Kommt, laßt uns unseren Kindern leben!

Textdaten
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Autor: Dr. Moritz Schuster
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Titel: „Kommt, laßt uns unseren Kindern leben!“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 738–740
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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„Kommt, laßt uns unseren Kindern leben!“


Von Dr. Moritz Schuster.


Mit dem Antheil an dem erhebenden Gemeingefühl des eigenen erstarkenden Volkes, womit unsere große Zeit jeden rechtschaffenen Deutschen beglückt, erwächst demselben, wie Leserin und Leser der Gartenlaube an sich selbst werden erfahren haben, ein lebhafteres Bewußtsein jener höheren Pflichten, deren allgemeine Erfüllung die einzige Bürgschaft bietet für eine dauernde Sicherung des Wohles der Einzelnen wie des Staates. Zu diesen Pflichten gehört unbestritten in erster Linie möglichste Mitwirksamkeit zur Vervollkommnung der Erziehung und Bildung der Jugend. In leider nur zu großem, aber jedenfalls sehr bequemem Vertrauen pflegten seither die meisten sich mit dem Gedanken zu beruhigen, daß dies das wohlbestellte Amt der öffentlichen Schulen ausmache, in denen wir ja den anderen Völkern überlegen seien. Aus drei Gründen aber kann ein zu großes Vertrauen in dieser Richtung als dem öffentlichen Wohle nur nachtheilig erscheinen. Einmal schwächt es das allgemeine Interesse und den Blick für die Verbesserung der öffentlichen Bildungsanstalten; sodann enthält und befördert es die falsche Meinung, daß die öffentlichen Schulen Lehr- und Erziehungsanstalten in gleichem Maße seien und sein könnten, so daß sie das Haus aller besonderen Verpflichtung zum Erziehen und Bilden überhöben; und endlich lenkt jenes Vertrauen die Aufmerksamkeit ab von den vorschulpflichtigen Lebensjahren der Kinder und erzeugt und begünstigt so die verkehrte Ansicht, als ob während dieser Zeit mit denselben weder hinsichtlich der Zucht noch der Lehre etwas Ersprießliches anzufangen sei.

Und doch darf die neuere deutsche Pädagogik vor allem ihren Stolz setzen gerade darein, mit dem Fröbel’schen Kindergarten für das vorschulpflichtige Alter ein Institut geschaffen zu haben, das zur Erfüllung der Vorbedingungen einer möglichst vollkommenen körperlichen und geistigen Erziehung und Bildung unserer Kinder einen höchst wichtigen, zum Theil nothwendigen Beitrag gewährt, ja sogar den Keim zu einer Reform unserer öffentlichen Schulen und ihres Bildungsideals in sich birgt. Es erscheint daher wohl an der Zeit und im öffentlichen Interesse geradezu geboten, auch durch diese weitverbreiteten Blätter die allgemeine Aufmerksamkeit auf den Kindergarten ganz ausdrücklich hinzulenken und zu ernstlicher Betrachtung desselben anzuregen. Denn nachdem von den Pädagogen ein Diesterweg und Karl Schmidt, von den Aerzten ein Bock und Virchow sich wiederholt und nachdrücklich für den Fröbel’schen Kindergarten verwendet haben, kann auf Seiten unbefangener Denker füglich nicht mehr von einem Mißtrauen in Bezug auf denselben die Rede sein, sondern nur noch von Unkenntniß.

Friedrich Fröbel’s Vorgänger in der vernunftgemäßen [739] Behandlung der aufblühenden Kinderwelt war bekanntlich Heinrich Pestalozzi. Er bot zuerst den Schulkindern nicht blos Worte, erniedrigte sie nicht zu „A-B-C-Puppen“, sondern verlangte, daß das Kind die Worte auch verstehe und zunächst mit allen seinen Sinnen die Dinge selbst nach ihren wichtigsten Eigenschaften kennen lerne. Da aber der Mensch die Dinge nicht blos kennen lernen will, sondern sie auch als Mittel zu seinen Zwecken gebrauchen, kurz, da der Mensch nicht blos in sich hineinlernen, wenn es auch noch so naturgemäß geschähe, sondern auch wiederum aus sich heraus wirken und schaffen will, so fühlte Pestalozzi selbst eine Lücke in seiner Pädagogik; er fühlte, daß sein A-B-C der Anschauung einer Ergänzung bedurfte, und hier ist nun in der Entwicklung der pädagogischen Ideen die Stelle, wo Friedrich Fröbel, Pestalozzi ergänzend, eintritt mit dem Grundsatze des freien Schaffens, der freien Selbstthätigkeit.[1]

Das eigentliche Motiv der Fröbel’schen Pädagogik ist also die Idee, den Menschen von seiner schaffenden Seite zu erfassen, seinen Trieb zu schaffender Selbstthätigkeit als Hebel zur Erziehung desselben zu benutzen. Es ist leicht zu bemerken, wie dieses Princip das Pestalozzi’sche ergänzt. Sorgt nämlich die von Pestalozzi erstrebte Veranschaulichung dafür, daß des Kindes Vorstellungen richtige und nachhaltige, oder lebenskräftige seien, so will das Princip der schaffenden Selbstthätigkeit, daß innerlich erzeugte Vorstellungen nicht todt im Glasschranke des Gedächtnisses aufgespeichert daliegen, sondern wiederum heraustreten, sich verkörpern, und zwar vor Allem zur Erweckung von Muth und Selbstvertrauen, von Fleiß und freier, eigentriebiger Lust zur Thätigkeit, denn diese Eigenschaften müssen dem Kinde früh schon zu Eigen gemacht werden, wenn es im Handeln und Arbeiten je zu Tüchtigkeit und zu geistiger und körperlicher Geschicklichkeit und Geläufigkeit gelangen soll. Es ist selbstverständlich, daß von dem Erzieher, welcher den Trieb zur Selbstthätigkeit mit Erfolg benutzen will, von vornherein eine Auswahl von erprobten Darstellungsmitteln getroffen und eine Stufenfolge derselben eingehalten werden muß. Eine solche Auswahl und Stufenfolge für die ersten sechs Lebensjahre hat nun Fröbel auch aufgestellt, aber er hat sie nicht ersonnen und erkünstelt, wie der Sache Unkundige meinen und sagen, sondern aus dem Leben gegriffen. An die Spitze dieser Spiel- und Beschäftigungsmittel stellt er mit unbestrittenem Rechte den Ball, der dem kleinen Kinde in einer demselben faßbaren Größe und nach und nach in den sechs Hauptfarben zu reichen ist und zwar bald frei, bald an einem Faden schwebend. An diese Gabe reihen sich, etwas größer und aus Holz gearbeitet, eine Kugel, ein Würfel und, als Vermittelung dieser Gegensätze, eine Walze.

Das Princip der schaffenden Thätigkeit tritt aber deutlicher erst mit der dritten Gabe hervor. Es besteht diese aus einem würfelförmigen Kästchen, das acht gleiche Würfelchen enthält und den ersten Fröbel’schen Baukasten bildet. Das nächste Baukästchen, die vierte Gabe, besteht aus acht länglichen Täfelchen, die zusammen einen mit dem vorigen gleich großen Würfel bilden. Diesem folgen als fünfte und sechste Gabe noch zwei weitere, etwas größere, aber ebenfalls würfelförmige Baukästchen, die wiederum vielfach getheilte Würfel enthalten. Uebrigens muß man nicht meinen, daß dem Kinde daneben nicht auch anderes Spielzeug gegeben werden dürfte. Dasjenige aber, womit das Kind zumeist etwas anfangen kann, wird ihm bald von selbst das liebste werden, und das sind eben die Baukästchen. Dazu kommt, daß der Inhalt derselben dauerhafter ist, als jenes Spielzeug, mit dem sich bald nichts Anderes anfangen läßt, als das Ende, die versuchte Umwandelung bis zur Zerstörung.

Neben dem Bauen bietet der Kindergarten noch mancherlei andere Beschäftigungen, wie das Stäbchenlegen, Ausnähen durch Punkte bezeichneter Figuren, das Flechten, Zeichnen etc., alle trefflich geeignet, des Kindes Trieb zu schaffender Thätigkeit zu fördern. Daß die Kinder dabei auch wirklich nutzbare Sächelchen fertigen, setzt sie in den Stand, durch Verschenkung derselben Anderen eine Freude zu bereiten und Liebe und Dankbarkeit zu beweisen. Und das nun ist ein Moment von allergrößter Bedeutung, zumal in einer Welt und in einer Zeit, in welcher die Liebe in Vielen so leicht, so gar leicht erkaltet. Aber es soll in den Kindern auch Aufmerksamkeit auf die Gewächse des Gartens erweckt und es sollen ihnen diese lieb und die Pflege derselben durch eigene Bethätigung angenehm gemacht werden. Ferner werden den Kleinen passende Erzählungen geboten; es werden mit ihnen leichte Freiübungen vorgenommen, geeignet, die Kraft und Gesundheit des Körpers zu fördern, worin die Kindergärtnerin überhaupt einen wesentlichen Theil ihrer Aufgabe erblicken muß. Endlich sollen die Kinder im Kindergarten schon vom dritten Jahre an mit anderen menschenwürdig umgehen und in geselligem Spiele sich mit einander schuldlos freuen lernen, ein Erziehungsmittel, dessen möglichst frühe Anwendung von höchster Wichtigkeit ist, das aber vom Elternhause allein meist gar nicht und von der Schule erst drei Jahre später und nur in weit unvollkommenerer Weise gewährt werden kann.

Durch die Schöpfung des Kindergartens hat Fröbel die Mütter keineswegs ihrer heiligsten Pflicht der erziehlichen Fürsorge für die Kleinen enthoben, wohl aber hat er der Familienerziehung theils ein Musterbild, theils eine Ergänzung gegeben, der rechten Schule somit, die an geweckten, lebendigen Kindern ihre Freude hat, die besten Dienste geleistet. Den Jungfrauen insbesondere aber hat er die vortheilhafteste Gelegenheit geschaffen, im wichtigsten Theile aller weiblichen Bildung, in der Kunst der Erziehung kleiner Kinder, die wünschenswertheste Vollendung zu erlangen. Freilich, alle Rathschläge Fröbel’s als unbedingt richtig ohne Weiteres zu befolgen, wäre ein Zeichen arger Beschränktheit oder Denkunfähigkeit, wie aller Glaube an menschliche Unfehlbarkeit. Es ist ja nicht zu leugnen, Fröbel’s Denken erscheint in seinen Schriften meist wenig klar, auch wo er nicht mit den schwierigsten Begriffen und Problemen der Metaphysik zu thun hat, sein Stil ist nur zu oft schwülstig und abstoßend und seine Verschen vollends – zumal wenn man sie in Masse in der herausfordernden Form gedruckter Zeilen vor sich sieht – sind vielfach[WS 1] äußerst läppisch und kindisch; aber dennoch und trotz alledem und alledem ist und bleibt sein Verdienst um die Pädagogik – um die Menschen ein außerordentliches. Es ist nun eine heilige Pflicht der Lebenden, an dem lebendigen Werke des Dahingegangenen fortzuarbeiten und es fort und fort zu vervollkommnen. Es giebt jetzt auf dem Felde der Pädagogik in der That nichts Wichtigeres, als Fröbel’s Hauptidee weiter zu entwickeln und allgemeiner und auch auf dem Felde der Schule verwirklichen zu helfen, vor Allem aber seinen Wahlspruch: „Kommt, laßt uns unseren Kindern leben!“ anzunehmen und mit seiner Hingebung zu befolgen.

Mit den Kindergärten sind übrigens nicht die Kinderbewahranstalten zu verwechseln. Diese behalten die drei- bis sechsjährigen Kinder solcher Eltern, welche beiderseits ihrer Nahrung nachgehen, nicht blos drei bis fünf Stunden, sondern den ganzen Tag über und geben denselben gegen geringe Zahlung auch die Kost. Da solche Anstalten, so weit mir bekannt, zur Zeit noch nicht von Kindergärtnerinnen, wohl aber hier und da von Diaconissinnen geleitet werden, so kann den Kleinen in denselben erziehliche und bildende Einwirkung unmöglich in wünschenswerther Weise zu Theil werden. Diese milden Stiftungen scheinen nicht selten von ängstlich frommen Leuten gegründet worden zu sein, die da meinen, gute Menschen erziehen zu helfen, wenn sie dafür sorgen, daß die Kleinen veranlaßt werden, möglichst oft Gebetsworte nachzusagen und biblische Geschichten anzuhören, die kaum im dritten Schuljahre am Platze sind. Ein Frauenzimmer, die eine solche Anstalt leitete, erklärte mir einst mit unheimlicher, ich möchte fast sagen, tückischer Affectation: „Mit kleinen Kindern kann man nicht genug beten!“ In einer andern Bewahranstalt hing das Bild des blutenden gekreuzigten Christus. Eine derartige Methode, fromme Menschen zu bilden, zeugt, wenn sie mit voller Ueberzeugung gehandhabt wird, von tiefstem Mißtrauen gegen die Menschennatur, und so erscheinen hier Die, welche sonst als die Gläubigsten gelten, als die Allerungläubigsten. Sie gehören zur Partei gewisser Classen von Theologen; den Pädagogen sind sie schnurstracks entgegengesetzt, denn diese brauchen vor Allem ein Herz voll Vertrauen zur Menschennatur, voll Glauben an des Menschen Zukunft, voll Hoffnung auf seine Entwickelung und voll Liebe zu seiner Bestimmung: das Wahre zu erforschen, Gutes zu schaffen und Schönes zu gestalten. Es sind eben die [740] zwei alten Gegensätze, die uns hier vor Augen treten: ängstliche Frömmigkeit knechtischen Befangenseins einerseits und heitere Religiosität kindlicher Freiheit andererseits. Welch ein fröhliches thätiges Leben würde in alle Kinderbewahranstalten einziehen, wenn in jeder derselben eine tüchtige Kindergärtnerin angestellt würde!

Welch schönes Bild edler Menschlichkeit und wahrhaft religiöser Lebensgemeinschaft wäre es ferner, wenn die erwachsenen Töchter vornehmer Familien, anstatt ihre reichliche Muße nur mit elendem Putze und nichtigen Gesellschaften oder Romanen zu vergeuden, oder anstatt, wie es von Seiten der besseren zum Theil jetzt geschieht, in Kinderbewahranstalten die Kleinen im Stricken zu unterweisen, wenn diese die Kinder zu den geistweckenden, die Lust am Schaffen nährenden und sittliches Leben in heiterer Freiheit begründenden Beschäftigungen und geselligen Spielen des Kindergartens anleiteten! Wie zauberisch fördernd und hebend müßte die aus höherer ästhetischer Bildung und feineren socialen Verhältnissen herstammende äußere Idealität solcher freiwilligen Hülfstanten – denn Tanten heißen die Kindergärtnerinnen bei ihren Zöglingen – auf die Kinder einwirken! Und wäre bei den Jungfrauen, die solcher Aufgabe in der rechten Gesinnung und Weise sich unterzögen, blos der äußere Schein der Idealität vorhanden? Nein! Zu den Edelsten ihres Geschlechts würden sie gehören; die äußere süße Weihe, die sie umgäbe, wäre nur der einfache, natürliche Ausdruck des innern Adels ihrer Seele. Um aber so wirken zu können, um des höchsten, bisher ungenossenen Glückes und Vortheils ihrer Stellung theilhaft zu werden und um einst ihrer zu erwartenden köstlichen Bestimmung, der Erfüllung mütterlicher Erziehungspflichten, würdig entgegenzugehen – dazu müßten diese erwachsenen Töchter vor Allem eine Zeitlang einen guten Kindergarten beobachten und daneben ein geeignetes Buch studiren.

Zu einiger Bekanntschaft mit der Kindergartenpädagogik sollte aber auch schon den älteren Schülerinnen der Volksschulen dadurch Gelegenheit gegeben werden, daß man sie, etwa je Zwei und Zwei, einige Zeit einen solchen als Gäste besuchen ließe, damit sie zum Mindesten ein deutliches Bild vernünftigen Umganges mit Kindern und wenigstens einige Kenntniß der wichtigsten Kinderbeschäftigungen erlangten. In Ermangelung besserer Unterweisung, welche freilich die Schule gewähren sollte, würde schon dies ungemeinen Nutzen stiften, da solche Mädchen zunächst als Kinderwärterinnen und später als Mütter mit Kinder umgehen müssen, ohne eine andere deutliche Vorstellung von Erziehung zu haben als die, welche ihrer eigenen höchst mangelhaften entspricht. Für die Aufnahme und möglichste Unterweisung solcher Gäste auf Seiten der Kindergärtnerinnen müßte diesen letzteren allerdings von der Behörde eine Entschädigung gezahlt werden. Es könnte hier ein Magistrat mit wenigen Thalern sehr, sehr viel Gutes stiften. Dabei ist es eine für die Dauer unabweisbare Forderung der Pädagogik, jeder Volksschule einen Kindergarten organisch einzufügen, eine Maßregel, die für die ganze Schule von heilsamstem Einflusse sein muß, und zwar ganz besonders auch dadurch, daß sie die Keime der Kindergartenpädagogik auf dem Felde der Schule entwickeln helfen wird. Heil den Obrigkeiten, die ihre Ehre auch darein setzen, solcher Forderung entgegenzukommen!

Auf der andern Seite ist aber nicht außer Acht zu lassen, daß zu Unterweisung sowohl der älteren Schülerinnen der Volksschule, wie der erwachsenen Töchter vornehmer Familien nur wirklich gute Kindergärten gewählt werden dürfen, das heißt nur solche, die von Damen geleitet werden, welche für ihren Beruf begabt sind und tüchtige Ausbildung genossen haben. Denn es giebt allerdings auch minder gute Kindergärten und Kindergärtnerinnen, die ihren Namen kaum verdienen, Anstalten, wo entweder todte Faulenzerei und blind tappende Unwissenheit, oder peinliche, ewig am Kinde herumarbeitende Schulmeisterei herrscht, bei der die Kinder immer im Trabe und Athem erhalten und von einem Spiele zum andern, von einer Beschäftigung zur andern förmlich gejagt werden und wo man die Kinder in schulmäßig lehrhafter Manier über Dinge unterrichtet, die noch gar nicht für sie passen. Die Hauptsache, das Eine und Alles ist hier die Persönlichkeit der Kindergärtnerin selbst, ihr eigenstes Wesen, ihr Gemüth und ihr Verstand, ihre Gesinnungsart und Gefühlsweise. Alles, was sie ist, wird sich, zum großen Theile ihr selbst unbewußt, den Kindern gegenüber offenbaren und am meisten und wirksamsten, wenn sie mit denselben sich allein befindet.

Aus dem Gesagten ergiebt sich aber auch, daß die Kindergärten einer geeigneten Inspection unterworfen, die guten anerkannt, die üblen mit Stillschweigen übergangen und möglichst beseitigt werden sollten. Daß freilich die Kinderbewahranstalten zu einer öffentlichen pädagogischen Inspection und Umgestaltung noch weit mehr herausfordern, das liegt auf der Hand.

Inzwischen giebt es aber viele Eltern, welche, ohne die Hülfe einer Kinderbewahranstalt beanspruchen zu mögen, dennoch, des Kostenaufwands wegen, nicht im Stande sind, ihre Kinder einen Privat- oder Bürgerkindergarten besuchen zu lassen. Es sind daher hier und da, besonders in Berlin, durch Vereine Volkskindergärten gegründet worden, das heißt Kindergärten, die durch den geringen Honorarsatz von monatlich fünf Groschen auch den ärmeren Eltern es ermöglichen, ihren Kindern den Segen einer besseren frühen Erziehung zukommen zu lassen. Auch Leipzig hat bereits seinen ersten Volkskindergarten aufzuweisen (Braustraße), die erste Frucht seines „Vereins für Volkskindergärten“. Daß die Eltern die Bedeutung dieses Instituts, das am 15. Mai d. J. eröffnet wurde, sehr wohl erkannten, beweist die Thatsache, daß binnen wenigen Tagen die Zahl der Anmeldungen von Kindern bis auf fünfundsiebenzig stieg, so daß der Verein entschieden auf Erweiterung der Localität Bedacht nehmen mußte. Das neue „Haus zum Volkskindergarten“ ist heute, wo wir diesen Bogen zum Druck abgeben, mit der, nach guter alter Sitte, aus Tannenzweigen und Blumen gewundenen Krone des sogenannten „Richtfestes“ geschmückt und durch eine recht würdige Feier zum Asyl für Kinder armer Eltern geweiht worden.

Möchten sich – man muß dies im Interesse des ganzen deutschen Volkes dringend wünschen – in allen Städten dergleichen Vereine bilden und in ihrem Bemühen von den Behörden und Regierungen kräftig unterstützt werden. Je früher die Kinder der Armen bauen und schaffen und mit Lust und Liebe arbeiten lernen, desto weniger werden sie einst geneigt sein, sich der pessimistischen Partei fanatischer Niederreißer und Zerstörer anzuschließen, desto mehr werden sie einst im Stande sein, den kostspieligen und nichtsnutzigen Genüssen des Rauchens, des unmäßigen Trinkens von Spirituosen und des Kartenspielens zu entsagen und ihre Freude in der Arbeit zu finden und an Schöpfungen des Geistes.

Möge mir gestattet sein, zum Schluß noch einer deutschen Frau zu gedenken, deren Namen kein Freund der Kindergärten ohne das Gefühl freudigster Bewunderung und tiefster Hochachtung zu nennen vermag. Es ist die Frau Baronin Bertha von Marenholtz-Bülow in Berlin, die mit unermüdlicher Ausdauer durch persönliche Bemühungen und theoretische und praktische Anregungen aller Art in den verschiedensten Orten und Ländern die Gründung von Kindergärten bewirkt hat. Nicht geringes Verdienst erwarb sie sich außerdem durch die Schrift „Die Arbeit und die neue Erziehung nach Fröbel’scher Methode“, die wir hiermit ernstlicher Beachtung dringend empfehlen. Als Lehrbücher der Kindergartenpädagogik und insbesondere der Beschäftigungen sind vorzugsweise zu nennen die Schriften von Goldammer in Berlin, Köhler in Gotha und von Seidel und Schmidt in Weimar.



  1. Ueber Friedrich Fröbel und sein Wirken hat die Gartenlaube im Jahrg. 1853 in Nr. 6 und 8, und über Heinrich Pestalozzi 1859 in Nr. 13 (Babeli) und 1868 in Nr. 35 (der Reformator der Erziehungslehre) ausführliche Artikel gebracht.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: viefach