Textdaten
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Autor: Johann Wolfgang von Goethe
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Titel: Album der Poesien
Johanna Sebus
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 737, 738
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[737]

Johanna Sebus.
Nach seinem Oelgemälde auf Holz übergezeichnet von R. Risse in Düsseldorf.

[738]

 Album der Poesien.

 Johanna Sebus.[1]

Der Damm zerreißt, das Feld erbraust,
Die Fluthen spülen, die Fläche saust.
     „Ich trage Dich, Mutter, durch die Fluth,
     Noch reicht sie nicht hoch, ich wate gut.“
     „Auch uns bedenke, bedrängt wir sind,
     Die Hausgenossen, drei arme Kind!
     Die schwache Frau! … Du gehst davon.“ –
     Sie trägt die Mutter durch’s Wasser schon.
     „Zum Bühle da rettet euch! harret derweil;
     Gleich kehr’ ich zurück, uns Allen ist Heil.
     Zum Bühl ist’s noch trocken und wenige Schritt;
     Doch nehmt auch mir meine Ziege mit!“

Der Damm zerschmilzt, das Feld erbraust,
Die Fluthen wühlen, die Fläche saust.
     Sie setzt die Mutter auf sichres Land;
     Schön Suschen gleich wieder zur Fluth gewandt.
     „Wohin? Wohin? die Breite schwoll;
     Des Wassers ist hüben und drüben voll.
     Verwegen in’s Tiefe willst Du hinein!“
     „Sie sollen und müssen gerettet sein!“

Der Damm verschwindet, die Welle braust,
Eine Meereswoge, sie schwankt und saust.
     Schön Suschen schreitet gewohnten Steg,
     Umströmt auch gleitet sie nicht vom Weg,
     Erreicht den Bühl und die Nachbarin;
     Doch der und den Kindern kein Gewinn!

Der Damm verschwand, ein Meer erbraust’s,
Den kleinen Hügel im Kreis umsaust’s.
     Da gähnet und wirbelt der schäumende Schlund
     Und ziehet die Frau mit den Kindern zu Grund;
     Das Horn der Ziege faßt das ein’,
     So sollten sie Alle verloren sein!
     Schön Suschen steht noch strack und gut:
     Wer rettet das junge, das edelste Blut!
     Schön Suschen steht noch, wie ein Stern;
     Doch alle Werber sind alle fern.
     Rings um sie her ist Wasserbahn,
     Kein Schifflein schwimmet zu ihr heran.
     Noch einmal blickt sie zum Himmel hinauf,
     Da nehmen die schmeichelnden Fluthen sie auf.

Kein Damm, kein Feld! Nur hier und dort
Bezeichnet ein Baum, ein Thurm den Ort,
     Bedeckt ist Alles mit Wasserschwall;
     Doch Suschens Bild schwebt überall. –
     Das Wasser sinkt, das Land erscheint,
     Und überall wird schön Suschen beweint. –
     Und dem sei, wer’s nicht singt und sagt,
     Im Leben und Tod nicht nachgefragt!

 W. v. Goethe.


  1. Goethe selbst hat es der Nachwelt verkündet, daß es am 13. Januar 1809 war, wo eine siebenzehnjährige Jungfrau, die schöne Johanna Sebus aus dem Dorfe Brienen, ein Opfer ihres Heldenmuthes und ihrer Menschenliebe geworden. Als zu den Schrecken des Eisgangs im Rhein auch noch das Verderben durch den Dammbruch bei Cleverham hinzukam riss, rettete Johanna die Unglücklichen aus der Wassersnoth, bis sie selbst darin umkam. Das ist der Gegenstand unseres Bildes, vor dem man wieder recht schmerzlich an die Verirrung so vieler unserer Maler erinnert wird, die noch heute lieber in das Nebelgebiet der Heiligenlegende, als in das lebensvolle Buch unserer Volksgeschichte greifen, um sich die Stoffe für ihre Darstellungen zu suchen. Um so mehr freuen wir uns, daß unser Künstler mit gesundem deutschen Geist seine Wahl traf und mit seinem Bilde ein Werk lieferte von ebenso vollendeter technischer Durchführung, als geistiger Bedeutsamkeit. Auch wer das Auge nur auf die beiden Gesichter der Hauptgruppe wendet, die der Mutter und der Tochter, muß in jenem den vollen Ausdruck der Angst wie in diesem die Ruhe des Gottvertrauens und des Muthes bewundern. Wir wünschen diesem Werk recht viele ebenbürtige Nachfolger.
    D. Red.