben von Aug. Kuhn (1784–1829).
  16. Titel einer in vier Serien erschienen Sammlung der meisten Erzählungen Claurens.
  17. Benj. Thomson Graf von Rumford (1753–1814), bekannter Physiker, 1783–99 in München thätig, durch viele gemeinnützige Einrichtungen um das Wohl der Armen verdient. Nach ihm benannt die hier erwähnte Rumfordsche Suppe, aus Knochen, Blut und andern billigen Stoffen hergestellt.
  18. Bezeichnung für die Wörterbücher zum Gebrauch beim Versemachen.
  19. Pseudonym des Dichters Matth. Claudius (vgl. Anmerk. Bd. 2, S. 50), in dessen Gedichte „Die Geschichte von Goliath und David in Reime gebracht“ (Strophe 1) es heißt: „Er hatte Tressen auf dem Hut Mit einem Klunker dran.“
  20. Vgl. Schillers Gedicht „Nänie“, erste und letzte Zeile.
  21. Vgl. die Anmerkung Bd. 2. S. 214.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Anathema sit! (griech./latein.) bedeutet: er sei verflucht, eine formelhafte Wendung mit dem die Verbannung aus der Kirche ausgesprochen wurde, insbesondere bei Herätikern (vgl. Herders Conversations-Lexikon, Freiburg i. B. 1854, Band 1, S. 174 und den Wikipedia-Artikel Anathema).
  2. Die Zimmerdecke.
  3. Erregen, in einen Zustand versetzen.
  4. Eine Kapelle am Ufer des Vierwaldstättersees, die dort liegt, wo der Sage nach Wilhelm Tell vom Boot des Landvogts Gessler gesprungen sein soll.
  5. Lateinisch: zuerst, fürs Erste.
  6. Autodafee oder Autodafé bezeichnet die Vollstreckung eines Urteils der Inquisition oder eines Glaubensgerichts, beispielsweise die Verbrennung eines Häretikers (Wikipedia).
  7. „Windharfe“, ein Saiteninstrument, das durch einen Luftstrom zum Klingen gebracht wird.
  8. Göttin der Freudenmädchen, die im Gegensatz zur Venus Urania, der Himmlischen, die Neigungen und Begierden der Menschen begünstigt (vgl. Pierer’s Universal-Lexikon, Altenburg 1857, Band 1, S. 599 f.).
  9. Französisch: wie es sein soll.
  10. Zylinderförmiger Hut ohne Krempe (vgl. Brockhaus’ Kleines Konversations-Lexikon, Leipzig 1911, Bd. 2, S. 849).
  11. Lateinisch: O heilige Einfalt!
  12. Französisch: Ganz wie bei uns.
  13. Griechisch: Zusatz oder Beiwort zur Charakterisierung eines Attributs (vgl. Wikipedia).
  14. Verpflegung, Bewirtung.
  15. Johann Heinrich Voß (1751–1826); deutscher Dichter und Übersetzer, der vor allem durch die Übertragung der Werke Homers ins Deutsche bekannt wurde.
  16. Gegenstück zur Aufklärung; Bestreben, die Menschen in geistiger Dämmerung verharren zu lassen und selbständiges Denken zu verhindern.
  17. Auf biedere, naive Weise anständig, ehrenhaft und deshalb achtenswert.
  18. Als Reisige oder Reisiger wurden im Mittelalter bewaffnete Dienstleute oder berittene Begleitpersonen bezeichnet.

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